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Veröffentlicht am 22.07.2020

Vier Frauenschicksale in der Zeit der deutschen Wirtschaftswunderjahre

Die Wunderfrauen
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Parallel zum Aufblühen des kriegsgebeutelten Deutschlands ist es auch für vier Frauen, deren Wege sich 1953 im oberbayrischen Starnberg kreuzen, eine Zeit des Neubeginns und Aufbruchs. Luise macht sich ...

Parallel zum Aufblühen des kriegsgebeutelten Deutschlands ist es auch für vier Frauen, deren Wege sich 1953 im oberbayrischen Starnberg kreuzen, eine Zeit des Neubeginns und Aufbruchs. Luise macht sich in der Wohnstube mit einem kleinen Gemischtwarenladen selbstständig; die aus Schlesien vertriebene Marie findet Aufnahme auf dem landwirtschaftlichen Hof von Luises Bruder; die aus einer reichen Schuhfabrikantenfamilie stammende Helga beginnt nach vermasseltem Abitur eine Schwesternausbildung an der renommierten Frauenklinik, deren Chefarzt der Ehemann der vierten Protagonistin Annabel ist. Im Leben aller vier Frauen lief es nicht immer rund. Fehlgeburten, Vergewaltigung, Traumatisierung durch das Nachkriegsgeschehen, Geschwistertod, Langeweile in der Ehe sind grob die sie prägenden vergangenen Vorkommnisse und damit die Themen, die im Buch angesprochen werden. Zu letzteren kommen außerdem eine ganze Menge anderer hinzu – die deutsche Besatzung, das Schicksal der Juden, die Haltung zu behinderten Menschen, das Wiedererstarken Deutschlands, um nur einige zu nennen. Zum Glück wird das meiste nur angerissen, alles andere hätte den Rahmen des Buchs als Unterhaltungslektüre gesprengt. Die Liebe der Autorin zum Detail sorgt dafür, dass sie manches in die Geschichte einflicht, das mir aus Erzählungen typisch für die 1950er Jahre bekannt ist und mir ein schönes Bild der Zeit vermittelt: die allmähliche Telefonvernetzung der Haushalte, der Kauf von Konsumgütern, die Lust am Essen, der deutsche Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft in Bern, die Notwendigkeit der Zustimmung der Ehemänner in die Berufstätigkeit der Frauen. Die Protagonistinnen werden m.E. etwas überzeichnet dargestellt, bei ihnen läuft zu vieles zu rund und einfach. Und nicht immer handeln sie realistisch (Beispiel: Wie kann Helga meinen, mit ihrem kleinen Lernschwesternlohn sich und ihr uneheliches Kind schon durchbringen zu können, vor allem eine Tagesmutter engagieren zu können?).
Ein schöner, sich leicht lesender Unterhaltungsroman ist das Buch allemal. Ob ich es bei diesem einen Band belassen werde oder auch die beiden schon angekündigten Fortsetzungen lesen werde, weiß ich noch nicht.

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Veröffentlicht am 18.07.2020

Träume einer lebenshungrigen Frau im Nachkriegsdeutschland

Ein Traum vom Glück
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Dieser Roman ist der erste Band der von der Autorin so betitelten Ruhrpottsaga, den sie, selbst geboren und aufgewachsen am Rande des Kohlenpotts, in Angriff genommen hat, nachdem die Ära der Steinkohle ...

Dieser Roman ist der erste Band der von der Autorin so betitelten Ruhrpottsaga, den sie, selbst geboren und aufgewachsen am Rande des Kohlenpotts, in Angriff genommen hat, nachdem die Ära der Steinkohle dort endgültig vorbei war. Weil ich selbst aus einer anderen Gegend Deutschlands stamme, war die Geschichte umso interessanter für mich, zumal ich lediglich ein Jahrzehnt später geboren wurde als der Zeitraum, in dem sie angesiedelt ist (1951/52), und ich die Zeit durchaus erinnere.
Protagonistin ist die junge Katharina, die nunmehr seit sechs Jahren mit ihren beiden Töchtern im Hause ihrer Schwiegermutter lebt, nachdem sie zu Kriegsende vor den Russen aus Berlin geflüchtet ist. Ihr Mann gilt immer noch als verschollen. Doch das Ruhrgebiet mit dem ständigen Kohlenstaub möchte sie lieber wieder heute als morgen verlassen, zumal sie dort aufgrund ihrer Lebenslust in der Vergangenheit ihren Ruf als „Schickse“ weghat. Sie arbeitet darauf hin, anderswo ein eigenes Modeatelier zu eröffnen. Doch wird vielleicht die Liebe ihre Pläne durchkreuzen? Mehrere Männer haben nämlich ein Auge auf sie geworfen – ein verheirateter Arzt, der Bruder ihrer besten Freundin, der aus der Gefangenschaft heimgekehrte jüngere Enkel ihrer Schwiegermutter; und dann besteht natürlich noch die Möglichkeit der Rückkehr ihres Mannes.
Recht authentisch mit viel typischem Ruhrpott-Dialekt in den wörtlichen Reden (was für mich sehr ungewohnt klingt) wird uns das Leben in dieser Region vor dem Hintergrund des wirtschaftlich gerade wieder erstarkenden Deutschlands nahe gebracht. Die vom Krieg so gebeutelten Leute machen Konsumanschaffungen auf Raten, richten ihre Häuser wohnlich her. Auch der Bergbau mit seinen Gefahren für die Bergleute und dem Ruf nach Veränderungen spielt in den Schilderungen eine interessante Rolle. Die Rolle von Katharina mag spalten. Einerseits hat sie eine nicht unbedingt moralisch einwandfreie Vergangenheit und fällt mit ihrer Lebensführung natürlich zu ihrer Zeit auf. Andererseits gehört sie zu den vom Krieg benachteiligten jungen Frauen, die ein Nachholbedürfnis haben.
Nachdem dieser Teil ein für mich so unerwartetes Ende nimmt, bin ich auf den für Herbst 2020 angekündigten zweiten Band 2 („Ein Gefühl von Hoffnung“) neugierig

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Veröffentlicht am 04.07.2020

Ein philosophierender Protagonist

Genau richtig
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Der Geschichte ist anzumerken, dass ihr Verfasser Philosophie studiert hat und lange Philosophielehrer war. Denn der Protagonist Albert denkt über große Fragen nach. Er hat gerade erfahren, unheilbar erkrankt ...

Der Geschichte ist anzumerken, dass ihr Verfasser Philosophie studiert hat und lange Philosophielehrer war. Denn der Protagonist Albert denkt über große Fragen nach. Er hat gerade erfahren, unheilbar erkrankt zu sein und schon bald zum Pflegefall zu werden. Um seinem Leben ein Ende zu setzen, begibt er sich in die einsam gelegene Hütte der Familie an einem Waldsee, wo er noch einmal über sein Leben nachdenkt und sich ausführlich mit der Frage befasst, ob die Erde der einzige bewohnte Planet im Weltraum ist und ob der Mensch allein ist.
Das kurze Buch ist schnell gelesen. Spannend bleibt, ob Albert seinen Suizidplan in die Wirklichkeit umsetzt. Das Ende hat eine Überraschung parat.

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Veröffentlicht am 01.07.2020

Eine beeindruckende Protagonistin mit einem tragischen Familienschicksal

Die Marschallin
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Wer etwas bewandert ist in der Ideologie des Kommunismus, vor allem seiner Ausgestaltung in Italien und dem ehemaligen Jugoslawien in der Zeitspanne zwischen Ende des Ersten Weltkriegs und Ende der 1940er ...

Wer etwas bewandert ist in der Ideologie des Kommunismus, vor allem seiner Ausgestaltung in Italien und dem ehemaligen Jugoslawien in der Zeitspanne zwischen Ende des Ersten Weltkriegs und Ende der 1940er Jahre, sowie dem Faschismus unter Mussolini, dem fällt es sicherlich leichter, diesen anspruchsvollen, biografischen Roman zu lesen. Alle anderen – wie auch ich – sollten während der Lektüre des besseren Verständnisses wegen den ein oder anderen Namen oder Ereignis „googeln“. Für alle Leser erschließt sich aber sehr schnell, das die slowenische Protagonistin Zora Del Buono (die Großmutter der Autorin) eine ganz besondere, zutiefst beeindruckende Person ist – mit ihrem süditalienischen Ehemann, einem renommierten Radiologen, ein feudales, großbürgerliches Leben in Italien führend und dennoch völlig dem Kommunismus verhaftet, mit Marschall Tito als großem Vorbild. Bezeichnend ist für Zora, dass sie eigensinnig ist und in ihrer verzweigten Familie das Regime führt und über Ehemann, Söhne, Brüder, Schwiegertöchter „herrscht“, weshalb sie die Marschallin genannt wird. Die manchmal anekdotenähnlichen familiären Ereignisse habe ich am liebsten gelesen, ebenso wie den erst auf S. 317 beginnenden zweiten Hauptteil, in dem Zora in der Gegenwart im Jahr 1980 in ihren Achtzigern verarmt und körperlich angeschlagen in einem jugoslawischen Altenheim lebt und ihr Schicksal sowie das ihrer Familie resümiert. Der erste Hauptteil umfasst die Jahre 1919 bis 1948 und spielt jeweils mit einigen Jahren Abstand an wechselnden Orten in Italien und Jugoslawien, aus der Perspektive unterschiedlicher Personen dargestellt. Hier geht es eigentlich immer um kleinere Szenen, die gerade so viel offen legen, dass sich die großen Zusammenhänge dennoch erschließen.
Ein wirklich lesenswertes Buch.

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Veröffentlicht am 17.06.2020

Die Bandbreite der Themen und Schicksale erschlägt

Gott wohnt im Wedding
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Das Buch ist keine leichte Kost und verdient alle Hochachtung angesichts der in ihm behandelten Themen – Geschichte der Juden und Roma, ihre Verfolgung und Benachteiligung im Dritten Reich, Situation der ...

Das Buch ist keine leichte Kost und verdient alle Hochachtung angesichts der in ihm behandelten Themen – Geschichte der Juden und Roma, ihre Verfolgung und Benachteiligung im Dritten Reich, Situation der rumänischen Roma, Rassismus, Geschichte Israels, Immobilienspekulation. Gerade das aber hat auf mich eine erschlagende Wirkung. Es wurde doch etwas sehr viel in die Geschichte gepackt, so dass es schwer war, konzentriert allem zu folgen, zumal viele Zeitsprünge erfolgen und viele Einzelschicksale behandelt werden, die auch noch miteinander verwoben sind. Die gründliche und gute Recherche der Autorin verdient Lob. Es ist für mich der erste Roman, in dem ich etwas über Roma gelesen habe. Ich habe viel Neues erfahren. Die Darstellung wirkt auf mich oft sehr nüchtern und geben die wörtlichen Reden der Romanfiguren Ansichten wieder, die so aus dem Mund von Politikern oder ihren Interessenvertretern stammen könnten. Auf jeden Fall ist es eine schöne Idee, die Geschichte eines Hauses und seines Stadtviertels sowie seiner Bewohner vom Ende des 19.Jahrhunderts bis in die Gegenwart zu schildern und dabei abwechselnd das Haus selbst und wichtige Bewohner zu Wort kommen zu lassen.

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