Profilbild von uli123

uli123

Lesejury Star
offline

uli123 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit uli123 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.01.2024

Über einen liebenswürdigen alten Kauz mit philosophischen Anwandlungen

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
0

Eigentlich gilt der Endsiebziger Heinz Labensky zeit seines Lebens als geistig minderbemittelt. Nur selbst erfundene Geschichten lassen ihn das Leben aushalten und vor allem aber die sich selbst auferlegte ...

Eigentlich gilt der Endsiebziger Heinz Labensky zeit seines Lebens als geistig minderbemittelt. Nur selbst erfundene Geschichten lassen ihn das Leben aushalten und vor allem aber die sich selbst auferlegte Beschützerrolle gegenüber seiner gleichfalls vom Leben bestraften Jugendfreundin Rita. Im Alter dann erhält er Gelegenheit zum Philosophieren, insbesondere sich interessante Gedanken darüber zu machen, ob es besser ist, die manchmal schonungslose Wahrheit ans Licht zu bringen oder mit Luftschlössern zu leben. Anlass ist ein Brief von der Tochter der vermeintlich toten Rita, in dem sie ihn zu ihren Eltern befragt. Heinz macht sich kurzerhand im Flixbus auf den Weg zur Tochter. Unterwegs sinniert er über sein Leben und erzählt er Mitreisenden haarsträubende Episoden aus seinem Leben in der DDR.
Dieser Roman hat mir sehr gut gefallen. Allein schon die Zeitreise durch die DDR-Vergangenheit vermittelt viele Informationen, die einem wie mir nicht dort groß gewordenen Leser bis dato eher unbekannt waren. Das geht etwa von speziellen DDR-typischen Gegenständen über sich dort eingebürgerte Abkürzungen bis hin zu den dubiosen Bespitzelungen ihrer eigenen Bürger und wichtiger westdeutscher Personen der Stasi. Das Tüpfelchen auf dem i sind aber die Fabulierkünste des Protagonisten. Hier bleibt der Leser bis zum Ende im Unklaren, ob die Geschichten wahr sind oder nur der Fantasie von Heinz entspringen. Denn kann er – weltfremd und naiv – tatsächlich ein solches Leben geführt haben?
Der Roman ist sehr unterhaltend und erhält von mir eine volle Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.01.2024

Eine gelogene oder eine wahre Lebensgeschichte?

Das Philosophenschiff
0

Von Michael Köhlmeier habe ich bislang nur seinen Roman „Frankie“ gelesen. Schon dieser hat mir gut gefallen; und jetzt erneut der vorliegende, obwohl er so ganz anders ist. Hier wird der Schriftsteller ...

Von Michael Köhlmeier habe ich bislang nur seinen Roman „Frankie“ gelesen. Schon dieser hat mir gut gefallen; und jetzt erneut der vorliegende, obwohl er so ganz anders ist. Hier wird der Schriftsteller Micha (der mit der Person des Autors identisch sein könnte) von einer 100jährigen Stararchitektin gebeten, deren bislang unbekannt gebliebene Lebensgeschichte in Romanform niederzuschreiben. Einige persönliche Treffen und die Recherchen des Auftragnehmers ergeben ein beachtliches Lebensportrait der Auftraggeberin: Sie wuchs als Kind intellektueller, mit den Revolutionären sympathisierender, jüdischer Eltern im bolschewistischen Russland auf, wo sie Terror und Hungersnöte miterlebte und schließlich mit ihrer Familie auf einem sog. Philosophenschiff auf Lenins Befehl nach Deutschland deportiert wurde. Auf dem Schiff befand sich Lenin persönlich, mit dem sie sich auf der Überfahrt anfreundete.
Der Roman vermittelt so viele historische Kenntnisse aus einer Zeit und einem Land, die nicht unbedingt jedem geläufig, aber äußerst interessant sind. Bei den vielen russischen Personen, die namentlich und ihrer Rolle im Bolschewismus nach – kurz – eingeführt werden, wären Erläuterungen in einem Fußnotentext zum besseren Verständnis hilfreich gewesen. Den Reiz des Romans macht die Mischung aus Fiktion und Wirklichkeit aus, die für den Leser mehr oder weniger leicht zu unterscheiden ist, z.B. hat es die Philosophenschiffe tatsächlich gegeben, während Lenin nicht durch einen Schubs von einem Schiff zu Tode gekommen ist. Dazu passt es gut und ist für mich das Tüpfelchen auf dem i, dass die Auftraggeberin sich gerade an Micha gewandt hat, weil er als ein Schriftsteller bekannt ist, dem man glaubt, wenn er lügt, und nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt.
Anspruchsvolle, zu empfehlende Lektüre.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.12.2023

Aneinanderreihung von Reflexionen

Die Verletzlichen
0

Eine eigentliche Handlung gibt es in diesem Roman nicht. Vielmehr werden Reflexionen der Ich-Erzählerin (wohl die Autorin selbst) aneinandergereiht, vor allem zum Schreiben und zum Beruf des Schriftstellers, ...

Eine eigentliche Handlung gibt es in diesem Roman nicht. Vielmehr werden Reflexionen der Ich-Erzählerin (wohl die Autorin selbst) aneinandergereiht, vor allem zum Schreiben und zum Beruf des Schriftstellers, aber auch zu gesellschaftlichen Themen. Hier nimmt die im Jahr 2020 gerade aktuell gewesene Pandemie in New York, dem Wohnort der Erzählerin, viel Raum ein. Während der Pandemie hütet die Erzählerin den Papagei einer Freundin in deren Wohnung ein, wo sie auf einen psychisch kranken Studenten trifft.
Das Buch ist ein wahres Goldstück für Literaturfreunde, denn die Erzählerin sinniert sehr viel über berühmte Weltliteraten und den Beruf des Schriftstellers, fügt auch viele Zitate ein. Das alles dominiert sogar, während von dem Zusammentreffen der Erzählerin mit dem jungen Mann erst relativ spät die Rede ist und ihr Zusammenleben im Hintergrund bleibt, wodurch der Leser m.E. getäuscht wird. In ähnlicher Weise hat die Autorin bereits früher ihr Buch „Der Freund“ geschrieben, soweit ich es recht in Erinnerung habe. Ein Plus ist das Cover, auf dem der Ara und eine Hortensie zu sehen ist, die beide im Buch eine Rolle spielen.
Wer besondere Bücher mag und literaturaffin ist, mag zu diesem Buch greifen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.12.2023

Aus Liebe zum Backen und zum Ehemann

Der späte Ruhm der Mrs. Quinn
0

Die Endsiebzigerin Jenny Quinn ist eine passionierte Bäckerin und backt nach alten Familienrezepten. Mit ihnen verbindet sie besondere Erinnerungen aus ihrem Leben, darunter auch sehr schmerzliche. Drei ...

Die Endsiebzigerin Jenny Quinn ist eine passionierte Bäckerin und backt nach alten Familienrezepten. Mit ihnen verbindet sie besondere Erinnerungen aus ihrem Leben, darunter auch sehr schmerzliche. Drei der Rezepte hat sie vor sechzig Jahren in einem Notizheft notiert, das in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielt. Seither hütet sie ein Geheimnis, selbst vor ihrem geliebten Mann Bernie. Im Alter will sie endlich etwas Neues wagen und sie bewirbt sich für eine TV-Backshow, in deren Folge ihr Geheimnis aufgedeckt wird.
Der Roman rund um Jenny, ihre Familie und die Teilnahme an der Backshow liest sich schnell und er ist unterhaltsam. Die Figuren haben etwas typisch Britisches an sich. Jenny und Bernie werden sehr liebevoll dargestellt und sind es auch nach 60jähriger Ehe zueinander. Allerdings ist Bernie vielleicht etwas zu zurückhaltend und verständnisvoll gegenüber seiner Frau, die ja Einiges vor ihm verbirgt. Zwar werden keinerlei Kuchenrezepte eingeführt. Doch sind sie so detailliert und liebevoll beschrieben genau wie die fertigen Kuchen, dass man sich eine gute Vorstellung von dem Gebackenen machen kann und einem das Wasser im Munde zusammenläuft. Allerdings frage ich mich, wer die Unmengen von Kuchen, die Jenny schon immer gebacken hat, in ihrem Zweipersonenhaushalt wohl gegessen haben mag. Gut gefallen haben mir die Rückblicke in die Vergangenheit, zu denen jeweils etwas Gebackenes Anlass gibt. Das Ende der Geschichte ist recht bald voraussehbar.
Alles in allem eine zu empfehlende Lektüre.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.12.2023

Berufsleben einer Journalistin

Die Unbestechliche
0

Maria von Walser, die eine der beiden Autorinnen, ist mir als Moderatorin der Frauenfernsehsendung ML Mona Lisa bekannt. Vor allem der Berichterstattung über Frauen hat sie sich verschrieben. In diesen ...

Maria von Walser, die eine der beiden Autorinnen, ist mir als Moderatorin der Frauenfernsehsendung ML Mona Lisa bekannt. Vor allem der Berichterstattung über Frauen hat sie sich verschrieben. In diesen Rahmen passt treffend der vorliegende Roman, in dem die weitere Autorin Waltraud Horbas die anfänglichen beruflichen Stationen Walsers nachzeichnet. Dabei entspringt durchaus auch einiges der Dichtung. Die Rolle Walsers übernimmt im Roman die junge Alice, deren Berufswunsch von klein auf der der Journalistin ist. Sie arbeitet sich von der Volontärin über Tätigkeiten bei Regionalzeitungen bis hin zum Hörfunk hoch, und das unter aufgrund ihres Geschlechts erschwerten Bedingungen. Denn ihre Karriere startet Ende der 1960er Jahre in einem von Männern dominierten Bereich, noch dazu als Mutter einer kleinen Tochter (später dann – nach Scheidung und erneuter Ehelichung ihres Ex-Mannes noch eines Sohnes). Als Protagonistin finde ich sie unsympathisch und unnahbar. Das liegt wohl daran, dass sie ihrer Karriere ihre Kinder opfert und das Bild einer Rabenmutter abgibt. Die Schilderung ihrer journalistischen Aufträge fand ich nicht gerade aufregend. Interessant fand ich allerdings die den verschiedenen Abschnitten vorangestellten aktuellen Ausblicke auf die politische und gesellschaftliche Lage in Deutschland und in der Welt, wie z.B. den Vietnam-Krieg, die Attentate während der Olympischen Spiele in München oder den Terror der RAF. An Vieles hiervon konnte ich mich noch gut selbst erinnern.
Insgesamt ein mittelmäßiges Buch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere