Profilbild von steffywhoelse

steffywhoelse

Lesejury Profi
offline

steffywhoelse ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit steffywhoelse über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.04.2023

spannende Thematik mit satirischer, dunkler Note

Institut für gute Mütter
0

Man wird sehr schnell in diese dystopische Welt eingeführt. Alles was die Autorin erzählt wirkt so plausibel, als wäre das auch unser Alltag. Obwohl ich hier und da Fragen zur Entstehung des Institutes ...

Man wird sehr schnell in diese dystopische Welt eingeführt. Alles was die Autorin erzählt wirkt so plausibel, als wäre das auch unser Alltag. Obwohl ich hier und da Fragen zur Entstehung des Institutes hatte, waren diese während des Lesens schnell vergessen. Die Autorin erzählt in einem Ton voller direkter, unverblümter Rohheit von dem Geschehen, dass die ersten Rückfragen zum System erst mal nebensächlich sind. Alles scheint sehr authentisch zu wirken.

Es wird sich sozialkritisch geäußert und zwischendrin ist auch ein dunkler, satirischer Humor zu erkennen. Frauen werden schnell als "schlechte Mütter" verurteilt, der Mangel an Mitgefühl von Sozialmitarbeitern ist erschreckend, vor allem auch, wenn es um die mentale Gesundheit von Frauen geht. Die Erwartungen und der Druck den Mütter haben und dass sie immer und alles geben müssen ist enorm. Wie einfach sie verächtlich beurteilt werden, während Väter nur das Minimum zu tun scheinen und dafür schon gefeiert werden. Diese Ungerechtigkeit wird vor allem durch das Institut für Männer ersichtlich und den Frauen ist dies sehr bewusst.
Das Buch geht auch auf die Intersektionalität in Rassen und Kulturen ein und wie diese die Idee von richtiger Erziehung, die die Gesellschaft hat, beeinflusst. Ängste und Sorgen verschiedener Familiendynamiken werden dargestellt. Auch die Schwierigkeiten, die Familien mit Migrationshintergrund haben, wenn sie ihre Methoden oder Sichtweisen den Autoritäten verständlich machen wollen, werden sehr detailreich durch die vielen, facettenreichen Charaktere veranschaulicht.

Wenn wir die Entscheidung von Frida verfolgen, fällt es einem doch schwer Mitgefühl für sie zu entwickeln und gleichzeitig sympathisiert man doch mit ihr und den anderen Müttern. Dieser grausame Ort an den die Frauen gebracht werden gleicht Big Brother. Ein Überwachungsstaat, die Kontrolle über so eine private und intime Sache wie die Erziehung der eigenen Kinder durch den Staat, von künstlicher Intelligenz bewertet zu werden, Dinge, die unvorstellbar klingen und doch so echt und nah durch die Autorin herangebracht werden.

Obwohl ich mir gewünscht hätte, man würde mehr über die Entwicklung der Gesellschaft und des Staates bis zu der Einführung des Institutes erfahren, fand ich die Geschichte doch sehr spannend. Der Mittelteil war doch etwas zäh, da viele Praktiken in der Schule repetitiv waren, doch das Buch gibt einem viel zu denken.
Es ist moralisch mehrdeutig und es gibt kein gut oder böse, sondern alles schwimmt in der Grauzone. Es wirft viele Fragen auf. Wie weit der Staat eingreifen sollte, welche Maßnahmen sinnvoll wären, an welchen Faktoren man gute Eltern festmachen sollte. Es zeigt verschiedene Aspekte von Klassizismus, Rassismus, Sexismus und Kindesmissbrauch. Die Ungerechtigkeit wird hier sehr deutlich und leider sind einige der Beispiele nicht nur fiktional, sondern finden sich auch in der Realität wieder. Ein spannendes Buch mit ergreifender Erzählweise, treffender Satire, dunklem Humor und Beobachtungen eines schwierigen Themas, das zum Nachdenken anregt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.02.2023

bittersüß berührend - von Liebe, Verlust und Einsamkeit

Lichte Tage
0

Es sind die 1960er in Oxford und eine Begegnung zweier Jungen erweckt eine plötzliche Freundschaft. Ellis, künstlerisch interessiert und von seiner Mutter ermutigt, seiner Affinität nachzugehen und weiterhin ...

Es sind die 1960er in Oxford und eine Begegnung zweier Jungen erweckt eine plötzliche Freundschaft. Ellis, künstlerisch interessiert und von seiner Mutter ermutigt, seiner Affinität nachzugehen und weiterhin in der Schule zu bleiben. Oft in Gedanken versunken und observierend. Im Kontrast zu ihm Michael, der von nun an bei seiner Oma aufwächst. Wortgewandt und nahezu poetisch betrachtet er die Welt. Voller Gefühle und Impulse formen die beiden Jungen eine Freundschaft, an die sie festhalten und an ihr wachsen, als Trauer und Einsamkeit ihnen gegenüberstehen und sie Zuflucht in Kunst und Träumen finden.

Und dann ist da Annie. Kann man so viel Liebe für zwei Personen gleichzeitig empfinden? Und wie fühlt sich der nahezu Verlust der allerersten Liebe an? Wenn ein klagendes Loch sich nach Zusammengehörigkeit sehnt? Sowohl von Michael als auch von dem Paar, welches Ellis und Annie fortan gebildet haben.

Zwischen Intensität und Euphorie habe ich gefühlt und geliebt, gesehen und gefürchtet. Die Autorin schafft eine warme Atmosphäre und zugleich wird man von einer kühlen Brise überrascht. Wie es Michael erging, womit Ellis zu kämpfen hat, wie die Balance aus dem Schwanken gerät, von einer Freundschaft, die doch so felsenfest und eine solche Standhaftigkeit zeigte, doch durch das notwendige Loslassen aus Selbstschutz, nun brüchig erscheint.

Bittersüß, voller Liebe und Zwischenmenschlichkeit, erfahren wir von Liebe in ihren vielen Facetten. So innig und tiefsinnig, dass jeder Moment einen prägenden Eindruck hinterlässt und trotz des gleichzeitigen Schmerzes alles ist, was man will.

"Lichte Tage" ist berauschend schön. Poetische Beschreibungen von warmen Landschaften und Bildern bringen einem Kunst näher, Introspektionen und nuancierte Charaktere, die Handeln und Emotionen versuchen zu verstehen. Trotz der schweren Melancholie und der Trauer gibt es Freude. Freude am Leben und der Liebe. So wie wir uns an die alltäglichen Freuden festhalten. Denn was bleibt uns, wenn nicht die Hoffnung? Auf Freundschaft und Liebe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.01.2023

zwischen Inszenierung und Realität

Die Perfektionen
0

„Sie fürchteten zufrieden zu sein, weil sie sich zufriedengegeben hatten.“

Mit bildhaften Beschreibungen einer Wohnung, von Cafes und vielerlei Geschehen auf den Straßen, porträtiert der Autor ein Leben ...

„Sie fürchteten zufrieden zu sein, weil sie sich zufriedengegeben hatten.“

Mit bildhaften Beschreibungen einer Wohnung, von Cafes und vielerlei Geschehen auf den Straßen, porträtiert der Autor ein Leben eines Paares in seiner Wahlheimat Berlin. Hip, modern, energetisch scheint alles was sie tun, fühlen, leben zu sein. Detailreiche Bilder werden gezeichnet, von dem perfekten Lifestyle als „Kreative“, so wie es Anna und Tom als Grafikdesigner sind. Holzdielen, Monsterapflanzen, das Emaillegeschirr, das unkonventionell und mühelos erscheinen soll, doch mit Sorgfalt gewählt wurde. Diese illustrierteLässigkeit versucht das Paar auch in ihrem Alltag zu integrieren.

Anna und Tom sind austauschbare Charaktere. Auch ohne Dialoge beschreibt der Autor ein klares Bild eines Paares, die einem in den sozialen Medien bestimmt schon mal vors Auge gekommen sind. Hier und da hört man eine leichte Skepsis gegenüber dem Verhalten des Paares heraus, doch wertend ist es nicht. Der Autor teilt Beobachtungen von Menschen, die stellvertretend für eine Generation sprechen könnten.

Was mich an dem Buch gereizt hat ist die Tatsache, dass wir endlich mal mehr Zugang zu übersetzten Werken haben, die in der Originalsprache nicht Englisch sind. In diesem Fall von einem italienischem Autor, der in Berlin lebt. Schon interessant, wie er die Gesellschaft so genau trifft, die wir durch Instagram und Co als alltäglich empfinden. Natürlich spricht dies nicht alle an, doch durch die ausgiebigen Beschreibungen hat man als Leser sofort ein Bild im Kopf, wen er in diesem kurzen Roman seziert. Dieser kurze Roman, oder auch etwas längerer Essay, über die hergerichtete Onlinepräsenz und welche Wirkungen sie auf Menschen haben, regt zum Nachdenken an.

Zwischen Kaffees aus Emailletassen und performativem Aktivismus, in den langen Nächten zwischen Kunstgalerien und Vernissagen, suchen Menschen nach Sinn und Bedeutung. Während das Onlineleben an mehr Likes gewinnt, bröckelt innerlich die Fassade. „Die Perfektionen“ beschreibt eine Sehnsucht nach Zugehörigkeit, dem Verlangen von Aufbruch aber auch Ankommen und dem Wunsch sorgloser, ehrlicher Zufriedenheit.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.10.2022

Geschichten von Resilienz und Stärke

Miss Kim weiß Bescheid
0

Selten habe ich eine Sammlung von Kurzgeschichten gelesen, wo man Zusammenhänge erkennt und Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Geschichten sucht. Obwohl dies hier größtenteils gelungen ist, gab es ...

Selten habe ich eine Sammlung von Kurzgeschichten gelesen, wo man Zusammenhänge erkennt und Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Geschichten sucht. Obwohl dies hier größtenteils gelungen ist, gab es doch die ein oder andere Geschichte, die für mich flacher ausfiel. Nichts desto trotz ist es der Autorin gelungen, eine Kultur die so weit weg scheint mir so nahe zu bringen.

Als gebürtige Deutsche mit vietnamesischen Wurzeln waren mir einige Sitten und Muster der asiatischen Kultur bekannt. Auch in diesen Geschichten, die in Korea stattfinden, habe ich diese wieder erkannt. Zwischen männlicher Dominanz und Klassengesellschaften, die Unterdrückung und das herablassende Verhalten gegenüber Frauen, wurden mir auch die Alltäglichkeiten bewusst, die auch wir Frauen hierzulande widerfahren. Diese Geschichten von Frauen in Korea, jung und alt, sind real und erschreckend echt. Jede dieser Frauen gibt uns einen kleinen Einblick in den Ungerechtigkeiten und patriarchalischen Strukturen, neben denen sie leben und wie diese unüberwindbar scheinen.
Erlebnisse, die doch universeller sind als gedacht, weckten in mir Mitgefühl und vor allem Hoffnung beim Lesen. Hoffnung darauf, dass der Mut uns Frauen nie verlässt und unsere Stärke sich durch Resilienz und Tapferkeit nur vervielfältigt. Dass wir laut werden, für uns und für unseresgleichen.

Der höfliche, distanzierte Ton, der eine gewissen Kühle mit sich bringt unterstreicht diese Geschichten. Die einfache, direkte Sprache ist hinterlässt einen intensiven Nachdruck und noch Wochen nach dem Lesen denke ich an die Frau Kims, die ich in den verschiedenen Frauen kennenlernen durfte. Eine wirklich herausragende, feine Sammlung von Geschichten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.08.2021

täuschend einfach und doch sehr tiefsinnig

Was fehlt dir
0

Ich bin noch immer sehr unschlüssig, ob es für mich ein 3- oder 4-Sterne Buch ist. Vermutlich irgendetwas dazwischen.
Es fehlte mir einerseits der rote Faden, andererseits ein wenig mehr Nähe zur doch ...

Ich bin noch immer sehr unschlüssig, ob es für mich ein 3- oder 4-Sterne Buch ist. Vermutlich irgendetwas dazwischen.
Es fehlte mir einerseits der rote Faden, andererseits ein wenig mehr Nähe zur doch sehr passiven Erzählerin. Von ihr kommen viele reflektierende Gedanken und interessante Denkanstöße, weise Beobachtungen, und sie zeigt auch von viel Empathie, sich in andere Menschen reinzudenken und ihnen gegenüberzutreten, aber so ganz berührt hat sie mich mit ihrer nüchternen Distanziertheit nicht. Vor allem wirkte es im ersten Teil des Buches sehr episodenhaft und der Zusammenhang aus den einzelnen Kapiteln erschloss mir nicht ganz.
Doch schon im zweiten und auch im dritten Teil ändert sich dies. Zwischen den beurteilenden Betrachtungen gibt es auch sehr viel Mitgefühl. Ein ironischer und doch gelassener Ton, der gesellschaftliche und intellektuelle Gedanken anreizt, seziert die Autorin mit einer gewissen Leichtigkeit existentielle Themen und zwischenmenschliche Begegnungen. Klug, authentisch, prägnant über das chaotische, schmerzhafte, betäubende und doch so wahnsinnig blühende Leben und all seine Facetten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere