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Veröffentlicht am 08.11.2018

Wunderbarer Briefroman

Das Versprechen, dich zu finden
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Es handelt sich um einen sehr schönen Briefroman, in dem die beiden Protagonisten Tina und Anders sich wechselseitig Briefe bzw. Emails schreiben.
Zwischen Tina, einer Landwirtsfrau aus East Anglia, und ...

Es handelt sich um einen sehr schönen Briefroman, in dem die beiden Protagonisten Tina und Anders sich wechselseitig Briefe bzw. Emails schreiben.
Zwischen Tina, einer Landwirtsfrau aus East Anglia, und Anders, dem Kurator des Silkeborg-Museums in Dänemark, entwickelt sich über das Medium des Briefes eine tiefe Freundschaft, als Tina einem Professor Glob einen Brief zusendet, der 50 Jahre vorher sein Buch über die Entdeckung des aus der Eisenzeit stammenden und als Moorleiche bestens konservierten und jetzt in eben jenem Museum befindlichen Tollund-Mannes Tina und ihren Schulfreundinnen gewidmet hat. Tina und ihre beste, inzwischen verstorbene Freundin planten immer, das Museum zu besuchen, taten es aber nie, was Tina nun per Brief zu erklären versucht. Es stellt sich heraus, dass der Professor seit langem tot ist. An seiner Stelle beantwortet Anders die Post, womit ein reger Briefwechsel beginnt. Zunächst sind die Briefe formell gehalten und handeln vom Tollund-Mann und gemeinsamen archäologischen Interessen. Allmählich aber werden die Briefe immer vertrauter und tauschen sich Tina und Anders über ihre Gefühle, ihr Leben und ihre Familien aus, oftmals vom anderen Rat erbetend. Es ist faszinierend zu lesen, wie sich zwei Menschen, die sich nie getroffen haben, ihre intimen Gedanken anvertrauen und sich als eine Art Seelenverwandte entpuppen. Der Briefwechsel umfasst etwas mehr als ein Jahr, in dem im Leben der beiden Schreiber nicht viel passiert. Dann aber überrollt ein Ereignis die beiden, und ihre Welt ist nicht mehr wie vorher.

Veröffentlicht am 04.11.2018

Abenteuer- und Liebesgeschichte

Liebe und Verderben
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Meine anfängliche Vermutung, es sei geraume Zeit notwendig, um diesen immerhin 588 Seiten langen Roman durchzulesen, erwies sich als falsch. Einmal mit Lesen begonnen, mochte ich das Buch nicht mehr aus ...

Meine anfängliche Vermutung, es sei geraume Zeit notwendig, um diesen immerhin 588 Seiten langen Roman durchzulesen, erwies sich als falsch. Einmal mit Lesen begonnen, mochte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Zu interessant war die mehrjährige Episode im Leben der US-amerikanischen Familie Allbright, die sich nach rastlosem Umherziehen in den 1970er Jahren in der Wildnis von Alaska niederlässt, vor allem, damit der Vater sein psychisches Trauma aus dem Vietnam-Krieg überwindet, der ihn zu einem jähzornigen, gewalttätigen und unberechenbaren Mann gemacht hat. Nicht vorhersehbar war für sie allerdings der Umstand, dass die langen Winter seinen Zustand noch verschlechtern würden, so dass sich eine Katastrophe anbahnt mit schlimmen Folgen für die gesamte Familie.
Wie angedeutet, liest sich die Geschichte leicht. Naturverbundenen Lesern werden die Schilderungen des rauen Lebens in Alaska gefallen, die die Autorin besonders kundig darstellt, weil ihre eigene Familie sich dort ein Leben aufbaute. Interessant ist auch die Darstellung der Rolle der Frau in den 1970er Jahren, die ihrem Ehemann gegenüber ziemlich rechtlos war und Gewalttätigkeiten hinnahm. Der Liebesgeschichtenanteil erscheint mir leicht schwülstig, denn es ist doch eher lebensfremd, dass ein vierzehnjähriges Mädchen in einem gleichaltrigen Jungen den Mann fürs Leben findet und ihn auch nach Jahren der Trennung nie vergisst.
Aber trotzdem: Das Buch hat mich gut unterhalten.

Veröffentlicht am 01.11.2018

Angesichts der Beschreibung auf dem Buchrücken mehr erwartet

Muttermale
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Der Psychiater Otto Kadoke ist im mobilen Krisendienst tätig und hat in dieser Funktion potentielle Selbstmörder vor dem Suizid zu retten. Er hat eine pflegebedürftige Mutter, die als Jüdin während des ...

Der Psychiater Otto Kadoke ist im mobilen Krisendienst tätig und hat in dieser Funktion potentielle Selbstmörder vor dem Suizid zu retten. Er hat eine pflegebedürftige Mutter, die als Jüdin während des Nationalsozialismus verschiedene Lager überlebt hat und jetzt einen überraschenden Wesenszug hat, der nicht verraten werden soll. Als ihre beiden Pflegerinnen plötzlich aufgrund Kadokes Verhalten kündigen, übernimmt er zunächst selbst die Pflege und holt später eine Patientin als Pflegerin ins Haus, was er als alternative Therapie betrachtet.

Ein „gnadenlos komischer Roman“, als der das Buch auf dem Buchrücken bezeichnet wird, ist es für mich nicht. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen doch eher ernste Themen – das krankhaft wirkende Verhältnis zwischen Mutter und Sohn, das bis ins hohe Alter nachwirkende Trauma der jüdischen Mutter aufgrund ihrer Internierung in Lagern, Zwangseinweisungen von Psychiatriepatienten. Gerade über letzteren Gesichtspunkt hat der Autor hervorragend recherchiert und führt dem Leser anhand einiger Beispielpatienten die Tragik psychiatrischer Erkrankungen gut vor Augen. Handlung gibt es nicht viel. Es überwiegen die Überlegungen des Protagonisten.

Für mich ein Buch im Mittel, von dem ich mehr erwartet hatte.

Veröffentlicht am 27.10.2018

Der Mensch und die Natur

Eines Tages in der Provence
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Diese beschauliche Geschichte spielt nur wenige Wochen im März in einem französischen Dorf, wo die über 100 Jahre alte Platane auf dem Marktplatz auf Anordnung der Gemeindeverwaltung gefällt werden soll. ...

Diese beschauliche Geschichte spielt nur wenige Wochen im März in einem französischen Dorf, wo die über 100 Jahre alte Platane auf dem Marktplatz auf Anordnung der Gemeindeverwaltung gefällt werden soll. Die Dorfbewohner gründen rund um den pfiffigen Schuljungen Clément eine Initiative, um das zu verhindern. Die Dorfbewohner und der Baum sind es dann auch, die im Mittelpunkt stehen: zwei betagte Schwestern, die junge Frau Fanny, die Wirtin Suzanne, der herumvagabundierende Manu, der entscheidungsunfreudige Raphael, der sich strikt an Regeln haltende Gemeindearbeiter Francois, und eben die Platane. Sie ist die älteste Dorfbewohnerin, sie weiß um die Geheimnisse der Menschen, ohne sie jemals zu verraten, war Zeugin von tragischen und freudigen Ereignissen, wurde schon von so vielen Kindern beklettert. Dieser Baum ist mehr als eine Pflanze, er ist ein Wesen, das Herz des Dorfes.
Das eigentlich Faszinierende an dem Buch ist, dass sich der Leser quasi hineinversetzt fühlt auf diesen Marktplatz und teilnimmt an den Sorgen der Bewohner und eben des Baumes. Ein ungewöhnlicher, aber interessanter Clou ist auch, dass der betroffene Baum als Ich-Erzähler eingebunden ist und wir so seine Sichtweise und seine Gefühlswelt kennenlernen. Alles wird sehr warmherzig erzählt.

Veröffentlicht am 24.10.2018

Ein Märchen für Erwachsene

Die wundersame Mission des Harry Crane
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Die Geschichte ist in den Endless Mountains im ländlichen Pennsylvania angesiedelt. Die zehnjährige Oriana trauert um ihren Vater, der plötzlich verstorben ist, im Schnee liegend und die Arme wie ein Schneeengel ...

Die Geschichte ist in den Endless Mountains im ländlichen Pennsylvania angesiedelt. Die zehnjährige Oriana trauert um ihren Vater, der plötzlich verstorben ist, im Schnee liegend und die Arme wie ein Schneeengel ausgebreitet. Sie hat die Vorstellung, dass ihr Vater als geflügeltes Tier in dem Wald hinter ihrem Blockhaus weiterlebt. Oriana liest fast besessen Märchen und spielt im Wald, wo sie die Anwesenheit ihres Vaters spürt. Eines Tages verliert sie „Das Buch vom alten Grum“, das ihr die alte Bibliothekarin Olive besonders anvertraut hat und das eine zentrale Rolle in dem Buch spielt. Es wird aufgefunden von Harry Crane, einem todunglücklichen Beamten der Forstverwaltung, der sich schuldig fühlt am Tod seiner Frau und sich in den ihm sicher erscheinenden Wald flüchtet, wo er sich erhängen will, was missglückt. Oriana sieht Harry als Zeichen, und Harry will Orianas Märchen wahr werden lassen.

Das Buch lässt sich am ehesten als ein Märchen für Erwachsene einordnen. Wer sich auf das Lesen einlässt, wird ein wunderbares Abenteuer erleben, das Orianas kühnste Träume übertrifft und Harry bereit macht, sich auf ein ganz neues Leben einzulassen. Tod und Verlust spielen zwar eine große Rolle, ziehen den Leser aber überhaupt nicht runter, da viele Passagen von feinem Humor sind. Am Ende steht die schöne Botschaft, dass es im Leben immer weiter geht.

Ein ganz wunderbares Buch, das zu meinen Lesehöhepunkten des Jahres zählt.