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Veröffentlicht am 24.03.2017

Über den Syrien-Krieg

Gott ist nicht schüchtern
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Der Roman beginnt in Syrien im Jahr 2011 im Arabischen Frühling kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs und zeichnet die Schicksale zweier Flüchtlinge - Amal und Hammoudi, beide in den Zwanzigern - nach. Amal ...

Der Roman beginnt in Syrien im Jahr 2011 im Arabischen Frühling kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs und zeichnet die Schicksale zweier Flüchtlinge - Amal und Hammoudi, beide in den Zwanzigern - nach. Amal ist Schauspielerin. Wegen der Teilnahme an Demonstrationen gegen Präsident Assad gerät sie ins Visier des Geheimdienstes. Hammoudi ist Arzt in Paris und kehrt zurück, um seinen Pass zu verlängern. Die Wiederausreise wird ihm verweigert, er versorgt fortan in einem illegalen Lazarett verletzte Assad-Gegner. Beide begegnen sich kurz in Damaskus und dann einige Jahre später in Berlin, wohin sie flüchten.

Der Roman lässt einen betroffen zurück. Das Schicksal der Protagonisten, die beispielhaft für so viele Flüchtlinge stehen, ist furchtbar. Sie, die von einem besseren Leben träumen, sind Erniedrigungen, Demütigungen und Gewalt ausgesetzt und geraten immer weiter hinein in die für einen Außenstehenden undurchsichtigen Verhältnisse ihres Heimatlandes. Insoweit ist das gut recherchierte Buch sehr informativ. Real vorgekommene Massaker werden erwähnt, das Schlepperwesen, Fremdenfeindlichkeit. Für mich war es manchmal fast zu viel. Treffend ist der Buchtitel gewählt - mit dem nicht schüchternen Gott ist Assad gemeint.

Zu empfehlen für die am syrischen Bürgerkrieg Interessierten.

Veröffentlicht am 24.03.2017

Spannender Psychothriller um ein entführtes Baby

The Couple Next Door
3

Das Ehepaar Anne und Marco Conti nimmt eine Abendeinladung bei den Nachbarn an. Ihr sechsmonatiges Baby Cora sollte eigentlich in der Obhut einer Babysitterin bleiben. Nachdem diese kurzfristig abgesagt ...

Das Ehepaar Anne und Marco Conti nimmt eine Abendeinladung bei den Nachbarn an. Ihr sechsmonatiges Baby Cora sollte eigentlich in der Obhut einer Babysitterin bleiben. Nachdem diese kurzfristig abgesagt hat, lassen Anne und Marco das Baby allein zu Hause zurück und gehen im halbstündigen Wechsel nach ihm schauen. Bei ihrer Rückkehr ist das Baby verschwunden. Die Polizei geht von einer Entführung aus. Ist es tatsächlich so und wird Cora lebend zu ihren Eltern zurückkehren?

Das Buch erfüllt für mich alle Kriterien eines guten Psychothrillers. Es geht nicht allzu blutrünstig zu (obwohl es durchaus zu zwei Morden kommt, von denen vor allem der eine ganz am Ende einen Überraschungseffekt bietet). Anstelle von viel Handlung spielt sich Vieles in der Gedankenwelt der Romanfiguren ab. Das wirklich Fesselnde daran ist, dass alle zu wissen glauben, wie die Geschehnisse abgelaufen sind, und trotzdem zunehmend verunsichert sind, an sich zweifeln und den anderen misstrauen. Auf diese Weise wird für den Leser der mögliche Handlungsablauf immer wieder mit allen Möglichkeiten durchgespielt und er weiß lange Zeit nicht, was denn nun wirklich geschehen ist. Der ermittelnde Detective meint übrigens schon frühzeitig auf der richtigen Fährte zu sein, ohne dass der Leser allerdings schon da erfährt, ob er tatsächlich richtig liegt. Recht faszinierend ist, dass so ziemlich alle wichtigen Personen Geheimnisse mit sich herumtragen. Da gibt es psychische Probleme, finanzielle Schwierigkeiten, Ehebruch, Lügen – kurzum viele menschliche Abgründe tun sich auf, die sie zusätzlich verdächtig erscheinen lassen. Gelungen und nachvollziehbar ist auch die Darstellung, wie Anne und Marco nach dem Verschwinden ihres Kindes die Hölle durchmachen.
Für mich ist das Buch absolut lesenswert.

  • Einzelne Kategorien
  • Figuren
  • Handlung
  • Atmosphäre
  • Spannung
  • Cover
Veröffentlicht am 21.03.2017

Suche nach einem Neuanfang

Wenn ich jetzt nicht gehe
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Mexiko-Stadt in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. Der Spanier Mauro Larrea hat es im vergangenen Vierteljahrhundert als Bergmann im Silberminenabbau zu beträchtlichem Wohlstand gebracht. Eine geschäftliche ...

Mexiko-Stadt in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. Der Spanier Mauro Larrea hat es im vergangenen Vierteljahrhundert als Bergmann im Silberminenabbau zu beträchtlichem Wohlstand gebracht. Eine geschäftliche Fehlentscheidung führt zu seinem finanziellen Ruin. Um seine Schulden fristgemäß tilgen zu können und wieder auf die Beine zu kommen, sucht er nach neuen Geschäftsideen. Er begibt sich erst nach Havanna/Kuba, dann nach Jerez/Spanien, wo er ein nach einem gewonnenen Billardspiel übereignet erhaltenes Weingut verkaufen will. Sein Zusammentreffen mit der schönen, geheimnisumwobenen Soledad Montalvo, Nachfahrin des Winzers, bringt Mauro neue Probleme, die es im Zusammenwirken mit Soledad zu lösen gilt.

Der Einstieg in die Geschichte ist mir nicht leicht gefallen. Zu verwirrend waren anfänglich die vielen Romanfiguren mit ihren für meine Ohren fremd klingenden spanischen Namen. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase waren diese Leseschwierigkeiten aber bald behoben. Die Hintergrundinformationen zu der mir nur wenig bekannten Geschichte Mexikos als spanischer Kolonie und dann als unabhängiger Staat mit seinen unterschiedlichen Bewohnergruppen (Indios, Mestizen, Kreolen …) fand ich sehr lehrreich und interessant. Gleiches gilt für Kuba, das damals immer noch spanisches Vizekönigreich war. Die erste Hälfte des Romans, deren Handlung in Südamerika angesiedelt ist, hat mich auch inhaltlich gefesselt. Das liegt vor allem an der Person des Self-made-Mannes Mauro und seinen schnellen Entscheidungen, die die Handlung vorangetrieben haben. Nachdem sich dann jedoch die Handlung nach Spanien verlagert hatte, begann sie zu schwächeln, wirkte konstruiert und kam von der bis dahin im Mittelpunkt stehenden Lösungssuche hinsichtlich der finanziellen Probleme Mauros ab. Stattdessen nahm die Familiengeschichte von Soledad mit ihren Geheimnissen viel Raum ein. Das führt für mich zu einer Bewertungsherabsetzung auf knappe vier von fünf Sternen. Empfehlen kann ich das Buch Lesern von historischen Romanen über andere Länder beiderlei Geschlechts.

Veröffentlicht am 16.03.2017

Eine gestörte Mutter-Tochter-Beziehung aufgrund eines Geheimnisses in der Vergangenheit

Sturmherz
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Seit ihrem 11. Lebensjahr fühlt sich die Enddreißigerin Alexa von ihrer Mutter Conny ungeliebt und zurückgewiesen. Zu diesem Zeitpunkt hat die Mutter aus heiterem Himmel ihre Familie für drei Monate verlassen ...

Seit ihrem 11. Lebensjahr fühlt sich die Enddreißigerin Alexa von ihrer Mutter Conny ungeliebt und zurückgewiesen. Zu diesem Zeitpunkt hat die Mutter aus heiterem Himmel ihre Familie für drei Monate verlassen und ist verändert zurückgekommen, ohne jemals ihr Verhalten zu erklären. Nach einem Schlaganfall soll Alexa die Betreuung für die hilflose Conny übernehmen. Aufgefundene Unterlagen und Besucher aus Amerika lassen für Alexa allmählich deutlich werden, was es mit dem früheren Verschwinden ihrer Mutter auf sich hat. Das Ganze führt zurück in die Jahre 1961/2, als sich Conny in einen amerikanischen Austauschstudenten verliebte, ihr Glück jedoch der Hamburger Sturmflut zum Opfer fiel.

Angetan bin ich von der Idee, einmal die schlimme Naturkatastrophe von Hamburg aus 1962 zum Thema eines Romans zu machen. Um den Jahrestag herum berichten die Medien ja regelmäßig von der Sturmflut. Doch eine mit ihr im Zusammenhang stehende Familiengeschichte berührt weitaus mehr als sachliche Berichterstattung. Die Geschichte liest sich sehr flüssig und dank vieler Puzzleteile, die es für Alexa erst noch zusammenzusetzen gilt und die sie aus verschiedenen Unterlagen und Erzählungen entnimmt, bleibt die Spannung bis zum Schluss aufrechterhalten. Als etwas melodramatisch empfinde ich die Liebesgeschichte von Conny als junger Frau mit einem Austauschstudenten, die aufgrund einer Lebenslüge kein gutes Ende findet und Nachwirkungen über Jahrzehnte hinweg hat, schon. Aber das ist eben in einem Unterhaltungsroman so. In den Mittelpunkt wird die Aufarbeitung einer völlig verkorksten Mutter-Tochter-Beziehung gestellt. Dabei vermisse ich eine wirklich nachvollziehbare Erklärung für die Connys plötzliche totale Lieblosigkeit Alexa gegenüber nach ihrer Rückkehr zur Familie. Für die Liebe zum eigenen Kind muss doch auch Raum bleiben, wenn ein Mann unbedingt geliebt wird.

Alles in allem hatte ich angenehme Lesestunden mit dem Buch.

Veröffentlicht am 14.03.2017

Über Liebe und Einsamkeit im Alter

Unsere Seelen bei Nacht
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Ein treffendes Sprichwort, um dieses nur 197 Seiten umfassende Büchlein zu charakterisieren, wäre „In der Kürze liegt die Würze“. Schon mit dem Einleitungssatz „Und dann kam der Tag, an dem Addie Moore ...

Ein treffendes Sprichwort, um dieses nur 197 Seiten umfassende Büchlein zu charakterisieren, wäre „In der Kürze liegt die Würze“. Schon mit dem Einleitungssatz „Und dann kam der Tag, an dem Addie Moore bei Louis Waters klingelte“ wird der Leser mitten hinein ins Leben der beiden verwitweten, einander nur flüchtig bekannten Nachbarn, beide jenseits der 70, geworfen. Addie macht Louis den kühnen Vorschlag, hin und wieder nachts bei ihr zu schlafen und zu reden. Es solle nicht um Sex gehen, sondern darum die Nacht zu überstehen. Tatsächlich liegen sie dann nachts beieinander und erzählen sich ihre – durchaus tragischen – Lebensgeschichten. Gemeinsame Unternehmungen folgen. Es ist der Beginn einer Liebesgeschichte. Leider sehen sie sich den Vorurteilen der meist intoleranten Kleinstädter ausgesetzt und vor allem dem erbitterten Widerstand von Addies Sohn. Ob sie „darüber stehen“ werden, muss man unbedingt selbst lesen. Die Geschichte liest sich auf jeden Fall sehr gut. Dabei schadet es überhaupt nicht, dass wörtliche Reden, aus denen der Text überwiegend besteht, nicht kenntlich gemacht sind. Viele Beschreibungen von Natur und von Begebenheiten erinnern dem Schreibstil nach an Schulaufsätze jüngerer Kinder, da kurze Sätze aneinandergereiht werden. Die eine oder andere Passage ist amüsant. Mit einem Gespräch unserer beiden Protagonisten über einen Autor aus Colorado, der Bücher über Holt schreibt – eben jener fiktiven Kleinstadt, in der die Geschichte angesiedelt ist -, („Er könnte Bücher über uns schreiben“ sagt Addie. „Ich will in keinem Buch vorkommen“ antwortet Louis) landet Haruf einen besonderen Coup. Denn von ihm selbst ist die Rede.

Das Buch lehrt uns, toleranter gegenüber Liebe unter Senioren zu werden und ist absolut lesenswert.

Lohnenswert ist auch, das Buchcover zu betrachten. Wie beim Diogenes-Verlag üblich, wird auf bekannte Motive zurückgegriffen – hier „Yellow House 1“ von Alex Katz.