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Veröffentlicht am 18.04.2023

Portraits von einfachen Menschen

Das Café ohne Namen
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Dieser Roman des bekannten österreichischen Schriftstellers („Der Trafikant“, „Der letzte Satz“) kommt mit wenig Handlung aus, während die Porträtierung einer Reihe von Romanfiguren in den Vordergrund ...

Dieser Roman des bekannten österreichischen Schriftstellers („Der Trafikant“, „Der letzte Satz“) kommt mit wenig Handlung aus, während die Porträtierung einer Reihe von Romanfiguren in den Vordergrund rückt. Allen voran der Wiener Gelegenheitsarbeiter Robert Simon, der, selbst in Aufbruchstimmung, in der sich vom Krieg erholenden Stadt Mitte der 1960er Jahre ein kleines Bistro eröffnet und sich damit einen Traum erfüllt. Trotz vieler Probleme im Laufe der Jahre ist er immer für seine Mitmenschen da, für seine meist aus einfachen Verhältnissen stammenden Kunden, seine Mitarbeiter, Nachbarn, Bekannte, aus deren Leben ebenfalls Vieles geschildert wird. Das geschieht schnörkellos, konzentriert, unaufgeregt, bildhaft. Als Leser fühlt man sich fast als ein Teil dieser kleinen Gesellschaft. Die Benennung lokaler Besonderheiten wird den aus Wien stammenden Lesern gefallen.
Der Roman ist es wert, gelesen zu werden.

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Veröffentlicht am 11.04.2023

Was ist Wahrheit und was ist Fiktion?

Melody
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Dieses Buch hat mich deshalb sehr fasziniert, weil die persönliche Geschichte rund um den einen Protagonisten im Laufe der Darstellung so viele Wendungen nimmt, dass die beteiligten Personen und der Leser ...

Dieses Buch hat mich deshalb sehr fasziniert, weil die persönliche Geschichte rund um den einen Protagonisten im Laufe der Darstellung so viele Wendungen nimmt, dass die beteiligten Personen und der Leser sowieso schließlich nicht mehr wissen, was der Realität entspricht und was Fiktion ist. Der eine, soeben erwähnte Protagonist ist der dem Tode geweihte wohlhabende und einst sehr einflussreiche Geschäftsmann und Politiker Dr. Stotz, der dem arbeitsuchenden jungen Rechtsanwalt einen befristeten Job zur Ordnung seines Nachlasses und Beschönigung seiner Person überträgt. Schnell wird deutlich, dass tatsächlich nicht diese Aufgabe im Vordergrund der Tätigkeit von Tom Elmer steht. Vielmehr stimmt Dr. Stotz seinen Angestellten in regelmäßigen alkoholgetränkten Kamingesprächen und Mahlzeiten darauf ein, sich auf die Suche nach einer Frau namens Melody zu machen. Diese wesentlich jüngere Marokkanerin war vierzig Jahre zuvor seine Verlobte und verschwand wenige Tage vor der Hochzeit spurlos und hat Stotz nie mehr losgelassen. Elmers Nachforschungen sind spektakulär und immer wieder überraschend. Alles wird sehr pointiert dargestellt. Die sich wiederholenden detaillierten Schilderungen der einzelnen üppigen Mahlzeiten und Spirituosen hätten vielleicht etwas kürzer gefasst werden können. Etwas unwahrscheinlich mutet es auch auf mich an, dass Elmer von jetzt auf gleich sein eigenes Leben so komplett aufgibt und sich ganz der neuen Arbeit und seinem Arbeitgeber unterordnet.

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Veröffentlicht am 05.04.2023

Leben heißt leiden

Solange wir leben
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Die Überschrift dieser Rezension gibt das Lebensmotto der Mutter des Autors wieder und zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Aus ihm lässt sich schon schließen, dass der vorliegende Roman eher ...

Die Überschrift dieser Rezension gibt das Lebensmotto der Mutter des Autors wieder und zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Aus ihm lässt sich schon schließen, dass der vorliegende Roman eher nachdenkliche Töne hat. Das macht ihn zu einem ganz anderen Roman als die bisher eher humorvollen, die ich aus der Feder des Autors kenne (z.B. „Mieses Karma“, „Aufgetaut“). Er erzählt die sehr interessante, berührende Familiengeschichte seiner Eltern. Damit liegt er voll im Trend mit anderen Schriftstellerkollegen, deren Familiengeschichten in jüngerer Zeit den Literaturmarkt erobern. Das Faszinierende aber ist, dass jede für sich so individuell ist. David Safier selbst lässt sich nur ganz selten am Rande seiner Geschichte erwähnen. Ihm hatten seine Eltern nicht einmal von ihrer Vergangenheit erzählt, um ihn zu schonen. Daher erstaunt es, was er alles hat zusammentragen können und nun abwechselnd aus der Perspektive jeden Elternteils schildert, äußerlich erkennbar durch unterschiedliche Schrifttypen. Bei seinem (jüdischen) Vater stehen sein Überleben des Holocausts im Vordergrund und die anschließende stete Suche nach persönlichem Glück, das für ihn nach vielen Umwegen in der Ehe mit der 20 Jahre jüngeren Mutter von David und in eben dessen Geburt lag. Die Mutter stammt aus ärmlichen Verhältnissen und opferte sich Zeit ihres Lebens für ihre Familie auf. Ihr Lebensmotto war „Leben heißt leiden“. Die sehr persönlichen Verhältnisse sollte im Detail jeder selbst lesen. Es lohnt sich wirklich. Das Tüpfelchen auf dem i sind die eingearbeiteten zeitgeschichtlichen Begebenheiten und die lokalen Besonderheiten von Safiers Heimatstadt Bremen, die jeder Bremer mit Freude wiedererkennen wird.

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Veröffentlicht am 29.03.2023

Manipulierbarkeit von Kindern

Josses Tal
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Der Roman erzählt über einen Aspekt aus der Zeit des Nationalsozialismus, wie ich es bisher noch nicht gelesen habe. Die Hauptfigur – Josef bzw. Josse – wird seit Kindestagen systematisch von einem vermeintlichen ...

Der Roman erzählt über einen Aspekt aus der Zeit des Nationalsozialismus, wie ich es bisher noch nicht gelesen habe. Die Hauptfigur – Josef bzw. Josse – wird seit Kindestagen systematisch von einem vermeintlichen Förderer an die nationalsozialistische Ideologie herangeführt und indoktriniert. Aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse (ungeliebtes uneheliches Kind) ist Josef äußerst empfänglich für diese Art der Beeinflussung. Er steigt in der Rangordnung der Jugendorganisationen auf, wird in seinem schlesischen Dorf zum Spitzel und Denunzianten. Dabei lädt er eine große Schuld auf sich. Irgendwann machen sich Zweifel in ihm breit.
Die Autorin hat gut recherchiert. Gefallen hat mir, dass die Geschichte in einem Dorf angesiedelt ist, wo die Propaganda des Naziregimes doch eher nicht auf so fruchtbaren Boden treffen sollte. Doch weit gefehlt. Die erfolgreiche Manipulation eines Kindes ist erschreckend zu lesen und ist zumindest im Ansatz eine Erklärung auf die Frage späterer Generationen, wie die Zeitgenossen bei all dem Schrecklichen überhaupt mitmachen konnten. Sehr authentisch und typisch für das Schlesische ist die Wiedergabe von Personenbezeichnungen unter Voranstellung des Nachnamens und des nachfolgenden Vornamens oder Berufes. Ein wenig rasch ging es mir am Ende zu mit der raschen Läuterung und Flucht von Josef.
Zu empfehlen für Leser historischer Romane aus der Zeit des Nationalsozialismus.

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Veröffentlicht am 25.03.2023

Desolate Familienverhältnisse meistern

22 Bahnen
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In ihrem gelungenen Debütroman gibt die Autorin einmal solchen Personen das Wort, die in unserer Gesellschaft nur zu gerne übersehen werden: den beiden Töchtern einer alkoholkranken und an Depressionen ...

In ihrem gelungenen Debütroman gibt die Autorin einmal solchen Personen das Wort, die in unserer Gesellschaft nur zu gerne übersehen werden: den beiden Töchtern einer alkoholkranken und an Depressionen leidenden Mutter. Letztere hat (krankheitsbedingt?) nicht viel für ihre Kinder übrig. Die jüngste, zwölfjährige Ida leidet unter den Gewaltausbrüchen der Mutter und fürchtet diese. Die Älteste, Tilda, kümmert sich intensiv um die geliebte Schwester, und das neben ihrem Mathestudium, einem Nebenjob an der Supermarktkasse und ihrem allabendlichen Schwimmen von Bahnen im Schwimmbad. Nichts will sie sehnlicher, als dem verhassten Kleinstadtleben zu entkommen. Zuvor will sie die kleine Schwester darauf vorbereiten und stark machen. Dann tritt Viktor in ihr Leben, dessen Familiengeschichte ebenfalls, aus ganz anderen Gründen, sehr tragisch ist und mit dem Tilda über seinen toten Bruder verknüpft ist. Beide tun sich schwer, eine Liebesbeziehung aufzunehmen …
Trotz all der Probleme, die sich für Tilda angesichts ihres desolaten Familienlebens auftun, ist es sehr erfrischend, aus ihrem Leben zu lesen. Die Beziehung zu ihrer kleinen Schwester ist einfach wunderbar und einzigartig. Sie erleben viele magische Momente miteinander und Ida wächst und reift sichtlich in den wenigen Monaten, über die erzählt wird. Genauso besonders ist die sich ganz allmählich entwickelnde Beziehung zwischen Tilda und Viktor. Formell finden sich ebenfalls einige Besonderheiten. So sind die vielen Dialoge nicht durch wörtliche Reden kenntlich gemacht, sondern schlicht durch Voranstellung des Namens des Sprechenden und einen Doppelpunkt. Und Tildas Liebe zur Mathematik wird herausgestellt durch Ziffernschreibweise anstelle ausgeschriebener Zahlen.
Sehr zu empfehlen.

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