Profilbild von walli007

walli007

Lesejury Star
offline

walli007 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit walli007 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.05.2017

Daunendrom

Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge
0

Vor langen Jahren hat der Schriftsteller Anthony Peardew einen kostbaren Gegenstand verloren, er gehörte seiner Verlobten Theresa, die kurz vor der Hochzeit plötzlich verstarb. Anthonys Leben war danach ...

Vor langen Jahren hat der Schriftsteller Anthony Peardew einen kostbaren Gegenstand verloren, er gehörte seiner Verlobten Theresa, die kurz vor der Hochzeit plötzlich verstarb. Anthonys Leben war danach wie abgetötet. Nur langsam kam er aus diesem Tief empor, aber er war für immer verändert. Anthony begann verlorene Dinge zu sammeln, genau schrieb er auf, wo und wann er sie gefunden hatte. Und schließlich dachte er sich Geschichten der verlorenen Dinge aus. Langsam ist Anthony älter geworden und er nimmt die Hilfe seiner Assistentin Laura gerne in Anspruch. Die ist sehr froh, dass sie die Stelle bekommen hat. Nach einer schweren Scheidung ist ihr Selbstbewusstsein auf einem Tiefpunkt angelangt. Laura muss erst einmal wieder zu sich finden und genießt die ganz besondere Atmosphäre in Anthonys Haus mit dem wunderschönen Rosengarten.

Diesen Debütroman von Ruht Hogan durchwandert man als sei man auf einer Entdeckungsreise. Immer neue kleine Geschichten und Handlungsstränge kann man entdecken. Der liebenswert melancholische Anthony, der seiner zerrauften, aber ausgesprochen sympathischen Assistentin einen Start in eine bessere Zukunft sichern möchte. Laura, die sich zunächst überfordert fühlt und ihre Aufgabe schließlich annimmt. Sunshine, mit dem Daunendrom, die mehr Durchblick hat als alle anderen, auch wenn die Worte manchmal den Gefühlen hinterher rennen müssen. Freddy, der gut aussehende Gärtner, der mehr auf dem Kasten hat als den wunderbaren Rosengarten zu pflegen. Um sie ranken sich Geschichten und Geschichtchen, die mal belustigen, mal wehmütig, mal melancholisch stimmen. Über allem liegt aber die positiv anheimelnde Stimmung, die das Haus, in dem Anthony lebt, auszuströmen scheint.

Ein wenig scheinen die Personen aus dieser Welt gefallen zu sein, beinahe zu lieb, zu gut scheinen sie. Und dennoch fasziniert und fesselt ihre Geschichte und das Geheimnis, welches sie umgibt. Wohlig angerührt verschlingt man Seite um Seite, mal voller Wehmut, mal voller Hoffnung, mal voller Mitempfinden. Auch wenn es vereinzelt ein paar Zufälle gibt, die eigentlich nicht passieren können und man vielleicht auch ein paar Schwierigkeiten hat mit von innen verschlossenen Türen, im Großen und Ganzen überzeugt die Autorin mit ihren liebenswerten Charakteren und einer runden heimeligen und anrührenden Geschichte. Und Sunshine hätte durchaus eine eigene Geschichte verdient.

Veröffentlicht am 07.05.2017

Birds on a Wire

Kommando Abstellgleis
0

Keiner kann sie so richtig gebrauchen und so wird einfach eine neue Brigade gegründet. Dorthin werden alle die versetzt, die krank sind oder faul, die quer denken, die unangepasst sind. Angeführt wird ...

Keiner kann sie so richtig gebrauchen und so wird einfach eine neue Brigade gegründet. Dorthin werden alle die versetzt, die krank sind oder faul, die quer denken, die unangepasst sind. Angeführt wird die Einheit von Commisaire Anne Capestan, die nach einer Suspendierung wieder arbeiten darf, aber am besten so, dass sie keinem in den Weg gerät. Sie leitet eine Abteilung, in die nicht nur die Ermittler sondern auch die ungelösten Fälle entsorgt werden. Allerdings kommt es anders als gedacht, denn in dieser Geistereinheit tauchen doch einige Polizisten auf, die bereit und willens sind zu arbeiten, die pfiffig und intelligent, mit Witz und Hartnäckigkeit an die wenigen Fälle herangehen, die in dem ihnen zugewiesenen Ausschuss doch nach Aufklärung rufen.

Das ist schon eine seltsame Abteilung, die Anne Capestan, die eher mit ihrer Entfernung aus dem Dienst gerechnet hat, da anführen soll. Allerdings eine Entfernung aus dem aktiven Dienst ist es schon. Denn Fälle, die irgendjemandem unter den Nägeln brennen gibt es nicht. Und ihr Team, das immerhin aus vierzig Leuten bestehen soll, wird in einer Wohnung untergebracht, die zum einen als Büro nur bedingt geeignet ist und zum anderen für diese Anzahl von Leuten gewiss nicht genug Platz bietet. So befürchtet Anne schon eine Einheit, betreuen zu dürfen, die tatsächlich nur aus Abwesenden besteht. Doch nach und nach trudeln die Kollegen ein.

Eigentlich nicht so gute Voraussetzungen für einen spannenden Kriminalroman bietet die Autorin mit ihrer Truppe von lahmen Enten. Doch was sie daraus macht vermag zu überraschen und zu fesseln. Das langsame Zusammenwachsen der Einheit, zumindest des Teils der Einheit, der gewillt ist zu arbeiten, das Auffinden der wenigen interessanten Ermittlungsansätze, den Eifer, mit dem die Abgehängten zur Sache kommen, das ist sehr erfreulich zu lesen. Mit den sympathischen Ermittlern wird man schnell warm. Behutsam wird berichtet, wieso sie kalt gestellt wurden. Doch gerade ihr Abgehängtsein gibt ihnen auch die Freiheit intensiv zu ermitteln, auch wenn es nur „Cold Cases“ sind. Sie haben zwar keine große Unterstützung, sie haben aber auch keinen Druck. Wie sich aus dieser Grundkonstellation eine brisante und packende Geschichte entwickelt, ist eine Freude zu lesen. Dieser erste Band einer Reihe macht Spaß und fesselt mit einem Fall, der es in sich hat. Den Namen Sophie Hénaff wird man sich gerne merken.

Veröffentlicht am 05.05.2017

Der Container

Der Schrei der Kröte
0

Die 10jährige Gitte Mikkelsen tot aufgefunden. Als wäre ein Mord an einem Kind nicht schon schlimm genug hat der Mörder nichts besseres zu tun gehabt als das Kind ausgerechnet in einem Abfallcontainer ...

Die 10jährige Gitte Mikkelsen tot aufgefunden. Als wäre ein Mord an einem Kind nicht schon schlimm genug hat der Mörder nichts besseres zu tun gehabt als das Kind ausgerechnet in einem Abfallcontainer zu entsorgen. Wie menschenverachtend muss einer sein. Daran haben auch die ermittelnden Beamten zu knacken. Was bei den Polizisten, unter ihnen Rolando Benito, ebenfalls eine gewisse Missstimmung auslöst: Die Journalistin Anne Larsen und ihre Fotografin Kamilla Holm scheinen den Beamten häufiger einen Schritt voraus zu sein. Zu Beginn kommt die Untersuchung auch nur langsam voran, denn niemand scheint ein Motiv zu haben. Umso mehr geraten die Ermittler unter Druck als auch noch eine Freundin der Ermordeten spurlos verschwindet.

In seinem ersten Fall steht Rolando Benito, der dänische Polizist mit italienischen Wurzeln, nicht einmal besonders im Mittelpunkt. Die Reporterin Anne Larsen und ihre Fotografin sind des öfteren schneller als er mit dem Finden und Entschlüsseln von Hinweise. Die beiden Frauen setzen ihre Spürnasen mit großem Eifer dafür ein, die Hintergründe des grausamen Mordes zu entschlüsseln. Dabei kämpfen sie nicht nur um die Wahrheit, sondern sie kämpfen auch mit den Wunden, die ihre eigenen Leben bestimmen. So scheint Anne immer auf der Flucht zu sein und Kamilla muss den tragischen Unfall ihre kleinen Sohnes verkraften, der leider einen tödlichen Ausgang hatte.

Obwohl der Roman einen interessanten und spannenden Ansatz hat, bleibt gerade der Ermittler, nach dem die Reihe benannt ist, etwas flach und blass. Den beiden Pressemitarbeiterinnen und ihren privaten Traumata wird dagegen zumindest gefühlt mehr Platz eingeräumt. Dadurch wirken die beiden weiblichen Protagonistinnen viel lebendiger als der eigentliche Ermittler und sein Team. Etwas mühsam ist es bei den ausführlich geschilderten Problemen der Ermittler/Presseleute den eigentlichen Fall nicht aus den Augen zu verlieren. Zwar halten spannende und unerwartete Entwicklungen immer wieder bei der Stange und wecken die Neugier am Ausgang des Kriminalfalles, doch so ganz will der Funke nicht überspringen. Dennoch ein lesenswerter Krimi, der allerdings ein wenig mehr Tempo gebrauchen könnte.

3,5 Sterne

Der Schrei der Kröte von Inger Gammelgaard Madsen (gelesen in der ebook-Fassung des SAGA-Egmont Verlages)
ISBN: 978-3-955-10106-0 (der Taschenbuchfassung des Osburg-Verlages)

Veröffentlicht am 04.05.2017

Der schöne Ludwig

Mordkapelle
0

Die Journalistin bei Tag 7 Ira Wittekind möchte auch einmal frei haben und so ist geplant, auf den Rehmer Markt zu gehen, eine kleine Kirmes im beschaulichen Bad Oeynhausen. Wie so oft kommt es jedoch ...

Die Journalistin bei Tag 7 Ira Wittekind möchte auch einmal frei haben und so ist geplant, auf den Rehmer Markt zu gehen, eine kleine Kirmes im beschaulichen Bad Oeynhausen. Wie so oft kommt es jedoch anders. Die nahegelegene Friedhofskapelle am Mooskamp brennt und natürlich begibt sich Ira wie es der Beruf verlangt an den Ort des Geschehens. Was erst ein mysteriöser Brand zu sein scheint, entpuppt sich schnell als schlimmeres Verbrechen. In der Kapelle wird eine Leiche gefunden, die offensichtlich verbrannt ist. Hierbei soll es sich um den schon älteren und beliebten Apotheker Ludwig Hahnwald handeln. Für ihre Zeitung berichtet Ira Wittekind von den Ereignissen.

Jeder Mensch hat eine Geschichte, nicht immer ist es eine schöne Geschichte, doch beginnt man nachzufragen, wird man häufig herausfinden, dass hinter einer vermeintlich normal unauffälligen Fassade doch mehr verborgen sein kann. Eine Reporterin, die nicht auf die Lösung eines Falles beschränkt ist, kann sich Zeit nehmen, einem Menschen nahe zu kommen. Und so macht sich Ira Wittekind auf, Ludwig Hahnwalds Geschichte zu entdecken. Allgemein beliebt war der ältere Herr, doch auch Schicksalsschläge musste er erleiden. So ist sein Sohn an einer Erkrankung verstorben und auch seine erste Ehefrau verstarb früh. Nun hinterlässt er eine Witwe, die um etliches jünger ist als er. Und je weiter Ira recherchiert, desto mehr Details aus dem Leben des Apothekers erfährt sie.

In ihrem dritten Fall kommt die Journalistin Ira Wittekind einem ganz erstaunlichen Geschehen auf die Spur. Denn wer soll schon einen Grund haben, ein angesehenes Mitglied der Gemeinde vom Leben in den Tod zu befördern. Erst ruhig doch mit dem Fortschreiten der Ermittlungen immer spannender entwickelt sich die Recherche. Hinter der Fassade steckt mehr als man ahnt, das Leben des Apothekers war turbulenter und einige Charakterzüge werden ans Licht gefördert, die es durchaus erschweren den schönen Ludwig sympathisch zu finden. Umso sympathischer wirken dagegen die resolute Ira Wittekind und ihr Freund Andy. Und noch einige andere liebenswerte Charaktere sind in Iras Umgebung zu entdecken. Lediglich ein Nebenstrang lenkt etwas von der fesselnden Geschichte ab, was aber sicher beabsichtigt ist. Auch im schönen und beschaulichen Bad Oeynhausen ist man vor Verbrechen nicht gefeit. Mit feinem Lokalkolorit beschreibt die Autorin die Ereignisse und dies wird durch die wunderbare Lesung von Vera Teltz noch unterstrichen, ohne dabei zu übertreiben.

Ein sehr gelungener Kriminalroman, mit dem die Lokalreporterin Ira Wittekind, die die Leser sofort für sich einnimmt, einem größeren Publikum vorgestellt wird.

Sowie ersichtlich werden wird zumindest auch der erste Band der Reihe demnächst im Heyne-Verlag veröffentlicht, der zweite Band ist bei Graufisch Medien erschienen.

Veröffentlicht am 30.04.2017

Das weiße Blatt

Sommer unter schwarzen Flügeln
0

Nuri kommt aus Syrien. Mit ihrer Familie lebt sie in einem Flüchtlingsheim in der Einöde des Ostens. Sie geht zu Frau Silbermann, um zu erzählen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass sie dort auf Calvin ...

Nuri kommt aus Syrien. Mit ihrer Familie lebt sie in einem Flüchtlingsheim in der Einöde des Ostens. Sie geht zu Frau Silbermann, um zu erzählen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass sie dort auf Calvin trifft, in ihrem Alter, Deutsch, stramm rechts. Nuri, die eigentlich Nura heißt, beginnt ihre Geschichte zu erzählen. Und Calvin wird entführt, nach Syrien, nach Damaskus, in ein Land der Schönheit, in ein Land, in dem die Gefahr immer gegenwärtig ist, immer größer wird. Doch auch im grünen Deutschland gibt es Gefahren, die nicht unterschätzt werden dürfen. Die Asylanten sind nicht wohlgelitten und Calvin gehört zu denen, die man am besten meidet wie der Teufel das Weihwasser.

Ausgerechnet bei Frau Silbermann, die Birkenau überlebt hat, treffen sich Nuri und Calvin. Nuri, die erzählen muss, um sich zu befreien. Und Calvin, der zunächst widerwillig zuhört und doch immer mehr in den Bann ihrer Geschichte gezogen wird. Calvin fängt langsam an zu begreifen, dass Nuri und ihre Familie wohl nicht ohne Grund geflohen sind. Nuri, die sieht, dass auch so fremdenfeindliche Typen wie Calvin ihre Erzählung der Flucht aushalten sollten. Doch kann das aufkeimende bessere Verständnis zwischen diesen beiden die Situation zwischen den Menschen, die in dem Asylantenheim leben, und denen, die in den Sozialwohnungen leben, entspannen. Eher bieten die beiden, für beide Gruppen einen Grund noch mehr aufeinander loszugehen.

Nach der Lektüre dieses aufwühlenden Romanes muss man erstmal innehalten und tief durchatmen. Eine ganze Weile sitzt man vor dem weißen Blatt bevor man beginnen kann, seine Eindrücke in Worte zu fassen. Der Autor berichtet in brutal offenen Worten von einer Wirklichkeit, von der man eigentlich nichts wissen will. Und dennoch saugt man die Worte auf, besonders die Nuris über das Leben in Syrien, wie der relative Frieden immer mehr zerbricht, wie es gefährlicher und grausamer wird. Vor Gewaltexzessen geflüchtet, landet Nuris Familie in dem so gelobten Deutschland gerade nicht in einer besseren Welt. Auch hier wird sie bedroht, auf eine brutale Art und Weise, die weit über bloßen Protest hinausgeht. In was für einem Land leben wir hier eigentlich? Natürlich geht es hier auch nicht jedem gut, doch wie kann das ein Grund sein, über andere, denen es noch schlechter geht, herzuziehen? Je weiter man liest, desto mehr ist man gebannt. Je weiter man liest, desto mehr zögert man. Es geht auf ein Ende zu, das man nicht kennen möchte. Und doch setzt man sich dem aus, um mit dem Denken fortzufahren, um endlich zu denken, sich zu informieren und zu begreifen, zu trauern und sich zu schämen. Dies ist eine Geschichte, die zwar nur ein Roman ist, in der aber so viel von unserer Wirklichkeit steckt, dass sie unbedingt gelesen werden muss.