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Veröffentlicht am 12.02.2024

Lesenswerte Familien- und Dorfgeschichte

Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht
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Der Buchtitel mutet in seiner Länge etwas merkwürdig an, sollte aber nicht vom Lesen des Buches abhalten. Es handelt sich um eine wirklich lesenswerte Familien- und Dorfgeschichte, die 1994 in einem Kärntner ...

Der Buchtitel mutet in seiner Länge etwas merkwürdig an, sollte aber nicht vom Lesen des Buches abhalten. Es handelt sich um eine wirklich lesenswerte Familien- und Dorfgeschichte, die 1994 in einem Kärntner Dorf am Fuß der Karawanken angesiedelt ist und in der Rückschau auch die davor liegenden Jahre einbezieht. Erzählt wird alles von einem 11jährigen Mädchen, das viel lieber ein Junge wäre und sich entsprechend benimmt und ausschaut. Anlässlich des Umzugs seiner Familie aus dem eigenen Gasthof sitzt es unter einem der Umzugs-LKWs und beobachtet die zahlreichen Umzugshelfer aus der Familie und der Dorfgemeinschaft. Zu jedem weiß es erstaunliche Geschichten zu erzählen, die sich für den außenstehenden Leser zu einem Besorgnis erregenden Bild über Kärnten zusammenfügen. Anstelle eines Dorfidylls wird uns von einem Haufen braun Gesonnener berichtet, von Burschenschaften und Landjugend, von dem Vater der Erzählerin und seinem Stolz auf geerbten Mutterorden und Ariernachweis sowie seinem Hang zur Gewalt gegenüber seinen Kindern, der Vertuschung eines Unglücks, das die Erzählerin noch über Jahre nicht loslässt. Es wundert jedenfalls nicht, dass sie misstrauisch beäugt wird. Der Erzählstil ist nicht unbedingt der Sprache eines Kindes angepasst, ist aber in seiner Mischung aus Sachlichkeit und feinem Humor gut gelungen. Das Tüpfelchen auf dem i sind für mich die vielen eingestreuten Dialoge und Begriffe in Kärntner Dialekt, die alle Personen so authentisch wirken lassen.

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Veröffentlicht am 08.02.2024

Der Traum von der ewigen Jugend wird wahr

Wir werden jung sein
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Der Name des Autors verspricht lesenswerte Literatur. So ist jedenfalls meine Erfahrung bei seinen Romanen „Der Held vom Bahnhof Friedrichstrasse“ sowie „Wo wir zu Hause sind“ und jetzt erneut bei seinem ...

Der Name des Autors verspricht lesenswerte Literatur. So ist jedenfalls meine Erfahrung bei seinen Romanen „Der Held vom Bahnhof Friedrichstrasse“ sowie „Wo wir zu Hause sind“ und jetzt erneut bei seinem neuesten Buch.
In ihm greift er ein Thema auf, das uns schon seit Menschen Gedenken beschäftigt – der Traum von der ewigen Jugend. Die medizinische Forschung zur biologischen Verjüngung, betrieben von einem Professor der Berliner Charité, verzeichnet nun tatsächlich erfolgreiche Ergebnisse; vier an einer Herzmuskelschwäche erkrankte Probanden, denen im Rahmen einer Medikamentenstudie ein neues Präparat verabreicht wird, werden als Nebenwirkung immer jünger. Das verändert erst ihr Leben drastisch und rasant, hat aber auch weltweite politische, gesellschaftliche und moralische Auswirkungen. Zu den verschiedenen Aspekten erhalten die vier Patienten, der Professor und eine Ethikerin abwechselnd das Wort, so dass die Problematik umfassend dargestellt wird. Das geschieht keinesfalls in einer trockenen Abhandlung, sondern sehr lebendig und mit feinem Humor. Ganz nebenbei werden weitere interessante Themen behandelt, die vom Autor gut recherchiert wurden, wie z.B. der Schwimmleistungssport oder die Kinderwunschtherapie.
Das Buch kann ich jedem empfehlen.

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Veröffentlicht am 28.01.2024

Gesellschaftlich wichtige Thematik

Weiße Wolken
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Schade, Inhaltsangabe, farbenfrohes Buchcover sowie der seltenerweise sogar im Text aufgegriffene und erläuterte Buchtitel hatten in mir die Erwartung geweckt, einen zum Nachdenken anregenden, anspruchsvollen ...

Schade, Inhaltsangabe, farbenfrohes Buchcover sowie der seltenerweise sogar im Text aufgegriffene und erläuterte Buchtitel hatten in mir die Erwartung geweckt, einen zum Nachdenken anregenden, anspruchsvollen Roman geliefert zu bekommen. Leider weit gefehlt. Ansprüche stellte der Text an mich nur insoweit, als dass ich ihn aufgrund der gewählten Sprache über weite Strecken hinweg gar nicht verstehen konnte. Es wimmelt in ihm nur so von Anglizismen und modernen (in der Sprache der Autorin „hippen“) Begriffen, die mir als Leserin Ende fünfzig schlichtweg noch nie untergekommen sind. Hinzu kommen die vielen mir unbekannten Namen von Songinterpreten und ihren Songs. Die behandelten Themen Rassismus und Sexismus sind gesellschaftlich wichtig, werden m.E. aber zu einseitig dargestellt. So wundert es nicht, dass das Fazit der sich an diesen Themen abarbeitenden einen Protagonistin dahin geht, dass alle Weißen Rassisten seien. Einzig gefallen hat mir die Passage über die Reise der beiden Schwestern in das Heimatland Senegal ihres Vaters, die allerdings erst im letzten Buchdrittel Raum einnimmt, obgleich nach dem Klappentext doch zu erwarten gewesen wäre, dass es darum im Wesentlichen gehen wird.
Vielleicht spricht das Buch eher eine jüngere Leserschaft an.

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Veröffentlicht am 24.01.2024

Über einen liebenswürdigen alten Kauz mit philosophischen Anwandlungen

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
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Eigentlich gilt der Endsiebziger Heinz Labensky zeit seines Lebens als geistig minderbemittelt. Nur selbst erfundene Geschichten lassen ihn das Leben aushalten und vor allem aber die sich selbst auferlegte ...

Eigentlich gilt der Endsiebziger Heinz Labensky zeit seines Lebens als geistig minderbemittelt. Nur selbst erfundene Geschichten lassen ihn das Leben aushalten und vor allem aber die sich selbst auferlegte Beschützerrolle gegenüber seiner gleichfalls vom Leben bestraften Jugendfreundin Rita. Im Alter dann erhält er Gelegenheit zum Philosophieren, insbesondere sich interessante Gedanken darüber zu machen, ob es besser ist, die manchmal schonungslose Wahrheit ans Licht zu bringen oder mit Luftschlössern zu leben. Anlass ist ein Brief von der Tochter der vermeintlich toten Rita, in dem sie ihn zu ihren Eltern befragt. Heinz macht sich kurzerhand im Flixbus auf den Weg zur Tochter. Unterwegs sinniert er über sein Leben und erzählt er Mitreisenden haarsträubende Episoden aus seinem Leben in der DDR.
Dieser Roman hat mir sehr gut gefallen. Allein schon die Zeitreise durch die DDR-Vergangenheit vermittelt viele Informationen, die einem wie mir nicht dort groß gewordenen Leser bis dato eher unbekannt waren. Das geht etwa von speziellen DDR-typischen Gegenständen über sich dort eingebürgerte Abkürzungen bis hin zu den dubiosen Bespitzelungen ihrer eigenen Bürger und wichtiger westdeutscher Personen der Stasi. Das Tüpfelchen auf dem i sind aber die Fabulierkünste des Protagonisten. Hier bleibt der Leser bis zum Ende im Unklaren, ob die Geschichten wahr sind oder nur der Fantasie von Heinz entspringen. Denn kann er – weltfremd und naiv – tatsächlich ein solches Leben geführt haben?
Der Roman ist sehr unterhaltend und erhält von mir eine volle Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 01.01.2024

Eine gelogene oder eine wahre Lebensgeschichte?

Das Philosophenschiff
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Von Michael Köhlmeier habe ich bislang nur seinen Roman „Frankie“ gelesen. Schon dieser hat mir gut gefallen; und jetzt erneut der vorliegende, obwohl er so ganz anders ist. Hier wird der Schriftsteller ...

Von Michael Köhlmeier habe ich bislang nur seinen Roman „Frankie“ gelesen. Schon dieser hat mir gut gefallen; und jetzt erneut der vorliegende, obwohl er so ganz anders ist. Hier wird der Schriftsteller Micha (der mit der Person des Autors identisch sein könnte) von einer 100jährigen Stararchitektin gebeten, deren bislang unbekannt gebliebene Lebensgeschichte in Romanform niederzuschreiben. Einige persönliche Treffen und die Recherchen des Auftragnehmers ergeben ein beachtliches Lebensportrait der Auftraggeberin: Sie wuchs als Kind intellektueller, mit den Revolutionären sympathisierender, jüdischer Eltern im bolschewistischen Russland auf, wo sie Terror und Hungersnöte miterlebte und schließlich mit ihrer Familie auf einem sog. Philosophenschiff auf Lenins Befehl nach Deutschland deportiert wurde. Auf dem Schiff befand sich Lenin persönlich, mit dem sie sich auf der Überfahrt anfreundete.
Der Roman vermittelt so viele historische Kenntnisse aus einer Zeit und einem Land, die nicht unbedingt jedem geläufig, aber äußerst interessant sind. Bei den vielen russischen Personen, die namentlich und ihrer Rolle im Bolschewismus nach – kurz – eingeführt werden, wären Erläuterungen in einem Fußnotentext zum besseren Verständnis hilfreich gewesen. Den Reiz des Romans macht die Mischung aus Fiktion und Wirklichkeit aus, die für den Leser mehr oder weniger leicht zu unterscheiden ist, z.B. hat es die Philosophenschiffe tatsächlich gegeben, während Lenin nicht durch einen Schubs von einem Schiff zu Tode gekommen ist. Dazu passt es gut und ist für mich das Tüpfelchen auf dem i, dass die Auftraggeberin sich gerade an Micha gewandt hat, weil er als ein Schriftsteller bekannt ist, dem man glaubt, wenn er lügt, und nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt.
Anspruchsvolle, zu empfehlende Lektüre.

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