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Veröffentlicht am 07.10.2016

Bemerkenswert!

Die Attentäter
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Cliff, Alain und Margarete sind auf eine besondere, innige und liebevolle Weise seit sie vier Jahre alt sind verbunden. Damals schon war der zierliche blonde Alain von dem dunkelhaarigen und so andersartigen ...

Cliff, Alain und Margarete sind auf eine besondere, innige und liebevolle Weise seit sie vier Jahre alt sind verbunden. Damals schon war der zierliche blonde Alain von dem dunkelhaarigen und so andersartigen Cliff fasziniert. Margarete steht als die Bodenständige und Vernünftige zwischen den beiden und hält sie in der ihnen merkwürdig fremden Welt fest. Beide drohen fortzufliegen, Cliff mit seinen schwarzen und Alain mit seinen weißen Flügeln. Während Cliff, in einer zerüttelten und aus den Fugen geratenen Familie lebend, immerzu auf der Suche nach Orientierung und Halt in gewalttätige Gruppen abdriftet, versuchen Alain und Margarete ihn wieder zu retten. Mal um Mal.
Oft reicht ihm ein Blick in Alains morgenhimmelblaue Augen, deren Reinheit ihn etwas zu besänftigen vermögen, seine Wut manchmal jedoch noch schüren. Oft reicht Alain ein Blick in Cliffs nachthimmelblauen Augen, um das Dunkle in ihm und sich zu spüren und zu merken, dass er ihm nicht böse sein kann, sondern ihm verzeihen muss.
Die beiden älter werdenden Jungen sind sich zudem durch eine gemeinsame Leidenschaft sehr nahe, denn beide sind überragende Zeichner. Alain gibt dem ihm gerade Umgebenden eine Gestalt auf Papier, Cliff verbannt Erinnerungen detailgenau auf Blätter, Wände und Böden. Und wird sie trotzdem nie los. Gesichter, Situationen, die sich vor seinen Augen abermals abspielen und nicht löschen lassen.
Irgendwo zwischen vollkommener Gegensätzlichkeit und Verschmelzung zu einem Wesen bewegen sie sich mal aufeinander zu, mal voneinander weg. letzteres immer besonders schmerzhaft.

Doch auch die rechten Gruppen, welchen sich Cliff anschließt, sind nicht das, wonach er sucht. Dies findet er später, in einer Moschee. Alain und Margarete hegen bereits Hoffnungen, dass nun alles gut würde und ihr Freund endlich seinen Frieden gefunden und friedlich geworden ist. Doch was sie zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen - oder wissen wollen - ist, dass sich Cliff von der ruhigen Gemeinde abgewandt hat und stattdessen in radikalen Kreisen verkehrt. Als sie versuchen, ihn zurückzugewinnen, ist es bereits zu spät und Cliff hat sich für eine gefährliche Reise entschieden.
Ein Jahr des Bangens, des Trauerns und der Verzweiflung scheint für die beiden in Deutschland zurückgebliebenen Freunde nicht zu vergehen. Zu der selben Zeit hat man mit Cliff im Nahen Osten Großes vor. Er ist zu nützlich, um als Kanonenfutter zu enden.
Als er zurückkehrt, scheint er sich verändert und verbessert zu haben. Aber wie oft hat sein Umfeld schon daran geglaubt und wurde enttäuscht. Und so sind Margarete und besonders Alain, der Cliff doch schließlich ein Schutzendel sein muss, auf der Hut. Egal wie verlockend seine Beteuerungen, er habe mit dem IS nichts mehr zu tun, auch sein mögen, Misstrauen ist gefragt.
Aber können sie einem so geliebten Menschen hinterherspionieren? Um was zu finden? Und würden sie ihn verraten, wenn sie etwas fänden? Könnten sie ihn retten? Würde alles gut werden?
Dass Cliff in einer WG mit merkwürdigen Gestalten wohnt, ist noch kein Beweis für irgendetwas. Dass er in Berlin umherschleicht, als müsse er Verfolger abschütteln, auch nicht. Oder doch?
Irgendetwas hat er vor. Auch wenn er anders geworden ist. Warum ist er zurück gekehrt? Warum nicht gestorben? Alains und Margaretes Fragen häufen sich und werden - wenn überhaupt - nur sehr gemach beantwortet; ob sie die Antworten hören wollen, ist eine andere Frage.
Doch bald ist die Ahnung greifbar, dass die Berliner Plastikglitzerwelt des Westens gefährdet ist. Es ist Weihnachten. Zeit der Wunder, des Konsums, der Engel und vielleicht auch der Vergebung.

Wieder einmal ist es Antonia Michaelis gelungen, ein schwieriges und überaus ernstes Thema aufzugreifen und viele Handlungsstränge zu einem großen Gebilde zu verweben. Das Buch ist abwechselnd aus der Sicht Alains, Cliffs und Margaretes geschrieben, wobei man meistens erst nach und nach bemerkt, wen man gerade begleitet. Dies ist aber keineswegs verwirrend oder störend, sondern macht einem vielmehr bewusst, wie eng die Protagonisten doch mit einander verbunden sind und wie sehr sie sich ähneln. Häufig wird einem dies auch dadurch bewusst, dass zwischendurch die gleichen Begebenheiten von verschiedenen Charakteren beschrieben werden und es dann einige Überschneidungen in der Sichtweise gibt, die nahe gehen.
Überhaupt sind die Charaktere - wie bereits in jedem Buch, welches ich von Antonia Michaelis gelesen habe - etwas ganz Besonderes. Da man sie von ihrer ersten Begegnung im Kinderalter an begleitet, bei wichtigen Ereignissen dabei ist und so Zusammenhange besser nachvollziehen kann, wirken sie auf erschreckende aber auch beeindruckende Weise real. Wie sonst auch ist es der Autorin gelungen, Figuren zu zeichnen, bei denen die Frage nach gut und böse nicht wirklich beantwortet werden kann. Ist Alain, der in den Augen Cliffs einem strahlendem Engel gleicht, immer nur der Unschuldige? Und vor allem: Ist Cliff von klein auf böse - ist er es überhaupt? Oder was hat ihn zu dem gemacht, was er jetzt ist? Leider erfährt der Leser hierzu erschreckend viele denkbare Antworten, die es schwer machen, die Schuld einfach auf Cliff abzuwälzen.
Die Lebensgeschichten von Alain, Cliff und Margarete sind so eng miteinander verknüpft, dass es mich beeindruckt hat. Antonia Michaelis ist es bemerkenswert gut gelungen, ganze Leben voller Tragik, Angst, Wut, Liebe und noch so zahlreichen anderen Gefühlen niederzuschreiben.
Manchmal erschaudert man vor den Charakteren, manchmal kann man sie nicht mögen, manchmal muss man es aber. Antonia Michaelis versteht es auf einmalige Weise auf diese Art den Leser zu verwirren und ihn dazu anzuregen, auch lange nachdem das Buch ausgelesen ist, noch über das Gelesene - über die Figuren und ihre Taten - nachzudenken.
Darüber hinaus zog mich der poetische Schreibstil schon von dem Beginn des Buches in seinen Bann und die Geschichte hinein. Diese Erzählweise lässt einen erahnen, was die Charaktere bereits durchgemacht haben, erweckt sie zum Leben, haucht den Augen von der Farbe Wassers, welches zu tief ist um ungefährlich zu sein, ihr dunkles Leuchten und Leben ein und lässt einen nicht los. So ist auch "Die Attentäter" in dieser besonderen Art und Weise geschrieben, die mir außerordentlich gefällt und für Antonia Michaelis so typisch ist.
Was außerdem zu erwähnen ist, ist Michaelis' Händchen für Symbole, Anspielungen und Vergleiche. Durch das ganze 488 Seiten umfassende Werk schlängeln diese sich und stellen weitere Verbindungen her, was zu dem Gefühl beiträgt, dass dieses Werk aufs Genauste geplant und ausgearbeitet worden ist.
Ein schönes Detail, welches ich noch erwähnen möchte ist das Cover. Auch, wenn ich noch immer der Auffassung bin, dass dieses kaum in eine Rezension gehört, lohnt es sich wie schon bei "Niemand liebt November" einen Blick unter den Schutzumschlag zu wagen.

Meiner Meinung nach ist "Die Attentäter" ein erschütterndes aber bezauberndes Werk. Mit poetischer und packender Sprache entführt es einen in eine einzigartige Geschichte, welche so verschlungen und verwoben ist, dass sie erschreckend echt wirkt und den Leser lange nicht mehr loslässt. Auch wenn das Ende in einigen Aspekten schon abzusehen war, ist es doch äußerst gelungen und stellt einen weiteren explosionsartigen Höhepunkt des Buches dar. Antonia Michaelis gelingt es in diesem Werk die Erfahrungen eines Attentäters, seine Gedanken greifbar zu machen und den Leser zum Nachdenken zu bewegen. Dennoch sollten einem, wie schon bei den vorangegangenen Büchern, Gewaltszenen - wie bereits der Titel erahnen lässt - nicht allzusehr mitnehmen.

Ich vergebe 5 über den Wirren einer Stadt feurig funkelnde Sterne, die ihr Leuchten in alle Richtungen verbreiten!

Veröffentlicht am 05.10.2016

Sehr interessant für alle Weltrauminteressierten!

Mission Rosetta
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Am 2. März 2004 startete die Rosetta-Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), bei welcher die Raumsonde auf den Kometen 67P, dem Tschurjumow-Gerassimenko ...

Am 2. März 2004 startete die Rosetta-Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), bei welcher die Raumsonde auf den Kometen 67P, dem Tschurjumow-Gerassimenko (kurz: „Tschuri“), landete und damit das Projekt der Weltraumforschung am 30. September 2016 beendete. Dieser Bildband bringt einem die zehn Jahre andauernde Mission zum Greifen nah, da sie auf 192 Seiten mit zahlreichen Abbildungen dokumentiert und vom Physiker Berndt Feuerbacher erläutert wird. Besonders ist dabei, dass viele der 170 Bilder durch die passende beiliegende Brille auf eindrucksvolle Weise dreidimensional scheinen.
Dank der verständlichen Erklärungen ist dieses Werk für jeden interessierten Leser geeignet. In den Kapiteln „Kometen“, „Vision Rosetta“, „Philae“, „Der lange Weg durch das All“, „Die Ankunft“, „Kometen-Landschaft“, „Ein Komet wird aktiv“, „Die Landung“, „Philaes 64 Stunden“, „Forschung mit Rosetta“ und „Mission erfüllt“ wird das Weltraumprojekt aus unterschiedlichen Perspektiven von der Planung über die Ausführung bis zum Erfolg genau und einleuchtend beschrieben. So erfährt man beispielsweise auch etwas über die verwendeten Instrumente oder – ein kleines persönliches Highlight – den Namen „Quietscheentchen“.

Mir hat das Buch zum Kometen-Rendezvous sehr gefallen, da man mit zahlreichen anschaulichen Informationen versorgt und die Neugierde noch weiter geweckt wird. Da die Erklärungen stets in einem solchen Maße gehalten werden, dass einem nicht der Kopf schwirrt. So wird immer genug Wissen mit tollen Abbildungen gespickt, dass man den Bilderband kaum aus der Hand zu legen vermag. Darüber hinaus ist das Buch auch keineswegs trocken, aber dennoch sachlich geschrieben. Natürlich sind die 3-D-Bilder zudem sehr ansprechend.

Von mir gibt es daher an alle Weltrauminteressierte eine Lese- beziehungsweise Schmökerermpfehlung!

Veröffentlicht am 03.10.2016

Oh hättest du geschwiegen, wärst du... - zumindest bei den selbsterlebten "Storys"

Staats‘ Geheimnisse – Mediterrane Rezepte und Storys von den Jachten der Superreichen
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Stephan Staats arbeitet als Chefkoch auf luxeriösen Jachten der Extraklasse und bereitet an diesen abenteuerlichen Arbeitsplätzen die außergewöhnlichsten Gerichte zu. In seinem kürzlich erschienen Kochbuch ...

Stephan Staats arbeitet als Chefkoch auf luxeriösen Jachten der Extraklasse und bereitet an diesen abenteuerlichen Arbeitsplätzen die außergewöhnlichsten Gerichte zu. In seinem kürzlich erschienen Kochbuch zeigt er nicht nur, welche Rezepte die reichsten Menschen der Welt zufrieden stellen, sich allerdings auch leicht nachmachen lassen, sondern erzählt auch von unfassbaren Begegnungen und davon, wie es an Bord in der Realität zugeht.
Die Rezepte sind verschiedenen Gebieten zugeordnet, da schließlich die landestypischen Aromen zentral seien sollen. So führt einen die kulinarische Reise nacheinander nach "Frankreich, Monaco" (S.10), "Spanien, Portugal, Balearen, Kanaren" (S.36), "Italien, Korsika, Sardinien, Malta" (S.78), "Albanien, Montenegro, Kroatien, Slowenien" (S.134), "Griechenland, Türkei, Zypern" (S.162), "Ägypten, Lybien, Marokko, Algerien, Tunesien" (S.196) und "Israel, Gazastreifen, Syrien, Libanon" (S.240). Demzufolge findet man von allem etwas in dem Buch, wobei sich unglaublich leichte Rezepte ebenso wie höchst aufwendige ausmachen lassen. Ob nun "gerösteter Knoblauch" (S.39), "Hummus" (S.205) und "eingelegte Zitronen" (S.231) oder die zeitintensiven "Bochettes" (S.232): Sicherlich sind die mediterranen Rezepte dieses Buches abwechslungsreich.
Allerdings bin ich der Auffassung, dass die meisten Zeitangaben geschönt sind, da man sicherlich länger als 25 Minuten für das Durchschnittsgericht dieses Werkes benötigt. Zugegebener Weise kann man sich bei den Gerichten auch sonst meist nicht spontan zum Nachkochen entscheiden, da man die Mehrzahl der Zutaten bestimmt nicht einfach vorrätig hat oder die Speisen auch gerne 14 Tage brauchen, um ihren Geschmack zu entfalten.
Doch wenn einen diese Kombination von sehr einfachen und komplexeren Rezepten anspricht, lassen sich in "Staats' Geheimnisse" garantiert tolle Ideen finden.
Von der Gestaltung her ist das Buch durchaus gelungen: Fotografien und Zeichnungen wechseln sich ab.
Allerdings sind noch die Geschichten zu erwähnen, welche zwischen die Rezepte gestreut wurden. Diese vermochten mich keineswegs anzusprechen, da ich sowohl ihren Inhalt als auch die Schreibweise als äußerst unangenehm empfunden habe. So wird von der schier unglaublichen Dekadenz der Superreichen berichtet, die Angst um den so wertvollen und von potenziellen Dieben bedrohten weißen Kaviar beschrieben oder von den Alkoholkonsum, Streitereien und Ähnlichem geschrieben. Andauernd stolperte ich über Aussagen wie "Mir war schnell klar, dass sie nicht der Typ für einen One-Night-Stand war. Oder sollte ich es nicht doch wenigstens bei ihr versuchen? Einen Moment bedauerte ich die Tatsache, dass es bei vielleicht nicht so leicht werden würde. (...) Wenn ich es täte, würde nicht nur unsere Beziehung, sondern der ganze Markt seine Unschuldigkeit verlieren (...)" (S.229). Immer wieder liest man von Nächten des Rausches - gerne auch mit Filmriss - und Ähnlichem.
Aber auch die Stimmung an Bord sollte ja wiedergegeben werden, sodass selbstverständlich auch hier kein Blatt vor den Mund genommen wird. Von Kollegen, die sich mal wieder "angeschissen kommen" (offenbar ein Synonym für "sich in die Küche begeben"), um nach dem heutigen Gericht zu fragen, die mit geflätschten Zähnen und einem - immerhin nicht mit der scharfen Seite - auf sie gerichteten Messern empfangen werden und davon unverständlicherweise nicht ganz so amüsiert sind wie der einzigartige Chefkoch (S.110). Seine Ausdrucksweise hat mich häufig ins Staunen versetzt, denn sie passte weniger zu einem edlen Koch und edlen Jachten, würde doch ein Seemann vor Neid erblassen...
So macht der Autor allgemein einen alles andere als sympathischen Eindruck auf mich und alleine die Vorstellung, wie er als junger und wirklich unerfahrener Koch darauf wartete, dass man ihn auf einem roten Teppich in Empfang nimmt und in die Küche geleitet, ist dafür ein Paradebeispiel.
Was er auch so alles, als für reiche Menschen normal ansieht, halte ich für bedenklich und abstoßend.
Diese Erzählungen, in die auch immer wieder ein paar Ausdrücke eingestreut wurden, die vor internationality nur so strotzen und bei mir nicht für Bewunderung ob der vielen Sprachkenntnisse sorgen, sind auch mein größter Kritikpunkt. Die Rezepte sind durchaus nett und abwechslungsreich, wenn auch nicht umwerfend, das Drumherum empfand ich sogar als lästig... Da kann dann auch die schöne Gestaltung nicht mehr viel reißen...

Auf die eher weniger druckreifen Formulierungen hätte meines Erachtens besser verzichtet werden sollen, da sie das Niveau des Buches unnötig in die Tiefe ziehen...

Veröffentlicht am 24.09.2016

Eine düstere Geschichte…

Mitternachtsweg
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Als Peter Maydell, Redakteur für die Lübecker Zeitung, von Johannes Kielland ein Manuskript zugesendet bekommt, ist seine Neugierde groß. So oft hat er bereits große Freude an den ihn erreichenden Artikeln ...

Als Peter Maydell, Redakteur für die Lübecker Zeitung, von Johannes Kielland ein Manuskript zugesendet bekommt, ist seine Neugierde groß. So oft hat er bereits große Freude an den ihn erreichenden Artikeln des jungen Mannes gehabt, sodass er auf dieses offensichtlich größere Werk des Schreiberlings sehr gespannt ist.
Lediglich ein einziges Mal ist er Kielland bisher begegnet und war damals von dem jungen Geschichtsstudenten mit den langen Haaren und dem langen schwarzen Mantel, der seine schwarze Kleidung verdeckte und bis zu den Stiefeln reichte, mehr als überrascht. Kein älterer Herr also, der aus Gewohnheit seine Berichte ausschließlich auf einer Schreibmaschine verfasst, sondern viel mehr jemand, der das Dunkle ebenso wie das Außergewöhnliche schätzt; besonders außergewöhliche Begebenheiten. Deswegen handeln auch seine Berichte von skurrilen, unwahrscheinlichen Geschehnissen.
Wie er selbst anmerkt, soll auch das Manuskript, welches im Übrigen sein letztes Werk sein soll, von einer solchen Geschichte und von ihm handeln. Zu der Geschichte sei er, so schreibt er es, durch die Begegnung mit Helma Brandt gekommen, deren Verlobter in den Fluten den Tod fand.
Alles rankt sich um die Insel Sylt, eine tragische alte Liebe, den Tod, das Meer, die Gezeiten, alles verschluckende Dunkelheit, den Friedhof der Heimatlosen, den Mitternachtsweg und einen Handschuh.
So scheint die eigentliche Geschichte nicht mit Johannes Kielland zu beginnen, sondern viel weiter in die Vergangenheit zu reichen.

Die Geschichte unterteilt sich in mehrere Zeit- und Handlungsstränge, welche sich regelmäßig abwechseln. So handelt ein Part des Buches von der Vergangenheit und den Anfängen der Geschichte, ein weiterer von den Recherchen Kiellands, ein dritter besteht aus dem Manuskript, ein weiterer beschreibt den Redakteur, wobei sich der letzte schließlich mit der Gegenwart befasst.
Zu Beginn war ich wegen diesen verschiedenen Erzählsträngen etwas verwirrt, obwohl die Kapitelüberschrift meist angibt, von welcher Art der folgende Abschnitt sein wird.
Die Orte des Geschehens empfand ich als sehr schön gewählt: Da wäre beispielsweise der Friedhof der Heimatlosen, auf dem ertrunkene und an den Strand gespülte Seemänner einst ihre letzte Ruhe fanden. Benjamin Lebert versteht es, seine Worte so zu wählen, dass die beschriebene Kälte und Finsternis spürbar – wenn auch nicht zwangsläufig verständlich – werden. Die gesamte Geschichte durchwabert etwas Düsteres, dass, kaum greifbar, unterschwellig auf den meisten Seiten anzutreffen ist.
Dennoch muss ich gestehen, dass mich das Buch mit einigen Fragen zurücklässt und dass es, auch wenn es gewissermaßen einen Abschluss gab, für mich noch nicht wirklich beendet ist. So wirkt dieses Werk weniger wie ein Roman, als eine mystische Schauergeschichte. Sicherlich ist dieses überwiegende Unwissen, ob etwas Erzähltes nun der Wahrheit und der Phantasie der Charaktere entspringt, gewollt, mir jedoch etwas zu viel.

Alles in allem ist „Mitternachtsweg“ ein spannendes Buch mit packendem Schreibstil, welches allerdings viele Fragen offen lässt.

Ich vergebe daher 4 ihr nächtliches Leuchten auf das dünstere Meer werfende Sterne

Veröffentlicht am 19.09.2016

Und sie schenkte ihm ihr Herz…

Die Tage, die ich dir verspreche
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Gwen ist herzkrank – oder vielmehr war sie es. Immerhin hat sie ein neues Herz bekommen, doch auch wenn ihr alle versichern, dass nun alles gut würde, fühlt es sich für sie nicht so an. Anstatt sich über ...

Gwen ist herzkrank – oder vielmehr war sie es. Immerhin hat sie ein neues Herz bekommen, doch auch wenn ihr alle versichern, dass nun alles gut würde, fühlt es sich für sie nicht so an. Anstatt sich über das neu geschenkte Leben zu freuen, plagen sie Gewissensbisse: Nachts träumt sie von Unfällen, sieht überall Blut und weinende Familienmitglieder möglicher Spender. Deswegen fühlt sie sich auch so undankbar. Alle anderen, die ein Spenderherz transplantiert bekommen, sind doch so glücklich und diejenigen, die wie ihre Freundin Leni noch auf ein geeignetes Herz warten, würden es vielmehr verdienen als sie.
Gwens Stimmung bessert sich auch nicht, als sie wieder Zuhause sein darf, da wieder einmal „alles bestens“ verläuft. Nicht nur das neue Herz, welches in seinem ganz eigenen Rhytmus schlägt, sondern auch ihr Freund Alex, der sich das letzte Jahr so wundervoll um sie gekümmert hat, sind ihr ungeheuer fremd.
Als sie glaubt, nicht mehr so weitermachen zu können, beschließt sie, das Herz irgendwie loszuwerden. Dabei darf sie es nicht verkommen lassen, es darf keinen Schaden nehmen, damit es jemand Anderem das Leben zu retten vermag. Ihre Familie bemerkt ihre Trauer nicht, sondern plant stattdessen Gwens neue Zukunft – eine Zukunft, die sie gar nicht möchte.
Um Trost zu finden, meldet sie sich in einem Forum für Herzkranke an. Dort eröffnet sie dann auch den Beitrag „Herz zu verschenken“. Als dieser von Noah, dem Moderator, gelöscht wird, glaubt Gwen an einen Fehler. Schließlich meint sie ihr Angebot ernst, Noah jedoch denkt, dass der Account Gwerlin ein Fake ist. Weil er wütend ist, schreibt er auf ihre Frage, weswegen er den Beitrag gelöscht habe, dass er das Herz selber haben wolle und seine Mutter, eine Chirurgin, den Eingriff bestimmt vornehmen würde.
Selbstverständlich nimmt Gwen dies für bare Münze, recherchiert ein wenig im Internet und macht sich dann auf nach München, auf zu Noah.
Dieser ist logischerweise recht überrascht, als eine junge Erwachsene vor seiner Tür auftaucht, ihm ihre Narbe zeigt und etwas von einer Herztransplantation faselt. Auf einen Schlag versteht er, dass alles, was sie geschrieben hat, echt ist und sie dringend Hilfe benötigt. Also tut er so, als wäre er herzkrank und beginnt, Gwen – auch vor sich selbst – zu beschützen.

Schon zu Beginn des Buches kann man sich sehr gut in die Geschichte einfinden, da Gwen ganz offen über ihre Gefühle berichtet. Dabei ist es traurig, wie gefangen sie sich fühlt und wie schuldig. Allerdings werden diese Beschreibungen auch über das ganze Buch hinweg sehr häufig wiederholt, was bei mir irgendwann seinen Effekt verfehlte. Darüber hinaus fragte ich mich immer wieder, ob ihr Verhalten wirklich zu einer 19jährigen passt. Ich habe da meine Zweifel…
Da die Geschichte abwechselnd aus Gwens und Noahs Sicht geschrieben ist, erfährt man als Leser immer ganz genau von den Missverständnissen, welche sich zunehmend häufen. Auch von den vielen Gefühlen, die im Verlauf der Handlung auftauchen, bemerkt man sehr schnell etwas, da mit Ausführungen zu diesem Thema nicht gespart wird. Es ist wohl kein Geheimnis, dass Gwen und Noah immer stärker für einander empfinden, wobei mir ein paar Beschreibungen weniger besser gefallen hätten. Wer es aber gerne romantisch und voller Gefühlschaos mag, wird bei diesem Buch auf seine Kosten kommen.
Der Schreibstil ist recht angenehm, weswegen ich das Buch auch schnell durchgelesen und kaum aus der Hand gelegt habe. Weder finden sich hier detailverliebte poetisch anmutende Beschreibung, noch wirkt das Erzählte abgehackt.
Die Charaktere aus dem Buch sind sehr unterschiedlich, sodass man stets eine Weiterentwicklung feststellen kann. Auch wenn ich mir bezüglich der Authentizität von Gwen immer wieder etwas unsicher war, passen doch alle Figuren sehr in das Buch.

Alles in allem ist „Die Tage, die ich dir verspreche“ ein Buch mit traurigem und berührendem Thema, welches sich gut lesen lässt und mit vielen Gefühlen aufwartet.