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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.04.2024

Dicke Empfehlung

James
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Bei jedem neuen Buch von Precival Everett staune ich, wie vielseitig er ist. Er scheint jedes Genre bedienen zu können und kommt auf unterschiedlichsten Wegen doch immer wieder zu seinem Hauptanliegen, ...

Bei jedem neuen Buch von Precival Everett staune ich, wie vielseitig er ist. Er scheint jedes Genre bedienen zu können und kommt auf unterschiedlichsten Wegen doch immer wieder zu seinem Hauptanliegen, Rassismus in Amerika anzuprangern.

Den „Huckleberry Finn“ umzuschreiben ist höchst innovativ und gleichzeitig so schlüssig umgesetzt, dass man sich fragt, warum das sonst noch keiner gemacht hat.

Es passiert alles, was im Original auch passiert. Huck und Jim fliehen aus unterschiedlichen Gründen aus ihrem Zuhause und tun sich zusammen, erleben allerlei Schreckliches auf einer abenteuerlichen Reise mit dem Floß den Mississippi entlang. Nur zeigt uns Jim dabei eine Sicht auf die Welt, auf die wir nicht im Traum gekommen wären.

Sklaven sind nicht die dummen Analphabeten, für die die weißen Massas sie halten. Jim kann lesen, schreiben und sich gewählt ausdrücken. Für Weiße spielt er den Trottel, der kaum reden kann, damit er ihrem Bild entspricht, bei dem Schwarze im Grunde Tiere sind, die nichts denken und nichts fühlen. Tatsächlich stellen sich alle Sklaven dumm, weil sie gelernt haben, dass es ihnen besser bekommt. In einer Welt, in der Weiße das Sagen haben, ist es nützlich nicht aufzufallen.

Hier ist man direkt dabei, erlebt in der ersten Reihe mit, wie es war, ein Sklave zu sein, Willkür, Borniertheit und Menschenverachtung in allen grausigen Spielarten. Es ist unglaublich, was Menschen alles Menschen antun können und doch glaubt man Jim jedes Wort.

Dieses Buch ist ganz viel gleichzeitig: Die spannende Neuerzählung eines Klassikers, die leidvolle Geschichte eines Sklaven, ein Abenteuer, ein Fanal gegen Rassismus und vor allem anderen ein Augenöffner, der verdeutlicht, was „Sklaverei“ wirklich bedeutet.

Dicke Empfehlung!

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Veröffentlicht am 30.03.2024

Schöne Idee, halbherzig ausgearbeitet

Der Wald
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Ich weiß nicht, was hier passiert ist. Ich habe „Die Gestirne“ sehr geliebt und dachte, Bücher von Eleanor Catton sind garantierte Volltreffer. In diesem Buch finde ich keine der Qualitäten wieder, die ...

Ich weiß nicht, was hier passiert ist. Ich habe „Die Gestirne“ sehr geliebt und dachte, Bücher von Eleanor Catton sind garantierte Volltreffer. In diesem Buch finde ich keine der Qualitäten wieder, die ihr erstes Buch auszeichneten. Wo ist ihr Humor geblieben? Ihre Raffinesse? Ihr Einfühlungsvermögen?

Das einzig Beeindruckende ist das Thema: Öko-Guerillas unterwandern heimlich das System und kommen damit durch, das hat was und ist innovativ. Die Umsetzung bleibt allerdings eher halbherzig.

Erst einmal muss man sich an Endlossätze und Weitschweifigkeit gewöhnen. Hier wird jede Figur gründlich eingeführt, mit einer Geschichte und familiärem Hintergrund versehen, nur komischerweise wird dabei niemand lebendig. Man kämpft sich durch schier endlose Schlenker, Erinnerungen und Befindlichkeiten, langweilt sich trotzdem und fragt sich, was wollen sie denn, diese Menschen?

Nehmen wir mal Mira, die die Gruppe Birnam Wood gegründet hat. Sie gärtnert gerne und hat Ideale, lehnt sich auf gegen das Establishment. Aber beim ersten Milliardär, der ihr begegnet knickt sie ein und findet es toll, gesponsert zu werden, zu expandieren, bekannt und berühmt zu werden. Dass sich das mit ihrem Grundprinzip, heimlich brach liegende Flächen zu bepflanzen, nicht vereinbaren lässt, ist egal.

Ihre Freundin Shelley, die sich um Verwaltungsdinge und Organisatorisches kümmert, will die Gruppe verlassen und entwirft dazu eine alberne Intrige, statt einfach zu gehen. Was sie eigentlich will, bleibt auch unklar. Will sie Anerkennung, die Führung der Gruppe, Miras Exfreund oder ein bisschen von allem? Jedenfalls geht sie dann doch nicht, nur um bei jeder Gelegenheit mit ihrem Weggang drohen zu können.

Ich könnte hier eigentlich jeden zerlegen, aber das führt wohl zu weit. Mir kam diese Geschichte durch und durch unausgegoren vor. Die ersten 300 Seiten sind im Grunde nur die Einführung ins Geschehen, eine reichlich zähe Angelegenheit. Dann eskaliert das Ganze, bekommt eine gute Portion Thrill, wobei man dabei auch nicht allzu viel hinterfragen sollte.

Für mich war dieses Buch ein Flopp, eine schöne Idee, halbherzig ausgearbeitet, mit langweiligen bis hysterischen Figuren und ein bisschen müdem Thrill am Schluss.

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Veröffentlicht am 26.03.2024

Leider langweilig

Eine Fingerkuppe Freiheit
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Wie mag es Lois Brailles gelungen sein, etwas so kompliziertes wie die Braille-Schrift zu erfinden? Das ist eigentlich unvorstellbar. Ein spannendes Thema, dem sich dieses Buch gewidmet hat.

Es beginnt ...

Wie mag es Lois Brailles gelungen sein, etwas so kompliziertes wie die Braille-Schrift zu erfinden? Das ist eigentlich unvorstellbar. Ein spannendes Thema, dem sich dieses Buch gewidmet hat.

Es beginnt sehr hübsch mit Lois Kindheit anfangs den 19. Jahrhunderts. Er ist schon im Alter von drei Jahren erblindet, fiel aber schon früh durch seine Intelligenz auf. Als er älter wurde, schickten ihn seine Eltern nach Paris auf eine Blindenschule, wo er dann ganz allmählich seine Idee zu einer Blindenschrift entwickelte.

Das könnte ein tolle Geschichte sein, wenn es gelungen wäre, den Figuren Leben einzuhauchen. Leider ergeht sich der Text aber lieber in blumigen Beschreibungen des Ambientes. Während Lois Mutter ausgiebig und mit Elan den Brioche-Teig knetet erfahren wir allerlei über ihre außergewöhnlichen Backkünste, die Küchenausstattung und die Zubereitung. Von Louis selbst wissen wir selbst am Ende des Buchs nicht viel mehr, als dass er klug und ein netter Mensch war.

Ich hätte mich eventuell sogar mit dem recht bildhaften Erzählstil anfreunden können, wenn mich das Geschehen an irgendeiner Stelle gepackt hätte. Leider bleiben aber die Figuren allesamt ausgesprochen blass. Die Geschichte wirkt wie ein illustrierter Wikipedia-Eintrag: Transportiert fantasielos die Eckdaten und bemüht sich nicht, zu interpretieren.

Das Hörbuch liest Josef Vossenkuhl sehr schön, kann aber auch nichts an der braven Textvorlage ändern. Es dauert 5 Stunden und 53 Minuten.

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Veröffentlicht am 26.03.2024

Mehr als nur ein Kochbuch

Hier fließt die Liebe. Persische Küche
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Dieses Buch ist weit mehr als nur ein Kochbuch.

Für Sahar und Forough Sodoudi ist es eine Art Mission. Sie haben erfolgreiche Karrieren an den Nagel gehängt, um den interkulturellen Austausch zu fördern ...

Dieses Buch ist weit mehr als nur ein Kochbuch.

Für Sahar und Forough Sodoudi ist es eine Art Mission. Sie haben erfolgreiche Karrieren an den Nagel gehängt, um den interkulturellen Austausch zu fördern und die nahöstliche Kultur in die Welt zu tragen. Sie möchten ihre Heimat, den Iran, repräsentieren jenseits von politischen oder religiösen Narrativen. Dabei ist Essen ein wesentlicher Faktor.

„Wenn unsere Kindheit im Iran einen Geschmack hätte, wäre es der von Salad Olivier. Beim Zubereiten und Essen dieser nahrhaften Speise wird uns bis heute warm ums Herz: es weckt Erinnerungen an unsere Schulzeit und die beinahe wöchentlich stattfindenden Kindergeburtstage.“

Sie erzählen ihre Geschichte und gleichzeitig ganz viel über iranische Küche und Kultur. Hier wird nicht nur gekocht, hier werden liebevoll Gerichte zubereitet und genossen.

Für die meisten Rezepte muss man sich Zeit nehmen, schnelle Küche ist das nicht. Dafür bekommt man dann aber etwas sehr Feines.

Es ist alles dabei, leckere Vorspeisen, tolle Fingerfoodideen, Gerichte mit und ohne Fleisch, Eingelegtes, Süßes und auch spannende Drinks. Dabei fand ich es bemerkenswert, mit wie wenig exotischen Zutaten man da auskommt. Die persische Küche ist sanft aber fein, für den europäischen Gaumen nicht so exotisch wie etwa indisches Essen, trotzdem ganz anders, hoch interessant und lecker.

Das Buch ist großzügig bebildert und auch da bleiben keine Wünsche offen. Neben Fotos von Speisen, die so toll aussehen, dass man sie sich an die Wand hängen möchte, gibt es auch Familienfotos der Autorinnen, ganz viel Persien, Teheran, Dattelpalmen und der Markt von Rasht. Es ist nicht nur ein Kochbuch sondern auch ein aufregender Ausflug in eine fremde Welt. Fast möchte ich hinfahren.

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Veröffentlicht am 25.03.2024

Merkwürdig schwülstiges Allerlei

Leuchtfeuer
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Eigentlich war ich sicher, dass dieses Buch genau meins ist. Es fängt auch vielversprechend an.

Da haben Teenager einen Autounfall und ein Mädchen stirbt. Eine Tragödie, die Sarah und Theo, die überlebenden ...

Eigentlich war ich sicher, dass dieses Buch genau meins ist. Es fängt auch vielversprechend an.

Da haben Teenager einen Autounfall und ein Mädchen stirbt. Eine Tragödie, die Sarah und Theo, die überlebenden Teens, auf ewig traumatisiert. Aber auch Ben, ihr Vater, ein Arzt, der vor Ort war und nicht helfen konnte, kommt nicht darüber hinweg.

Das alles wird spannend und einfühlsam erzählt. Man hat das Gefühl, man ist dabei, spürt die Trauer, Reue und die Verlorenheit der Figuren.

Dem jungen Paar nebenan konnte Ben helfen, als ihr Sohn Waldo unerwartet plötzlich auf die Welt kommen wollte. Waldo ist ein besonderer Junge und irgendwas verbindet die beiden auch später noch, wenn Ben alt und Waldo ein junger Mann ist.

In vielen Zeitsprüngen, vor, zurück und hin und her, wird das Leben dieser Figuren erzählt, die immer wieder Berührungspunkte haben. Nur, so schön das ist, ist deren Leben nicht sonderlich ereignisreich. Der wirklich starke Anfang des Buches verpufft schnell und dann leben alle vor sich hin und leiden anschaulich.

Der grundsätzlich schöne Erzählstil verläuft sich auch immer wieder, ufert aus und treibt oft reichlich kitschige Blüten.

Meine anfängliche Begeisterung für dieses Buch hat schnell nachgelassen. Ich habe immer noch auf einen besonderen Plot gewartet, aber im Grunde dreht sich das Geschehen nur immer im Kreis, um uns zu zeigen, dass alles miteinander verbunden ist. Was wie ein psychologisch interessantes Drama beginnt, endet als merkwürdig schwülstiges Allerlei mit esoterischen Anklängen und peinlichem Geisterzauber.

Jammerschade.

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