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Veröffentlicht am 23.12.2020

Ein außergewöhnlicher Thriller

Sterbewohl
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Inhalt: Deutschland in naher Zukunft. Wirtschaftskrise und Inflation brachten die „Bürgerpartei“ an die Macht, die die demokratischen Strukturen Deutschlands aushöhlte. Das neueste Sparprogramm der BP: ...

Inhalt: Deutschland in naher Zukunft. Wirtschaftskrise und Inflation brachten die „Bürgerpartei“ an die Macht, die die demokratischen Strukturen Deutschlands aushöhlte. Das neueste Sparprogramm der BP: Rentner werden zu Sterbeseminaren nach Fehmarn eingeladen, wo ihnen geraten wird, das Medikament „Sterbewohl“ einzunehmen. Dadurch könne man, so die Idee der BP, Einsparungen in der Rentenkasse vornehmen. Zwar wird betont, die Einnahme von „Sterbewohl“ sei völlig freiwillig, doch Nadja, die gemeinsam mit ihren Freunden zu einem Sterbeseminar eingeladen worden ist, befürchtet Schlimmes.

Persönliche Meinung: „Sterbewohl“ kündigt sich auf dem Cover bescheiden als „Kriminalroman“ an, doch das Buch geht weit über die Grenzen dieser Gattung heraus. Einerseits finden sich besonders im Luxushotel auf Fehmarn Aspekte eines Thrillers: Der Leiter der Sterbeseminare ist suspekt bis offen bedrohlich, mehrmals verschwinden Seminarteilnehmer, das Hotelpersonal nuschelt Seltsames vor sich hin und das Luxushotel ist abgeschottet. Andererseits ist „Sterbewohl“ auch eine Dystopie: Es spielt in naher Zukunft in einem Deutschland, das mit seinen Methoden und Denkweisen an das nationalsozialistische Deutschland erinnert. Dabei ist die Welt glaubhaft und potenziell durchaus möglich, wodurch „Sterbewohl“ auch parabelhafte Strukturen erhält. Auch das Figurenpersonal ist besonders: Die Figuren, die auftreten, sind hauptsächlich bereits im Rentenalter. Erzählt wird der Roman aus der Ich-Perspektive Nadjas, einer 65-jährigen Grundschullehrerin in Rente. Dabei werden häufig Themen angesprochen, die man bei jüngeren Protagonist*innen nicht so häufig findet. Nadja reflektiert über ihr Leben, was sie hätte anders machen können/sollen/wollen, was sie überhaupt noch erwartet und wie das Alter ihr zusetzt. Der Tod ist somit auch in den Gedanken der Protagonistin allgegenwärtig. Der Erzählstil lässt sich aufgrund seiner eher kurzen Sätze flüssig und zügig lesen. „Sterbewohl“ ist insgesamt ein außergewöhnlicher, dystopischer Thriller mit einem ungewöhnlichen Figurenpersonal.

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Veröffentlicht am 22.12.2020

Ein außergewöhnlicher Roman

Die wunderbare Kälte
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Inhalt: Kai stalkt Menschen. Sie verfolgt sie, beobachtet sie, steckt ihnen Zettelchen zu, chattet mit ihnen, gibt sich als jemand anderes aus und verkuppelt sie – allein zur eigenen Befriedigung. Immer ...

Inhalt: Kai stalkt Menschen. Sie verfolgt sie, beobachtet sie, steckt ihnen Zettelchen zu, chattet mit ihnen, gibt sich als jemand anderes aus und verkuppelt sie – allein zur eigenen Befriedigung. Immer ist sie dabei, wenn ein von ihr verkuppeltes Pärchen sich im echten Leben das erste Mal trifft, jedes Mal ist sie verkleidet. Als sie spontan zwei Menschen trifft, die mal ein Paar waren, fokussiert Kai sich auf die beiden, sodass sich die Obsession verstärkt.

Persönliche Meinung: „Die wunderbare Kälte“ lässt sich schwer einem spezifischen Genre zuordnen. Erzählt wird die Handlung aus der Ich-Perspektive Kais, was dazu führt, dass die Leser*innen (genau so wie Kais „Opfer“) allein ihrem Gutdünken ausgeliefert sind. Denn: Kai ist keine einfache Protagonistin. In „Die wunderbare Kälte“ wird die Grenze ausgetestet, inwiefern man zwangsläufig mit den ProtagonistInnen sympathisieren muss. Kai ist kompliziert, ihre Gedanken sprunghaft, ihre Handlungen moralisch fragwürdig, ihre Wahrnehmung oftmals gestört. Mehrmals hat man beim Lesen den Eindruck, Kai leide unter einer (nicht näher benannten) psychischen Störung. Nur in einzelnen, wachen Momenten sieht man die Person, die in Kai steckt. Kai ist der Filter der Handlung: Allein das, was sie wahrnimmt (oder besser: wahrnehmen will), erfahren auch die Leser_innen. Aufgrund ihrer Persönlichkeit ist Kai allerdings hochgradig unzuverlässig, sodass sie auch als „unzuverlässiger Erzähler“ auftritt. Anders formuliert: Letztlich weiß man beim Lesen gar nicht sicher, ob die Handlung tatsächlich so geschehen ist, wie Kai sie erzählt. Passend zu diesem Umstand wird häufig die Erzählform des inneren Monologs genutzt, der teilweise in einen ungeordneten Bewusstseinsstrom abdriftet. So wird insgesamt das Sprunghafte und Verwirrte Kais treffend wiedergegeben. Der Handlung ist dementsprechend nicht immer einfach zu folgen; öfter musste ich innehalten, weil Kais Taten und Gedanken vergleichsweise fremd sind und einen teilweise auch sprachlos zurücklassen. „Die wunderbare Kälte“ ist keine einfache Lektüre; nichts, was man mal eben zwischendurch „runterliest“, sondern literarisch vergleichsweise anspruchsvoll. Aber dies zeichnet die Besonderheit und Andersheit von „Die wunderbare Kälte“ aus, wodurch der Roman sich vom Mainstream abhebt.

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Veröffentlicht am 22.12.2020

Ein schönes Räucherkistchen

Mein Räucherkistchen Raunächte und Winterzeit
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„Mein Räucherkistchen. Räuchern mit traditionellen Ritualpflanzen“ besteht aus einem in die Thematik einführenden Büchlein und einem Kistchen mit 9 unterschiedlichen Räuchermaterialien (Kiefernharz, Fichtennadeln, ...

„Mein Räucherkistchen. Räuchern mit traditionellen Ritualpflanzen“ besteht aus einem in die Thematik einführenden Büchlein und einem Kistchen mit 9 unterschiedlichen Räuchermaterialien (Kiefernharz, Fichtennadeln, Holunderblüten, Mädesüß, Wacholderholz, Zirbenholz und -nadeln, Johanniskraut, Mistel und Beifuß). Das Kistchen ist hochwertig verarbeitet und die einzelnen Materialien in getrennten Fächern einsortiert. Geräuchert habe ich das Räucherwerk mit Holzkohle und es hat sehr gut funktioniert. Das Räucherwerk ist insgesamt vielfältig und führt beim Räuchern zu angenehmen, abwechslungsreichen Gerüchen. Das beigelegte Büchlein ist übersichtlich aufgebaut und mit hochauflösenden Fotos ausgestattet. Im ersten Kapitel „Kleine Räucherkunde“ wird der (spirituelle) Zweck des Räucherns erläutert und zwei Arten des Räucherns vorgestellt (Räuchern mit Holzkohle oder mit Stövchen). Daneben werden Tipps zum Einkauf von Räucherwerk gegeben (am besten ist, man nimmt möglichst naturbelassene Stoffe). Weiterhin wird erklärt, wann das Räucherwerk idealerweise sammeln sollte und wie es aufbewahrt werden sollte. Zuletzt werden Vorschläge gegeben, wie das Mischen von Stoffen gelingen kann. Im zweiten Kapitel „Heimische Kräuter und exotische Harze“ werden 44 unterschiedliche Kräuter und Harze vorgestellt. Es wird dabei erklärt, zu welcher Anwendung sich das jeweilige Kraut/Harz eignet und wo/wann man es sammeln kann. Komplettiert wird das Kapitel durch zwei Tabellen, wann man welchen Bestandteil der jeweiligen Pflanze sammeln kann bzw. wie die Pflanze wirkt.

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Veröffentlicht am 22.12.2020

Eine schöne Wintergeschichte

Advent im Hochgebirge
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Inhalt: Benedikt hat eine besondere Weihnachtstradition. Jedes Jahr im Advent wandert er mit seinem Hund Leo und dem Leithammel Knorz in das Hochgebirge Islands, um verstreute Schafe vor dem Kältetod zu ...

Inhalt: Benedikt hat eine besondere Weihnachtstradition. Jedes Jahr im Advent wandert er mit seinem Hund Leo und dem Leithammel Knorz in das Hochgebirge Islands, um verstreute Schafe vor dem Kältetod zu retten. Doch diesmal ist Benedikt aus verschiedenen Gründen spät dran, sodass die Wanderung gefährlicher als gewohnt wird.

Persönliche Meinung: „Advent im Hochgebirge“ ist eine Wintererzählung des isländischen Autors Gunnar Gunnarsson. Erzählt wird sie hauptsächlich aus der Perspektive Benedikts, dessen Grübeleien häufig thematisiert werden. So denkt er über Gott, das Leben allgemein, sein Leben im Speziellen und den Tod nach. Dabei wird den Leser*innen meist das Gefühl vermittelt, dass Benedikt mit sich, Gott und der Welt im Reinen ist: Benedikts Hauptcharakterzug ist seine Gutmütigkeit. Zentrales Handlungsmovens ist die Suche nach den verstreuten Schafen. Mehrmals durchstreift Benedikt Islands Hochgebirge, übernachtet in (teilweise selbst gebauten) Unterschlupfen und trifft verschiedene Personen. Der Erzählton ist einerseits sehr bildhaft. So werden Benedikts Gedanken und die Schneelandschaft Islands schön beschrieben. Andererseits zeichnet den Ton eine gewisse Heimeligkeit aus, sodass man den Eindruck erhält, jemand erzähle einem die Geschichte bei knisterndem Kamin. Die Erzählung ist insgesamt in Bezug auf Erzählton, Handlungszeit und Gedanken der Figuren etwas patiniert, was ich aber gar nicht negativ meine. Die Patina macht den Charme der Erzählung aus und erzeugt eine spezielle, winterliche Atmosphäre. Ergänzt wird der Text durch ein Nachwort von Jón Kalman Stefánsson, einem zeitgenössischen isländischen Autor. Im Nachwort stellt Stefánsson den in Deutschland vergleichsweise unbekannten Gunnarsson vor und beleuchtet die Entstehungsgeschichte und Rezeption von „Advent im Hochgebirge“. Insgesamt ist „Advent im Hochgebirge“ eine schöne, kleine Wintergeschichte mit einer gemächlichen Atmosphäre.

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Veröffentlicht am 22.12.2020

Ein spannendes Forschungsfeld

Antikenrezeption in der Science Fiction
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„Antikenrezeption in der Science Fiction“ ist ein Sammelband, der 2019 von dem Althistoriker Dr. Michael Kleu herausgegeben worden ist. Der Band versammelt sieben Aufsätze, die auf einer Tagung basieren, ...

„Antikenrezeption in der Science Fiction“ ist ein Sammelband, der 2019 von dem Althistoriker Dr. Michael Kleu herausgegeben worden ist. Der Band versammelt sieben Aufsätze, die auf einer Tagung basieren, die im Mai 2015 an der Universität zu Köln stattgefunden hat. Zunächst nähert sich Michael Kleu in einem einleitenden Beitrag der Thematik „Antikenrezeption in der Science Fiction“ an, indem er Gründe für die Verbindung von Antike und Science Fiction nennt. Im zweiten Aufsatz „Platons Raumschiff. Gedanken über den Einfluss der Antike auf die Science Fiction“ diskutiert Frank Weinreich auf einer grundlegenden Ebene die Verflechtungen von Antike und Science Fiction (kulturelle Grundlage der Antike; Einfluss und Diskussion von Überlegungen von antiken Autoren wie Polybios oder Aristoteles in Science Fiction-Werken, Aufnahme von antiken Motiven). Weiterhin leitet er in Bezugnahme auf den Begriff „Phantastik“ ausführlich eine Definition des Begriffes Science Fiction her (verstanden als „phantastische Geschichten, deren irreale Anteile den wissenschaftlichen Erkenntnisstand der Autorinnen und Autoren nicht widersprechen“ (S. 22)). Der folgende Aufsatz ,„…such hybrid things as the ungainly Palmyrene sculptures fashioned in the Roman style“. H.P. Lovecraft, Oswald Spengler und die Berge des Wahnsinns“ von David Engels beschäftigt sich primär mit Lovecrafts Antikenrezeption in „Berge des Wahnsinns“, wobei das hintergründige geschichtsphilosophische Konzept des Werkes aufgedeckt wird. Dieses, so die These von Engels, beruhe auf Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“. Bei der Interpretation von „Berge des Wahnsinns“ geht Engels vergleichend vor, indem er Lovecrafts Werk textuell nach Bezügen zu Spengler und der Geschichte des Römischen Reichs abklopft. Es folgt ein Aufsatz von Christian Weigel, der sich mit Robert A. Heinleins „Starship Stroopers“ auseinandersetzt, in dem innerhalb der Handlung antike Schriften zu illustrativen Vergleichszwecken herangezogen werden. Im nächsten Beitrag beschäftigt sich Michael Kleu mit der „Antikenrezeption in ausgewählten Kurzgeschichten Isaac Asimovs“, welcher sich privat sehr für die Antike interessierte. Im Fokus stehen zwei Kurzgeschichten Asimovs: 1. „Geschichte eines Helden“, in der eine Figur auftritt, die z.T. von Demetrios Poliorketes, einem Diadochen Alexander des Großen inspiriert ist; und 2. „Das Chronoskop“, in der ein Professor für Alte Geschichte mithilfe der Chronoskopie (audiovisuelle Rückschau in die Vergangenheit) einen Blick auf Karthago werfen möchte. Besonders in der letzten Kurzgeschichte wird, wie Kleu aufzeigt, häufig Bezug auf die althistorische Forschung genommen. Simon Lentzsch thematisiert die „Antikenrezeption in Tad Williams‘ „Otherland“‘, das vor Verweisen auf die Antike strotzt, die Lentzsch auf drei Ebenen ausbreitet (1. virtuelle Welten, also Handlungsorte, die an die Antike angelehnt sind; 2. Figuren, die auf antike Gestalten Bezug nehmen; 3. explizite Behandlung antiker Motive, Texte und Stoffe durch Figuren in „Otherland“). Der letzte Beitrag „Die Romanisierung Hollywoods“ von Sebastian Huhnholz schlägt den Bogen zu US-amerikanischen Filmproduktionen. Huhnholz stellt fest, dass klassische Erzählmuster in US-amerikanischen Produktionen eher hybriden, uneindeutigen Mustern (kein festes Gut-Böse-Schema; moralische Uneindeutigkeit) gewichen sind. Damit einher gehe auch eine Romanisierung der Filme, mit dem Ziel, die eigene (hier: US-amerikanische) Identität und Herausforderung vor dem Hintergrund eines historischen Imperiums zu reflektieren, was einer Politisierung der Filme Vorschub leiste. Abschließend diskutiert Huhnholz ausführlich an ausgewählten Filmen (z.B. „Star Trek“) diese US-amerikanische Form der Selbstreflexion. Der Sammelband ist mit vielen Fußnoten und Literaturangaben ausgestattet, sodass man bei Interesse weiterführende Literatur finden kann. Ein großes Verdienst des Sammelbandes ist, dass er ein geschichtskulturelles Feld beackert, das bisher noch weitgehend unerforscht ist.

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