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Veröffentlicht am 08.11.2017

2. Teil der Trilogie

Die Jahre der Schwalben
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Die Fortsetzung von "Das Lied der Störche" beginnt im Jahr 1930. Frederike (Jahrgang 1909) ist mit Ax verheirtatet und lebt auf seinem Gut Sobotka im polnischen Korridor. Doch bei Ax ist die Tuberkulose ...

Die Fortsetzung von "Das Lied der Störche" beginnt im Jahr 1930. Frederike (Jahrgang 1909) ist mit Ax verheirtatet und lebt auf seinem Gut Sobotka im polnischen Korridor. Doch bei Ax ist die Tuberkulose erneut ausgebrochen und schon am Tag nach der Hochzeit musste er nach Davos. Frederike muss das Gut alleine leiten und hat davon keine Ahnung. Sie verzweifelt immer mehr, denn es geht mit dem Gut immer weiter bergab. Hilfesuchend wendet sie sich an Erik, ihren Stiefvater.

Ulrike Renk erzählt die Geschichte von Frederike weiter. Eine Geschichte, die einen realen Hintergrund hat, vieles von dem was sie erzählt ist wirklich geschehen.

Ich bin nur so durch das Buch geflogen und lange habe ich für ein Buch von über 500 Seiten so wenige Tage zum Lesen gebraucht, weil mich diese Geschichte so gepackt hat.

Das liegt an der symphatischen Hauptprotagonistin Frederike, aber auch an ihrer so authentischen Entwicklung, die sie im Laufe auch dieser Geschichte macht. Im ersten Band reift sie vom Backfisch zur jungen Frau, hier, im zweiten, wird aus der unerfahrenen jungen Frau eine zupackende, Entscheidungen treffende, erfolgreiche Gutsherrin.
Es gibt aber auch so viele andere Nebenschauplätze, die in diese Geschichte hineinverwoben wurden, angefangen von Berichten aus der Gutsherrenküche, das Stadtleben in Berlin um das Jahr 1930, dem Leben der Geschwister, bis zu den politischen Ereignissen vor der Machtübernahme, die Veränderungen nach 1933, beim Kriegsausbruch oder während des Krieges. Alles so miteinander verknüpft, dass es stimmig und vor allem fesselnd, interessant und informativ erzählt wird.

Da viele der beschriebenen Protagonisten realen Figuren nachempfunden worden sind, lässt einem das ganze noch intensiver lesen.
Aber es ist nicht nur die Realität, die hinter diesem Roman steht, sondern auch, wie die Autorin die Geschichte verpackt hat. Sie kann so lebendig erzählen und unterhaltsam. Mal aufgelockert und humorvoll, aber auch die Tragik und die Bitterkeit, die das Leben bei Frederike mit sich bringt, die Schicksalsschläge und HIndernisse, die ihr in den Weg geworfen werden, werden so erzählt, dass man mitfühlt. Diese Mischung macht das Lesen so interessant und hat dafür gesorgt, dass ich mitfühlen, mithoffen und mitleiden konnte und das Buch kaum aus der Hand legen konnte.
Nun warte ich gespannt auf den 3. Teil, der schon im Juni 2018 erscheinen soll.

Fazit:
Man fliegt nur so durch dieses Buch ! Absolut empfehlenswert und höchtse Punktzahl von mir.

Veröffentlicht am 27.10.2017

Ein Blick hinter die Kulissen der Gerichtsbarkeit

Justizpalast
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Thirza Zorniger wächst bei ihrem Großvater, einem Richter auf. Schon früh interessiert sie sich für die Welt der Gerichtsbarkeit. So verwundert es auch nicht, dass sie den selben Weg einschlägt, Jura ...

Thirza Zorniger wächst bei ihrem Großvater, einem Richter auf. Schon früh interessiert sie sich für die Welt der Gerichtsbarkeit. So verwundert es auch nicht, dass sie den selben Weg einschlägt, Jura studiert, verschiedene Stufen der Richterlaufbahn erringt, und es bis in den Justizpalast in München in eine führende Rolle schafft.

Petra Morsbach erzählt das Leben von Thirza, von ihrem Schauspielervater, ihrer unglücklichen Mutter, ihrer Kindheit und Jugend, aber den meisten Raum nimmt ihre berufliche Laufbahn ein. Eingeflochten dabei immer wieder Gerichtsfälle, Gerichtsverhandlungen, Gerichtsurteile, es wird von Kollegen berichtet, von Arbeitsbelastungen, von wenig Freizeit. Der Roman ist nicht linear erzählt, er springt immer mal wieder vor und zurück im Leben von Thirza.

Der Erzählstil ist nüchtern, erst gegen Ende kommen auch Emotionen ins Spiel, wird die Figur der Thirza menschlicher, greifbarer. Aber irgendwie passt der Stil auch zu der Protagonistin, die in einer eher als "trocken" geltenden Zunft arbeitet, in der es um Gesetze. Rechtsauslegungen, Aktenstudium und Urteilsbegründungen geht. Aber hinter jedem Fall stehen auch Menschen und das macht die Autorin mit den vielen beschriebenen Fällen auch deutlich. Thirza hingegen ist eine eher zurückgezogene, einsame Figur, die lange braucht um nicht nur ein berufliches Leben, sondern auch privates Glück zu haben, sich zu verlieben und einen Mann fürs Leben zu finden.
Der Roman vereint das berufliche und private Leben der Protagonistin Thirza. Obwohl der Beruf der Richterin hier im absoluten Mittelpunkt steht und ihr Privatleben eher als Untermalung dient. Sie bleibt als Figur eher kühl und nur am Ende wird es emotionaler. Die Autorin deutet das Ende am Anfang an, doch erst nach und nach, Schritt für Schritt, schließt sich der Kreis im beruflichen Leben sowie im privaten Umfeld.

Wer sich für die Arbeit und die Arbeitsbelastungen an deutschen Gerichten interessiert und dies auch noch verpackt in einem Roman, der viele Fälle aufgreift, dazu durch die Protagonistin Gedanken und Entwicklungen im Rechtssystem debattiert, dem kann ich den Roman empfehlen. Er bietet eine breite Palette an Einblicken hinter die Kulissen der Gerichtsbarkeit. Die Autorin hat neun Jahre recherchiert, mit gut 50 Juristen über ihre Arbeit gesprochen und deren Erfahrungen und Erlebnisse mit in diesen Roman verwoben. Zusammen mit dem Lebensweg der fiktiven Protagonistin ergibt sich ein interessanter Roman, der, wenn auch kühl und nüchtern beschrieben, mich fesseln konnte.

Veröffentlicht am 11.10.2017

Auf der Suche nach sich selbst

Wer hier schlief
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Philipp Kuhn hat sich neu verliebt. In Myriam. Er beschliesst seine Lebensgefährtin und gleichzeitig auch Arbeitgeberin Vera zu verlassen und zu Myriam zu ziehen. Doch am Tag seines Auszugs verschwindet ...

Philipp Kuhn hat sich neu verliebt. In Myriam. Er beschliesst seine Lebensgefährtin und gleichzeitig auch Arbeitgeberin Vera zu verlassen und zu Myriam zu ziehen. Doch am Tag seines Auszugs verschwindet Myriam - sie ist weder zu Hause noch am Handy erreichbar. Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass Myriam nicht die ist, die sie zu sein schien. Philipp kann auch nicht mehr zurück, er irrt durch Wien und ist auf der Suche. Auf der Suche nach Myriam, der Wahrheit aber auch auf der Suche nach sich selbst.
Dabei begegnet er einem alten Psychologen, seinem alten Arbeitskollegen Bruno, Tamara und ihre Truppe, die sich "Suhos" - Suddenly Homless - nennen und in einem Altenheim Wohnungen Verstorbener renovieren und dafür in dieser Zeit darin leben dürfen. Minimalistisches Wohnen gegen Arbeit.

Als Leser erlebt man Philipps Ausweglosigkeit und seine Suche hautnah mit. Erst nach und nach kristallisiert sich heraus, wie es zu dieser Situation kommen konnte, wie Philipp vorher gelebt hat, was er sich erhofft hatte, was er in Myriam zu sehen glaubte. Da wird auch klar, dass Philipp erstmal sich selbst finden muss, seine Wünsche, seine Träume. Ein wichtiges Zeichen seiner Verwirrung ist ein Bild, das Philipp auf seiner Odyssee durch Wien mitschleppt: Ein Bild eines Adams des österreichischen Künstlers Rudolf Hausner. Eigentlich hat Philipp es nur dabei, weil Vera dieses Bild gehasst hatte. Er wollte es Myriam schenken, doch die ist ja nicht da, als er es mitbringt. Oft muss er das Bild mit dem Gesicht zur Wand stellen. Dieses Bild symbolisiert auch den Protagonisten. So wie das Bild wird auch Philipp wahrgenommen, beachtet, übersehen, gehasst, gemocht oder nicht beachtet. Am Ende kommt zumindest das Bild "zu Hause" an, erklärt sich und damit auch ein bisschen das Umherstreifen, das Suchen von Philipp. Doch das Ende - darauf sollte man sich einstellen - hat Deutungsfreiheit, jedoch eignet es sich wunderbar dazu nochmal über das Gelesene zu sinnieren, es einzuordnen, nachträglich zu bewerten.

Der Stil von Isabella Straub gefällt mir. Der Roman lässt sich leicht lesen, sie hat eine ruhige Erzählart, dabei kann sie aber viel in ihre Worte verpacken. Kurze Sätze mit viel Leben und viel Aussagekraft.
Ihr Protagonist Philipp ist nicht einer, mit dem man sich identifizieren will, man kann ihn schlecht klassifizieren, er ist nicht gut oder schlecht, sympathisch oder unsymphatisch, aber er entwickelt sich im Laufe des Romans, er öffnet sich. Immer wieder schweifen seine Gedanken in die Vergangenheit, dies erklärt sein Wesen. Je mehr er sich entwickelt, so mehr bekommt er auch "Abwehrkräfte", kann auch "Nein" sagen. Er scheint am Anfang farblos, konturlos zu sein. Sein Äußeres spiegelt sein Inneres wieder. Dennoch ist er eine interressante Figur.
Die Nebenfiguren geben dem Buch Farbe, sie polarisieren, sie kritisieren, sie erschrecken, sie legen den Finger auf die Wunden, sie überzeichnen, bringen Leben ins Spiel, aber auch den Tod, sind ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Alles zugleich. Einsamkeit, Obdachlosigkeit, Bindungslosikgeit, Wegsehen, schwierige Vergangenheiten sind Elemente, die die Autorin in den Roman zentral mit verarbeitet hat und die auch gleichzeitig die heutige Zeit widerzuspiegeln scheinen.

Gefallen hat mir auch, dass dieser Roman nicht zu düster geworden ist, immer wieder humorige Szenen, Schmunzelmomente, die alles auflockern.

Literatur, die einem zum Nachdenken bringt, die einerseits leicht zu lesen ist, anderseits aber auch die Bereitwilligkeit fordert sich auf das Gelesene und das Ende einzulassen, sowie auf einen Protagonisten, der erst aus seinem Schlaf erwachen muss.

Veröffentlicht am 03.10.2017

Suche nach Leben

Niemand verschwindet einfach so
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Elyria kommt aus einem schwierigen Elternhaus, Eltern getrennt, Mutter alkoholabhängig. Als die Stiefschwester, mit der sie sich zeitlebens nie richtig verstand, Selbstmord begeht, gerät ihre Welt aus ...

Elyria kommt aus einem schwierigen Elternhaus, Eltern getrennt, Mutter alkoholabhängig. Als die Stiefschwester, mit der sie sich zeitlebens nie richtig verstand, Selbstmord begeht, gerät ihre Welt aus den Fugen. Schon die Heirat mit demProfessor ihrer Stiefschwester ist wie eine Flucht nach vorne, denn auch dieser hat s eine schwierige Vergangenheit und Elyria hofft auf eine Begründung für Rubys Tod. Doch Iigendwann erreicht Elyria den Punkt, an dem sie für sich nur noch den Ausstieg als Ausweg sieht - sie will einfach verschwinden. Sie kauft sich ein One-Way-Ticket nach Neuseeland . Doch kann man einfach so verschwinden ?

Es ist ein Roman, der aus Sicht von Elyria geschrieben wurde. Es geht weniger um Handlung oder Spannung, sondern um Elyrias Gefühle und Empfindungen, ihre Gegenwart und ihre Vergangenheit. Sie ist an einem Punkt angelangt, an dem sie selber nicht mehr weiter weiß, die Welt, das Leben, sich selbst nicht mehr mag und versteht. Sie hat tausend Fragen, keine Antworten. Ihr innerer Monolog findet manchmal selber keinen Punkt, ellenlange, verschachtetelte Sätze, in denen die Protagonistin ihre Empfindungen bis ins kleinest auftröselt, immer weiter ausholt, immer engere Kreise zieht - spiegelt das wider.
Darauf muss man sich als Leser einlassen können. Diese Sätze unterstreichen aber auch sehr gut den Zustand der Protagonistin, die sich viele Sinnfragen stellt, vieles in Frage stellt und versucht Antworten zu finden.
Es ist eine Suche nach dem was Leben bedeutet und ausmacht, was von dem Einzelnen bleibt, ob man einfach so verschwinden kann, ohne Spuren zu hinterlassen. Fragen, die sich die Protagonistin stellt, die sie umtreibt - nicht nur innerlich, sondern auch auf ihrer ziellosen Wanderschaft. Immer mehr fängt sie an sich aufzulösen - ja, bis.... am Ende bleibt ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Ein Buch, das vielleicht beim Leser nicht lange nachhallt, den Leser etwas enttäuscht, weil es keine Lösung am Ende gibt, vielleicht nur ein kleiner Hoffungsschimmer . Das lies mich etwas ratlos zurück, wenn ich auch zugeben muss, das es eine realistischeres Ende ist, als wenn sich die Protagonistin am Ende eine rapide Kehrtwendung gemacht hätte, was auch nicht gepasst hätte.
Ich empfand beim Lesen sehr gut was Elyria empfunden hat. Ihre Gedanken, ihre Fragen. Das war nicht immer leicht, denn die Depression, in der sich die Protagonistin befindet, verlangt auch vom Leser viel ab. Dennoch sind es Fragen, mit denen sich Protagonistin auseinandersetzt, die die meisten Menschen im Laufe des Lebens auch sich selbst stellen. Nach dem Sinn des Lebens, den Spuren eines selbst, die bleiben oder auch nicht.

Fazit:
Keine leichte oder gar seichte Lektüre, eine auf die man sich einlassen muss, bei dem man das Gelesene auch nachspüren muss, bei der es weniger um Handlung als um Gefühle und Sinn-Fragen geht. Von mir eine Empfehlung für alle, die sich damit auseinandersetzen möchten, die dennoch aber bereit sind auf eine vorgesetzte Lösung zu verzichten.

Veröffentlicht am 27.09.2017

Bedrückend und dennoch faszinierend

Heimkehren
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Heimkehren von Yaa Gyasi erzählt die Geschichten von zwei Schwestern und ihren Nachkommen - eigentlich ist es ein Buch mit vielen Lebenwegen, vielen Protagonisten, die alle ihre eigene Geschichte haben.
Es ...

Heimkehren von Yaa Gyasi erzählt die Geschichten von zwei Schwestern und ihren Nachkommen - eigentlich ist es ein Buch mit vielen Lebenwegen, vielen Protagonisten, die alle ihre eigene Geschichte haben.
Es fängt an mit Effia und Esi in Ghana im 18. Jahrhundert. Die beiden haben die selbe Mutter, doch sie haben sich nie kennen gelernt. Effia´s Familie provitiert vom Sklavenhandel, mischt munter bei dem Handel mit. Sie selbst heiratet einen britischen Offizier. Ungeahnt von ihr, wird im Verlies der Briten auch ihre Schwester Esi auf das Schiff warten, das diese nach Amerika in die Sklaverei bringen wird.


Es gibt zwei Erzählstränge, die beide bis in die heutige Zeit reichen. Abwechselnd wird jeweils die Geschichte eines Nachkommen Generation für Generation erzählt. Eigentlich besteht das Buch aus vielen kleinen Erzählungen, dennoch gehören sie zusammen, es sind verschiedene Lebenswege wie Perlen auf eine Schnur gereiht, das Band ist die Familienbande, die Zusammengehörigkeit.
Diese einzelnen Geschichten verhindern zwar einen durchgehenden Erzählfluss, jedoch ist es gerade diese Chronik, dieses Wissen, wie geht es Generation für Generation weiter, was lernt der Einzelne von seinen Vorfahren, was übernimmt er oder was lehnt er ab, das was fasziniert. Die Autorin hat gerade diese Entwicklung meines Erachtens sehr gut gestaltet und mit allen möglichen Facetten versehen.

Die Wege, die die einzelnen Protagonisten gehen, die Dinge, die sie erleben, erleiden oder auch durch eigene Handlungen anderen oder sich selbst antun, sind sehr unterschiedlich. Diese große Bandbreite ist faszinierend, manchmal bedrückend, aber immer wirkt es authentisch. Die Autorin schafft es, dass jeder dieser vielen Personen ein Leben eingehaucht wird, eine Geschichte, einen Lebensweg bekommt. Hilfreich ist für mich auch der ans Ende gestellte Familienstammbaum gewesen.

Das Cover hat mir gefallen, auch wenn man es wahrscheinlich erst am Ende des Buches deuten kann - ich will hier nicht spoilern. Mir jedenfalls scheint es sehr zu der Geschichte zu passen und die Farben und die Gestaltung sind auffällig und ein Hingucker.

Fazit:
Es gibt viele Attribute, die ich dieser Geschichte geben möchte: faszinierend, bedrückend, gelungen, vielfältig, emotional, intensiv, verschlungen, lehrreich, ungewöhnlich, anstrengend, aufwühlend, anspruchsvoll und völlig anders als erwartet ! Einfach sehr gut und zu empfehlen.