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Veröffentlicht am 18.11.2022

Alter Adel

Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens
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Nach einem Anschlag kommt der alte Comte de Chacarasse plötzlich ums Leben. Er kann sich gerade noch nach Hause schleppen und auf dem Sterbebett nimmt er seinem Sohn Lucien das Versprechen ab, er möge ...

Nach einem Anschlag kommt der alte Comte de Chacarasse plötzlich ums Leben. Er kann sich gerade noch nach Hause schleppen und auf dem Sterbebett nimmt er seinem Sohn Lucien das Versprechen ab, er möge die Familientradition fortführen. Lucien stimmt dem zu, obwohl er eigentlich nichts mehr mit dieser Beschäftigung der Familie zu tun haben wollte. Schon vor Jahren hat er ein Bistro eröffnet. Doch nun muss er sich in der Kunst des Mordens üben. Denn das ist die geheimnisvolle Tätigkeit, die die Chacarasses ausüben. Ihre Auftraggeber bleiben dabei unbekannt, doch das Salär ist üblich. Lucien hofft, er bringt es irgendwie zusammen, ohne anderen Menschen allzu sehr zu schaden.

Zum Start einer neuen Reihe muss der Killer wider Willen erstmal in seine neue Rolle finden. Sehr menschlich ist er entsetzt über den plötzlichen Tod seines Vaters. Und er will wissen, wieso sein Vater umgekommen ist. Doch zunächst stört sein Onkel, der einen Auftrag weiterzugeben hat. Wie soll das denn gehen? Jemanden umbringen? Lucien weiß nicht, inwieweit er Francine, die Sekretärin seines Vaters, einbeziehen kann. Eine Stütze ist ihm die ältere Haushälterin Rosalie, mit der das Leben einfacher wäre, wenn sie zugeben würde, dass sie in ihrem Alter nicht mehr so gut hört.

Von Wolfram Koch gekonnt vorgetragen, nimmt man es Lucien de Chacarasse ab, dass er sich mit einiger Selbstironie und doch auch einem gewissen Einsatz seiner neuen eher ungewollten Aufgabe widmet. Dabei ist er gezwungen, sein Leben neu zu ordnen. Man gewinnt den Eindruck, dass eine Rahmenhandlung sich durch die Krimireihe ziehen wird, in den einzelnen Bänden jedoch ein Hauptthema vorhanden sein wird. In diesem ersten Band muss sich alles zusammenfinden. Wie wird Lucien seine Arbeit im Bistro mit der Kunst des Tötens in Einklang bringen? Soll er Francine zu seiner Geschäftspartnerin machen? Die Interpretation seiner neuen Tätigkeit ist eigenwillig und interessant. Neben den spannenden Entwicklungen kommt zum Glück auch der Humor nicht zu kurz, der sich manchmal auch im Kopf abspielt.

Ein ansprechender erster Band, der im Ladenregal durch sein farbenfrohes und stimmiges Cover auffällt.

Veröffentlicht am 17.11.2022

Micromort

Vilma zählt die Liebe rückwärts
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Kleine Tode warten überall, das Leben ist gefährlich. Das weiß die 35jährige Vilma Veierød genau, sogar Bananen weisen eine geringe Radioaktivität auf. Vilma versucht den größten Gefahren zu entgehen. ...

Kleine Tode warten überall, das Leben ist gefährlich. Das weiß die 35jährige Vilma Veierød genau, sogar Bananen weisen eine geringe Radioaktivität auf. Vilma versucht den größten Gefahren zu entgehen. Sie lebt allein in einem Haus in Oslo, dass sie von ihrer Großtante Ruth geerbt hat. Sie gibt Klavierstunden auch gerne Online. Verwandte hat sie nicht mehr. Deshalb ist sie ausgesprochen überrascht, als ihr der Pfarrer mitteilt, ihr Vater sei während eines Fluges verstorben und habe ihr ein Bündel Briefe hinterlassen. Vilma hat überhaupt keinen Vater, jedenfalls kennt sie ihn nicht. Und doch beginnt sie, die Briefe zu lesen.

Ihr Leben verlief in so ruhigen Bahnen, alles getaktet und geregelt. Auf Überraschungen steht Vilma nicht. Am liebsten würde sie ihren neuesten Klavierschüler nicht hereinlassen. Doch bei ihm daheim gibt es kein Klavier und er schafft es Vilma einige Überraschungen zu bereiten. Noch mehr beschäftigen sie jedoch die Briefe und der Umgang mit ihrem toten Vater. Wer kann schon behaupten, er habe seinen Vater erst nach dessen Tod kennengelernt. Doch durch die Briefe hat Vilma die unerwartete Gelegenheit, etwas über die Geschichte zu erfahren, wie sich ihre Eltern kennen- und lieben gelernt haben.

Welch eine schöne Geschichte, die alles hat, was man von einem berührenden Roman erwartet. Vilma hat einen ein wenig eckigen Charakter, der sie sehr sympathisch macht, besonders je mehr man über die Erzählung ihres Lebens erfährt. Sie saugt die Briefe ihres Vaters förmlich auf, erst eher widerwillig, aber bald schon fällt es ihr schwer dem Wunsch des Vaters zu entsprechen, nur einen Brief pro Tag zu lesen. Sowohl Vilmas Geschichte als auch die ihres Vaters berührt das Herz. Da ist es unerheblich, dass manche Wendung vielleicht vorhersehbar ist. Hier ist wirklich der Weg das Ziel und diesen Weg beschreitet man ausgesprochen gerne. Dabei ist es ein Genuss, dass beim Hörbuch die Briefe von Wolfgang Gerber vorgelesen werden, während der Vortag der weiteren Handlung in die Stimme von Felicity Grist gelegt wurde. Zwar kann man sich das zum Glück ungekürzte Hörbuch nicht am Stück zu Gemüte führen, doch man freut sich immer wieder, wenn es weitergeht.

Veröffentlicht am 13.11.2022

Hohe Politik

Die Erweiterung
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Bei der EU-Behörde in Brüssel bearbeiten einige der Beamten den Beitrittsprozess einiger Balkanstaaten. Allerdings geht es nicht so schnell voran wie von den Kandidaten insbesondere Albanien gewünscht. ...

Bei der EU-Behörde in Brüssel bearbeiten einige der Beamten den Beitrittsprozess einiger Balkanstaaten. Allerdings geht es nicht so schnell voran wie von den Kandidaten insbesondere Albanien gewünscht. Der Präsident Albaniens hat gewissermaßen die Schnauze voll. Er will doch derjenige sein, der sein Land nach Europa führt. Doch der Apparat ist so langsam und immer gibt es neue Forderungen. Der Pole Adam, der kurz bevor das sozialistische Regime in Polen viel im Widerstand war, hofft in seinem Freund Mateusz, der inzwischen Staatsführer von Polen ist, einen Verbündeten zu haben. Doch weit gefehlt. Mateusz verfolgt andere Ziele.

Mit diesem Roman hat der Autor eine Fortsetzung seines preisgekrönten Romans „Die Hauptstadt“ geschaffen. Und dieser Band ist für den Österreichischen Buchpreis nominiert. Man begibt sich erneuten in die Mühlen der Brüsseler Europapolitik. Strukturen, die nicht leicht zu durchschauen sind. Klare Worte spricht am ehesten der Präsident Albaniens, dem der Verhandlungsprozess zu langsam geht. Er muss seinem Volk etwas bieten. Welche Idee einer seiner Berater, ein Dichter, ein Quereinsteiger, hervorbringt, ist beinahe unglaublich und schräg und gerade damit einnehmend. Dass sich daraus ein Kriminalfall entwickeln kann, war wirklich nicht vorhersehbar. Die diplomatischen Kanäle laufen heiß und größerer Schaden muss abgewendet werden.

Vermutlich konnte der Autor beim Schreiben des Romans nicht wissen, welche Bedeutung die Beitrittsersuchen der Balkanstaaten inzwischen gewonnen haben. Es wäre einem beim Lesen sicher nicht so gegenwärtig gewesen, wie hingehalten sich die Staaten vorkommen, wenn es nicht in der derzeitigen politischen Situation noch einmal deutlich geworden wäre. Gerade deshalb ist die Lektüre von besonderem Interesse. Die Trägheit des Prozesses, die Eigenheiten der Beamten hier und dort, Ausschnitte aus der Geschichte Albaniens. Gerne liest man von ungewöhnlichen Persönlichkeiten. Intrigante Staatenlenker, denen wenigstens relativ aufrechte Beamte gegenüber stehen, die sich wie im wahren Leben meist nicht durchsetzen können. Besonders zu Beginn ist es eine Freude vom Aberwitz des Beamtenapparates zu lesen und so manches Mal zu schmunzeln. Ein wenig fraglich ist es allerdings, ob der weitere Verlauf so gelungen ist, denn auch da könnte die Entwicklung inzwischen weiter sein. Vielleicht könnte sich die Frage stellen, ob gewisse Absichten anderer Staaten hinter den Ereignissen liegen, nur ein vager Gedanke, der vielleicht etwas weit hergeholt ist. Unter dem Eindruck des gesamten Werkes handelt es sich jedoch um eine tolle Groteske über den Politikbetrieb, dessen Ausuferung sich irgendwie nicht wieder einfangen lässt.

Veröffentlicht am 12.11.2022

Nachbarn und andere

Kummer aller Art
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Frau Wiese kann nicht schlafen. Nicht einmal die Schafe, die auf grünen Wiesen über Zäune hüpfen, helfen. Herr Pohl braucht machmal Hilfe, damit sein Hund Lori an die Luft kommt. Er wünscht sich, die Beruhigungshalsbänder ...

Frau Wiese kann nicht schlafen. Nicht einmal die Schafe, die auf grünen Wiesen über Zäune hüpfen, helfen. Herr Pohl braucht machmal Hilfe, damit sein Hund Lori an die Luft kommt. Er wünscht sich, die Beruhigungshalsbänder für Hunde gäbe es auch für Menschen. Und das sind nur zwei der Nachbarn der Autorin, deren Verwandte viel mit Psychoanalyse zu tun haben und damit auch einige Schrullen aufzuweisen haben. Und es gibt natürlich auch die Nachbarschaft des Elternhaus, wo es schon etwas schockiert, wenn der Briefkasten der Kindheit nicht mehr da ist.

Mit dieser Sammlung kleiner Geschichten, die zuerst als Kolumnen in der Zeitschrift Psychologie Heute erschienen sind, gibt die Autorin einen kleinen Einblick in die Lebenswelt einer meist freundlichen Nachbarschaft. Obwohl das Verhältnis untereinander nicht unbedingt eng ist, so tauscht man sich doch aus. Auch bei kleinen Problemen, zum Beispiel der fehlende Zucker oder eben der Hund, der mal vor die Tür muss, hilft man sich. Die Erzählerin bewegt sich auch darüberhinaus, so hat sie gelernt, auf Lesereisen mit den Verspätungen der Bahn klarzukommen und sich auf Bahnhofstoiletten umzuziehen. Auch Begegnungen mit pubertierenden Teenagern können durchaus bereichern.

Ob man diese humorvollen und doch auch nachdenklich stimmenden kleinen Ausschnitte aus dem wirklichen Leben am Stück lesen möchte oder jeden für sich, muss man für sich entscheiden. So oder so wird man gut unterhalten, denkt, so ist es oder so würde man es sich wünschen würde. Die Geschichten sind manchmal so lebensnah, dass man hin und wieder meint, man könnte sich selbst daran erinnern oder zumindest an etwas ähnliches. Und so ist die Zeit, die man mit diesem Büchlein verbringt schnell verflogen, doch einzelne Geschichten oder Sätze, die man sofort unterschreiben würde, bleiben.

Veröffentlicht am 11.11.2022

Sehnsucht

Unsre verschwundenen Herzen
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In einer nicht allzu fernen Zukunft lebt der zwölfjährige Noah, der von seiner Mutter immer Bird genannt wurde, mit seinem Vater im Wohnheim einer Uni. Seine Mutter ist vor einigen Jahren verschwunden. ...

In einer nicht allzu fernen Zukunft lebt der zwölfjährige Noah, der von seiner Mutter immer Bird genannt wurde, mit seinem Vater im Wohnheim einer Uni. Seine Mutter ist vor einigen Jahren verschwunden. Sie gehörte zur Gruppe der asiatisch-stämmigen Amerikaner, die seit der Krise großen Repressalien ausgesetzt sind. Bird lebt nun allein mit seinem Vater, der in der Bibliothek arbeitet. In der Öffentlichkeit wird Bird Noah genannt und er soll sich möglichst unauffällig verhalten. Am besten sollte er garnicht zu sehen sein, damit seine asiatische Herkunft nicht auffällt. Doch der Junge vermisst seine Mutter. Gibt es keine Möglichkeit, mit ihr Kontakt aufzunehmen.

Bekommt Bird eine Möglichkeit, seine Mutter wiederzusehen. Manchmal fragt er sich, ob er sich überhaupt noch richtig an sie erinnert. Und sein Vater spricht nicht. Immer mahnt er zur Vorsicht. Natürlich wissen sie in der Schule, dass Birds Mutter Asiatin war und so ist sein Stand in der Klasse nicht besonders. Während einer kurzen Phase war seine Klassenkameradin Sadie ein Lichtblick in seinem Leben. Doch Sadie, in einer ähnlichen Situation wie er, verschwand von einem Tag auf den anderen. Nach einem winzigen Zeichen beginnt Bird gegen alle Widerstände nach seiner Mutter zu suchen.

Dieser dystopische Roman erzählt von einem Amerika, von dem man hofft, dass es so nie oder nie wieder bestehen möchte. Auch wenn man sich gerade in der heutigen Zeit mit Hoffnungen etwas schwer tut. Gerade zu Beginn des Buches fällt es einem schwer sich in Birds Lage zu versetzten. Etwas Ungläubig steht man davor und denkt, eigentlich kann es das nicht geben im Land der Freien. Wieso sind sie so? Schnell kommt die Überlegung, sind wir anders? Fast schon erleichtert macht man sich mit dem gewitzten Bird auf die Suche. Doch irgendwann ändert sich der Tonfall und die Erzählung wirkt mehr wie ein Bericht. Dieser kühle Ton macht es noch schwerer zu ertragen, was man vorgesetzt bekommt. Geradezu herzzerreißend wird die Handlung zum Ende hin. Dieser Roman angesiedelt in einer bedrückenden Welt hat doch auch etwas hoffnungsvolles.