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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.10.2024

Originell und speziell

Im Morgenlicht
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Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich in dem Buch angekommen bin. Das ist eine seltsame Geschichte. Man hat nichts, woran man sich orientieren könnte. Wir sind in einer unbestimmten Zukunft mit einer ...

Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich in dem Buch angekommen bin. Das ist eine seltsame Geschichte. Man hat nichts, woran man sich orientieren könnte. Wir sind in einer unbestimmten Zukunft mit einer englischsprechenden zerstörten Welt und einem Wiederaufbauprogramm.

Im entvölkerten Island City sollen Menschen angesiedelt werden, die anderswo ihr Zuhause verloren haben. Sil und ihre Mutter haben Glück gehabt. Sie dürfen in die Wohnanlage „Morgenlicht“ zu Tante Ena ziehen, die dort arbeitet. Ihre Vergangenheit ist genauso undurchsichtig, wie die Gegenwart. Sie kommen aus dem „Alten Land“ und sprechen „Unser“. Das und die märchenhaften Geschichten, die Tante Ena erzählt, lassen an ein unbestimmtes Balkanland denken. Und von Ena hat Sil auch den Hang dazu, nach magisch Mystischem in ihrer Umgebung zu suchen. Kann Bezi Duras aus dem 34.Stock eine Vila sein, ein Zauberwesen aus alten Geschichten?

Dieses Buch ist wirklich besonderes. Es verknüpft alte Mythen mit einer düsteren Zukunft, verspinnt vergangene Balkankriege mit aktueller Flüchtlingsproblematik und der Klimakrise, nimmt von allem ein bisschen und macht daraus eine schicksalhafte Familiengeschichte mit märchenhaften Vibes. Das ist neu und irritierend, aber auch spannend.

Wenn man sich davon verabschiedet hat, das Gelesene einsortieren zu wollen, macht das Lesen Spaß. Es ist toll geschrieben in wunderbarer Sprache, mit feinem Humor und jeder Menge Rätsel, ist auf skurrile Art geheimnisvoll, tanzt leichtfüßig hin und her zwischen den Genres, immer mit einem Augenzwinkern.

Das Ende löst dann etwas geballt alle Fragen auf, die wir hatten. Ich hätte das gerne auf weitere hundert Seiten ausgedehnt gelesen, aber gut, immerhin gibt es Ideen, beinahe Antworten.

Ein schönes Buch.

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Veröffentlicht am 12.10.2024

Dramatik allein macht keine gute Geschichte

Juli, August, September
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Ich habe dieses Buch gehört, bis zum Ende, und weiß trotzdem nicht so recht, was ich dazu sagen soll. Es ist weitgehend an mir vorbeigerauscht ohne Höhen und Tiefen, ja, sogar ohne echtes Ende. Die Buchbeschreibung ...

Ich habe dieses Buch gehört, bis zum Ende, und weiß trotzdem nicht so recht, was ich dazu sagen soll. Es ist weitgehend an mir vorbeigerauscht ohne Höhen und Tiefen, ja, sogar ohne echtes Ende. Die Buchbeschreibung klingt so gut, leider ist davon nur wenig bei mir angekommen.

Es erzählt von vielen wichtigen und interessanten Themen ein bisschen, aber nichts richtig. Da ist Lou im Babyblues, sie hat ihre Karriere auf Eis gelegt, um ihre Tochter aufzuziehen, ihr Mann hat ein Burnout und Tante Maya Geburtstag. Sie sind Juden, ohne gläubig zu sein, warum leben sie denn dann nach jüdischen Regeln?

Auf der Geburtstagsfeier trifft sich die ganze Sippe aus diversen Ländern. Es gibt alte Geschichten und Differenzen, eine Prise jüdische Identität in Variationen, traurige Holocaust-Vergangenheit, russische Wurzeln über die Welt verstreut, eine Ehekrise und keiner weiß warum und sogar Sex mit dem Ex.

Während Lou von Berlin nach Gran Canaria und dann nach Tel Aviv reist, um ihre Familiengeschichte zu erkunden, hat ihr Mann zu Hause einen Nervenzusammenbruch und geht einfach nicht ans Telefon, wie blöd. Spätestens an dieser Stelle denkt man: Kein Wunder, dass diese Ehe wackelt.

Am Ende hört es einfach auf und ich habe keine Ahnung, was man mir hier vermitteln wollte.

Die Sprecherin des Hörbuchs gibt alles und versucht, dem Ganzen Gewicht und Betroffenheit zu verleihen, leider hilft das nicht viel, wirkt sogar eher deplatziert. Immerhin haben wir gelernt, dass Dramatik allein keine gute Geschichte macht.

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Veröffentlicht am 08.10.2024

Historientrash

Bevelstoke – Das geheime Tagebuch der Miss Miranda
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„Liebt er mich, oder liebt er mich nicht?“ Das ist die Kernfrage dieses Werks und damit, wenn auch in einem historischen Roman zur Zeit des kleidsamen Empires gestellt, doch auch für uns heute noch von ...

„Liebt er mich, oder liebt er mich nicht?“ Das ist die Kernfrage dieses Werks und damit, wenn auch in einem historischen Roman zur Zeit des kleidsamen Empires gestellt, doch auch für uns heute noch von elementarer Bedeutung und damit absolut zeitlos und wichtig.

Die Autorin geht sogar noch weiter: Liebt er mich wohl, wenn er sagt, er hat mich gern? Oder sagt er, er hätte mich gern, damit er nicht sagen muss, er würde mich lieben, obwohl er es nicht tut? Kann ich ihn gar lieben, obwohl er mich nicht liebt, oder es vielleicht auch nur nicht sagt?

All das bewegt die junge Lady Miranda, die zu klug ist, um die Männerwelt zu bewegen, die aber eine beste Freundin mit attraktiven Brüdern hat, das hilft, wenn man ein blaustrümpfiges Mauerblümchen ist, allerdings mit reizender Nase.

Mich bewegt nach der Lektüre dieses Buches höchstens die Frage: Wer liebt solche Bücher? Nichts gegen seichte Romantik, aber hier gibt es nicht den Hauch einer Handlung. Mirandas Ringen, seine blauen Augen und ausführlichen Sex vor der Ehe, mehr bekommt man hier nicht geboten. Ich denke, die weiteren Teile der Saga lasse ich aus.

Den zweiten Stern gibt es für gelegentlich gute Gags und die Tapferkeit der Sprecherin des Hörbuchs. Das war sicher schmerzhaft.

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Veröffentlicht am 04.10.2024

Ein Buch zum Abtauchen

Die Frauen jenseits des Flusses
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Ich wusste über der Vietnamkrieg eigentlich nur, dass es ihn gab. Nach dem Hören dieses Buches habe ich das Gefühl, ich war dabei.

Frankie McGrath, Tochter aus gutem Hause und frisch gelernte Krankenschwester, ...

Ich wusste über der Vietnamkrieg eigentlich nur, dass es ihn gab. Nach dem Hören dieses Buches habe ich das Gefühl, ich war dabei.

Frankie McGrath, Tochter aus gutem Hause und frisch gelernte Krankenschwester, möchte Dienst in Vietnam tun. Ihr Bruder dient schon dem Vaterland, das muss eine Frau doch auch können und im Lazarett ist es sicher. Wie naiv dieser Gedanke war, lernt Frankie schnell. Nichts davon entspricht der Realität. Der Job im Lazarett ist hart und lebensgefährlich und Heldenstatus erhalten nur Männer. Noch dazu wandelt sich die Einstellung der Amerikaner zum Krieg.

In dieses Buch kann man abtauchen. Man macht Frankies ganze Entwicklung mit, durchlebt einen schrecklichen Krieg, viel Leid, schlimme Gräuel, aber auch Kameradschaft und sogar Liebe. Frankie schließt in Vietnam Freundschaften fürs Leben.

Dazu gibt es 60er Jahre zum Miterleben, mit all dem Mief und der Spießigkeit, misogynen Vorurteilen, Standesdünkel, amerikanischem Patriotismus, aber auch die Entwicklung zur Gegenbewegung mit Protesten, Antikriegsbewegungen mit Flowerpower, love and peace und auch noch Kriegsveteranen, die zurück ins Leben finden müssen.

Der Erzählstil ist plastisch und eindringlich. Trotz kleinerer pathetischer Ausreißer hat es mir sehr gefallen. Es passiert mir nicht so oft, dass ich denke: Ach, schade, ich muss jetzt ausschalten.

Das Hörbuch wird sehr schön gelesen von Luise Helm, man muss es nur etwas beschleunigen. Es dauert 17 Stunden und 24 Minuten.

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Veröffentlicht am 28.09.2024

Perfide, eindrucksvoll, brillant erzählt und ein wenig gruselig

Das große Spiel
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Dieses Buch habe ich erst im Nachgang verstanden. Ich habe es eineinhalb Mal gelesen, habe es gleichermaßen verflucht und bewundert, habe mich amüsiert und mir den Kopf zerbrochen und jetzt bin ich erschüttert ...

Dieses Buch habe ich erst im Nachgang verstanden. Ich habe es eineinhalb Mal gelesen, habe es gleichermaßen verflucht und bewundert, habe mich amüsiert und mir den Kopf zerbrochen und jetzt bin ich erschüttert und tief beeindruckt.

Es geht um alles ein bisschen, nichts davon ist offensichtlich, allerdings grandios verpackt. Richard Powers hat hier ein 500 Seiten Puzzle entworfen, ein Verwirrspiel auf mehreren Ebenen, das man, wenn überhaupt, erst ganz am Schluss versteht.

Da ist ein schwer kranker Mann, der weiß, dass all sein Geld und all sein Einfluss nichts gegen Lewy-Körper-Demenz ausrichten können. Ziemlich bald wird ihm sein Leben entgleiten und bis dahin muss er seine Hinterlassenschaft regeln. Es sind noch Rechnungen offen und er erzählt, solange er noch kann.

Todd und Rafi sind beste Freunde seit der Schulzeit. Beide sind Nerds, klug und spielverrückt, Todd findet darin sogar seine Berufung und programmiert später Spiele.

Evelyn hat als Kind mit dem Tauchen angefangen und erforscht seitdem mit Leidenschaft die Unterwasserwelt der Ozeane.

Ina hat Todd und Rafi zu Studienzeiten kennengelernt. Sie ist Künstlerin und kommt von der verschlafenen Insel Makatea, wo schließlich alle zusammentreffen und Entscheidungen zu fällen sind.

Für dieses Buch braucht man Geduld und Durchhaltevermögen. Es ist brillant geschrieben, in wunderbarer Sprache mit feinem Humor und unglaublichem Fachwissen in gleich mehreren Disziplinen. Die Recherche zu diesem Buch muss unglaublich gewesen sein. Wir bekommen hier die komplette Entwicklung der IT von ihren Anfängen bis heute, Programmierung, Spieleentwicklung, mit geschichtlichem, technischem und sogar philosophischem Hintergrund, dazu noch einen Kurs in Ozeanographie und alles Wissenswerte zur Insel Makatea im Wandel der Zeiten. Das alles ist die Kulisse für die Geschichte einer Freundschaft, die auch Rätsel aufgibt. Es wechseln die Perspektiven, die Zeiten, die Orte und es dauert sehr lange, bis man den roten Faden sieht, nur um dann wieder im Regen zu stehen, wenn sich ganz am Ende die Informationen zu widersprechen beginnen.

Über das Ende musste ich länger nachdenken. Es ist berührend und dramatisch, aber da sind auch Ungereimtheiten, planvoll angelegte Ungereimtheiten, die ich erst nicht verstanden habe.

Ich glaube, mich hat die Buchbeschreibung zu sehr beeinflusst, die Dystopisches suggeriert und sagt, es ginge um die Zukunft des Inselparadieses Makatea. Dabei ist das alles nur die Kulisse, das Spielbrett des viel größeren Spiels, das der Autor mit uns hier getrieben hat, um eine finstere Botschaft zu illustrieren.

„Die tödliche Bedrohung, die von künstlicher Intelligenz ausgeht, ist vergleichbar mit der einer Pandemie oder eines Atomkriegs, und sie einzudämmen, sollte unsere oberste Priorität sein.“

Ist das so? Auf jeden Fall lernen wir hier, wie leicht sich Realitäten verschieben lassen, perfide, eindrucksvoll und ein wenig gruselig.

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