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Veröffentlicht am 10.03.2024

Aufwühlend und witzig gleichzeitig

Demon Copperhead
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Wer David Copperfields Geschichte kennt, kann es ahnen, dieses Buch nimmt einen mit. Es bleibt tatsächlich ganz nah an der Originalgeschichte, nur verlegt es sie ins Hillbillymilieu der 90er Jahre.

Demon ...

Wer David Copperfields Geschichte kennt, kann es ahnen, dieses Buch nimmt einen mit. Es bleibt tatsächlich ganz nah an der Originalgeschichte, nur verlegt es sie ins Hillbillymilieu der 90er Jahre.

Demon Copperhead hat die rötesten Haare der Welt und wird in einem Trailerpark geboren. Seine drogensüchtige Mutter stirbt früh. Demon ist plötzlich seinem brutalen Stiefvater ausgeliefert und durchläuft dann jede traurige Station, die ein Waisenkind durchlaufen kann, das keinen groß zu interessieren scheint. Es ist herzzerreißend, was dieser kleine Junge alles ertragen muss.

Später hat er auch mal ein bisschen Glück, wäre beinahe ein Baseballstar geworden, aber seine Vergangenheit holt ihn immer wieder ein. Es ist ein steiniger Weg, bis er sich aus der Abwärtsspirale durch Drogen, Alkohol und falsche Freunde befreien kann.

Der Schreibstil ist soghaft und auf ganz eigene Art poetisch. Da jagen sich die originellen Vergleiche, es ist amüsant und bedrückend gleichzeitig. „Ich versuchte, mich nicht wie einer zu benehmen, der ungefähr seit August keinen Nachschlag mehr gekriegt hatte.“

„…ich war ein Stück größer als Mr Golly, der wie ein kleiner brauner Baum aussah, denn man vergessen hatte zu gießen.“

Solche Formulierungen sind grandios. Ich habe in diesem fetten Schinken jeden einzelnen Satz genossen.

Man muss die Dickens-Version nicht kennen, um dieses Buch zu lesen. Allerdings hat man noch viel mehr davon, wenn man David Copperfield kennt. Es macht großen Spaß, die Parallelen zu suchen und immer wieder Copperfield Figuren zu identifizieren. Sie sind irgendwie alle da und es ist spaßig zu gucken, wie sie hier präsentiert werden. U-Haul ist Uriah Heep, der hier wie da ganz besonders schleimig ist. Selbst Dickens Weitschweifigkeit und feinen Humor nimmt die Autorin auf und macht sehr elegant etwas Neues daraus.

Das war ein wundervolles Buch, eine aufwühlend dramatische Geschichte, mitreißend erzählt und dabei auch noch witzig. Ich bin begeistert und tief beeindruckt.

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Veröffentlicht am 07.03.2024

Ein hübsch verpackter Gedankenanstoß

Wir werden jung sein
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Wie wäre es, wenn man nach belieben jünger werden könnte? Kann man so ein Medikament einfach auf die Menschheit loslassen?

In der Berliner Charité wollte man ein Herzmedikament entwickeln und musste feststellen, ...

Wie wäre es, wenn man nach belieben jünger werden könnte? Kann man so ein Medikament einfach auf die Menschheit loslassen?

In der Berliner Charité wollte man ein Herzmedikament entwickeln und musste feststellen, dass bei den Probanden erstaunliche Nebenwirkungen auftreten. Ihr biologisches Alter hat sich plötzlich um 8 Jahre verjüngt.

Immobilienmogul Wenger hatte eigentlich mit seinem Leben abgeschlossen, als plötzlich alle seine körperlichen Beschwerden zu verschwinden scheinen. Dem 17jährigen Jakob kommt die Verjüngung nicht so gelegen. Er, hat endlich eine Freundin, aber sein Körper reagiert nicht mehr so, wie er sollte.

Wir erleben mit, wie die ersten vier Probanden damit fertig werden. Plötzlich jünger zu sein, muss man erst einmal verarbeiten, das eröffnet neue Perspektiven und ändert die Lebensplanung komplett. Das bekommt man plausibel und einfühlsam vorgeführt. Wir schauen in die Köpfe dieser vier repräsentativen Versuchspersonen. Und dann gerät das Ganze auch noch an die Öffentlichkeit.

Maxim Leo spielt hier ein Szenario durch, was sich manch einer wünschen mag, was aber auch weit größere Auswirkungen hätte, als man sich vorstellt. Ein einziges Medikament könnte die Welt, wie wir sie kennen, komplett verändern. Das ruft die Politik, die Wirtschaft, die Ethikkommission und sogar Aktivisten auf den Plan.

Die Geschichte ist höchst originell, unterhaltsam und mit leisem Humor erzählt. Hier bekommt man ein schweres Thema federleicht verpackt. Vielleicht geht es hier und da ein wenig zu glatt. Das ganz große Fass macht der Autor nicht auf. Aber ein hübsch verpackter Gedankenanstoß auf die Problematik ist es schon. Ich habe es sehr gerne gelesen.

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Veröffentlicht am 02.03.2024

Intensiv

Der ehrliche Finder
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Verglichen mit den anderen Romanen von Lize Spit ist dieser hier ein Häppchen, fast nur ein Booksnack, aber nichtsdestotrotz spannend und berührend. Es geht um Kinder die Probleme haben und uns zeigen, ...

Verglichen mit den anderen Romanen von Lize Spit ist dieser hier ein Häppchen, fast nur ein Booksnack, aber nichtsdestotrotz spannend und berührend. Es geht um Kinder die Probleme haben und uns zeigen, dass Kindersorgen ganz und gar keine Kleinigkeit sind.

Jimmy ist elf, ein Nerd, ein Außenseiter ohne Freunde, bis Tristan in seine Klasse kommt.

Wir erleben die Geschichte aus Jimmys Sicht, der ein seltsamer Junge ist. Zu klug, zu eigen, zu uncool, um bei seinen Klassenkameraden zu bestehen, hat er sich an sein Außenseiterdasein gewöhnt. Er wäre gerne wie andere Kinder, hätte gerne Freunde, aber er kann halt nicht anders. Tristan, der neu ist und noch nicht einmal ihre Sprache beherrscht, ist seine Chance.

Tristan und seine Familie sind frisch aus dem Kosovo gekommen. Nach einer abenteuerlichen Flucht sind sie in Jimmys Stadt gelandet und versuchen zurechtzukommen. Jimmy und Tristan werden beste Freunde und ergänzen sich bestens. Aber dann passiert etwas Unerwartetes, was sie aus der Bahn wirft und die Leser gleich mit.

Ich war wirklich froh, schon andere Bücher der Autorin gelesen zu haben, weil mir eigentlich klar war, dass es nicht die nette Geschichte über Freunde sein kann, die es anfangs zu sein scheint.

Dieses Buch fasst einen an, zieht einen mit. Auch wenn Jimmy irgendwie seltsam ist, tut er einem auch sehr leid. Fast möchte man sich für ihn freuen, wäre da nicht der fiese Hintergedanke, dass es nicht so nett ausgehen kann. Erst macht man sich Sorgen und dann bekommt man Angst um ihn.
Mehr sag ich nicht. 😊

Das neue Buch von Lize Spit ist klein aber intensiv und macht deutlich, dass Kindersorgen keine Lappalien sind und man hinschauen sollte.

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Veröffentlicht am 27.02.2024

Ein richtig gutes Buch

Der Stich der Biene
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Fast hätte ich es vergessen, aber dieses Buch hat mich wieder daran erinnert, wie toll es ist, dicke Schinken zu lesen. Man taucht ein und ist weg, ganz weit weg, sehr lange. Man hat alle Zeit der Welt, ...

Fast hätte ich es vergessen, aber dieses Buch hat mich wieder daran erinnert, wie toll es ist, dicke Schinken zu lesen. Man taucht ein und ist weg, ganz weit weg, sehr lange. Man hat alle Zeit der Welt, andere Leben mitzuleben.

Dabei geht es hier gar nicht mal um eine ganz große Geschichte. Da ist nur die Familie Barnes, die versucht mit sich und der Wirtschaftskrise fertigzuwerden. Das Autohaus von Dickie Barnes steht kurz vor dem Konkurs. Und während seine Frau Imelda zähneknirschend ihre Designerklamotten verkauft, versucht Dickie endlich sich selbst zu finden. Er hatte niemals vor, Autoverkäufer zu werden. Allerdings hatte Imelda niemals vor, Dickies Frau zu werden. Ihre Tochter Cass sieht ihre Pläne, in Dublin zu studieren, platzen und findet, dass Drogen sehr wohl eine Lösung sind. Und der kleine PJ kann plötzlich machen was er will, weil alle mit sich selbst beschäftigt sind.

Wir nehmen hier jeden einzelnen Blickwinkel ein, lernen alle Familienmitglieder kennen und sogar verstehen, kommt ihnen sehr nahe, obwohl man anfangs denkt, dass eigentlich niemand so besonders interessant ist.

Dieses Buch ist intensiv, analysiert messerscharf und ist dabei auch noch hoch komisch. Ich habe den fetten Schinken sehr langsam gelesen, weil ich nahezu jeden Satz genossen habe. Paul Murray ist der König der treffenden Vergleiche.

„Als seine Hobbys nennt er Selbstmordgedanken und Boccia."

Solche Sätze sind schlicht, aussagekräftig und unfassbar originell. Das Lesen ist ein einziges Vergnügen.

Was als schwierige Situation beginnt, entwickelt sich. Gegen Ende hat nicht jeder die perfekte Lösung gefunden, aber dazugelernt haben alle. In einem furiosen Showdown kommen alle Fäden zusammen, holen aus zum großen Finale mit Hörnern, Pauken und Trompeten. Der Schluss ist ein klein wenig hinterhältig, aber auf jeden Fall ganz großes Kino.

Ich bin beeindruckt und ein bisschen traurig, dass es vorbei ist. Das schaffen nur richtig gute Bücher.

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Veröffentlicht am 24.02.2024

Eiskaltes Verwirrspiel

Arctic Mirage
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Im Grunde kann man alles über dieses Buch sagen und hat recht. Es ist sperrig, sperrt sich aber auch gegen jede Erwartungshaltung und ist damit dann wieder durch und durch überraschend.

Der Prolog klärt ...

Im Grunde kann man alles über dieses Buch sagen und hat recht. Es ist sperrig, sperrt sich aber auch gegen jede Erwartungshaltung und ist damit dann wieder durch und durch überraschend.

Der Prolog klärt direkt das Thema. Das wird kein Wohlfühlroman.

Karo und Risto hatten einen Autounfall und landen im Hotel Arctic Mirage im tiefsten Lappland. Da gibt es nichts außer viel Schnee und ein paar Touristen. Grundsätzlich müsste es doch toll sein, im Luxushotel zu stranden, aber die Atmosphäre ist unterschwellig gruselig und eiskalt.

Alle scheinen sich seltsam zu verhalten, das Hotelpersonal, der Arzt, die Nachbarn, aber auch Karo und Risto selbst. Früher oder später fragt man sich: Sind hier alle verrückt und haben Wahrnehmungsstörungen oder habe ich was überlesen? Auch die Einblicke in die Vergangenheit der Figuren sorgen nicht für ein klareres Bild.

Die Geschichte ist undurchsichtig, lädt zum Rätseln ein und spielt auch mit den Lesern, manipuliert uns, ärgert uns, verwirrt uns. Man wähnt sich in einem Psychothriller: Einer stirbt und jemand ist verrückt. Wer hier verrückt ist, müssen wir herausfinden, oder irren wir uns selbst?

Das Buch hat mich zu großen Teilen verwirrt und auch geärgert. Es hat reichlich Nebenarme, deren Nutzen man anzweifeln kann, aber am Ende bin ich überwiegend aufgewühlt und beeindruckt.

Es entwickelt eine ganz eigene Art Sogwirkung, ist nicht mein neues Lieblingsbuch, aber auf jeden Fall ein sehr besonderes Erlebnis.

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