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Veröffentlicht am 24.09.2021

Ein spannender Thriller mit einem interessanten Handlungsort

Die Todesbeigaben: Thriller
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Inhalt: Döllersheim, ein Lost Place in Österreich. Zwei junge Fotografen durchstreifen auf der Suche nach dem perfekten Motiv das verlassene Dorf. Als sie in die Dorfkirche vordringen, stoßen sie auf einen ...

Inhalt: Döllersheim, ein Lost Place in Österreich. Zwei junge Fotografen durchstreifen auf der Suche nach dem perfekten Motiv das verlassene Dorf. Als sie in die Dorfkirche vordringen, stoßen sie auf einen grausigen Fund: eine verwesende Leiche. Sofort verständigen die beiden die Polizei und schnell wird klar, dass es sich um Mord handelt: Die Obduktion der Leiche fördert einen Gegenstand zu Tage, eine Todesbeigabe, mit der der Täter auf sein nächstes Opfer hinweist. Werden Inspektorin Susanne Kriegler und ihr Team den Täter fassen, ehe er seine tödliche Mission vollendet?

Persönliche Meinung: „Die Todesbeigaben“ ist ein Thriller von Drea Summer. Erzählt wird der Thriller hauptsächlich aus der Perspektive von Susanne Kriegler (personale Erzählform), zwischendurch gibt es aber auch immer wieder Kapitel, in denen die Perspektive des Täters in Ich-Form eingenommen wird. Dabei kommt es auch einige Male zu Rückblenden, die die Vergangenheit des Täters beleuchten. Mithilfe der Rückblicke kann man sich, je weiter die Handlung voranschreitet, langsam zusammenreimen, wer der Täter ist. Allerdings büßt der Thriller dadurch nicht an Spannung ein: Das genaue Motiv des Täters und die Gründe für die Auswahl seiner Opfer bleiben bis kurz vor Schluss offen. Sehr stark ist auch der Epilog, der quasi eine eigene Kurzgeschichte ist, die nach dem Geständnis des Täters spielt. Dabei entsteht auf vier Seiten ein kleiner Handlungsbogen, in dem sich eine hochkonzentrierte Spannungskurve findet, die sich erst in den letzten Absätzen auflöst. Die Handlung des Thrillers ist insgesamt rund, schlüssig und durchweg spannend. Die beiden leitenden Ermittler, Susanne und Alexander, sind lebensecht charakterisiert. Susanne sorgt sich stark um ihre Tochter, hat eine ihr nahestehende Person verloren und reagiert dadurch teilweise impulsiv, was sich auch in ihre Ermittlungen einmischt. Alexander ist gewissenhaft und überlegter als Susanne. Gleichzeitig hat er aber Probleme mit seiner Mutter, die ihn nicht wirklich wie einen Erwachsenen behandelt. Der Handlungsort des Thrillers, zu dem Drea Summer ausführlich recherchiert hat, ist aufgrund seiner Historie interessant. Döllersheim ist ein ehemaliges Dorf, aus dem die Bewohner zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zwangsausgesiedelt worden sind, da in der Umgebung ein Truppenübungsplatz entstehen sollte. Die Gebäude verfielen mit der Zeit, sodass heute – abgesehen von Kirche und Friedhof, die weitgehend intakt blieben – fast nur noch Ruinen existieren, wodurch der Lost Place eine perfekte Kulisse für einen Thriller ist. Insgesamt ist „Die Todesbeigaben“ ein gut durchdachter Thriller mit einer hohen Spannungskurve und einem interessanten Handlungsort.

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Veröffentlicht am 19.09.2021

Ein anschaulicher Ratgeberroman für einen sensibleren Umgang in Beziehungen

Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich
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Inhalt: Seit Ewigkeiten haben die Ich-Erzählerin und Chris, ihr Ehemann, keinen Urlaub mehr ganz ohne Kinder, nur für sich, gemacht. Das soll sich nun ändern. Die beiden fahren für ein paar Tage in eine ...

Inhalt: Seit Ewigkeiten haben die Ich-Erzählerin und Chris, ihr Ehemann, keinen Urlaub mehr ganz ohne Kinder, nur für sich, gemacht. Das soll sich nun ändern. Die beiden fahren für ein paar Tage in eine einsame Berghütte. Für die Ich-Erzählerin ist es ein wichtiger Urlaub: Sie hat das Gefühl, die Luft sei aus der Beziehung raus, man lebe im Alltagstrott nur noch aneinander vorbei. Der Urlaub soll dahingehend ein Neuanfang werden. Doch gleich zu Beginn kommt es zu einem Streit zwischen der Ich-Erzählerin und ihrem Mann. Wütend und enttäuscht verlässt sie die Hütte und begibt sich auf eine Wanderung. Dabei trifft sie einen alten Mann, der ihr hilft, die Beziehung zu ihrem Ehemann besser verstehen zu können.

Persönliche Meinung: „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ ist ein Ratgeberroman von Tessa Randau. Erzählt wird der Roman aus der Ich-Perspektive der namenlosen Frau. Der Roman rekurriert auf verschiedene psychologische Modelle, die in die Handlung eingebettet sind und lebensnah – an konkreten Situationen geknüpft – veranschaulicht werden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zu Beginn des Romans spielt besonders das „Vier-Ohren“-Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun eine Rolle. Dieses wird in dem Streit des Ehepaars sehr greifbar, der sich um die Planung des Urlaubs dreht (sie möchte wandern, er mountainbiken). Für die Ich-Erzählerin ist der Urlaub nicht einfach nur ein Urlaub, sondern immens wichtig für das Fortbestehen der Beziehung – was sie Chris, ihrem Mann, aber nicht deutlich artikuliert. Dieser erkennt den Umstand nicht von selbst, fragt aber auch nicht genauer nach, warum seine Frau so aufgebracht ist, sodass beide in festgefahrene Kommunikationsmuster fallen, aneinander vorbeireden und der Streit eskaliert. Letztlich hören beiden mit unterschiedlichen Ohren, was die Lage verkompliziert. Den Part des Ratgebers in Sachen „Beziehung“ übernimmt der alte Mann, den die Ich-Erzählerin trifft. Seine Ehe kriselte auch einmal, er konnte sie aber retten und gibt der Ich-Erzählerin nun Denkanstöße, wie sie eine größere Sensibilität für ihre Beziehung aufbauen kann. Diese Ratschläge bzw. Denkanstöße richten sich zugleich an die Leserinnen. Dabei werden sie nicht mit erhobenem Zeigefinger vorgetragen, sondern anschaulich auf Augenhöhe diskutiert, wodurch man die Ratschläge beim Lesen besser durchdenken bzw. reflektieren kann. Auch übt das Buch keinerlei Druck bzw. Umsetzungszwang der Ratschläge aus: Was die Leserinnen mit den Ratschlägen machen – ob sie sie nutzen oder nicht –, bleibt ihnen überlassen. Somit fühlt man sich während der Lektüre weder belehrt noch genötigt. Jeder Leserin ist frei, sich die passenden Ratschläge für die jeweilige, individuelle Beziehungssituation herauszusuchen. Außerdem ist wichtig festzuhalten, dass „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ – auch wenn er aus der Perspektive einer weiblichen Figur erzählt wird – nicht ausschließlich ein Ratgeber für Frauen ist. Die Ratschläge, die der Roman beherbergt, sind universell und geschlechterübergreifend relevant. Insgesamt ist „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ ein schön geschriebener Ratgeber-Roman, der Überlegungen zu Beziehung und Liebe anschaulich thematisiert und dadurch Denkanstöße für die eigene Beziehung geben kann.

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Veröffentlicht am 18.09.2021

Eine spannende Horrornovelle mit einem "hard boiled"-Setting

In der Haut des Wolfes
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Inhalt: Chicago, Ende der 1980er Jahre. Eine Reihe bestialischer Morde ereignet sich in der Stadt. Die Opfer sind grausig entstellt, scheinbar von einem wilden Tier angefallen worden. Als die Freundin ...

Inhalt: Chicago, Ende der 1980er Jahre. Eine Reihe bestialischer Morde ereignet sich in der Stadt. Die Opfer sind grausig entstellt, scheinbar von einem wilden Tier angefallen worden. Als die Freundin von Willie ebenfalls tot aufgefunden wird, wendet sich dieser an die befreundete Privatdetektivin Randi mit der Bitte, den Fall aufzuklären. Randi fühlt sich sofort 20 Jahre in die Vergangenheit versetzt: Ihr Vater, ein Polizist, starb unter mysteriösen Umständen. Auch er wurde – scheinbar – von einem Tier getötet. Hängen die aktuellen Mordfälle mit dem Tod von Randis Vater zusammen? Handelt es sich um das gleiche Tier? Oder steckt noch viel mehr dahinter?

Persönliche Meinung: „In der Haut des Wolfes“ ist eine Horrornovelle von George R. R. Martin. Sie erschien zuerst 1989 in der Anthologie „Nightvisions“; 2014 wurde die Novelle vom Festa Verlag neu aufgelegt. Erzählt wird die Novelle wechselweise aus den Perspektiven von Randi und Willie, die beide Tendenzen eines hard boiled-Detectives besitzen. Randi, die genretypische Privatdetektivin, schreckt nicht vor unorthodoxen Methoden zurück und versucht sich in einem von Männern dominierten Berufsfeld durchzuschlagen. Auch der von Asthma geplagte Willie nutzt eher abweichende Ermittlungsmethoden (Zwar ist er nominell nicht die primäre Ermittlerfigur, allerdings ermittelt er auf eigene Faust parallel zu Randi, da er ein Geheimnis vor ihr bewahren möchte). Gleichzeitig hat er oft einen sexuell aufgeladenen Spruch auf den Lippen, verbrennt sich damit aber immer wieder – zumindest bei Randi – die Finger. Auch der Handlungsort, das Chicago „In der Haut des Wolfes“, ist „hard boiled“. Es wirkt menschenleer, Gebäude sind verlassen oder zweckentfremdet, sogar in den Selbstbedienungsrestaurants huschen nur Schatten umher, alles scheint farblos, Ton-in-Ton, sodass eine bedrückende Atmosphäre entsteht. Außerdem erhält der Handlungsort – trotz der Kürze der Novelle – eine kleine, zur Handlung passende Hintergrundgeschichte, was mir sehr gut gefallen hat. „In der Haut des Wolfes“ geht aber über die Grenzen der „hard boiled“-Literatur hinaus. Kern der Novelle ist eine Horrorgeschichte, in deren Fokus Werwölfe stehen, die hier nicht nach Fantasymustern funktionieren, sondern hauptsächlich als blutrünstige, wilde Bestien auftreten. Die Handlung selbst ist komplexer als man zunächst vermutet, mehrfach kommt es zu überraschenden Wendungen und auch die Frage nach dem Täter gestaltet sich schwieriger als gedacht, was auch mit den Hauch Mystery, der später durch die Handlung schwebt, zusammenhängt. Martins Erzählstil ist „In der Haut des Wolfes“ reduzierter, ungeschönter und weniger ausschmückend als bei „Game of Thrones“, was sehr gut zum hard boiled-Setting passt. Abgerundet wird die Festa-Ausgabe mit 16 Illustrationen von Timo Wuerz, die die Atmosphäre der Novelle sehr gut einfangen, und einem Nachwort von Christian Enders, das sich überblicksartig mit dem Leben George R. R. Martins beschäftigt. Insgesamt ist „In der Haut des Wolfes“ eine spannende hard boiled-Horrornovelle, die die Werwolf-Thematik aus einem interessanten alternativen Blickwinkel betrachtet und atmosphärisch dicht erzählt wird.

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Veröffentlicht am 12.09.2021

Ein spannender Sci-Fi-Krimi, dessen Potenzial in Sachen Worldbuilding aber noch nicht völlig ausgenutzt worden ist

Der dunkle Schwarm
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Inhalt: Das Jahr 2100. Die Menschen sind in der Lage, ihr Bewusstsein zu „Hive-Minds“ zu verknüpfen. Anders als die normalen Hive-Nutzer besitzt Atlas eine besondere Fähigkeit, die sie sich selbst nicht ...

Inhalt: Das Jahr 2100. Die Menschen sind in der Lage, ihr Bewusstsein zu „Hive-Minds“ zu verknüpfen. Anders als die normalen Hive-Nutzer besitzt Atlas eine besondere Fähigkeit, die sie sich selbst nicht erklären kann: Sie kann ungehindert in das Bewusstsein anderer Menschen hineinschauen und deren Erinnerungen extrahieren, woraus sie ein lukratives Unterwelt-Geschäft entwickelt hat. Doch ein neuer Auftrag bringt Atlas an ihre Grenzen: Noah, ein Kunde, möchte, dass sie den plötzlichen Tod seiner Schwester aufklärt, der zwei Anomalien aufweist. Einerseits ist der Tod von Noahs Schwester kein Einzelfall: Zeitgleich mit ihr starben andere Menschen, die mit ihr in einem Hive organisiert waren, der somit in einem Sekundenbruchteil völlig ausgelöscht wurde. Andererseits besitzen die Angehörigen kaum Erinnerungen zu den Verstorbenen, sodass Atlas mit ihrer besonderen Fähigkeit nicht wirklich weiterkommt. Ehe Atlas es sich versieht, ist sie mitten in einer Verschwörung, deren wahre Ausmaße im Dunkeln liegen.

Persönliche Meinung: „Der dunkle Schwarm“ ist ein Sci-Fi-Roman von Marie Grasshoff, der auf dem gleichnamigen Audible-Hörspiel basiert. Erzählt wird er aus der Ich-Perspektive der 28-jährigen Atlas, einer toughen Protagonistin, die auch mal kaltblütig handelt, wodurch sie auf den ersten Blick unnahbar wirkt (das ändert sich im Laufe der Handlung aber). Zudem trägt sie ein Geheimnis in sich: Sie weiß kaum etwas über ihre Vergangenheit, wodurch zusätzliche Spannung in die Handlung kommt. Noah, der Auftraggeber, ist anders gestrickt. Er tritt menschlicher auf als Atlas, zeigt auch Schwächen, wodurch er insgesamt eine stärkere Identifikationsfigur für die Leser*innen ist. Der Roman spielt in einer dystopischen Zukunft. Das Klima ist in dieser Zukunft vollends gekippt, Tierarten sind ausgestorben und die Gesellschaft ist in Level unterteilt, die sich nach dem Wohlstand bemessen. Je ärmer man ist, desto näher lebt man an der Erdoberfläche, wobei in diese Sublevels kaum Sonnenlicht kommt. Außerdem ist die Welt gespalten. Auf der einen Seite stehen die technologischen Konzerne, die – auf Kosten der Erde – einen möglichst großen Profit erwirtschaften wollen; auf der anderen Seite „The Cell“, eine Organisation, die sich für den Klimaschutz einsetzt und versucht, das zu retten, was noch rettbar ist, dabei aber auch zu Gewalt greift. Diese dystopische Zukunft fand ich insgesamt sehr interessant, allerdings werden einige Aspekte dieser Welt nur angedeutet und nicht erklärt, wodurch die Welt an Dreidimensionalität verliert - was umso betrüblicher ist, da hier ziemlich viel Potenzial schlummert. Ähnliches gilt für die technischen Geräte (vor allem der „Hive“-Technologie). In diesem Kontext kann es aber auch sein, dass in „Der dunkle Schwarm“ noch bewusst einige Dinge zurückgehalten worden sind, um im zweiten Band stärker in den Fokus gerückt zu werden. Wie gesagt: Das Potenzial ist definitiv vorhanden. Besonders spannend an „Der dunkle Schwarm“ ist, dass der Roman Sci-Fi mit Krimi-Elementen vermischt. Atlas versucht gemeinsam mit Noah und ihrem Androiden Julien, einen – eigentlich technisch nicht möglichen – Mord aufzuklären. Klassische Krimi-Ermittlerarbeit trifft hier auf technologisch andersartige Methoden und futuristisch-dystopische Schauplätze. Die Handlung ist dabei insgesamt rund und schlüssig; das Ende in zweifacher Hinsicht überraschend. Der Schreibstil von Marie Grasshoff lässt sich flüssig lesen, sodass man zügig in die Handlung einsteigen kann. Insgesamt ist „Der dunkle Schwarm“ ein (auch handlungstechnisch) spannender Sci-Fi-Dystopie-Krimi-Mix mit einer interessanten Welt, bei deren Ausgestaltung aber noch nicht das volle Potenzial ausgeschöpft worden ist.

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Veröffentlicht am 09.09.2021

Ein packender Thriller über eine toxische Beziehung

SCHWEIG!
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Inhalt: Der Tag vor Heiligabend. Esther ist auf dem Weg zu ihrer Schwester Sue, die einsam in einer Villa im Wald lebt. Eigentlich will Esther diesen Besuch gar nicht machen. Weil, so Esthers Überzeugung, ...

Inhalt: Der Tag vor Heiligabend. Esther ist auf dem Weg zu ihrer Schwester Sue, die einsam in einer Villa im Wald lebt. Eigentlich will Esther diesen Besuch gar nicht machen. Weil, so Esthers Überzeugung, ihre Schwester nicht ganz normal ist. Aber es ist Weihnachten, und deshalb führt kein Weg an dem Besuch vorbei. Und als hätte Esthers es nicht schon geahnt, beginnt der Besuch wenig vielversprechend: Eine verwirrt dreinblickende Sue öffnet ihr die Tür – bewaffnet mit einem Küchenmesser…

Persönliche Meinung: „SCHWEIG!“ ist ein Psychothriller von Judith Merchant. Die Ausgangslage des Thrillers ist vergleichsweise simpel: Zwei Schwestern, die Probleme miteinander haben, treffen aufeinander, sodass sich ein schneidendes Gespräch zwischen den beiden entspinnt. Doch was Judith Merchant aus dieser an ein Kammerspiel erinnernden Ausgangslage macht, ist wirklich grandios. Über die Handlung (und das Gespräch) hinweg entfaltet sich eine hochgradig toxische Schwesternbeziehung, die von Manipulation, Missgunst und Übergriffigkeit geprägt ist. Das Gespräch der beiden wird wechselweise aus den Perspektiven der Schwestern erzählt, wobei ihre unterschiedlichen Gefühle schön deutlich werden. Interessant ist dabei, wie verschieden die Schwestern einzelne Dinge wahrnehmen. Was die eine Schwester als Fürsorge versteht, sieht die andere als übergriffigen Akt. Ein Besuch wird zu einer feindlichen Übernahme; ein zurückgezogenes, ruhiges Leben zu einem Anzeichen tiefster Depression. Dabei – und dadurch entsteht eine große Spannung – weiß man als Leser*in gar nicht so genau, welche Schwester im Recht steht (und welche im Unrecht). Dies hängt vor allem damit zusammen, dass eine übergeordnete, ordnende und damit zuverlässige Erzählinstanz bewusst weggelassen wird. Denn der Thriller wird aus den Ich-Perspektiven der beiden Schwestern erzählt (im Laufe der Handlung kommt noch eine dritte Perspektive hinzu, deren Identität ich aber nicht spoilern möchte) und beide sind – bewusst oder unbewusst – unzuverlässig. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Wahn verschwimmt dadurch: Man kann nicht wirklich festhalten, welche Schwester sie mit welcher Äußerung übertritt. Erst durch Rückblicke, die immer wieder in die Handlung eingestreut werden, offenbart sich, welche Schwester die zuverlässigere ist. Außerdem finden sich in diesen Rückblicken, die besonders die Kindheit und das Weihnachtsfest des vergangenen Jahres behandeln, immer wieder Mosaiksteinchen, die nach und nach ein vollständiges Bild der Schwesternbeziehung ergeben. Das Ende des Thrillers ist schlüssig und stimmig, insgesamt wirklichkeitsnaher als andere Thriller aber gerade dadurch auch erschreckender und nachhallender. Wie schon die früheren Krimis und Thriller von Judith Merchant besitzt auch „SCHWEIG!“ lebendige Dialoge, sodass es sich flüssig lesen lässt und zu einem Pageturner wird. Insgesamt ist „SCHWEIG!“ ein spannender, gut durchdachter Thriller über eine hochgradig toxische Beziehung mit zwei Erzählerinnen, die kaum unzuverlässiger sein könnten.

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