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Veröffentlicht am 16.01.2023

Im Nebel

Internat
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Pascha ist Lehrer, er hat nichts getan oder gesagt. Wegen einer kleinen körperlichen Einschränkung muss er nicht zum Militär. Und doch kann er den kriegerischen Auseinandersetzungen nicht entkommen. Sein ...

Pascha ist Lehrer, er hat nichts getan oder gesagt. Wegen einer kleinen körperlichen Einschränkung muss er nicht zum Militär. Und doch kann er den kriegerischen Auseinandersetzungen nicht entkommen. Sein Neffe ist in einem Internat am anderen Ende der Stadt und Pascha soll in in diesen unsicheren Zeiten nach hause holen. In der Stadt ist alles anders, die Straßen sind leer. Der Bus fährt zwar noch, aber beinahe ohne Fahrgäste. Plötzlich ist Pascha nicht mehr sicher, ob er das Internat überhaupt erreichen wird. Mit Mühe erreicht er den Bahnhof, von dem keine Züge abfahren.

Dieser Roman ist erstmalig auf Deutsch herausgekommen im Jahr 2018. Es geht um einen jungen Lehrer in einem Ort der Ukraine, der sich eigentlich aus Politik und Krieg heraushalten will. Doch das Internat, in dem seine Schwester ihren Sohn untergebracht hat, erscheint nicht mehr sicher. Also macht Pascha sich auf den Weg und er erkennt seine eigene Stadt nicht mehr. Überall sind Spuren von Kämpfen zu sehen, Einschläge von Sprengsätzen. Auch Schüsse sind zu hören. Jeder neue Schritt birgt eine Gefahr. Doch inzwischen ist Pascha entschlossen, er wird seinen Neffen abholen.

Im Jahr 2018 hat der Autor mit seinem Roman den Preis der Leipziger Buchmesse verliehen bekommen und aktuell ist das Hörbuch in der Kategorie Bester Interpret für den deutschen Hörbuchpreis 2023 nominiert. Und dies ist keine abschließende Aufzählung. Unter dem Eindruck des heutigen Krieges möchte man wissen, wie der Autor seinen Protagonisten die Handlungen der Kriegsparteien von 2014 sehen lässt. Wenn einem auf einmal jegliche Sicherheit genommen wird und man nicht weiß, wer oder was um die nächste Ecke lauert. Die Sorge um das eigene Leben und auch die Sorge um das Leben der Familienmitglieder. Wie traumatisierend muss es sein auf Tod und Zerstörung zu blicken und letztlich die eigene Stadt nicht mehr zu erkennen. Wer heute immer noch nicht kapiert hat, dass Kriege zu führen kein angemessenes Mittel ist, um überhaupt irgendetwas durchzusetzen, der wird wohl überhaupt nichts mehr kapieren. Insofern ist dieser Roman eine sehr eindringliche Schilderung, wie fremd und gefahrvoll einem die eigene Nachbarschaft erscheinen kann. Und sie sogenannten Befehlshaber sind nicht die, die im Schützengraben sitzen. So ist dieser Roman nicht unbedingt leicht zu lesen, aber in seiner Schonungslosigkeit wichtig.

Veröffentlicht am 13.01.2023

Die Schlacht

Der eiserne Herzog
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Schon in jungen Jahren hat Guilhem, der Normanne, einiges erlebt. Nicht immer war sein Leben glücklich, doch einmal hat er wirklich Glück gehabt. Als er Matilda, seine Frau, kennenlernt, geht in seinem ...

Schon in jungen Jahren hat Guilhem, der Normanne, einiges erlebt. Nicht immer war sein Leben glücklich, doch einmal hat er wirklich Glück gehabt. Als er Matilda, seine Frau, kennenlernt, geht in seinem Leben sie Sonne auf. Gegen den Widerstand von Matildas Mutter heiraten sie und bekommen bald ihr erstes Kind. Überrascht ist Guilhem als der König von England, der keine Nachfolger hat, ihn zum Thronfolger erklärt. Etliche Jahre später neigt sich König Eadweards Leben dem Ende zu und Guilhem sieht sich am Ziel, doch Harold Godwin wird zum König ausgerufen, obwohl er Guilhem einen Treueeid geschworen hatte.

Guilhem, Herzog der Normandie, auch bekannt als Wilhelm, der Eroberer, wird hier in seinen jüngeren Jahren geschildert. Bis zur Schlacht von Hastings und damit der Eroberung der Krone und damit Englands entfaltet sich die Handlung. Guilhem handelt dabei insbesondere Matilda gegenüber freundlich und liebevoll und er baut auf ihr Urteil. Selbst mit Harold pflegt er bei dessen Besuch in der Normandie einen freundlichen Umgang. Doch wenn es um seine Position geht und darum, dass er als durchsetzungsfähiger Herrscher gilt, kann er mit einiger Härte auftreten und er erweist sich als fintenreicher Kämpfer, der es versteht sich durch ungewöhnliche Ansätze auch aus schwierigen Situationen zu befreien.

Geschichte erlebbar gemacht, so könnte man diesen Roman in Kürze beschreiben. Eigentlich ist die Vergangenheit so fern, doch mit authentischen Schilderungen und realistischen Zeichnungen der handelnden Personen, wird sie einem beim Lesen nahegebracht. Guilhem und Harold erscheinen grundsätzlich sympathisch. Man meint, sie hätten Freunde sein können. Und entwickelt sich eine unerbittliche Feindschaft, die sie letztlich aufs Schlachtfeld führt. Leider gab es keine friedliche Lösung. Und mit den Beschreibungen der Schlachten und der Art der Kriegsführung wird sehr deutlich vor Augen geführt, dass Krieg immer grausam ist und dass viele Menschen auf brutale Art zu Tode kommen. Und doch bleibt der Name Wilhelm, der Eroberer, ein Begriff, auch wenn die Herrschaft der Normannen in England nicht so lange währte. Ein hervorragend recherchierter historischer Roman, der die Vergangenheit lebendig werden lässt.

Veröffentlicht am 02.01.2023

Klar ausgedrückt

Eine Frage der Chemie
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Kochen ist Chemie, das erklärt jedenfalls Elizabeth Zott in ihrer Kochshow „Essen um sechs“. Was Zott damit sagen möchte ist, dass sie eigentlich Chemikerin ist, aufgrund der Umstände des Lebens nun aber ...

Kochen ist Chemie, das erklärt jedenfalls Elizabeth Zott in ihrer Kochshow „Essen um sechs“. Was Zott damit sagen möchte ist, dass sie eigentlich Chemikerin ist, aufgrund der Umstände des Lebens nun aber im Fernsehen gelandet ist. Und auch das ist im Jahr 1961 ein ungewöhnlicher Karriereschritt. Zwar hat Elizabeth studiert, aber promoviert hat sie nicht. Vielleicht ist sie deshalb in ihrem Institut unter den männlichen Kollegen nicht gut angesehen. Vielleicht sind die Kerle auch neidisch, weil sie besser ist. Einzig der Ausnahmewissenschaftler Calvin Evans sieht das anders. Für ihn ist Zott erstmal diejenige, die seine Laborbecher vereinnahmt hat.

Eine Frau in der Wissenschaft ist wohl auch heute nicht einfach, gerade wenn es um Naturwissenschaften geht. Grundsätzlich stehen den Frauen aber Möglichkeiten offen. In den 1950er und 1960er Jahren erlebt Elizabeth Zott das ganz anders. Mit vollem Herzen hat sie sich der Chemie verschrieben und sie wird von den Männern und dem System herbe ausgebremst. Ein Lichtblick ist nach den anfänglichen Schwierigkeiten Calvin Evans, der wenigstens versteht, wovon sie redet. Kein Wunder, dass die Beiden sich näher kommen, Calvin geht es schließlich ähnlich. Ihre kleine Lebensgemeinschaft erscheint fast perfekt als ihr Hund um halb sieben zu ihnen stößt. Dennoch sind ihre Lebensentwürfe unterschiedlich, was auch zu Problemen führt.

Dieser Roman steht schon seit Monaten auf der Bestsellerliste, was einen möglicherweise fast schon skeptisch werden lässt. Man hat widerstanden bis es der Roman auf die Nominiertenliste des Deutschen Hörbuchpreises in der Kategorie „Beste Unterhaltung“ geschafft hat. Und beste Unterhaltung wird hier tatsächlich geboten, zum einen durch die tolle Lesung von Luise Helm, zum anderen durch den Inhalt des Buches, der sich mitreißender darstellt als geahnt. Vielleicht sind einige Schicksalsschläge doch zu viel, doch gerade die Beschreibung der Frau in der Wissenschaft in der damaligen Zeit erscheint sehr authentisch und glaubhaft. Da kann man schon mal wütend werden und froh sein, dass man heute lebt. Man neigt dazu es als selbstverständlich hinzunehmen, doch man sollte es zu schätzen wissen, was Frauen seien sie auch fiktional wie Elizabeth Zott für ihre Töchter und Enkelinnen erreicht haben. Daneben berührt Elizabeth Zott mit ihrer Geradlinigkeit, die ihr schließlich echte Freundschaft und eine Familie beschert.

Veröffentlicht am 25.12.2022

Sehnsuchtsinsel

Wintersonne
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Jeppe Kørner hat sich nach Bornholm zurückgezogen nachdem er bei der Polizei eine Auszeit genommen hat. Doch natürlich kommt er nach Kopenhagen als seine ältere Freundin, die Schriftstellerin Esther de ...

Jeppe Kørner hat sich nach Bornholm zurückgezogen nachdem er bei der Polizei eine Auszeit genommen hat. Doch natürlich kommt er nach Kopenhagen als seine ältere Freundin, die Schriftstellerin Esther de Laurenti, seinen Beistand braucht. Gemeinsam fahren sie nach Bornholm, Jeppe, um seine Arbeit wieder aufzunehmen und Ester, um ein Buch über die Anthropologin Margrethe Dybris zu schreiben. Esther darf in Margrethes Haus wohnen, wo sich kurzfristig auf deren Tochter Ida aufhält. Ida berichtet, dass eigentlich auch ihr Bruder da sein sollte, aber sie kann ihn seit Wochen nicht erreichen. Gleichzeitig wird in Kopenhagen eine Leiche gefunden beziehungsweise Teile davon.

In ihrem fünften Auftritt muss Annette Werner erstmal ohne Jeppe Kørner auskommen. Er verbringt seine Auszeit auf Bornholm und Annette ist sich nicht sicher, ob sie ihn vermisst oder manchmal auch froh ist. Nichtsdestotrotz bekommt sie die Leitung der Ermittlung übertragen und sie wird es schon schaffen. Überraschend ergibt sich eine Verbindung nach Bornholm und Annette freut sich, dass sie Jeppe um Hilfe bitten kann. Diesen hat auch Esther um seine Hilfe bei der Suche nach dem Bruder Idas gebeten. Mit Annettes und Jeppes unterschiedlichen Ansätzen entwickelt sich eine Leidensgeschichte, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit hat.

Dieser fünfte Band der Reihe weiß wieder sehr zu fesseln. Wenn man auch am Beginn etwas bedauert, so entwickelt sich aus dem Schmerz eine tröstliche Erzählung. Eingebettet in einen spannenden Kriminalfall entwickelt sich eine echt starke Story. Zwar nicht offiziell, aber irgendwie ermitteln Annette und Jeppe doch gemeinsam und sie laufen zu Hochform auf. Auch Esters Recherchen zu ihrem Buch gestalten sich überraschend. Überhaupt kann man in diesem Roman das Rätseln sein lassen, die Autorin hat sowieso eine andere Lösung in petto. Und diese entfaltet sich so, dass die geneigte Leserin sich erhofft, dass die gelungene Verbindung nach Bornholm nicht abreißen wird.

Veröffentlicht am 23.11.2022

Westwärts

Transatlantik
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Anfang 1937 wird ein Offizier tot in seinem Auto aufgefunden. Offensichtlich hat er die giftigen Abgase eingeatmet. Allerdings deutet die Spurenlage darauf hin, dass es sich wohl nicht um einen Selbstmord ...

Anfang 1937 wird ein Offizier tot in seinem Auto aufgefunden. Offensichtlich hat er die giftigen Abgase eingeatmet. Allerdings deutet die Spurenlage darauf hin, dass es sich wohl nicht um einen Selbstmord handelt. Unter Verdacht gerät die Geliebte des Opfers Greta Overbeck. Diese wird nicht nur von der Polizei gesucht, sondern auch von Charly Rath. In der gemeinsamen Wohnung ist Greta schon seit Tagen nicht aufgetaucht. Eigentlich wollte Charly mit ihrem Ziehsohn Fritze ins Ausland gegangen sein. Doch zunächst mal muss sie ihn aus einer Anstalt herauspauken. Gereon Rath gilt als tot. Nur ganz wenige Menschen wissen von seiner Flucht.

In seinem neunten Auftritt kann sich Gereon Rath nicht mehr Kommissar nennen, er konnte sich absetzen und weiß noch nicht genau, wie es in seinem Leben weitergehen soll. Eine Möglichkeit bietet sich, als eine Person aus der Vergangenheit wieder auftaucht. Auch seine vermeintliche Witwe Charly musste ihre Pläne ändern. Sie will sich unbedingt um Fritze kümmern und auch ihre Freundin Greta muss sie ausfindig machen, die inzwischen auch von der Polizei gesucht wird. Und so gerät Charly in die Ermittlungen um den Mordfall, der ihr die Ereignisse zur Olympiade des Vorjahres in Erinnerung ruft.

Dieser neunte Fall um Gereon Rath bezieht sich recht eng auf den Vorgängerband, doch auch weitere Bezüge tauchen auf, die es als ratsam erscheinen lassen, die Reihe komplett zu kennen. Möglicherweise bietet es sich auch an, alle Teile noch einmal zu lesen, wenn die Reihe abgeschlossen ist. Wieder gelingt es dem Autor mit großem Können den immer beklemmender werdenden Alltag in dem politischen Umfeld Deutschlands kurz vor dem Krieg zu schildern und dies mit der spannenden Handlung eines Kriminalfalls zu verbinden. Man merkt einfach wie genau der Autor recherchiert, um diese besonders realistische Darstellung des Lebens unter dem grausamen Regime hervorzubringen. Wie die Menschen alltäglich durch Lautsprecherdurchsagen behelligt werden, wie tief die Propaganda in die Familien hineinwirkt, wie verblendet viele Menschen sind. Der Fall obwohl ebenfalls mit politischer Komponente bietet da einen Gegenpol.
Ein fesselnder zeitgeschichtlicher Kriminalroman aus einer Reihe, von der man sich wünscht, sie möge noch etliche weitere Bände bekommen.