Profilbild von stefan182

stefan182

Lesejury Star
offline

stefan182 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit stefan182 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.02.2022

Elf Kurzgeschichten voller Grusel, Mystery und Atmosphäre

Derrière La Porte
0

„Derrière La Porte“ ist ein Kurzgeschichtenband von Michael Leuchtenberger. Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf Horror-/Gruselgeschichten; es finden sich allerdings auch Erzählungen anderer Genres. Jeder ...

„Derrière La Porte“ ist ein Kurzgeschichtenband von Michael Leuchtenberger. Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf Horror-/Gruselgeschichten; es finden sich allerdings auch Erzählungen anderer Genres. Jeder Geschichte ist außerdem ein kleiner Text vorangestellt, in dem Michael Leuchtenberger Einblicke in den Entstehungsprozess der jeweiligen Erzählungen gibt. Insgesamt bestechen die Kurzgeschichten durch eine hohe atmosphärische Dichte: Die jeweiligen Handlungen entfalten sich meist behutsam, sodass sich oft eine latente Spannung/ein subtiler Grusel durch die Geschichten zieht. Zudem lassen sich die Kurzgeschichten sehr flüssig lesen. Damit man sich ein besseres Bild von dem Sammelband machen kann, stelle ich im Folgenden jede Geschichte kurz und spoilerfrei vor.

1. Den Beginn von „Derrière La Porte“ macht „Das Archiv“. Erzählt wird die Geschichte in Briefform von Johannes Meerbusch, der, als Mitarbeiter eines hochschulischen Zentralen Prüfungsamtes, die Aufgabe hat, die Dokumente eines lang verschlossenen Kellerraumes zu sortieren. Schnell erkennt er, dass der Kellerraum nicht umsonst abgeschlossen war. „Das Archiv“ ist eine sehr atmosphärische Gruselgeschichte mit einem unheimlichen Setting. Der Grusel breitet sich innerhalb der Handlung schön sanft aus, wodurch die Erzählung einen besonderen Sog auswirkt.

2. „Lampionfest“, eine Geschichte über die Mitglieder eines Campingvereins, ist keine paranormale Erzählung. Im Gegenteil: Sie könnte sich genauso in unserer Welt abspielen, da sie sich mit einem gesellschaftlich relevanten Problem auseinandersetzt. Auch „Lampionfest“ besticht durch einen behutsamen Aufbau, wodurch das Ende umso eindrücklicher wird.

3. „Die schwarzen Augen“ ist eine Horrorgeschichte, die im 18. Jahrhundert in Frankreich spielt. Der Plot dreht sich um zwei junge Liebende, deren Glück jäh unterbrochen wird.

4. „Zwei Inseln“ ist die kürzeste Geschichte des Bandes. Sie spielt in einer dystopischen Zukunft, in der das Klima vollends gekippt und die Klimakatastrophe Realität geworden ist.

5. „Marie Marais“ handelt von einem Reisenden und seiner schaurigen Tante. Auch diese Geschichte ist wieder dem Horrorgenre zuzuordnen. Besonders gut hat mir die eindrückliche Beschreibung des Verhaltens der Tante gefallen.

6. „Dein Name an der Tür“, in deren Mittelpunkt ein ruinöses Haus steht, zeichnet sich durch eine große Vagheit aus, die in eine träumerische Richtung geht. Durchzogen ist die Erzählung von einem melancholischen Ton.

7. In „Das schwarze Bild“ spielen erneut paranormale Elemente eine große Rolle. Sie handelt von einer Freundschaft, die in Hass umschlägt. Die Geschichte hat eher einen prologartigen Charakter, sodass am Ende nicht alle Fragen geklärt werden.

8. „Radegundes Kamm oder Die unverhoffte Flucht“ ist eine interessante Mischung aus Märchenmotiven und Science-Fiction-Elementen. Zu Beginn erinnert die Geschichte an „Rapunzel“, allerdings wendet sie sich schnell in Richtung Sci-Fi: Radegundes Kamm ist nämlich ein Smart Device, das mit der Zeit gelernt hat, Mitleid zu empfinden. „Radegundes Kamm“ ist aufgrund dieser Ausgangslage für mich die außergewöhnlichste Geschichte der Kurzgeschichtensammlung und – neben „Das Archiv“ – eine meiner Lieblingsgeschichten.

9. „Geisternetz“ ist eine Horrorgeschichte, die von einer Gruppe Umweltschützer handelt, die Geisternetze aus dem Ozean beseitigen. Eines dieser Geisternetze besitzt aber ein Eigenleben, sodass die Gruppe selbst in eine unvorhersehbar gefährliche Situation gerät. „Geisternetz“ hat eine schöne Spannungskurve, die sich schrittweise steigert.

10. „Der Despot“ ist wieder in unserer Welt angesiedelt. Die Erzählung handelt von einer Figur, die ihr despotisches Verhalten immer weiter steigert - bis zu einem fulminanten Ende, das fassungslos zurücklässt.

11. „Derrière La Porte“ schließt mit „Blauglas“, einer Fantasygeschichte, in der ein besonderes Artefakt gesucht wird. Die Handlungswelt besitzt leicht dystopische Züge; auch subtiler Grusel kommt in der Handlung vor. An dieser Geschichte hat mir besonders die Direktheit des Endes gefallen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.02.2022

Ein spannender Thriller mit interessanten Figuren

Bis in den Tod hinein
0

Inhalt: Eine Mordserie erschüttert Berlin: Innerhalb kürzester Zeit wird das LKA-Team um Kommissar Severin Boesherz zu drei verschiedenen Tatorten gerufen. Dabei gleicht keine Tat der anderen: Jeder Mord ...

Inhalt: Eine Mordserie erschüttert Berlin: Innerhalb kürzester Zeit wird das LKA-Team um Kommissar Severin Boesherz zu drei verschiedenen Tatorten gerufen. Dabei gleicht keine Tat der anderen: Jeder Mord ist auf das jeweilige Opfer zugeschnitten. Einziges Bindeglied: Eine bestimmte Zahl, die bei jeder Leiche gefunden wird und deren genaue Bedeutung Rätsel aufgibt. Zeitgleich zu den Morden verschwindet zudem ein Topmodel, das eigentlich in der nahen Zukunft für eine Casting-Show vor der Kamera stehen sollte. Ist sie ebenfalls ein Opfer des Serienkillers? Oder hat ihr Verschwinden eine ganz andere Bedeutung?

Persönliche Meinung: „Bis in den Tod hinein“ ist ein Thriller von Vincent Kliesch. Der Thriller erschien bereits 2013 im Blanvalet Verlag und ist jetzt von Droemer Knaur neu aufgelegt worden. Es handelt sich um den ersten Band der Bösherz-Dilogie. Erzählt wird der Thriller hauptsächlich aus den personalen Erzählperspektiven Boesherz‘ und des Täters. Beide sind auf ihre Art interessante Figuren. Boesherz ist ein Ermittler, der seinen eigenen Kopf hat und zwischendurch auch unkonventionelle Wege geht, um sein Ziel zu erreichen. Er tritt eher forsch auf – mal charmant, mal arrogant – und ist in „Bis in den Tod hinein“ noch nicht so eine nachdenkliche, zurückgezogen lebende und gebrochene Figur wie später in „Im Auge des Zebras“. Auch die Täterfigur, in deren Psyche man tiefe Einblicke erhält, wird eindrücklich gezeichnet: Der Täter ist stark neurotisch, penibel und zwanghaft; zugleich besitzt er eine gesteigerte Liebe zur deutschen Sprache. Dementsprechend individuell und speziell ist auch sein Motiv für die Morde (Um Spoiler zu vermeiden, gehe ich auf das Motiv nicht näher ein. Ich fand es aber sehr originell und stimmig). Die Identität des Täters wird im Vergleich zu anderen Thrillern/Krimis bereits recht früh offenbart, aber das nimmt der Handlung nicht die Spannung. Denn: Der Fall ist komplexer und hintergründiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Außerdem fährt die Handlung zweigleisig, indem sie – zusätzlich zu den Mordfällen – einen weiteren Fall behandelt: Das Verschwinden des Topmodels, bei dem nicht Boesherz, sondern Dennis Baum, ein Kollege Boesherz‘, ermittelt. Zur Handlung selbst möchte ich nicht zu viel verraten. Nur: Sie ist insgesamt sehr gut durchdacht, schön aufgebaut und besitzt mehrere überraschende Wendungen. Durch die kurzen Kapitel wird sie außerdem temporeich erzählt. Insgesamt ist „Bis in den Tod hinein“ ein fesselnder Thriller mit einer wendungsreichen Handlung und interessanten Figuren.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.01.2022

Ein spannender Reihenauftakt

Im Auge des Zebras
0

Inhalt: Zeitgleich verschwinden in ganz Deutschland Kinder und Jugendliche. Ihre Eltern werden - kurz nachdem sie die Vermisstenmeldung aufgesetzt haben - ermordet. Auffällig dabei ist, dass sowohl die ...

Inhalt: Zeitgleich verschwinden in ganz Deutschland Kinder und Jugendliche. Ihre Eltern werden - kurz nachdem sie die Vermisstenmeldung aufgesetzt haben - ermordet. Auffällig dabei ist, dass sowohl die Zeugenaussagen der Eltern als auch die DNA-Analysen darauf hinweisen, dass immer ein und dieselbe Person der Täter ist. Die Kinder und Jugendlichen bleiben, trotz intensiver Suche, verschwunden. Um das Rennen gegen die Zeit nicht zu verlieren und die Entführten noch lebend zu finden, bleibt Kommissarin Olivia Holzmann nur noch eine Möglichkeit: Sie bittet ihren alten Kollegen Severin Boesherz - ein ermittlerisches Mastermind, das sich vor Jahren zur Ruhe gesetzt hat - um Hilfe.

Persönliche Meinung: „Im Auge des Zebras“ ist ein Thriller von Vincent Kliesch. Der Thriller schließt an Klieschs Bösherz-Dilogie („Bis in den Tod hinein“; „Im Augenblick des Todes“) an, ist aber zugleich der Auftakt einer neuen Reihe, die die Kommissarin Olivia Holzmann in den Fokus rückt. Denn: Severin Boesherz hat sich vor einigen Jahren zurückgezogen, will nicht mehr ermitteln, da er befürchtet, durch seine besondere Gabe immer neue Verbrecher „anzulocken“, die ihn herausfordern möchten. Da jede verlorene Minute den Tod der Vermissten näherbringt, bittet Olivia ihn dennoch um Rat und involviert ihn so in den Fall. Erzählt wird „Im Auge des Zebras“ aus verschiedenen personalen Erzählperspektiven und auf unterschiedlichen Zeitebenen. Die drei Hauptperspektiven dabei sind Olivia Holzmann, Severin Boesherz und Ferdinand Boesherz, der Sohn Severins. Besonders Severin Boesherz ist eine interessante Ermittlerfigur: Er ist ein an Sherlock Holmes erinnernder deduktiver Denker, der ein photographisches Gedächtnis besitzt und sich mental in Erinnerungsräume denken bzw. zurückziehen kann. Sein Sohn Ferdinand besitzt eine ähnliche Begabung, allerdings ist diese noch nicht so ausgeprägt wie bei seinem Vater. Daher steht er ebenso wie Olivia eher im Schatten von S. Boesherz. Das passt sehr gut zum Konzept des Thrillers: Die Handlung ist gewissermaßen als Initiation/Abnabelung Olivias und Ferdinands angelegt, was insgesamt stimmig umgesetzt wird (mehr kann ich, ohne zu spoilern, nicht verraten). Aber auch der Fall um die entführten Kinder/Jugendlichen ist schön durchdacht und konstruiert. Die Handlung ist insgesamt sehr wendungsreich und besitzt eine fesselnde Spannungskurve. Mehrmals wird man auf falsche Fährten geführt und durch Twiste überrascht. Durch die kurzen Kapitel und häufigen Perspektivwechsel ist die Handlung zudem sehr temporeich (zu Beginn eines Kapitels steht immer, welche Perspektive eingenommen wird, sodass man nicht durcheinanderkommt). Insgesamt ist „Im Auge des Zebras“ ein spannender und wendungsreicher Thriller, der die Lesenden mehrmals auf die falsche Fährte führt und sich sehr flüssig lesen lässt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.01.2022

Ein bildhaft erzählter Roman, der insgesamt eher den Auftakt für ein großes Finale bildet

Das Labyrinth der Träumenden Bücher
0

Inhalt: 200 Jahre sind vergangen, seitdem Hildegunst von Mythenmetz - durchströmt von Orm - das brennende Buchhaim verlassen hat. Mittlerweile ist er ein gefeierter Schriftsteller und produziert einen ...

Inhalt: 200 Jahre sind vergangen, seitdem Hildegunst von Mythenmetz - durchströmt von Orm - das brennende Buchhaim verlassen hat. Mittlerweile ist er ein gefeierter Schriftsteller und produziert einen Bestseller nach dem anderen. Doch: Zuletzt fehlt seinen Werken das gewisse Etwas; das Orm scheint ihm abhandengekommen zu sein. Zudem erreicht Hildegunst plötzlich ein mysteriöser Brief, der den Schreibstil Hildegunsts imitiert und inhaltlich die Schreibangst eines Schriftstellers thematisiert. Besonders schockierend ist aber der (angebliche?) Name des Absenders: Hildegunst von Mythenmetz, wohnhaft in der Ledernen Grotte unterhalb von Buchhaim. Um dieses Rätsel zu lösen, begibt sich Hildegunst erneut nach Buchhaim…

Persönliche Meinung: „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ ist ein phantastischer Zamonien-Roman von Walter Moers. Es handelt sich – nach „Die Stadt der Träumenden Bücher“ – um den zweiten Teil der Buchhaim-Trilogie. Erzählt wird der Roman aus der Ich-Perspektive von Hildegunst von Mythenmetz. Wie viele andere Moers-Bücher – insbesondere „Die Stadt der Träumenden Bücher“ – beschäftigt sich auch „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ stark mit dem Medium „Buch“ und dem literarischen Schaffensprozess bzw. dem Erzählen, sodass es Züge eines Meta-Buches besitzt. Handlungsort ist erneut Buchhaim, das allerdings nach dem verheerenden Brand vor 200 Jahren wenig mit dem mittelalterlichen Buchhaim aus „Die Stadt der Träumenden Bücher“ gemein hat. Verwinkelte Gassen existieren kaum noch, die Stadt ist geschäftiger und moderner geworden. Außerdem hat sich eine neue (Meta-)Kunstform durchgesetzt: der Puppetismus (Puppentheater aller Art). Handlungstechnisch geschieht in „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ erstaunlich wenig. Hauptsächlich werden Hildegunsts Lücken gefüllt, die er nach der 200-jährigen Abwesenheit von Buchhaim besitzt. So trifft Hildegunst einige alte Bekannte, die ihm einen Crashkurs der Geschichte Buchhaims geben, den Puppetismus erklären, Detailfragen zu Katakomben, Bücherjägern und Co. beantworten und ihn durch das neue Buchhaim führen. Beeindruckend ist dabei, dass man den „Infodump“ gar nicht als solchen wahrnimmt. Langeweile kommt dabei kaum auf. Das liegt einerseits an dem sehr bildhaften, wortverliebten und flüssig zu lesenden Erzählstil Moers'. Andererseits erschafft Moers immer wieder kreative Szenarien, in denen die Infos eingebettet werden, sodass der Informationsfluss schön aufgelockert wird. Neben den Informationen zum neuen Buchhaim nimmt auch der Puppetismus (und seine Geschichte) einen großen Raum im Roman ein. Das geht sogar so weit, dass die Handlung des Vorgängerromans mithilfe einer puppetistischen Inszenierung in „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ rekapituliert wird. Auch hier beweist der Roman wieder selbstreferentielle Qualitäten: Hildegunst kommentiert Abweichungen zwischen der puppetistischen Inszenierung und der Buchform, diskutiert den Mediumswitch und die „Kunsttheorie“ des Puppetismus. Der Roman endet an seiner spannendsten Stelle, ohne dass aufgeworfene Handlungsfäden aufgerollt worden wären. Der Schlusssatz hat es aber in sich, da er den Lesenden schon fast höhnisch ins Gesicht lacht (was ich gar nicht negativ meine; das passt ziemlich gut ins Zamonien-Konzept). Dieses abrupte Ende hat auch seinen Grund. Im Nachwort gibt der „Übersetzer“ Moers an, die ursprüngliche Handlung des Romans sei so voluminös und komplex gewesen, dass er sie auf zwei Bücher habe splitten müssen. Dieser dritte Buchhaim-Band ist allerdings noch nicht erschienen, sodass ein abschließendes Urteil über „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ schwerfällt. Vieles mutet hier wie ein großangelegter, bisweilen ausufernder Handlungsauftakt an, dessen Vollendendung (noch) in den Sternen steht. Allerdings hat mich das bei der Lektüre kaum gestört: Auch, wenn einige Aspekte (noch) offenbleiben, gelang es Moers abermals, mich durch seinen typischen, wortverliebten Schreibstil und viele kreative Szenen zu packen und in eine phantastische Welt zu entführen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.01.2022

Ein düsterer, fundiert recherchierter historischer Kriminalroman mit einer großen Portion Lokalkolorit

Eisflut 1784
0

Inhalt: 1784: Eigentlich soll der bergische Amtmann Henrik Venray den Fortgang der Deichbauarbeiten im rechtsrheinischen Mülheim kontrollieren. Dort stößt er aber nicht nur auf eklatante Baurückstände, ...

Inhalt: 1784: Eigentlich soll der bergische Amtmann Henrik Venray den Fortgang der Deichbauarbeiten im rechtsrheinischen Mülheim kontrollieren. Dort stößt er aber nicht nur auf eklatante Baurückstände, sondern auch auf eine Leiche, die bei genauerem Hinsehen Stichwunden aufweist. Mithilfe der Apothekerin Anna-Maria Scheidt wird schnell klar: Es handelt sich um Mord. Um diesem auf den Grund zu gehen, reisen die beiden in das nahe gelegene Cöln. Doch der Mörder ist nicht die einzige Gefahr. Durch den überaus harten Winter türmen sich Eismassen auf dem Rhein, die, sobald das Wetter milder wird, zu schmelzen beginnen. Eine Eisflut mit unkalkulierbaren Folgen droht.

Persönliche Meinung: „Eisflut 1784“ ist ein historischer Kriminalroman von Marco Hasenkopf. Erzählt wird der Roman hauptsächlich aus der personalen Erzählperspektive von Henrik Venray. Zeitlich spielt die Handlung im ausgehenden 18. Jahrhundert: Das Heilige Römische Reich deutscher Nation existiert noch, ist aber durch seinen charakteristischen Flickenteppich politisch stark zerfasert, was Hasenkopf anschaulich darstellt. So hat in Mülheim am Rhein weniger der bergische Landesfürst das Sagen. Im Gegenteil: Die lokalen, dekadent lebenden Adligen/Unternehmer bestimmen die Geschicke Mülheims. In Cöln wiederum waltet der Rat eher pro forma; in Wahrheit regiert der Klüngel, weshalb Venray sich mehrmals vor verschlossenen Türen wiederfindet. Beide Städte stehen zudem wirtschaftlich in ständiger Konkurrenz, was die Ermittlungen Venrays ebenfalls nicht vereinfacht. Besonders lebhaft und eindrücklich zeichnet Hasenkopf den Handlungsort Cöln: Karnevalistische Exzesse finden neben bigotten Prozessionen statt; Reichtum und Armut sind auf engstem Raum nebeneinander. Schöne Kontrastpunkte zu der ansonsten verkrusteten Gesellschaft des "Alten Reiches" bilden die beiden Hauptfiguren Henrik Venray und Anna-Maria Scheidt, denn beide sind als fortschrittlich charakterisiert. Henrik Venray, als Amtmann und Adliger eigentlich Repräsentant der überkommenen Herrschaftsstruktur, ist reformorientiert, offen für Neues und insgesamt liberal eingestellt. Anna-Maria Scheidt ist selbstbewusst, begehrt gegen die von Männern dominierte Welt des 18. Jahrhunderts auf und geht selbstbestimmt ihren Weg. Was mir ebenfalls sehr gut an dem Krimi gefallen hat, ist, dass die Dramaturgie der Krimihandlung mit dem Verlauf der Eisflut verflochten ist (besonders der Klimax beider ist wirklich klasse geschrieben). Wortwahl und Satzbau des Romans orientieren sich an zeitgenössischen Vorbildern, wodurch die Handlung im Ganzen historisch authentisch wirkt. Insgesamt ist „Eisflut 1784“ ein düsterer, fundiert recherchierter historischer Kriminalroman mit einer großen Portion Lokalkolorit.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere