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Veröffentlicht am 07.04.2017

eine ganz besondere Betrachtungsweise auf die Ostergeschichte

Osteraugen
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Raphael Müller, Jahrgang 1999, stumm, autistisch und hochbegabt, hat mich wieder einmal mit seinem Worten begeistert. Ich habe schon seine autobiografische Geschichte "Ich fliege mit zerrissenen Flügeln" ...

Raphael Müller, Jahrgang 1999, stumm, autistisch und hochbegabt, hat mich wieder einmal mit seinem Worten begeistert. Ich habe schon seine autobiografische Geschichte "Ich fliege mit zerrissenen Flügeln" gelesen, schon damals war ich beeindruckt von der Tiefe und Sprachgewalt seiner Worte.

Im neuesten Buch "Osteraugen" erzählt er in Kurzgeschichten den Ablauf der Osterzeit, der Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Das besondere daran ist die Betrachtungsweise. Hier kommen Menschen, Tiere und Dinge "zu Wort", die diese Zeit miterlebt haben. Angefangen vom Esel, auf dem Jesus Palmsonntag geritten ist, von Steinen, die den Weg säumten, vom Baum, der den Verrat Judas beobachtet hat, aber auch Pontius Pilatus, Maria, Petrus und Johannes erzählen.
Jede Geschichte ist ein Teil der gesamten Geschichte, aneinandergereiht wie eine Perlenkette ergeben diese facettenreiche Gedankenspiele ein wunderbares Buch, das für Leser fast aller Altersgruppen geeignet ist.
Egal ob Mensch, Tier, Engel, Gegenstand, der Autor schafft es sich in jeden hinein zu fühlen und vor allem das auch in Worte kleiden zu können. Als Leser kann man nur staunen. Keine Geschichte ähnelt der anderen, alle gehören aber zusammen, denn sie ergeben ein Gesamtbild. Es ist eine Osterbotschaft der ganz besonderen Art.

Beeindruckt haben mich auch wieder die Gedichte Raphael Müllers , die in gedruckter Form schon optisch eine Besonderheit sind, im Klang harmonieren und inhaltlich so viel aussagen können.

Fazit:
Eine wunderbare Einstimmung auf die Osterzeit, zum Nachdenken, Innehalten und aus einer ganz besonderen Betrachtungsweise erzählt.

Veröffentlicht am 02.04.2017

Zum Eintauchen in eine frühere Zeit

Vernunft und Gefühl
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Aufgrund des 200. Todestages der Autorin Jane Austen am 18.07.2017 hat der Manesse Verlag ihr erstes Werk "Sense und Sensibility" von Andrea Ott neu übesetzen lassen. Ihr gelingt es mit ihrer Übersetzung, ...

Aufgrund des 200. Todestages der Autorin Jane Austen am 18.07.2017 hat der Manesse Verlag ihr erstes Werk "Sense und Sensibility" von Andrea Ott neu übesetzen lassen. Ihr gelingt es mit ihrer Übersetzung, mich einerseits in das viktorianische Zeitalter versetzen zu lassen, anderseits aber auch, trotz der beibehalten geschliffenen, verschnörkelten Sprache und Sätze, mich darin wohlzufühlen, es mit Genuss lesen zu können, da es trotz aller Widesprüchlichkeit auch eine moderne Sprache ist, derer sie sich bedient.
Diese Ausgabe von "Vernunft und Gefühl" erschien am 13.03.2017 mit einem hochwertigen, ansprechendem und hochglänzendem Schutzumschlag.

Zum Inhalt:

Temperamentvoll und leidenschaftlich, ist Marianne Dashwood das genaue Gegenteil ihrer älteren Schwester, der beherrschten und vernünftigen Elinor. Dass sich Marianne Hals über Kopf und natürlich unglücklich in den begehrten Frauenschwarm John Willoughby verliebt, erstaunt daher niemanden. Aber auch Elinor erlebt mit dem Mann ihres Herzens eine böse Überraschung, denn «ihr» Edward Ferrars hat einer anderen die Ehe versprochen. Gemeinsam lernen die ungleichen Schwestern mit ihrer Enttäuschung zu leben und nach einer dramatischen Zuspitzung der Ereignisse den Standpunkt der jeweils anderen besser zu verstehen. In der Neuübersetzung von Andrea Ott erstrahlen geschliffener Witz und lebendige Dialoge dieser beliebten Klassikerin in frischem Glanz.
(Quelle; https://www.randomhouse.de/Verlag/Manesse/37000.rhd)

Meinung:
Ich habe mich lange an keinen Klassiker mehr herangetraut. Und habe damit eindeutig etwas verpasst.
Schon gleich von Anfang an konnte mich das Buch fesseln. Es steckte nicht nur voller Liebe und Herzensleid, immer wieder gab es feinen Humor, ja, manchmal sogar satirische Dialoge, die mir ein unheimliches Lesevergnügen bereitet haben.
Dazu wurde man in ein andere Zeit versetzt, in ein viktorianisches, steif anmutendes Jahrhundert, das so ganz anders ist als unser heutiges. In dem - in den höher gestellten Kreisen - steife und feste Konventionen galten. Dennoch waren auch damals die Menschen entweder temperamentvoll, leidenschaftlich, ernst, vernünftig, hinterhältig, egoistisch, selbstlos, traurig, kühl, besorgt, verliebt, schwatzhaft, geizig oder verschwenderisch.
Und das sehe ich als große Kunst Jane Austens an, sie hat Protagonisten mit einer ganzen Breite an Gefühlen erschaffen, die so verschieden auch sein mögen, untereinander in dieser Geschichte zusammen gehören, zusammen agieren, so dass der Leser gefesselt wird. Es sind die widersprüchlichsten Charaktere, die hier die Essenz ausmachen, dennoch schafft die Autorin einem beim Lesen immer wieder zu überraschen, immer wieder gibt es neue Wendungen, neue Aktionen, in denen man als Leser regelrecht mitfiebert, bangt und hofft.

Ich habe mich jedenfalls bestens unterhalten gefühlt, bin in diese Zeit eingetaucht, habe mit Elinor und Marianne gefühlt und gelitten, habe mich an den Dialogen erfreut und habe mich auch einige Male über die humorigen Spitzen in diesem Roman amüsiert.
So habe ich das immerhin über 400 Seiten starke Werk innerhalb kürzester Zeit ausgelesen.

Nicht umsonst ist das Buch, dass das erste Mal 1811 veröffentlicht worden ist, seit nunmehr 200 Jahren immer wieder neu aufgelegt worden.

Mir hat auch das angehängte Nachwort von Denis Scheck gefallen der das Buch und die Autorin nicht nur zeitlich eingeordnet hat, die Autorin beleuchtet und manche kritischen Stimmen über das Werk (hier geht es um die fehlenden geschichtlichen bwz. politischen Bezüge in Austens Werken) mit eingeflochten hat, insbesondere aber seine sehr positven Ansichten über das vorliegende Werk.



Fazit:
Das Buch erlaubt beim Lesen ein eintauchen in eine andere Zeit. Es geht um Liebe und Leid, gespickt mit Humor und Satire. Vernunft contra Gefühl - genial formuliert, fesselnd geschrieben und zum 200. Todestag von Jane Austen vom Manesse Verlag neu übersetzt und aufgelegt.

Veröffentlicht am 30.03.2017

Vergangenheit und Geheimnisse

Die Zitronenschwestern
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Elettras Mutter liegt schon ein Jahr im Koma, die Bäckerei, die sie von ihr übernommen hat, musste sie aus finanziellen Gründen schließen. Was nun? Da entdeckt Elettra innerhalb weniger Tage einige Hinweise, ...

Elettras Mutter liegt schon ein Jahr im Koma, die Bäckerei, die sie von ihr übernommen hat, musste sie aus finanziellen Gründen schließen. Was nun? Da entdeckt Elettra innerhalb weniger Tage einige Hinweise, die auf eine Mittelmeerinsel hindeuten. Liegt da die Vergangenheit ihrer Mutter ? Viel weiß sie nicht darüber, auch wer ihr Vater war, hat ihre Mutter ihr immer verheimlicht. Kurzentschlossen bricht Elettra auf um mehr zu erfahren.
Dort angekommen entdeckt sie ein altes Kloster. Bewohnt von drei Frauen. Was für ein Geheimnis verbergen sie ? Elettra spürt, dass sie hier mehr heraus finden kann. Dass ihre Mutter hier gelebt hat. Was verbergen die Frauen? Und können sie sich zusammentun um das Kloster zu retten?

Valentina Cebeni hat nicht nur Geheimnisse aus der Vergangenheit, Freundschaft, Liebe und schöne Landschaften, ein ganz eigenes Inselvölkchen, sowie Kummer und Intrigen miteinander verwebt, sondern auch mit dem Duft von Anisbrötchen, Zitronen und manch anderer Leckerei mit einbezogen. Gut, dass auch die Backrezepte zu den beschriebenen Backwerken abgedruckt sind und zum nachbacken einladen.

Die Autorin schildert aus Sicht von Elettra, die hinter ihre Ursprünge, die Vergangenheit der Mutter kommen will, aber auch einsam ist und sich nach Liebe sehnt. Nach einem Zugehörigkeitsgefühl. Die anderen Protagonisten haben auch ihre Last zu tragen und daher hat jede ihr kleines oder größeres Geheimnis.

Die Geschichte ist interessant, verwickelt und ein interessantes Ambiente wird beschrieben. Erst nach und nach lüftet sich ein Geheimnis nach dem anderen, zudem gibt es auch Spannungen zwischen den aktiven Protagonisten. Doch um das Kloster zu retten müssen sie zusammen halten. Eigentlich eine spannende Ausgangslage. Dennoch konnte es mich nicht wie gewollt fesseln, da es doch für mich einige unnötige Längen gab. Und manch eine Stelle, die entweder zu zufällig oder zu unrealistisch war. Aber es gab auch viele Momente, wenn es um die Landschaft oder die Backkunst ging, bei denen ich das Beschriebene vor Augen hatte.
Der Roman spielt in den 1980er Jahren und man merkt, dass es eine andere, ruhigere, aber auch vom Verhalten eine verschlossenere Gesellschaft auf dieser Insel war. Eine andere Zeit, die hier im Roman beschrieben worden ist.

Für alle, die gerne Frauenromane mit Verwicklungen, Liebe, Geheimnissen lesen und sich über die abgedruckten Backrezepte freuen, empfehle ich es mit Einschränkungen weiter. Aber vielleicht gefällt es euch besser als mir ?
Das Cover ist jedenfalls herrlich erfrischend, anziehend und peppig gemacht!

Veröffentlicht am 30.03.2017

Warmherzig und gefühlvoll

Ein Brief für dich
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Eshter (40), hat ihre beiden Töchter alleine großgezogen, nachdem ihr Mann vor 15 Jahren lieber die Welt entdecken wollte. Nun zieht auchi ihre jüngste Tochter aus. Tagsüber arbeitet sie in einer Drogerie, ...

Eshter (40), hat ihre beiden Töchter alleine großgezogen, nachdem ihr Mann vor 15 Jahren lieber die Welt entdecken wollte. Nun zieht auchi ihre jüngste Tochter aus. Tagsüber arbeitet sie in einer Drogerie, doch in ihrem Haus fühlt sie sich einsam. Hinzu kommt eine Hiobsbotschaft nach der anderen und so kommen auch finanzielle Sorgen hinzu. Gerade zu dem Zeitpunkt erreicht sie der "Hilferuf" (oder eher Befehl) ihres angeheirateten Cousins Walter, der Witwer hat in der Vergangenheit viel Leid erlebt, inzwischen ist er verbittert, exzentrisch und meist schlecht gelaunt. Doch nun ist er auf Hilfe angewiesen und eigentlich passt es, dass Esther selber Unterstützung braucht.
Und was ist mit dem gutaussehendem Mann, den Esther an der Arbeit kennen gelernt hat ? Hajo ist eigentlich auf der Suche um eine Schuld seines Vaters zu sühnen. Doch das scheint nicht so einfach zu sein wie gedacht.
Und was hat es mit den geheimnisvollen Briefen auf sich, die Esther und Walter anonym bekommen haben ? Während Esther sich über ihren freut und neue Hoffnung bekommt, scheinen bei Walter alte Wunden wieder aufzubrechen.....


Dorothea Morgenroth hat mit "Ein Brief für dich" einen warmherzigen, gefühlvollen Roman rund um Schuld, Vergebung und die Liebe geschrieben. Die Protagonisten sind liebevoll zum Leben erwacht und als Leser kann man sich gut in sie hinein versetzen. Die Geschichte bleibt lange geheimnsivoll, der Leser erfährt erst peu a peu, was hinter allem steckt. So ist die Neugier beim Lesen groß und man rauscht nur durch die Seiten, denn die Autorin hat einen angenehmen, fesselnden Schreibstil.
Vor (fast) jedes Kapitel wurde ein biblischer/christlicher Spruch vorangestellt, genau wie in den geheimnisvollen Briefen, wo die Briefeschreiberin auch Bibelzitate verwendet um den Empfänger aufzumuntern und ihm Hoffnung zu schenken.
Das Buch gibt Hoffnung, macht Mut, lässt einen oftmals beim Lesen innehalten. Gleichzeitig ist es auch eine romantische Geschichte und Geheimnisse und Rätselraten kommt auch nicht zu kurz.

Auch wenn mir die ein oder andere Stelle etwas zu dick "aufgetragen" wurde, hat mir der Schreibstil des Buches ungemein gefallen. Hinzu kommen die nachvollziehbaren Veränderungen der Protagonisten, die diese durchlaufen haben, die Bürden, die sie alle, jeder für sich anfangs getragen haben, und dann ihre Öffnung, ihre Befreiuung, ihr Zuwenden zueinander, ihr Glauben und vor allem die Briefeschreiberin, die geleitet von Gott, nicht sich im Mittelpunkt hat, sondern ihre Mitmenschen. Die ein feines Gespür hat, die richtigen Worte zu finden. Deren Briefe , wie Steine waren, die sie ins Wasser geworfen hat und die jedesmal große Kreise gezogen haben.


Fazit:
Eine warmherzige, gefühlvolle Geschichte über Verzeihung, Hoffnung, Liebe und dem christlichen Glauben.

Veröffentlicht am 24.03.2017

Erinnerungen

Alles, was ich nicht erinnere
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"Ich rede mir ein, dass ich ein Teil der wirklichen Welt bin, dass Wörter nicht wichtiger als Menschen sind, dass ich nichts anderes will, als versuchen zu verstehen, was geschehen ist. " (Zitat, S. 315).


Samuel ...

"Ich rede mir ein, dass ich ein Teil der wirklichen Welt bin, dass Wörter nicht wichtiger als Menschen sind, dass ich nichts anderes will, als versuchen zu verstehen, was geschehen ist. " (Zitat, S. 315).


Samuel ist tot. Gestorben bei einem Autounfall. Selbstmord oder Unfall ? Die Geschichte "Alles, was ich nicht erinnere" ist ein Roman der ganz anderen Art. Interessant, manchmal verwirrend, es braucht auch vom Leser Konzentration und vor allem Aufmerksamkeit. Doch wenn man sich hinein gefunden hat, dann ist es eine sehr intensive Geschichte, bei der man selber nachdenkt, selber versucht sich eine Meinung zu bilden.

Das Grundgerüst des Romanes ist einfach. Ein schwedischer Journalist/Autor versucht das Leben des letzten Jahres von Samuel und vor allem dessen Tod zu rekonstruieren. Warum, wieso, weshalb ? Dafür befragt er die Menschen, die Samuel kannten. Angefangen von Mitarbeitern des Heimes, in dem seine Großmutter (deren altes Haus übrigens auch eine große Rolle spielt) liegt, über Nachbarn, der Pantherin (eine Freundin, die in Berlin lebt) und vor allem kommen Samuels Freund und MItbewohner Vandad und seine Freundin Laide zu Wort.
Am Anfang muss man sich reinfinden. Wiedergegeben sind immer nur die Antworten, die Berichte der Bekannten und Freunde. Keine Fragen. Es liest sich wie ein Protokoll von Gesprächen, wie die Niederschrift von Aufnahmeprotokollen, was sie auch darstellen sollen. Die Antworten der verschiedenen Interviewpartner werden nur durch Sternchen abgegrenz, wechseln häufig, meist sind es nur sehr kurze Passagen und jedesmal muss man überlegen, wer berichtet hier gerade ? Doch nach einer Weile habe ich mich hineingefunden in diesen besonderen Erzählstil.

Mehr als interessant wird es spätestens als Vandad und Laida erzählen. Abwechselnd. Manchmal zu den gleichen Ereignissen. Jeder aus seiner Sicht - meist erzählen sie widersprüchlich. Man kommt als Leser ins Grübeln - wer hat Recht, wer übertreibt oder erzählt nicht die (ganze) Wahrheit? Der Autor zeigt auf, dass je nachdem aus welchem Blickwinkel über Samuel berichtet wird, das Bild sich ändert. Verzerrt wird, verschleiert wird, gefiltert wird. Eine gelungene Darstellungsweise von Khemiri. Man fragt sich, wer war Samuel wirklich ? Wie war er und woran lag es, dass er so unterschiedlich wahrgenommen worden ist. Hat jeder nur sein eigenes (Wunsch)Bild projeziert ?


Vor allem sieht man immer Samuel vor sich, der sich wahrscheinlich genauso zwischen seinen Mitmenschen aufgerieben hat. Was hat schlußendlich zu seinem Tod geführt ?
Durch die Berichte seiner Mitmenschen merkt man, wie sich die Situation, die Stimmung bei Samuel immer mehr zugespitzte.
Als Leser versucht man sich ein eigenes Bild zu machen, was nicht immer leicht ist.
Was bleibt ist der Tod eines jungen Mannes, der sich verraten und letztendlich verlassen und ungeliebt gefühlt haben muss, der keinen Sinn mehr in seinem Leben sah, sich entwurzelt gefühlt hat und ohne Hoffnung.


Fazit:
Man muss ich einlassen auf die Erzählweise, auf die Geschichte und die Protagonisten. Es ist eine ganz andere Leseerfahrung. Anspruchsvoll, manchmal verwirrend, aber interessant, sehr gut aufgebaut, man muss Nachdenken und MItdenken.