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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.05.2018

Herausforderung Pflegekindaufnahme

Hinter den Türen
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Während Hera Lind früher für ihre Frauenromane recht bekannt war, legt sie in jüngerer Zeit den Fokus auf gesellschaftskritische Themen. Auf dieser Linie liegt auch ihr aktuelles Werk „Hinter den Türen“, ...

Während Hera Lind früher für ihre Frauenromane recht bekannt war, legt sie in jüngerer Zeit den Fokus auf gesellschaftskritische Themen. Auf dieser Linie liegt auch ihr aktuelles Werk „Hinter den Türen“, das mir in der – leider gekürzten -Hörbuchlesung, gelesen von der Autorin persönlich, vorlag. In ihm geht es um das Thema Aufnahme von Pflegekindern in der eigenen Familie. Die ausgebildete Sozialpädagogin Juliane setzt auf eine Zeitungsanzeige hin alles daran, drei deutsch-thailändische Geschwister – Halbwaisen, mit einer im Koma befindlichen Mutter – als Pflegekinder zugewiesen zu bekommen. Hundertprozentigen Rückhalt hat sie bei ihrem Mann und den eigenen Kindern. Der Weg bis zur In-Pflege-Nahme ist aufgrund bürokratischer Vorgänge hürdenreich, und noch mehr verlangt das Zusammenleben mit den schwer traumatisierten Kindern Juliane ab. Das älteste Mädchen ist eine besondere Herausforderung mit einer hanebüchenen Vergangenheit, wie sich nach und nach herauskristallisiert.
Der Lesung lässt sich sehr gut folgen. Die Autorin liest lebendig, verändert passend ihre Stimme je nach dem, welche Person sie wiedergibt, und passt ihre Stimme der jeweiligen Gefühlslage an. Inhaltlich ist schier unglaublich, was eine sozial eingestellte Familie mit dem Willen, benachteiligten Kindern zu helfen, erleben muss. Die deutsche Behördenstruktur wird zu Recht latent kritisiert. Insbesondere ist es unerhört, wie wenig Unterstützung Juliane von den zuständigen Behörden erfährt und wie diese ihr Vorhaben sogar konterkarieren. Alles mag ein wenig zugespitzt dargestellt sein. Vor allem die zeitlichen Abläufe können nicht immer stimmen. Dennoch hat mich das Buch überzeugt.

Veröffentlicht am 01.05.2018

Über das Leben und Werden als Frau

Die Schönheit der Nacht
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Man muss schon Romane mögen, in denen es wenig Handlung gibt, um Gefallen an diesem neuen Buch der Bestsellerautorin Nina George zu finden. Denn im Vordergrund stehen die Gedanken der Protagonistin Claire, ...

Man muss schon Romane mögen, in denen es wenig Handlung gibt, um Gefallen an diesem neuen Buch der Bestsellerautorin Nina George zu finden. Denn im Vordergrund stehen die Gedanken der Protagonistin Claire, einer bekannten Pariser Verhaltensbiologin, die sich in den Sommerurlaub in ihr Haus in der Bretagne begibt. Sie ist zunehmend unzufrieden mit ihrem Leben als Frau und sinniert, philosophisch anmutend, darüber, was Weiblichkeit ausmacht. Eine Seeelenverwandte findet sie in ihrer künftigen Schwiegertochter, die noch auf der Suche nach ihrer Rolle als Frau ist. Die Sprache ist poetisch und sinnlich, fast schon überfrachtet mit Bildern und Metaphern, weshalb es wiederholten Lesens einzelner Passagen bedarf, um alles zu verstehen. Ohne das Wissen, dass das Buch aus deutscher Feder stammt, hätte ich es als typisch französisch eingeordnet. Das dürfte vermutlich an dem persönlichen Hintergrund der Autorin liegen, die auch in der Bretagne lebt, von der übrigens wunderschöne Eindrücke vermittelt werden.

Veröffentlicht am 05.04.2018

Alles andere als ein beschauliches Provinzörtchen

Unterleuten
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Der Buchtitel bezieht sich auf den Namen eines fiktiven, um sein Überleben kämpfenden Dorfes im Brandenburgischen, eine Autostunde von Berlin entfernt, und ist treffend gewählt, befindet man sich dort ...

Der Buchtitel bezieht sich auf den Namen eines fiktiven, um sein Überleben kämpfenden Dorfes im Brandenburgischen, eine Autostunde von Berlin entfernt, und ist treffend gewählt, befindet man sich dort nämlich tatsächlich „unter Leuten“ – übrigens recht merkwürdigen -, aus deren abwechselnder Perspektive die Geschichte erzählt wird. Als da u.a. wären: zwei aus dem Westen zugezogene Aussteigerpaare; der alteingesessene Landwirt, dessen Familie zu DDR-Zeiten zwangskollektiviert wurde und der nach der Wende die LPG in eine GmbH überführt hat und eigentlich nur das Dorf retten will; sein Erzfeind, ein zu DDR-Zeiten linientreuer Kommunist; ein Unternehmensberater aus dem Westen, der nach der Wende hektarweise Land um Unterleuten herum aufgekauft hat. Die Orientierung bei den Romanfiguren erleichtert ein am Ende des Buches abgedrucktes Personenglossar. Recht schnell brechen alte und neue Konflikte auf, als ein Investor aus dem Westen im Dorf einen Windpark errichten will. Fortan dreht sich alles um Fragen wie, wer Land für den Windpark verkauft und wer dieses kauft, wer welche Interessen und Überzeugungen verfolgt und diese verrät, wer welche Intrigen spinnt. Das Ganze spielt während zweier Sommermonate im Jahr 2010 und am Ende ist keine Romanfigur mehr die, als die sie eingeführt wurde, was das Lesen ziemlich spannend macht.

Veröffentlicht am 14.03.2018

Eine Fernbeziehung zwischen Himmel und Erde

Zeit für Wolke 7
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Wer hat sich nicht schon einmal gefragt, wie es wohl zugeht im Himmel, in den die Verstorbenen kommen? Einen schönen – natürlich fiktiven – Einblick vermittelt uns Lena, die mit nur 26 Jahren bei einem ...

Wer hat sich nicht schon einmal gefragt, wie es wohl zugeht im Himmel, in den die Verstorbenen kommen? Einen schönen – natürlich fiktiven – Einblick vermittelt uns Lena, die mit nur 26 Jahren bei einem Motorradunfall ums Leben kommt und eben dorthin gelangt. Nur kann sie sich überhaupt nicht damit abfinden, dass sie schon mit dem Leben abgeschlossen haben soll, und will unbedingt wieder zurück auf die Erde. Dasselbe Ziel verfolgt Nils, der sich kurz vorher unsterblich in Lena verliebt hat, ohne sich ihr aber noch offenbart zu haben. Er ergreift die Chance, 473352 Stunden von Dritten gespendete Lebenszeit zu sammeln, um Lena zurück auf die Erde zu holen. Ob es hier für beide ein Happy End geben wird?
Diesen Roman zu lesen, macht sehr viel Spaß. Er sprüht nur so von Wortwitz und Wortspielereien. Das geschieht manchmal sogar völlig ohne Worte, so wie in einer mir noch in guter Erinnerung befindlichen Passage, wo Nils und ein Pater im Kloster durch gegenseitiges Schweigen kommunizieren und dieser „Dialog“ dann optisch eine Dreiviertelseite in Pünktchen anstelle von Worten und Anführungszeichen einnimmt (S. 103). Etwas Märchenhaftes wohnt der Geschichte inne, indem der Lena betreffende Teil im Himmel angesiedelt ist und dort Wesen wie Petrus und Engel eine Rolle spielen, und natürlich wohnt auch der ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen einem Lebenden und einer Toten etwas Verzauberndes inne. Der auf der Erde in Bremen und auf Sylt spielende Teil lässt Leser wie mich, die ich aus dem Umland von Bremen komme, richtig zu Hause fühlen, da viele Bremer Örtlichkeiten erwähnt werden. Der Roman hat mich wunderbar unterhalten. Einziger Kritikpunkt ist, dass gegen Ende etwas zu viel Action – in Form von Banküberfall und Entführungen – einfließt. Hier wollte wohl der Autor unbedingt seine Erfahrungen aus dem Tatort einbringen, in dem er seit langen Jahren eine wiederkehrende Rolle hat.
Wer humorvolle Lektüre mag, solle dieses Buch unbedingt lesen.

Veröffentlicht am 09.03.2018

Heimkehr in die Provinz

Das Kaff
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Michael Schürtz, ein Berliner Architekt in den 40ern, kehrt nach Jahren in seine norddeutsche kleine Heimatstadt zurück, was er eigentlich nie wieder tun wollte und wo er jetzt einen Sommer lang einen ...

Michael Schürtz, ein Berliner Architekt in den 40ern, kehrt nach Jahren in seine norddeutsche kleine Heimatstadt zurück, was er eigentlich nie wieder tun wollte und wo er jetzt einen Sommer lang einen Job als Bauleiter angenommen hat. Erstaunlich ist, wie er schnell er, der sich als großspuriger Großstädter gibt und auf die Kleingeister des „Kaffs“ herabschaut, sich ebendort wieder einlebt. Und so wechseln sich Schilderungen über seine Re-Integration (Übernahme der Rolle eines Trainers der Fußballjugend, Treffen mit seinen Geschwistern und dem früheren Chef, Verhältnis mit einer Wohnungseigentümerin des von ihm betreuten Bauprojekts) und sein Leben als kleiner Rebell vor seinem Weggang ab. Eigentlich wird nur über banale, ganz normale Begebenheiten berichtet. Aber gerade darin kann sich der Leser gut wiederfinden. Am Ende verwundert es nicht, dass Michael eine völlig neue Meinung von den Kleinstädtern hat. Gefällig ist der leise, sarkastische Grundton der Geschichte.