Wohlfühlort, Selbstakzeptanz und Herzklopfen
Wie Wellen im SturmGanz ehrlich: Ich hätte dieses Buch vermutlich nicht so bald nach Erscheinungstermin gelesen, wäre der Schauplatz nicht ein verdammtes Internat an der Nordsee. Ich meine: Internatsstorys haben eben einfach ...
Ganz ehrlich: Ich hätte dieses Buch vermutlich nicht so bald nach Erscheinungstermin gelesen, wäre der Schauplatz nicht ein verdammtes Internat an der Nordsee. Ich meine: Internatsstorys haben eben einfach was, okay? Dahingehend enttäuscht "Wie Wellen im Sturm" auch nicht. Der Strand macht das Setting zu einem Ort, an den man sich gerne hinträumt – und die vielen interessanten, lieben Personen machen Schloss Mare auch sonst zu einem Wohlfühlort. Ob es die Fußballmannschaft ist, die „Queer & Friends“-AG oder Tari: Nicht nur Louise, sondern auch die Leserinnen heißt die Schule willkommen. Dementsprechend freue ich mich auch sehr, dass die Folgebände sich auf einige dieser anderen Figuren konzentrieren werden. Besonders darauf, ein Buch mit Tari als Hauptperson lesen zu dürfen, hoffe ich sehr.
Ich habe mich also vor allem in Nebencharaktere und das Umfeld verliebt. Dennoch ist natürlich Lou der eigentliche Mittelpunkt der Geschichte. Ich gehe davon aus, dass sie für viele Leserinnen ein sehr nachvollziehbarer Charakter ist – so auch für mich. In vielen Punkten habe ich mich selbst in ihren Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen wiedererkannt, egal ob es um ihre Liebe für Fantasy geht, die Angewohnheit, Dinge unnötig zu überdenken oder auch die wohlbekannten Kopfhörer.
Andere Züge ihrer Figur haben dann auch mal das Gegenteil bewirkt. So ist die Tatsache, dass es ihr (zumindest zu Anfang) schwerfällt, sich unter ihren Mitschülerinnen zurechtzufinden, oft in Richtung „ich bin nicht wie andere Mädchen“ abgedriftet. Wenn man ihre Vergangenheit in dieser Hinsicht, die Art, wie sie von ihrem Umfeld behandelt wurde, bedenkt, so finde ich diese Gedanken zwar durchaus verständlich. Dass sie aber letztlich kein sonderlich gesunder oder fairer Weg sind, damit umzugehen, sollte aber auch klar sein. Dementsprechend hat mich das Fehlen einer kritischen Auseinandersetzung, einer Reflexion und Charakterentwicklung hier doch ein Stück weit gestört.
Alles in allem ist Louise aber eine sympathische für diese Geschichte geeignete Protagonistin. Ihre Figur besitzt verschiedene Seiten und Ebenen. Sie alle sind irgendwo charakteristisch für das Genre Jugendbuch und gleichzeitig haben sie einen eigenen Lou-Touch. Ihren Weg ins Internet, in die Fußballmannschaft, die sich entwickelnde Beziehung zu Mika etc. – das alles mit Lou zu durchleben, war schön. Irgendwie hat sich ihre Figur auf den ersten Blick kaum weiterentwickelt, irgendwie aber doch. Denn Wie Wellen im Sturm zeigt in erster Linie ihren Weg zur Selbstakzeptanz - und wie das neue Umfeld ihr dabei hilft.
Im Übrigen werden im Rahmen der eigentlichen Handlung immer wieder Schnipsel aus der von Lou selbst geschriebenen Fantasygeschichte eingeworfen. Ich würde es nicht unbedingt als zustätzlichen Spannungsbogen bezeichnen. Allerdings bringt dieser Aspekt sicherlich noch eine andere Ebene in das Buch. Die Abenteuer (und Liebesgeschichte) einer Drachenreiterin und einer Prinzessin wächst nicht nur als solche ans Herz. Sie fungiert auch fast als fantastische Metapher für Louises Innenleben. Die von ihr geschriebene Figur Kimari, die wir bereits auf Seite eins kennenlernen, hilft Lou, sich selbst zu reflektieren. Sie ist ihr Vorbild und ihre Beraterin und irgendwie auch sie selbst. Das verleiht "Wie Wellen im Sturm" noch eine zusätzliche Prise Herzenswärme und Humor.
Dabei fehlt es besonders an Ersterem nicht. Immerhin enthält die Liebesgeschichte bereits Einiges an Herzklopfen. Nein, es war nicht das Berührendste, Tiefgründigste, das ich je gelesen habe. Ja, die unnötige Abneigung zu Beginn hat mich genervt. Aber es ist eben auch so, dass ich automatisch gelächelt habe, als sich die Lovestory Stück für Stück entwickelt hat. Es ist auch so, dass ich - Spoiler - glücklich gegrinst habe, als Mika doch plötzlich vor Lous Tür stand - Spoiler Ende.
Ich sehe dabei auch, dass einige Handlungspunkte oder Interaktionen konstruiert und beabsichtigt wirken. Um ehrlich zu sein hat mich das manchmal auch aus meinem Lesefluss rausgeholt. Die Geschichte geht zum Teil doch sehr in Richtung heile Welt und baut zugleich unnötige, oder zumindest unauthentische, vorhersehbare Konflikte auf. Andererseits: Es handelt sich immer noch um ein Jugendbuch und um eine Liebesgeschichte. Dass hier der Unterhaltungswert, der Wohlfühlfaktor etc. an erster Stelle stehen und ich nicht alles zu einhundert Prozent nachvollziehen muss, ist absolut okay. Alterstechnisch können jüngere Leserinnen wohl noch stärker mitfühlen und -fiebern. Doch wie gesagt: Ich hatte eine gute Zeit und am Lesen zumeist sehr viel Freude.
Mein Fazit:
Mit "Wie Wellen im Sturm" habe ich mein erstes Buch von Alicia Zett gelesen und ich gehe davon aus, dass es nicht das einzige bleiben wird. Mindestens die übrigen Bände dieser Wohlfühlreihe muss ich nach der guten Zeit, die ich hier (trotz einzelner Kritikpunkte) mit Lou, Mika und Co. verbringen durfte, eigentlich noch lesen.