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Veröffentlicht am 28.05.2017

Erschreckend, aktuell und wahnsinnig gut erzählt – die „Bienen“ überzeugen auf ganzer Linie!

Die Geschichte der Bienen
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Beim Lesen des Klappentextes von Maja Lundes „Die Geschichte der Bienen“ wusste ich schon, dass ich da ein gutes Buch in den Händen halte. Aber dass es so gut wird, hätte ich dann doch nicht gedacht! Dieses ...

Beim Lesen des Klappentextes von Maja Lundes „Die Geschichte der Bienen“ wusste ich schon, dass ich da ein gutes Buch in den Händen halte. Aber dass es so gut wird, hätte ich dann doch nicht gedacht! Dieses Buch erzählt von drei Personen, die zunächst scheinbar nichts zu verbinden scheint: William, ein mit Depressionen gebeutelter Biologe und Besitzer eines kleinen Samenhandels im Jahr 1852; George, ein Imker, 2007; und die auf den Feldern als Bestäuberin arbeitende Tao, 2098. Doch eines verbindet diese drei Charaktere dann doch: die Bienen.

William lebt mit seiner Familie in bescheidenen Verhältnissen, seine sieben Töchter und ein Sohn machen es ihm auch nicht gerade einfacher. Einer Idee von seinem Sohn folgend, lässt er aber eines Tages seine Depression hinter sich und ist bemüht, das in die Brüche gehende Samen- und Blütengeschäft wieder florieren zu lassen und nebenbei noch an seinem privaten Projekt zu arbeiten – eine Standardbeute (ein Bienenstock) für Imker und Forscher zu entwickeln, die es einem erlaubt, tiefe Einblicke in die Welt der Bienen und ihre Hierarchie zu bekommen. Doch dieses Vorhaben ist ihm zunächst nicht vergönnt, denn erst muss er einige Rückschläge überwinden, bevor er durch einen Tipp seiner jüngsten Tochter schließlich die ausschlaggebenden Änderungen einführen kann und so möglicherweise die Imkerei einen ganzen Schritt nach vorne bringt.

George lebt in mit seiner Frau in Ohio und ist Imker. Sein Sohn studiert Literatur, was George gar nicht gefällt, das er doch schließlich einmal den Imkerbetrieb übernehmen soll. Zu alledem ist er auch noch Vegetarier und Georges Meinung nach übertrieben an der Umwelt interessiert. Sturkopf George hat bereits vom Colony Collapse Disorder (CCD), auch als Bienensterben bekannt, gehört, das seine Kreise wohl aber nur im Norden Amerikas ziehen soll. Doch als eines schönen Tages auch sein Betrieb Opfer von CCD wird, fällt sein ganzes Leben zusammen wie ein Kartenhaus und die Existenz seiner Familie scheint zerstört. Zusammen mit seinem Sohn beginnt er, im Eiltempo neue Beuten zusammenzuzimmern, aber die Angst, dass alle Bienen auf lange Sicht verloren sind, steckt ihm in den Knochen.

Tao, eine Bestäuberin in China, klettert seit sie klein ist Tag für Tag auf Bäume, um diese mit der Hand zu bestäuben. Das Essen ist knapp, Fleisch wird schon lange nicht mehr produziert, die Weltbevölkerung scheint kollabiert. Seit die Bienen Anfang des 21. Jahrhunderts nach und nach ausgestorben sind, sind auch mehr und mehr Lebensmittel von unserer Speisekarte verschwunden und selbst die einfachsten Dinge sind nicht mehr zu bekommen. Um über diese Situation Herr zu werden, werden nun Bäume, Büsche und Blumen von vielen Arbeitern per Hand bestäubt, damit die verbliebenen Menschen wenigstens etwas zu essen bekommen. Als ihr Sohn Wei-Wen eines Tages bei einem Ausflug einen allergischen Schock bekommt und abtransportiert wird, beginnt sich Tao Fragen zu stellen und reist in die Hauptstadt, um nach ihm zu suchen. Dabei findet sie allerdings nicht nur verlassene Bezirke und ausgehungerte Menschen, sondern auch ein Stückchen Wahrheit.



Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: http://killmonotony.wordpress.com

Veröffentlicht am 28.05.2017

Spannend, blutig, kriminell, gefüllt mit Metaphern und nüchtern sowie wundervoll erzählt!

Der Dieb
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Ein wunderbares 200-Seiten Büchlein mit einer wahnsinnigen Story: Protagonist ist ein Taschendieb in Japan, der seinen Kick daraus bekommt, Leuten ihre Portemonnaies aus der Tasche zu ziehen. Wir erfahren ...

Ein wunderbares 200-Seiten Büchlein mit einer wahnsinnigen Story: Protagonist ist ein Taschendieb in Japan, der seinen Kick daraus bekommt, Leuten ihre Portemonnaies aus der Tasche zu ziehen. Wir erfahren von seinem alltäglichen, riskanten Leben, immer auf der Hut, immer auf der Jagd. Nach und nach bekommen wir auch Einblicke in seine früheren Machenschaften: Durch einen Zufall gerät er ins Visier einer kriminellen Gruppierung, die ihn kurzerhand für einen bewaffneten Raubüberfall einspannt. Nicht begeistert, aber etwas verunsichert wegen der Gefahr, die ihm jetzt möglicherweise droht, macht er einfach das, was von ihm erwartet wird. Doch der Überfall wird zum Mord und auch einige Zeit später hängt dieser Vorfall ihm noch im Gedächtnis. Er macht sich Gedanken um seine damaligen Mittäter und um eine Frau, die er früher einmal gekannt hat, die aber auch verschwunden ist. Er reflektiert viel über sein Leben, was er in völliger Einsamkeit führt, bis er eines Tages eine Frau und ihren kleinen Sohn beobachtet, die im Supermarkt Lebensmittel mitgehen lassen. Aus einem Instinkt heraus warnt er sie, dass sie vom Ladendetektiv gesehen wurden, und von da an begegnet er dem kleinen Jungen immer öfter, immer mit einer Einkaufsliste seiner Mutter, was zu stehlen ist. Kurzentschlossen und widerwillig nimmt unser Protagonist ihn unter seine Fittiche, zeigt ihm wie es richtig geht und weist ihn väterlicherweise auch an, zukünftig nicht mehr zu stehlen. Doch der Junge bleibt hartnäckig und entwickelt ein Vertrauen ihm gegenüber und erzählt von seinem Zuhause. Da unser Protagonist erneut von der kriminellen Gruppierung (vielleicht sogar die Yakuza?) gezwungen wird, mehrere Dinge für sie zu erledigen, trennen sich hier die Wege der beiden. Doch die To-Do-Liste erscheint nur auf den ersten Blick als machbar…


Die komplette Rezension findet ihr auf meinem Blog: http://killmonotony.wordpress.com

Veröffentlicht am 28.05.2017

Ein weiteres Kapitel im Leben Nothombs, wieder einmal fulminant erzählt!

Mit Staunen und Zittern
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Ein weiteres Amélie Nothomb Buch! Und was für eins! Amélie erzählt von ihrer Rückkehr nach Japan, wo sie nach dem Studium (gibt es über diese Zeit auch einen Roman?) ihren ersten Job bekommt – als Dolmetscherin ...

Ein weiteres Amélie Nothomb Buch! Und was für eins! Amélie erzählt von ihrer Rückkehr nach Japan, wo sie nach dem Studium (gibt es über diese Zeit auch einen Roman?) ihren ersten Job bekommt – als Dolmetscherin in einem riesigen Unternehmen. Doch was sie letztendlich für Arbeiten erledigen muss, grenzt an Quälerei – so nötigt sie einer Ihrer Vorgesetzten doch, immer wieder einen Stapel Papiere neu zu kopieren, weil diese nicht ordentlich zentriert seien. Sie verrückt die Kalendermarker im gesamten Büro, sorgt dafür, dass jeder seinen bevorzugten Kaffee zur bevorzugten Uhrzeit bekommt, und am Ende landet sie sogar beim Toilettenputzen. Doch so sei das nun mal in Japan, wie sie nicht müde wird zu erzählen. Alle werden von den Gepflogenheiten der japanischen Kultur dazu genötigt, sich klein zu machen, bloß nicht selbständig zu handeln, Ehre und Ordnung sind alles.

Die Tage verstrichen, und noch immer war ich zu nichts nütze. […] An meinem Schreibtisch sitzend, las und las ich immer von neuem die Schriftstücke, die Fubuki mir [am ersten Tag] zur Verfügung gestellt hatte. […] An und für sich hatten diese [Schriftstücke] nichts wirklich Faszinierendes. Aber für den Ausgehungerten wird schon eine Brotrinde zur Delikatesse: In dem Zustand untätiger Entkräftung, in dem mein Gehirn sich befand, schien mir diese Liste vor Spannung zu knistern wie ein Skandalmagazin.

Mit ihrem typischen Erzählstil berichtet Nothomb in „Mit Staunen und Zittern“, wie sie sich mit ihren jungen Jahren in ihre Heimat zurückgezogen hat und dort mit den Umgangsformen, Gebräuchlichkeiten und kulturellen Eigenheiten in ihrem Berufsumfeld klarkommen muss. Amélie, frech wie immer, versucht das Beste aus ihrer Situation zu machen, indem sie sich immer neue Tätigkeiten auf der Arbeit sucht, damit niemandem auffällt, dass sie eigentlich fürs Nichtstun bezahlt wird. Da ihr, eingestellt als Dolmetscherin, verboten wurde, Japanisch zu reden, ja sogar zu verstehen, bleibt ihr nichts anderes übrig, als kleine Tätigkeiten zu machen, um sich aber doch noch als würdig zu erweisen.

Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: http://killmonotony.wordpress.com

Veröffentlicht am 28.05.2017

100 Seiten zwischen Bestreben zur Normalität, Monotonie und Wahnsinn

Die Taube
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Patrick Süskind schafft hier ein kleines Wunderwerk: Auf 100 Seiten erzählt er von einem schicksalsträchtigen Tag im Leben des Jonathan Noel, der seit 30 Jahren zurückgezogen und für sich in einer klitzekleinen ...

Patrick Süskind schafft hier ein kleines Wunderwerk: Auf 100 Seiten erzählt er von einem schicksalsträchtigen Tag im Leben des Jonathan Noel, der seit 30 Jahren zurückgezogen und für sich in einer klitzekleinen Ein-Zimmer-Wohnung lebt. Begegnungen mit Nachbarn und Mitbewohnern des Hauses meidend, ist er gern allein und hat seine Ruhe. Er geht einem relativ langweiligen Job als Wachposten einer Bank nach, bei dem nichts tut, außer den ganzen Tag auf einer Treppe vor ebendieser positioniert zu stehen. Sein geordnetes Leben und seine innere Ruhe und vor allem seine Monotonie werden eines Tages jedoch zerstört, als er auf dem Weg zur Etagen-Toilette eine Taube vor seiner Tür stehend vorfindet. Mit ihren „toten, blicklosen“ Augen schaut sie ihn an und die Panik über das hereingebrochene Chaos durchfährt ihn blitzartig. Immer tiefer driften seine Gedanken in eine Richtung ab, die nicht mehr normal erscheint, die Taube wird zum Symbol für Anarchie und Chaos. Er schafft es gerade noch zur Arbeit, scheinbar von Pech und Unglück verfolgt, mit dem festen Vorhaben im Kopf, nie wieder zurückzukehren, sein Apartment zurückzulassen, da „dort, wo eine Taube lebt, kein Mensch mehr leben kann“.

Eine kleine Reise durch die Gedankenwelt eines Mannes, dessen Leben durch das Erscheinen einer Taube komplett durcheinander geworfen wird. Eine sehr entzückende Geschichte, die trotz ihrer Kürze, die uns das Gedankegewirr offenlegt, das uns befallen kann, wenn es zu einer unerwarteten Situation kommt. Man hegt trotz seiner Verrücktheit Sympathien für den Protagonisten, der zwar den Clochard um seiner Freiheit willen in gewissen Situationen beneidet, aber doch stets zu seinem gewohnten Trott, seinem behüteten Leben zurückkehrt.

Diese und andere Rezensionen findet ihr auf meinem Blog: http://killmonotony.wordpress.com

Veröffentlicht am 19.08.2018

Bedrückend, unangenehm, dystopisch — „Vox“ ist zugespitzt, aber dennoch realistisch!

Vox
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Vermutlich begegnet euch Christina Dalchers „Vox“ aktuell auf vielen Blogs und überall in den sozialen Medien. Dieses Buch wird mit der Message „Der Roman, den jede Frau lesen muss“ geliefert und hat auch ...

Vermutlich begegnet euch Christina Dalchers „Vox“ aktuell auf vielen Blogs und überall in den sozialen Medien. Dieses Buch wird mit der Message „Der Roman, den jede Frau lesen muss“ geliefert und hat auch mich neugierig gemacht. Das Setting ist ein Amerika in nicht allzu ferner Zeit, in der Frauen Wortzähler um die Handgelenke haben, die exakt 100 Wörter pro Tag erlauben. Alles, was über diese 100 Wörter hinaus gesprochen wird, wird mit Stromschlägen bestraft. Die Frauen sollen dadurch gefügig gemacht werden und durch diese Art der Züchtigung auch lernen, keine Kritik am System zu üben. In Dalchers Zukunftsvision haben Frauen zudem ihren festen Platz im Haushalt, bevorzugt in der Küche, wo sie sich um das leibliche Wohl ihrer Familie kümmern. Kindern wird bereits in der Schule ein verzerrtes Bild indoktriniert, in dem die Frau nichts zu sagen hat. Und warum sollte sie auch sprechen? Es stehen sowieso nur 100 Wörter zur Verfügung. In diese Welt wird Jean katapultiert, nachdem sie ungläubig das politische Geschehen im Fernsehen verfolgt. Nach und nach verschwinden die Frauen aus den Reihen der Regierenden und Meinungsgeber, nach und nach etabliert sich ein System, bei dem niemand damit gerechnet hätte, dass „die“ damit durchkommen. Die, das sind all die bösen männlichen Politiker, die Frauen wieder an den Herd verbannen möchten. Die einzige Frau, die sich gegen diese Veränderungen aufzulehnen scheint, ist Jeans Uni-Freundin Jackie, die in Talkshows auftritt, in Debatten für das Recht der Frauen protestiert, mit aller Macht dagegen ankämpft. Doch eine Frau reicht leider nicht aus, um diesen Irrsinn zu stoppen, und so geschieht, was viele nicht sehen wollten: Ein totalitärer Staat entsteht.

"Ich habe wohl nicht geglaubt, dass es passieren würde. Keine von uns."

Christina Dalcher legt mit „Vox“ einen erschütternden Roman vor, der stellenweise mehr Thriller als Gesellschaftskritik ist. Und das Buch ist tatsächlich so wichtig, wie seine Marketingkampagne uns mitteilt: Durch Trumps Position in den USA werden die Stimmen aus dem Bible Belt, die früher vielleicht als hinterwäldlerisch verschrien worden wären, immer lauter. Frauen gehören an den Herd und sollen am besten schon früh verheiratet werden, so tönt es aus dem Süden, und mir rollen sich da wie vermutlich jedem von uns die Zehennägel hoch. Dalcher hat diese Vision überspitzt wahr werden lassen und unsere Protagonistin Jean zusammen mit ihrer Familie mitten in den Wahnsinn geschmissen. Während ihr Mann seinen alten Job ausführen darf, darf Wissenschaftlerin Jean brav das Haus schrubben. Ihr Sohn Steven blüht unter der grenzwertigen Schulbildung nahezu auf und bringt spannende Weisheiten mit nach Hause, wie beispielsweise die „Tatsache“, dass Männer und Frauen bereits rein biologisch dazu ausgelegt sind, für bestimmte Dinge geeignet zu sein. Steven entwickelt sich unter der „kulturellen“ Erziehung innerhalb der Schule mehr und mehr zu einem Monster, dem nicht nur Jean eine zimmern möchte. Jeans Tochter Sonia hingegen verkümmert. Sie spricht freiwillig kaum bis gar nicht und nachdem sie gesehen hat, wozu die Armbänder fähig sind, ist ihr junges Leben stets von Angst diktiert. Während die Autorin sich also reichlich Zeit für die Kinder Jeans nimmt, wirken sie und ihr Mann fast schon leblos, wie Marionetten. Auch Jeans Affäre scheint irgendwie nur den Sinn zu erfüllen, dass in Jean der Wunsch auszubrechen erweckt wird. Das finde ich richtig schade! Gerade Jean, die in die Fußstapfen von Winston Smith (1984) und Bernard Marx (Brave New World) tritt, sollte etwas runder dargestellt werden. Dennoch ist „Vox“ sehr spannend zu lesen, man fliegt förmlich durch die Seiten. Besonders, als Jean aufgrund eines Schlaganfalls des Präsidenten (oder war es jemand anders?) nämlich ihren Job unter verschärften Bedingungen wieder ausüben darf, um ein Heilmittel für die beschädigten Hirnzellen, die das Sprachzentrum angreifen, zu entwickeln…

Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: https://killmonotony.de/rezension/100woerter-christina-dalchers-vox