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Veröffentlicht am 08.10.2021

Magisch, tragisch, zaiberhaft

Wolkenkuckucksland
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Dieses Buch sei ein Lobgesang auf Bücher, sagt Anthony Doerr in seinem Nachwort und ja, natürlich ist es das, aber es ist auch noch eine ganze Menge mehr.

Es geht um ein Buch, ein Buch im Wandel der Zeiten, ...

Dieses Buch sei ein Lobgesang auf Bücher, sagt Anthony Doerr in seinem Nachwort und ja, natürlich ist es das, aber es ist auch noch eine ganze Menge mehr.

Es geht um ein Buch, ein Buch im Wandel der Zeiten, es geht aber auch um Menschen, deren Schicksale lose verbunden sind über Jahrhunderte hinweg.

Antonius Diogenes verfasste einst die Legende vom Wolkenkuckucksland, hat sie auf mehreren Tafeln festgehalten und zu einem wunderbaren Buch gebunden. Es erzählt die Geschichte von Aethon, dem einfältigen Schäfer, der mit seinem Leben nicht zufrieden war und mehr wollte, in einen Esel, einen Fisch und einen Vogel verwandelt wurde, um das Wolkenkuckucksland zu finden, wo alle glücklich sind, in den Flüssen Wein fließt und Schildkröten mit Honigkuchen beladen wandeln.

Darüber stolpert 1440 in Konstantionopel die kleine Anna, 2020 führen es Kinder aus Idaho als Theaterstück auf und in einer unbestimmten Zukunft findet Konstanze Fragmente davon in der virtuellen Bibliothek eines Raumschiffs.

Das sind die groben Eckpfeiler des Buches, aber es gibt auch noch ganz viel davor, danach und exquisites Drumherum. Auch wenn man anfangs vielleicht denkt, es ginge recht beschaulich-betulich los, merkt man schnell, man irrt sich. Dieses Buch ist vielschichtig, im wahrsten Sinne des Wortes. Tragisch-grausige Geschichten wechseln sich ab in mehreren Zeitebenen, es ist kompliziert, aber auch mitreißend. Man ist in kürzester Zeit gefesselt von diesen Schicksalen.

Und trotz einigem Blut, Schmutz, Krieg, Belagerungen, Grausamkeiten oder auch Bombenanschlägen wirkt dieses Buch anrührend, warmherzig. Alle diese Menschen finden in irgendeiner Form Trost und Hilfe durch Diogenes‘ märchenhafte Geschichte.

Dies ist ein wunderbares Buch, in das man sich fallen lassen kann, in dem man viel erlebt, Schreckliches und Schönes und durch das man lernt, dass das Glück nicht immer in der Ferne liegt. Das klingt amerikanisch pathetisch, ist aber zart, elegant angelegt, erlesen komponiert, und trotz höchster Dramatik auch zauberhaft. Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 01.10.2021

Anrührend und aufschlussreich

Wenn ich wiederkomme
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Dieses Buch geht unter die Haut.

Von der „Italienkrankheit“ habe ich bislang noch nie gehört, noch nicht einmal von der „Deutschlandkrankheit“, die wahrscheinlich in Polen auftritt.
„Italienkrankheit“ ...

Dieses Buch geht unter die Haut.

Von der „Italienkrankheit“ habe ich bislang noch nie gehört, noch nicht einmal von der „Deutschlandkrankheit“, die wahrscheinlich in Polen auftritt.
„Italienkrankheit“ ist ein Begriff, der die Situation von Gastpflegekräften in Italien beschreibt, von Frauen, die ihre Familie und ihr Land verlassen haben, um in Italien Alte oder Kranke zu betreuen.

Hier zeigt uns Daniela aus Rumänien, wie so etwas aussieht. Sie hat einen arbeitslosen Mann und zwei Kinder, die sie verlässt, um in Italien fremde Menschen zu pflegen. Diesem Beruf hat sie nie gelernt, aber meistens braucht man dafür hauptsächlich Zeit, Nerven und Durchhaltevermögen und es wird gut bezahlt. Sie will unbedingt Geld verdienen, um ihren Kindern eine gute Ausbildung bieten zu können, damit sie es einmal besser haben. Dafür lässt sie sie bei den Großeltern und dem trinkenden Vater zurück. Ist das der richtige Weg?

Sehr eindringlich lässt einen Marco Balzano diese Situation miterleben, die sich sogar zu einer Tragödie auswächst. Man nimmt unterschiedliche Positionen ein, mal berichtet Manuel, der zwölfjährige Sohn, mal Angelica, die große Schwester, der die Rolle der Ersatzmutter aufgedrängt wird und dann berichtet Daniela selbst, voller Verzweiflung, weil sie nicht glücklich ist mit ihrer Entscheidung und doch keinen Ausweg sieht.

Dieses Buch zielt ohne großes Pathos direkt ins Herz und zeigt dabei alle Seiten der Medaille. Es zeigt ein Problem auf, ohne anzuklagen, hat auch keine Lösung parat, macht aber aufmerksam.

Es ist sprachlich nicht ganz so ausgefeilt wie sein Vorgänger „Ich bleibe hier“, liest sich trotzdem höchst fesselnd, berührt sehr und rückt ein wichtiges Thema in den Focus, das allgemein kaum Beachtung findet.

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Veröffentlicht am 28.09.2021

Kunstvoll und episch

Wenn wir heimkehren
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Dieses Buch hat auf jeden Fall Qualitäten. Ich mag den Erzählstil sehr, der originell und eindringlich Atmosphäre schafft. Die Beschreibungen sind lebendig, man hat das jeweilige Ambiente plastisch vor ...

Dieses Buch hat auf jeden Fall Qualitäten. Ich mag den Erzählstil sehr, der originell und eindringlich Atmosphäre schafft. Die Beschreibungen sind lebendig, man hat das jeweilige Ambiente plastisch vor Augen. Nur macht das allein noch kein gutes Buch.

Der Kern der Geschichte ist spannend. Margot war es gewohnt, als Tochter aus gutem luxemburger Hause behandelt zu werden, bis der Krieg und ein uneheliches Kind ihr Leben auf den Kopf stellt und sie nach Nazideutschland vertreibt. Künftig ist es klüger, sich Margarete zu nennen.

In den 50er Jahren heißt sie wieder Margot, mit „t“, und landet in einer tragischen Dreiecksbeziehung, hin- und hergerissen zwischen Liebe, Verlangen und Versorgtseinwollen. Ihr Sohn Fred hatte bis dahin auch einiges zu erdulden.

Das ist der Teil des Buches, der anrührt und fesselt und darauf hätte man es vielleicht beschränken sollen. Das letzte Drittel möchte daraus aber ein Familienepos machen und spinnt die Geschichte noch über zwei Generationen weiter mit großen Zeitsprüngen, im Schnelldurchlauf, was die Aussage verwässert und auch nicht mehr sehr interessiert, lernt man doch die weiteren Figuren kaum kennen.

Generell finden sich in diesem Buch einige Stilmittel, die zwar klug erdacht, dann aber überstrapaziert werden. Man wird regelmäßig in eine neue Situation geworfen, eine neue Zeit, ein neuer Ort, unbekannte Personen, die natürlich einfühlsam und auch ausführlich beschrieben werden, nur wie es dazu kam erfährt man durch die Gedanken der Protagonisten, Reflexionen, Erinnerungen, manchmal nur hingetupft, impressionistisch. Natürlich ist so etwas kunstvoll, hinterlässt aber den Eindruck, es passiert rein gar nichts in diesem Buch. Die Gegenwart besteht im Grunde nur aus Ambiente und die Handlung ist schon passiert. Der Leser weiß längst, wie es ausgeht, bevor er weiß, was geschah. Besser kann man Spannung nicht ausbremsen.

Authentische Musik durchweht das Geschehen zu jeder Zeit, auch das ist eine hübsche Idee, die schnell verpufft und dann nervt, wenn man sie zu exzessiv einsetzt.

Obwohl dieses Buch schön geschrieben ist und eine fesselnde Geschichte erzählt, fand ich es leider zäh und zu ausführlich. Vielleicht hat es sich ein bisschen zu viel vorgenommen.

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Veröffentlicht am 28.09.2021

Zauberhafter Grusel

Krabat - Das Hörspiel
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Die gruselige Geschichte vom Müllergesellen Krabat, der in der Zaubermühle am Koselbruch das Zaubern lernt, die kennt man in zahlreichen Ausführungen. Dieses Hörspiel legt tatsächlich nochmal eine Schippe ...

Die gruselige Geschichte vom Müllergesellen Krabat, der in der Zaubermühle am Koselbruch das Zaubern lernt, die kennt man in zahlreichen Ausführungen. Dieses Hörspiel legt tatsächlich nochmal eine Schippe drauf.

Man sollte es unbedingt mit Kopfhörern hören. Dann kommt Rabenkrächzen von links, rechts scheppert ein Fensterladen, während sich direkt über dem Kopf Gewitterwolken zusammenziehen. Geheimnisvolle Musik verschmilzt mit den Stimmen der zahlreichen Sprecher, der Wind rauscht, in der Ferne läutet eine Glocke, ein Uhu ruft und man meint, man wäre mittendrin in dieser finsteren Geschichte voller bedrohlicher Magie.

Und obwohl der Text stark komprimiert ist und das ganze Hörspiel nur drei Stunden dauert, ist das Erlebnis mindestens so intensiv, als hätte man das Buch gelesen.

Mich hat dieses Hörspiel sofort gepackt. Es zieht einen hinein, zaubert eindrucksvoll Atmosphäre und verleiht dem Text eine zusätzliche Ebene. Es ist fantastischer Grusel zum immer wieder hören.

Großartig!

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Veröffentlicht am 24.09.2021

Spannung mit staubtrockenem Humor

Sörensen hat Angst
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Kommissare sind gerne mal geschieden, das kennt man schon, die Arbeit frisst sie auf, natürlich. Dieser hier ist anders. Kommissar Sörensen versucht, mit seiner Angststörung zurechtzukommen und zu verdauen, ...

Kommissare sind gerne mal geschieden, das kennt man schon, die Arbeit frisst sie auf, natürlich. Dieser hier ist anders. Kommissar Sörensen versucht, mit seiner Angststörung zurechtzukommen und zu verdauen, dass ihn seine Frau verlassen hat. Er hat sich in das beschauliche Katenbüll versetzen lassen, um zur Ruhe zu kommen. Nordseeluft, Friesentee, ein paar Schafe und ein gelegentliches Verkehrsdelikt, so hatte er sich das vorgestellt, bekommt aber direkt zum Einstand einen handfesten Mord serviert, noch bevor der Begrüßungskuchen angeschnitten ist. Es regnet immerzu in Katenbüll, man kennt sich, man hasst sich auch, aber Morde standen dort bislang nicht auf der Agenda.

Eigentlich mag ich Krimis nicht besonders, aber dieser hier ist großartig, wunderbar norddeutsch mit staubtrockenem Humor. Man amüsiert sich sehr, obwohl es um ein ernstes Thema geht und die Situation überhaupt nicht lustig ist.

Sven Stricker erzählt wunderbar plastisch, wobei er sich ganz dem friesischen Understatement verschrieben hat. Manchmal ist ein knappes „Fisch ist kein Fleisch“ so beredt, wie ein ganzer Vortrag zu vegetarischer Ernährung. Sörensen in seiner Lebenskrise gibt auch einiges an originellen und treffenden Weisheiten zum Besten, herrlich!

Dieses Buch ist kluge Unterhaltung: Einige Spannung, feiner Humor, originelle Typen und ein Hund.

Das Hörbuch liest der Autor selbst, 11 Stunden und 37 Minuten lang, und macht das ganz wunderbar. Ich brauche direkt den zweiten Teil.

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