Profilbild von walli007

walli007

Lesejury Star
offline

walli007 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit walli007 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.04.2021

Die Ungewollten

Die Toten vom Gare d’Austerlitz
0

Im Juli 1940 wird Paris von den Deutschen besetzt. Zuvor war der Krieg noch nicht ganz so nah, doch nun muss man bei jedem Schritt Obacht geben. Der noch vom ersten Weltkrieg gezeichnete Polizist Édouard ...

Im Juli 1940 wird Paris von den Deutschen besetzt. Zuvor war der Krieg noch nicht ganz so nah, doch nun muss man bei jedem Schritt Obacht geben. Der noch vom ersten Weltkrieg gezeichnete Polizist Édouard Giral wird zum Gare d’Austerlitz gerufen. Vier Männer sind dort tot aufgefunden worden. Kaum hat er mit den Ermittlungen begonnen tauchen auch schon die ersten Deutschen auf, unter ihnen der Major Hochstetter, der in Giral eine Art Verbindungsoffizier sehen möchte. Doch nicht nur Hochstetter, auch die Wehrmacht, die Gestapo und eine geheime Feldpolizei stecken ihre Nasen in den Fall.

Giral ist schon seit langen Jahren bei der Polizei und immer war es ihm ein Anliegen, Täter zu finden, damit Opfern Gerechtigkeit widerfahren kann. Und so geht er auch hier mit vollem Einsatz an die Untersuchung. Er will wissen, wieso die vier Männer sterben mussten. Und während der Suche nach der Wahrheit geht er seinen eigenen Weg. Dass er sich mit den Besatzern auseinandersetzen muss, stört ihn schon sehr. Angenehmer ist der Kontakt mit Mitgliedern des Widerstands, doch Giral ist nicht sicher, ob er da jedem trauen kann. Und Giral ist auch einer, der mitunter an sich selbst zweifelt.

In diesem interessanten historischen Kriminalroman wird ein Kriminalfall beschrieben, der unter der deutschen Besatzung gelöst werden muss. Der französische Ermittler Giral will sich selbst treu bleiben und wird doch verpflichtet mit den verhassten Feinden irgendwie zu kooperieren. Unklar bleibt lange, wer da welche Ziele verfolgt und wer wem wieso in die Parade fährt. Der eigentliche Fall geht vor den verzwickten halbpolitischen Verwicklungen etwas in den Hintergrund. Doch mit großen Interesse verfolgt man die Spannungen und Intrigen, die vor allem zwischen den deutschen Diensten herrschen. Eddie Giral ist von früheren Erlebnissen, über die teilweise in Rückblenden berichtet wird, gezeichnet. Auch wenn seine Handlungen nicht immer leicht nachzuvollziehen sind, ist er doch ein sehr gewissenhafter und ehrenvoller Polizist, dem seine Familie ausgesprochen wichtig ist. Mal wieder ein Kriminalroman vor historischem Hintergrund, der gleichzeitig lehrreich und fesselnd ist.

Veröffentlicht am 18.04.2021

Zitronenduft

Bittersüße Zitronen
0

Agente Enrico Rizzi kommt zu einem Unfallort. Eine alte Ape ist einen Abhang hinuntergestürzt. Die Fahrerin Elisa Constantini kann gerade noch hauchen, es habe sich nicht um einen Unfall gehandelt, bevor ...

Agente Enrico Rizzi kommt zu einem Unfallort. Eine alte Ape ist einen Abhang hinuntergestürzt. Die Fahrerin Elisa Constantini kann gerade noch hauchen, es habe sich nicht um einen Unfall gehandelt, bevor sie stirbt. Gemeinsam mit seiner Kollegin Antonia Cirillo begibt sich Rizzi daran, die Hintergründe des Todesfalls aufzuklären. Jeder kennt jeden auf Capri und so weiß Rizzi, dass Elisas Familie ihre berühmten Zitronen an einen örtlichen Hersteller von Limoncello liefert. Doch nach des Vaters Tod hat ihre Schwester Rafaela andere Pläne, sie will auf Ökolandwirtschaft umstellen und die einzelnen Bäume mit Crowdfarming finanzieren. Elisas Tod bedeutet einen schweren Schlag.

Auch bei ihrem zweiten Auftritt entführen Enrico Rizzi und Antonia Cirillo die Leser auf die schöne Insel Capri. Sonne, blauer Himmel und ein Duft von Zitronen, so stellt man es sich vor. Und natürlich auch mal ein Hauch von Diesel von den Motoren der Fährschiffe. In so einer Idylle, die durch die Touristen gerne frequentiert werden, kann es doch keins Verbrechen geben. So würde es der Kommandant der Polizeistation am liebsten sehen. Doch leider bleiben Menschen eben Menschen und auch ein Idyll nicht zwingend von Straftaten verschont. So stellt sich schnell heraus, dass die Bremsen von Elisas Fahrzeug manipuliert wurden.

Neben dem Erzeugen von einer gewissen Sehnsucht nach Urlaub auf der schönen Insel, zeigt der Autor auch Seiten der Insel, die der Besucher eher selten zu sehen bekommt. So werden bei der Zitronenernte Hilfskräfte eingesetzt, bei denen es sich häufig um Illegale handelt. Diese werden mitunter schlecht behandelt. Als Leser kann man in gewisser Weise hinter die Kulissen blicken und feststellen, dass der schöne Schein nicht immer gewahrt wird. Auch die Beziehungen zwischen den einzelnen Familien sind vielschichtig und für Zugezogene nicht leicht durchschaubar. Aus seinen Zutaten mischt der Autor einen spannenden und sehr interessanten Fall mit einem gewieften Ermittler und seiner Kollegin, der man gerne einen größeren Anteil und einen Gewinn des Wettlaufs wünscht.

Veröffentlicht am 17.04.2021

Provinzcop

Todesstrom
0

Im Jahr 1993 wird der junge Polizist Cormac Reilly zu einem Fall vermeintlicher häuslicher Gewalt gerufen. Die Situation in dem düsteren Haus ist unerwartet anders. Zwei Kinder wachen bei ihrer toten Mutter. ...

Im Jahr 1993 wird der junge Polizist Cormac Reilly zu einem Fall vermeintlicher häuslicher Gewalt gerufen. Die Situation in dem düsteren Haus ist unerwartet anders. Zwei Kinder wachen bei ihrer toten Mutter. Die 15jährige Maude beschützt den erst 5jährigen Jack.

Zwanzig Jahre später hat sich Reilly von Dublin wieder nach Galway versetzen lassen. Auf dem Revier gehen Gerüchte um, was der Grund dafür gewesen sein könnte. Quasi in der Probezeit bekommt Reilly zunächst nur alte unaufgeklärte Fälle zugewiesen. Darunter ist zu seiner Überraschung auch der noch immer unaufgeklärte Todesfall von vor zwanzig Jahren.

Bei seinem ersten Auftritt unternimmt Cormac Reilly zumindest von außen betrachtet einen Karriererückschritt. Bei seinem neuen oder auch alten Revier muss er erstmal herausfinden, wem er vertrauen kann. Es ist inzwischen doch etwas befremdlich, dass er nur Cold Cases zugewiesen bekommt, bei denen wirklich nichts mehr zu machen ist. Als er dann einem seiner ersten Fälle wieder begegnet, der nie ausermittelt wurde, will er doch versuchen, der Toten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Reilly beginnt nachzuforschen, ob damals etwas übersehen worden sein könnte. Inzwischen kümmert sich sein Kollege Danny um den Fall seiner verschwundenen Schwester. Ein Verschwinden, das die Familie zunächst nicht ganz ernst genommen hat.

Mehrere ältere und neuere Fälle, die irgendwie verwoben sind. Ein Polizist, der bei seinen Kollegen nicht besonders angesehen ist. Und ein paar angedeutete private Probleme, deren Gewicht noch nicht richtig klar wird. Eine Mischung für einen normalen Kriminalroman. Die Ausführung ist hier jedoch sehr gelungen. Der Fall ist rätselhaft, die Intrigen innerhalb des Polizeiapparats sehr fies. Das Finden von Verbündeten schwierig. Das Private steht etwas zurück. Insgesamt ist dieser Kriminalroman überraschend frisch und sehr fesselnd, so dass man ihn auch im englischen Original innerhalb von zwei Tagen durchgelesen hat. Das spricht doch für sich und es gibt Ansätze genug, um sich auf den nächsten Band zu freuen.

Veröffentlicht am 15.04.2021

Nach Süden

Fahrtwind
0

Deutschland in den 1970ern. Ein junger Mann musiziert lieber als Heizungsbauer im Betrieb seines Vaters zu werden. Und eines Tages macht er sich einfach auf den Weg nach Süden. Das Glück ist ihm durchaus ...

Deutschland in den 1970ern. Ein junger Mann musiziert lieber als Heizungsbauer im Betrieb seines Vaters zu werden. Und eines Tages macht er sich einfach auf den Weg nach Süden. Das Glück ist ihm durchaus hold, denn schon bald wird er von zwei Frauen, einer Jüngeren und einer Älteren, mitgenommen. Die grobe Richtung stimmt. Das erste Ziel der Reise führt in ein Landhotel mit adeligen Besitzern, darunter seine angenehmen Chauffeurinnen. Gleich darf er auch seine Gitarre zum Einsatz bringen. Ein kleines Konzert, das vielleicht Hintergrunduntermalung sein könnte, vielleicht aber auch zur großen Entdeckung führt. Bald schon geht die Reise weiter.

Der neue Roman ist eine moderne, nun ja, relativ moderne, denn die Siebziger sind ja auch schon eine Weile her, Interpretation der „Geschichten eines Taugenichts“. Und wie schon Eichendorffs Jüngling sich glücklich treiben ließ, so schafft es auch der junge Musikus mit vagem Ziel und wohlgemut durch die Welt zu reisen. Der Zufall fügt sich häufig zugunsten des jungen Mannes, ein schöner Traum, der vielleicht der wirklichen Welt nicht stand hält. Doch der Weg nach Süden durch die warme Luft und die Begegnungen mit neuen Freunden und guten Gelegenheiten fühlt sich einfach richtig an.

Man ist vielleicht geneigt, kurz mal nachzulesen, worum es bei Eichendorffs Geschichte ging, um festzustellen, dass der Autor seinem Vorbild mit liebevoller Genauigkeit folgt, die Handlung aber doch sanft in die Gegenwart transferiert. Man mag sich erinnern an die Zeit der jungen Wilden, an die Zeit der RAF, an Grenzkontrollen und die Liebe der Deutschen für Italien. Und so mäandert die Handlung ruhig und leichtfüßig gen Süden. Auch wenn das Büchlein vielleicht nicht ganz an andere Veröffentlichungen des Autors heranreicht, so versetzt dieses kleine neu erfundene Märchen einen doch in Sommerstimmung und gibt einem vielleicht die Idee ein, man könne sich selbst einmal auf Schusters Rappen begeben.

Veröffentlicht am 14.04.2021

Daquin & Co

Marseille.73
0

Anfang der 1970er wird in Marseille ein Busfahrer von einem Einwanderer umgebracht. Und in der Stadt, in der nach der Unabhängigkeit Algeriens viele Übersiedler leben, führt dies zu rassistisch motivierten ...

Anfang der 1970er wird in Marseille ein Busfahrer von einem Einwanderer umgebracht. Und in der Stadt, in der nach der Unabhängigkeit Algeriens viele Übersiedler leben, führt dies zu rassistisch motivierten Angriffen. Doch auch in den Polizeieinheiten, die Sachverhalte eigentlich aufklären sollen, gibt es rassistische Resentments. Commissaire Daquin, der neu in der Einheit eingesetzt ist, nimmt die Aufgabe jedoch in die Hand. Dabei muss er ausgesprochen vorsichtig vorgehen, damit er niemanden vor den Kopf stößt und doch die Wahrheit herausfindet. Unter seinen Kollegen hat er einige wenige Verbündete. Die öffentliche Meinung wird allerdings von Vorurteilen bestimmt.

Dieser Band schließt an den Roman „Schwarzes Gold“ an, Verständnisschwierigkeiten gibt es nicht. Commissaire Daquin wirkt wie ein Einzelkämpfer, der sich doch auf einige Leute verlassen kann. Nach der Unabhängigkeit Algeriens sind viele auch Nordafrikaner nach Frankreich eingewandert und etliche von ihnen sind an die selben Orte gezogen. Treten sie in größeren Gruppen auf, können sie möglicherweise wie eine Bedrohung wirken. So sieht es zumindest ein Teil der Bevölkerung, welcher dann mit Parolen um sich wirft, die auch heute wohlbekannt sind. Dass auch einige Polizisten, diese eigenartige Meinung vertreten, ist für Daquin ein schlechtes Zeichen und auch kaum zu ertragen.

Als Crime Noir wird dieser Kriminalroman beschrieben und er verbreitet tatsächlich eine düstere Stimmung, die wahrscheinlich nicht weit von der Wahrheit entfernt ist. Doch ist die Art der Beschreibung der Ereignisse etwas sehr trocken und teilweise berichtartig geraten. Dadurch vermisst man teilweise die Spannung, auch wenn der Roman inhaltlich und geschichtlich sehr interessant ist. Sehr gelungen erscheint die Beschreibung von Commissaire Daquins Hartnäckigkeit den Fall ordentlich zu bearbeiten und auch auf welche Widerstände er dabei trifft. Auch seine Pfiffigkeit und unkonventionelle Denkweise, die ihn im Fall voranführen, machen ihn zu einem sympathischen Ermittler.