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Veröffentlicht am 01.08.2019

Freundschaft oder Folgsamkeit

Dschungel
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“’Viel dunkler als das Loch, dass jemand hinterlässt, ist das, womit wir es füllen.’“

Auf der Suche nach seinem verschwundenen Freund Felix, begibt sich der Ich-Erzähler nach Kambodscha. Anfänglich noch ...

“’Viel dunkler als das Loch, dass jemand hinterlässt, ist das, womit wir es füllen.’“

Auf der Suche nach seinem verschwundenen Freund Felix, begibt sich der Ich-Erzähler nach Kambodscha. Anfänglich noch zögernd die Reise anzutreten, scheint der Protagonist ohne wirkliche Panik oder Ängste sich auf die Suche zu machen. Mit einem Foto seines Freundes wirft er sich ins Gemisch von Kambodscha und läuft jedem Anhaltspunkt nach.

Sprachlich und stilistisch brauchte ich ein wenig, um mich daran zu gewöhnen. Die Sätze waren kurz, ohne dass weite Ausschmückungen notwendig waren und dennoch sehr bildhaft, zeilenweise sogar philosophisch. Im Verlauf der Geschichte waren mir manche Passagen dann doch zu prätentiös und kitschig und stimmte nicht mehr mit der Einfachheit und Prägnanz von vorher überein. Der Geschwindigkeit der Erzählung verändert sich während der Handlung nicht. Es wird gesucht und hin und wieder aus der Erinnerungskiste gekramt. Karig redet viel und verrennt sich in etlichen Gedankenfetzen. Schweifend und schleppend kommt der Protagonist nicht nur seinem Freund näher, sondern auch sich selber. Die Rückblenden haben mir besser gefallen und zeigen zwischen aufregenden Erlebnissen auch Momente der Verletztheit. Diese Darstellung der dysfunktionalen Freundschaft zwischen einem dominanten Rebell und einem zurückhaltenden Typen fand ich beim Einstieg noch interessant, die Handlungsmotive und einfache Folgsamkeit des Ich-Erzählers mit den Jahren war für mich dann eher schleierhaft, bis auf die Schuld die er immer mit sich trägt. Er wirkte als Figur eher flach und blass.

Die Freundschaft und Verbindung der beiden Freunde steht im Vordergrund, doch die Suche die ebenfalls Teil der Geschichte ist, war eher ernüchternd und lief sehr reibungslos ab. Die Figuren auf die der Protagonist trifft sind in Sprache und Mentalität ähnlich und schnell vergessen. Von der Kulisse in der die Handlung spielt erfährt man eher wenig. Kambodscha wird hier und da erwähnt, generell wurde aber gegen Backpacker ausgeteilt. In manchen Passagen sehr aussagekräftig und stark, doch mit der Zeit wiederholend.

Die Revelation am Ende und der Twist haben mich zunächst überrascht, doch ließen mich ziemlich unberührt zurück. Ausweg und Flucht von der Realität oder Neuanfang? So richtig packen konnte mich Dschungel nicht.

Veröffentlicht am 26.07.2019

Liebe und Verlangen auf verschiedenen Ebenen

Fünf Lieben lang
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Fünf Novellen die von fünf verschiedenen Zeiten im Leben Paul's erzählen. Fünf Lieben lang, die Paul geprägt hat.

Ein wunderschönes Buch, eindringlich in seiner Sprache und offen in seiner Sexualität. ...

Fünf Novellen die von fünf verschiedenen Zeiten im Leben Paul's erzählen. Fünf Lieben lang, die Paul geprägt hat.

Ein wunderschönes Buch, eindringlich in seiner Sprache und offen in seiner Sexualität. Es erzählt von Liebe, das Verliebtsein, die Lust und von Sehnsucht. Aciman untersucht nicht nur die Romantik die sein Protagonist verspürt, sondern auch den Wunsch nach Vertrautem sowie in Gegensatz den Wunsch nach etwas Neuem, Unbekannten, etwas was er nicht haben kann.

Die Art und Weise wie Aciman Pauls Bisexualität visualisiert und wie die anderen Charaktere damit umgehen finde ich sehr gelungen. Es ist nicht melodramatisch, wirkt natürlich und sehr nah. Es geht hier weniger um Geschlechter, sondern um die Liebe selbst. Die Intensität der Liebe und die Kraft die daraus entsteht, die Verbindung zu Jemandem, und was man als junger Mensch begehrt und wie sich Verlangen mit der Zeit ändert. Obwohl Paul durch seine Beziehungen eine Bandbreite an Emotionen empfindet und durchlebt, scheint es eine Lücke in ihm zu geben, die sich nicht füllen lässt.

Aciman schreibt intelligent, intim und lebhaft. Die Leidenschaft sowie der Schmerz kommen durch die Zeilen hindurch. Die Beobachtungen und Obsessionen Pauls sind ungefiltert, ehrlich, voller Zweifel und Enthüllungen. Man wird ins Weltbild des Protagonisten reingezogen, auch wenn manche Observationen langatmig sind.

Die Struktur des Romans aus fünf Geschichten die ein Ganzes bilden finde ich sehr reizvoll. Ich mochte wie in den einzelnen Novellen man Charaktere wiederfindet. Die erste Geschichte finde ich von allen am stärksten. Diese Intensität hat mir bei den Nachfolgern ein wenig gefehlt. Der Verlust der erleidet werden kann, wenn wir nicht die Dinge sagen, die wir am meisten wollen wird in dem Buch immer wieder verdeutlicht.

Ein tiefgreifendes und erregendes Buch das viele Wahrheiten und Offenbarungen enthält. Geschichten über das was-hätte-werden-können, die Fragilität und Vorstellungen, die realer erscheinen als das wirkliche Leben.

Veröffentlicht am 22.07.2019

grandios

Auf Erden sind wir kurz grandios
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Dieser lange Brief eines jungen vietnamesischen Einwanderers an seine Mutter, die nicht lesen kann, ist offen, pur und so wirkungsvoll, zugleich schmerzlich traurig und unglaublich ergreifend. Das Buch ...

Dieser lange Brief eines jungen vietnamesischen Einwanderers an seine Mutter, die nicht lesen kann, ist offen, pur und so wirkungsvoll, zugleich schmerzlich traurig und unglaublich ergreifend. Das Buch ist gefüllt mit Rückblenden zu seiner Kindheit, erzählt von Diskriminierung in der Schule aber auch im Alltag, Probleme von Sprachbarrieren, und von Missbrauch und Gewalt zu Hause. Enthalten sind auch Geschichten und Erinnerungen seiner Mutter und Großmutter, die aus Vietnam nach Amerika geflohen sind, und wie ihre Vergangenheit zu einem Teil von ihm wurden.

Es ist kein Roman in dem Sinne wie man es sonst kennt. Es gibt keine aufsteigende Spannungen oder einen Klimax. Es sind Worte von einem Sohn an seine Mutter und liest sich wie Memoiren, sogar vielleicht wie eine Autobiografie. Ein eindringlicher Einblick in Schönheit, Weisheit, Liebe, Leben und Sterben. Trotz der nur 260 Seiten ist es keine schnelle Lektüre. Wenn die Augen nicht tränen, bleibt der Atem weg. Zeilen werden wieder und wieder gelesen, weil sie zu einem sprechen oder einfach nur erdrückend schön sind.

Die Sprache die Vuong mitbringt ist exquisit, außergewöhnlich, einfach unfassbar mit wie viel Reichtum an Worten er erzählen kann. Er hat ein lyrisches Werk der Selbstfindung erschaffen, dass erschreckend intim ist und mit solch einer Präzision und Poesie wiedergegeben wird.

Als Vietnamesin geboren in Deutschland konnte ich mich in vielen Situationen des Erzählers wiederfinden. Nicht nur die Phrasen und Sitten sind ähnlich, auch die schwierige Mutter-Kind-Beziehung kam mir auf manchen Seiten bekannt vor.

Der letzte Teil fühlte sich etwas zusammenhanglos an, da der Strom des Bewusstsein durch die vielen verschiedenen zufällig wirkenden Gedanken ein wenig gestört wurde. Im Vergleich zu den ersten beiden Teilen fehlte da der Zusammenhang. Dennoch nimmt es nichts vom Ganzen weg.

Die lyrische Form und seine persönlichen Reflexionen, die historischen Recherchen und Erinnerungen sowie die Erforschung von Sexualität, Identität und Verlust hat der Autor überwältigend dargelegt. Ein Buch, das berührt und bleibt.

Veröffentlicht am 15.07.2019

zwischen lachen und weinen

Wir von der anderen Seite
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Ich wusste nicht so recht was mich hier erwarten wird, und fand mich zwischen Mitgefühl und lautem Auflachen. Eine Geschichte über den Nahtod? Das schwierige Leben nach dem Koma? Rahel Wald, mittelmäßige ...

Ich wusste nicht so recht was mich hier erwarten wird, und fand mich zwischen Mitgefühl und lautem Auflachen. Eine Geschichte über den Nahtod? Das schwierige Leben nach dem Koma? Rahel Wald, mittelmäßige Komödienautorin versucht nach einer anfänglichen einfachen OP, die doch tragischere Folgen mit sich bringt als gedacht, wieder zurück ins Leben zu finden. Mit Witz, frischer Ehrlichkeit und großartigem Humor erzählt die Protagonistin von ihrem Leben vor, während und nach ihren langen Krankenhausaufenthalten. Von einer Krankenstation zur Nächsten, bis zu einer Zeit in der Reha, schafft die Autorin Spannung, indem sie Andeutungen auf verdeckte Wahrheiten macht, sie aber nicht gleich auf den Tisch legt. Nach und nach erfährt man mit der Protagonistin, wie es zu ihrem Schicksalsschlag gekommen ist, hofft und fiebert mit jeder Untersuchung ihrer Genesung entgegen und dass sie bezüglich ihrer Beziehung die richtige Entscheidung trifft.

In einem lockeren Stil beschreibt die Autorin nicht nur die Zustände und Gedanken der Protagonistin, sondern gewährt uns auch einen Einblick hinter die Kulissen der Filmindustrie. Mit Zielstrebigkeit und Kampfgeist bringt sie ihre Hauptfigur zurück ins Leben, und zeigt wie wichtig es ist, hinter sich selbst zu stehen und gegen Erwartungen Aller das zu tun, was einem gut tut.

Rahel ist trotz ihrer traurigen Situation eine Figur, die sich treu ist, kein Blatt vor den Mund nimmt und ehrlich zu ihren Gefühlen ist. Authentisch, manchmal trotzig und doch liebenswert, kämpft sie sich zurück in ihren Alltag. Ihre spritzigen Bemerkungen und der kecke Humor den sie ihren Charakteren als Autorin zuschreibt findet sich auch in ihrer Person wieder. Sehr positiv empfand ich ebenfalls, wie offen und ohne Zögern sie sich ihre Macken und Maroden zugestehen konnte, und somit mit jeder Seite über sich hinauswachsen konnte.
Die Nebenfiguren wie ihre tolle, liebevolle Familie ist großartig, sowie auch ihr Kumpel, der Kevster. Auch ihre langjährige Beziehung Olli war eine gut geschnittene Figur, die anfänglich reserviert war, doch zum Verlauf der Geschichte sehr entsprechend porträtiert wurde.

Das Cover finde ich sehr gelungen. Das bunte Eichhörnchen, dass als Imagination immer wieder im Buch auftaucht, wird durch die Illustration sehr gut widergespiegelt. Auch die gelbe Typo auf dem dunklen Schwarz zeigt, dass am Ende des Tunnels immer ein Licht brennt.

Veröffentlicht am 05.07.2019

dunkel und erschütternd, doch eine wahre kraftvolle Geschichte

Die Nickel Boys
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"Man kann ein Gesetz ändern, aber nicht die Menschen und die Art, wie sie miteinander umgehen."

"Zu überleben reichte nicht, man musste sein Leben auch in die Hand nehmen."

Die Geschichte erzählt von ...

"Man kann ein Gesetz ändern, aber nicht die Menschen und die Art, wie sie miteinander umgehen."

"Zu überleben reichte nicht, man musste sein Leben auch in die Hand nehmen."

Die Geschichte erzählt von Elwood Curtis, einem Afro-Amerikanischen Teenager in den frühen 60ern, der in der Schule fleißig und bestrebt ist, und inspiriert durch die Reden von Dr. King dabei ist ein Studium zu beginnen. Als ein unschuldiges Opfer das sich zur falschen Zeit am falschen Ort wiederfindet, wird Elwood verhaftet und in die Nickel Besserungsanstalt gebracht. Was dort geschieht gehört zu den erschreckendsten und grauenhaftesten Erzählungen.

Die Anstalt wird von Unterdrückung und Gewalt durch Weiße bestimmt. Aus der Reihe tanzen und sich widersetzen wird bestraft, was folglich auch zum Tod führen kann. Durch die Freundschaften die er knüpft kann er sich von einigen Bestrafungen schützen. Zunächst noch bestrebt alles zu tun, um seine Freilassung zu beschleunigen, muss Elwood sich entscheiden, ob er sich weiterhin im Schatten der Anstalt beugt oder sich von der Hoffnung auf Veränderung weitertreiben lässt.

Mit rund 200 Seiten ist es nicht gerade ein langer Roman, doch ist jede einzelne Seite mit so viel Inhalt und Emotion gefüllt. Ich konnte mich schnell in die Geschichte von Elwood einfinden, die während des Anfangs des Civil Right Movements stattfindet. Die Lehren und Reden von Martin Luther King wurden zur Inspiration für den Jungen und gaben ihn Kraft und eine neue Perspektive. Im Vergleich seines mir bekannten Werkes „The Underground Railroad“ wird die Geschichte der Nickel Boys in einem eher ruhigeren Ton erzählt und kommt ohne große Ausschmückungen sehr gut aus. Die Handlungen bauen sich langsam auf und gelangen zu einem Höhepunkt, der so unerwartet und fesselnd ist, dass es mich erschüttert hat. Die Wortwahl ist präzise und intensiv, doch enthält sie mehrere Ebenen.

Dieses fiktive Buch basiert auf realen Ereignissen und macht diese erschreckenden Enthüllungen umso grausamer. Trotz aller Traumata lassen die Hauptfiguren die Geschichte der Anstalt nicht in der Vergangenheit verschwinden. Whitehead hat ein unglaublich wundervolles Buch über ein schreckliches Stück Geschichte geschrieben, das zeigt, dass man mit Kraft, Hoffnung und Entschlossenheit, Ungerechtigkeit und Elend überwinden kann. Die Nickel Boys sind eine Hommage an die Jungs, als auch eine Anklage gegen die Welt, die sie im Stich gelassen hat.