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Veröffentlicht am 25.06.2018

spannende Lektüre über die Endphase des Algerienkriegs

La Grande Bleue
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Helga Hutterer entführt den Leser in ihrem Biographischen Roman „La Grande Bleue“ mitten in den Algerienkrieg, genauer gesagt zu den Stationen Paris, Oran und Alger, welche Hannah – Protagonistin des Buches ...

Helga Hutterer entführt den Leser in ihrem Biographischen Roman „La Grande Bleue“ mitten in den Algerienkrieg, genauer gesagt zu den Stationen Paris, Oran und Alger, welche Hannah – Protagonistin des Buches – in den Jahren 1962 bis
1966 erlebt.
Dass selbstbiographische Belletristik informativ und zugleich spannend, packend sein kann, wird anhand dieses Werkes eindrucksvoll dargelegt.

Bereits im Prolog wird der Leser mit der Lage in Algerien konfrontiert, eigentlich darauf vorbereitet, was ihn dort erwarten wird. René Soyer hat einen Posten durch François Mitterand im Oran erhalten und soll für die Regierung Frankreichs unter Charles de Gaulle mit der „algerischen Exilregierung GPRA und der Nationalen Befreiungsfront FLN, der Organisation der arabischen Muslime in Algerien, eine friedliche Übergabe der Stadt an die Araber aushandeln.“ [7] Dies ist der Auftakt für Hannah, die ihrem Freund René von Paris aus in den Oran folgt. Dass sie sich dabei auf eine anstrengende, spannende, aufregende und gefährliche Reise begibt, merkt sie direkt bei ihrer Ankunft. „Plötzlich fallen Schüsse. Eine Kugel pfeift nahe an ihrem Kopf vorbei. Neben ihr bricht der Mann zusammen…“ [17]
Hannah kommt im Verlauf der Geschichte zur Unabhängigkeit Algeriens auch zwischen die Fronten der Konfliktparteien. Die Lebensbedrohlichen Situationen hindern sie aber nicht, weiter ihrem Freund René zu folgen. Das Buch legt die politische Situation Algeriens auf eine fesselnde Weise dar und schildert unter anderem die Geschehnisse rund um Boumedienne, Ben Bella für die FLN, Challe, Massu für Frankreich und Raoul Salan für die OAS (Organisation de l’armée secrète) einer französichen Untergrundorganisation. Und immer mitten im Geschehen: Soyer.
Die Unabhängigkeit spielt nicht nur eine wichtige Rolle im blutigen Algerienkrieg, sondern betrifft auch sie, denn sie sieht sich auch mit existenziellen Fragen konfrontiert. Hannah kam als Kriegskind aus Jugoslawien nach Deutschland, erhielt unter anderem in Paris ihre Ausbildung zur klassischen Balletttänzerin. Es sind die kleinen Dinge, die ihr –außer René - halt geben. Im Verlaufe der Geschichte kommt Hannah zur Erkenntnis, dass die Unabhängigkeit auch für sie erstrebenswert ist, dass sich auch bei ihr etwas ändern muss, damit sie lebt, glücklich ist und beginnt einige Dinge zu hinterfragen.

Der Schreibstil ist kurz, prägnant, teilweise kühl, nüchtern. Er hält den Leser auf Distanz. Lässt einen das Erlebte aus der Ferne betrachten. Für den Teil in Oran ist dies perfekt. Allerdings bleibt der Leser auch mit seinen Emotionen, der Gefühlswelt etwas außen vor. Man kann sich nicht mit Hannah identifizieren oder sich ganz in ihre Lage hineinversetzen. Dies ist schade und hätte den Teil ab „la grande bleue“ wesentlich spannender, attraktiver gemacht.

Insgesamt ist das Buch eine spannende Lektüre über die Endphase des Algerienkriegs und zeigt tiefe Einblicke in die damalige Situation.

Veröffentlicht am 14.06.2018

Blick auf die Dunkelheit

Splitterfasernackt
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Lilly Lindner schildert in ihrem autobiografischen Debütroman den an ihr begangenen sexuellen Missbrauch als 6 Jährige, die daraus resultierende Magersucht und schließlich das Leben als Prosituierte in ...

Lilly Lindner schildert in ihrem autobiografischen Debütroman den an ihr begangenen sexuellen Missbrauch als 6 Jährige, die daraus resultierende Magersucht und schließlich das Leben als Prosituierte in einem Bordell.

Sollte man eine Autobiografie bewerten, rezensieren? Wie kann man sich in diesen Tatsachenbericht, in diese Welt sich einbringen?
Mir persönlich fällt es schwer, das Beschriebene zu bewerten. Dies überlasse ich diesmal dem Feuilleton-Team der FAZ (siehe Link).

Was mich an diesem Buch jedoch wirklich begeistert hat. Der grandiose Schreibstiel und die Prosa, welche die Autorin an die Welt legt.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/lilly-lindner-splitterfasernackt-ohne-maenner-ist-es-im-bordell-ganz-gemuetlich-11496490.html

Veröffentlicht am 08.06.2018

Alte Liebe oder neue Erotik?

Mach mich zu deiner Hure | Erotischer Roman
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Das ist die entscheidende Frage in diesem Roman von Jenna Norman. Und genau mit dieser Frage sieht sich die Protagonistin Melinda konfrontiert.
Während ihr Ex-Mann Jason seine geliebte heiraten möchte, ...

Das ist die entscheidende Frage in diesem Roman von Jenna Norman. Und genau mit dieser Frage sieht sich die Protagonistin Melinda konfrontiert.
Während ihr Ex-Mann Jason seine geliebte heiraten möchte, bleibt Melinda gefühlstechnisch und was die Emotionen anbelangt, stehen und geht für ihren Job auf. Durch Zufall trifft sie auf Riley und muss sich von nun an für einen der beiden Männer entscheiden.
Der Schreibstil ist flüssig und das Buch lässt sich prima lesen. Die Leser begleiten Melinda auf dem Weg ihrer Findung wer nun der richtige für sie sei. Dabei durchläuft sie eine nicht gekannte Wandlung, welche sich in einer gefestigten, emotionaleren und willensstarken Frau formiert. Natürlich taucht die Protagonistin in diverse erotische Abenteuer ab – diese wurden jedoch nicht sehr ausgiebig beschrieben-, probiert neues und entdeckt ihre heimlichen Wünsche und Gefühle.
Vom Setting hätte ich mir persönlich etwas mehr erwartet. Jedoch wurde Melindas Charakter gut herausgearbeitet und ist für die eine oder andere Überraschung gut und bringt den Leser auch zum Schmunzeln. Dies merkt man gerade gegen Ende des Buches bei der Kommunikation mit ihrem Sohn. Selbstsicher und taff.

Veröffentlicht am 04.06.2018

Ein exzentrischer Privatdetektiv

Der rote Stier
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„Ich (Wolfe) behaupte, ich war faul und eitel. Damit dürfen Sie mich zitieren“ [192].
Danke, genau das tue ich hiermit.

Alles beginnt mit einem harmlosen Unfall und der Suche nach einem Telefon. Und so ...

„Ich (Wolfe) behaupte, ich war faul und eitel. Damit dürfen Sie mich zitieren“ [192].
Danke, genau das tue ich hiermit.

Alles beginnt mit einem harmlosen Unfall und der Suche nach einem Telefon. Und so laufen Nero Wolfe und Archie Goodwin über eine Weide und kommen automatisch zu ihrem gemeinsamen Fall.

Wolfe: „Wo sind wir?“
Goodwin: „Zweihundertsiebenunddreißig Meilen nordöstlich des Times Square“

Von nun an sind beide in ihrem Element. Und man merkt schon, dass dies keine trockene Ermittlung werden kann. Dies wird umso deutlicher, als Wolfe vor dem Stier auf einen Felsen klettert und Goodwin über den Weidezaun purzelt. „Herrlich! Um nichts hätte ich das verpassen wollen“

„Nero Wolfe ist bekanntermaßen ein exzentrischer Privatdetektiv mit eigenem Koch und allerlei dezidierten Ansichten sowie Verhaltensweisen rund ums Essen.“ [342] Dieser Satz aus dem Nachwort beschriebt ihn sehr treffen. Dagegen stellt sich Goodwin selbst als Laufbursche dar. „Mr. Wolfe übernimmt in unserer Firma das Verdächtigen, fragen Sie ihn. Ich bin der Laufbursche.“ [262]
„Ich kann Dummheit verurteilen und tue dies auch häufig, denn sie ärgert mich, aber moralische Entrüstung ist ein gefährlicher Luxus.“ [207] Wolfe sagt grundsätzlich das, was ihm in den Sinn kommt. Denn „das (Reden) ist mein einziges Talent“ [197]. Er schätzt Situationen und seine Gegenspieler jedoch stets sehr präzise ein und zeigt dies auch offen. „Wir brauchen eigentlich keine Finessen…..Warum einigen wir uns nicht einfach darauf, dass Sie kein Dummkopf sind und ich ebenso wenig? “ [206]. Jedoch greift der beleibte Wolfe und sein Assistent Archie auf verschieden Techniken bei der Ermittlung zurück. Auch machen sie vor einer Lüge nicht Halt und begründen dies wie folgt: „Victor Hugo hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, dass eine Lüge etwas sehr Nobles sei…“ [195]

Unter dem Originaltitel „Some buried Caesar" erschienen und nun komplett neu übersetzt, liegt ein tolles Buch vor, dass auch haptisch einen tollen Eindruck macht.

Veröffentlicht am 25.05.2018

Gesellschaftskritik

Hochdeutschland
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Schimmelbuschs Buch „Hochdeutschland“ spielt in Frankfurt und Umgebung und handelt von Victor, einem ennuyierten Investmentbanker der bereits auf der ersten Seite sehr treffend als „flexible Persönlichkeit“ ...

Schimmelbuschs Buch „Hochdeutschland“ spielt in Frankfurt und Umgebung und handelt von Victor, einem ennuyierten Investmentbanker der bereits auf der ersten Seite sehr treffend als „flexible Persönlichkeit“ [1] beschrieben wird. Es mangelt ihm an Herausforderungen. Er hat für sich alles erreicht, ist reich – da Teilhaber der Birken Bank. Seine Ehe ist gescheitert. Aber Glück und Zufriedenheit kann man mit all dem Geld nicht kaufen. Dies muss auch Victor feststellen.

Schimmelbusch zeigt sehr pointiert wie Victor seinen Platz in der Gesellschaft erreicht hat und was dem Erfolg geschuldet ist.

Sein eigenes Glück schmieden – was für ein verlogenes Bild… []

Der Blick auf das Deutschland dieser Zeit, der am Anfang bissig, lustig, böse aber durchaus treffend herüberkommt, weicht immer mehr dem Gesellschaftlichen und die politische Ansichtsweise kommt immer stärker zum Tragen.

„Es geht hier um Deutschland Habibi. Nicht um irgendein in sich ruhendes Chillout-Land. Deutschland funktioniert nur, wenn alle die ganze Zeit arbeiten, sonst kommt der Deutsche auf dumme Gedanken – haste den schonmal im Urlaub gesehen?“ [174]

Und so erarbeitet Victor ein Manifest und legt dieses Ali Osman, seinem Freund und Mitglied des Bundestages für die Grünen vor. Dies kommt dem Bundestagsabgeordneten sehr gelegen, da er Gedanken für eine „die Deutschland AG“ hat.

Dieser politische Entwurf soll nichts anderes machen, als Deutschland radikal umzubauen, wie es ja in der Wirtschaft oft vorgelebt und auch umgesetzt wird. Dabei bedient sich Victor bei seinen Formulierungen dem kompletten politischen Spektrum, sowohl rechts als auch links außen. Er versucht dabei das Leistungsprinzip auf die BRD bzw. der Gesellschaft zu übertragen und dem Großen und Ganzen zu unterstellen. In diesem Manifest, es liest sich wie ein Wahlprogramm einer populistischen Partei, wird auch die Einkommensverteilung - „25 Millionen (Eigenvermögen) sind genug.“ [ 115 ] - in Frage gestellt.

An vielen Stellen von Schimmelbuschs Buch fühlt man sich an "American Psycho" von Bret Easton Ellis erinnert.

"Sie trug einen schwarzen Jumpsuit von Jil Sander, signalrote Turnschuhe von Adidas by Yohji Yamamoto... [204]

Aber auch "Unterwerfung" von Michel Houellebecq kommt dem Leser in den Sinn. Nicht nur weil sich Houellebecq als Gesellschaftsdenker darstellt, sondern auch weil dort der Protagonist François sich auf eine Reise in sein Inneres begibt.

Der Roman von Schimmelbusch hat sehr wenig Handlung und die Interaktion zwischen den Charakteren leidet, da keinerlei kritische Hinterfragung stattfindet.

„Isch fick disch, Alter"
„Isch fick deine Mutter" [176]

Obwohl Schimmelbusch mit großen Worten nur um sich schmeißt, lässt sich sein Werk bestens lesen. Man ist auf jeden Fall gut unterhalten und wird mit einigen Gedankenspielereien bedacht, welche auch nach der Beendigung des Romans den Leser weiter beschäftigen.