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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.03.2022

Weniger wäre mehr gewesen

Unser kostbares Leben
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Meinung

„Unser kostbares Leben“ ist ein sechshundert Seiten starker Roman, der das Lebensgefühl der 1970er und den aufkommenden Umweltschutz thematisiert. Zwar ist es ein fiktiver Roman, dennoch steckt ...

Meinung

„Unser kostbares Leben“ ist ein sechshundert Seiten starker Roman, der das Lebensgefühl der 1970er und den aufkommenden Umweltschutz thematisiert. Zwar ist es ein fiktiver Roman, dennoch steckt einiges an autobiografischen Erlebnissen der Autorin in dem Buch. Was wohl auch der Grund ist, warum sie so sehr ins Detail geht. Für den außenstehenden Leser ist es allerdings zu viel an Themen, zu viel an Figuren und eben auch zu viel an Details.

In der Erzählung gibt es Handlungen und auch Charaktere, welche für die Geschichte weder wesentlich sind noch diese in irgendeiner Weise voranbringen. Manche Handlungsstränge wirken auf mich zu konstruiert, andere wiederum werden nur oberflächlich behandelt, obwohl sie aus meiner Sicht bedeutsam sind. Der Roman verliert sich zu sehr in seiner Themenfülle, dabei wird viel Potential verschenkt. Der Geschichte hätte eine Fokussierung sowohl auf ein Thema als auch auf die Charaktere gut getan. Dadurch hätte Spannung aufgebaut und gehalten werden können. So erfährt die Erzählung immer wieder Brüche, besonders an Stellen, an denen es wirklich interessant und spannend ist. Aufgrund der zahlreichen Themen und der vielen, teils unwichtigen Figuren, wird der Roman weder einer Sache noch den maßgeblichen Charakteren gerecht.

Die sechshundert Seiten teilen sich in drei Abschnitte, mit jeweiligen Kapiteln. Die drei Abschnitte spielen in den Jahren 1972, 1976 und 1980. Die Autorin besticht, wie auch in ihren vorherigen Romanen, durch einen ganz wunderbaren Erzählstil. Doch verliert sie in diesem Roman das Wesentliche aus dem Blick und schweift detailreich aus, sodass mich ihre Geschichte nicht packen konnte. Mich hat das Lesen angestrengt und ich gebe zu, dass ich einige Passagen der Einfachheit halber quer gelesen und dabei auch nichts wichtiges verpasst habe. Von dem Roman bleibt mir wahrscheinlich kaum etwas in Erinnerung, denn ich habe auch zu den drei Mädchen, den Hauptfiguren, keinerlei Bindung geknüpft. Sie haben mich emotional nicht berühren können.


Fazit

Dem Roman fehlt der Fokus auf das Wesentliche. Die Erzählung verzettelt sich sowohl in unterschiedlichen Themenfelder als auch in der Vielzahl ihrer Figuren und verschenkt hierdurch enormes Potential, um ein wirklich interessanter und packender Roman zu sein.

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.01.2022

Das Leben gleicht einer Theateraufführung

Hell strahlt die Dunkelheit
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Inhalt

Als William Harding von Dreharbeiten zurück nach New York kommt, ist sein Fehltritt mit einer jungen Frau auf allen Titelblättern und Thema in den Boulevarssendungen. William, ein bekannter Filmschauspieler, ...

Inhalt

Als William Harding von Dreharbeiten zurück nach New York kommt, ist sein Fehltritt mit einer jungen Frau auf allen Titelblättern und Thema in den Boulevarssendungen. William, ein bekannter Filmschauspieler, ist verheiratet mit der berühmten und wunderschönen Sängerin Mary. Er ist der Böse in dieser Geschichte und quartiert sich vorerst im Hotel ein, seine beiden Kinder sieht er regelmäßig, aber Mary weigert sich mit ihm zu reden. Eine Scheidung scheint unausweichlich, doch noch ist William nicht bereit sich das einzugestehen, obwohl die Beziehung lange vor seinem Ausrutscher am Ende war.

Mitten in diesem privaten Desaster, beginnt der Filmschauspieler mit den Theaterproben zu Shakespeares „Henry IV.“. Diese Theaterinszenierung ist sein Debüt am Broadway und er ist unsicher, ob er neben den erfahrenen Theaterschauspielern bestehen kann. Ist er seiner Rolle als Hotspur gewachsen? Die Proben und das Ensemble geben ihm jedoch Halt in dieser schweren Zeit. William erarbeitet sich nach und nach seine Rolle und den Respekt der Kollegen. Trotzdem gibt es immer wieder Abende, an denen er versucht sich mit Alkohol, Drogen und Sex zu betäuben. Für William ist es eine dunkle Zeit und doch gibt es immer wieder hell strahlende Lichtblicke in dieser Dunkelheit.


Meinung

Ethan Hawke ist ein brillanter Geschichtenerzähler, wie es nicht viele gibt. „Hell strahlt die Dunkelheit“ ist die Geschichte vom Zerbrechen einer Familie, von Selbsterkenntnis und es ist eine tiefe Verneigung vor dem Theater. Dieser Roman hat mich sehr bewegt, denn ich konnte die Zerrissenheit der Figur William fühlen und seine Selbstzweifel verstehen. Er muss erkennen, dass er vielleicht nicht der Mensch ist, für den er sich bisher gehalten hat.

Es hat eine Weile gedauert bis mir klar wurde, dass ich William Harding schon einmal begegnet bin. Im Debütroman von Ethan Hawke „Hin und Weg“ lernen wir den jungen William kennen und verfolgen seine Liebe zu Sarah. Im aktuellen Roman ist William mittlerweile Anfang dreißig und verarbeitet das Scheitern seiner Ehe.

Besonders die Abschnitte, in denen die Theaterproben und die Beziehungen innerhalb des Ensembles geschildert werden, haben mich begeistert. Meine Vorstellung vom Theater, den Schauspielern, den Garderoben ist so präzise, als ob ich Teil der Geschichte gewesen wäre. Ethan Hawke nimmt uns Leser:innen mit in eine faszinierende Welt, voller Zweifel und stetiger Arbeit an sich selbst, an deren Ende die Reaktion des Publikums die wichtigste Bestätigung ist. Der Roman ist randvoll von weisen Erkenntnissen über das Leben, die nicht nur in der Theaterwelt gelten.

Durch seine eigene, herausragende Erzählweise schafft es der Autor, dass ich vollkommen in das Buch eingetaucht bin. Selten habe ich einen Roman gelesen, dessen Charaktere so wahrhaftig sind. Das gilt selbst für Figuren, die nur kurz auftauchen. Die Geschichte macht nachdenklich und spendet zugleich Trost. Denn auch in der tiefsten Dunkelheit strahlt das Leben hell.

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Veröffentlicht am 20.12.2021

Anspruchsvolle, authentische Geschichte

In Zeiten des Tulpenwahns
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Meinung

Im 17. Jahrhundert bricht in Holland der Tulpenwahn los. Tulpenzwiebeln erreichen Höchstpreise und manch einer wird dadurch zum reichen Mann. Doch wie es bei Spekulationen dieser Art ist, irgendwann ...

Meinung

Im 17. Jahrhundert bricht in Holland der Tulpenwahn los. Tulpenzwiebeln erreichen Höchstpreise und manch einer wird dadurch zum reichen Mann. Doch wie es bei Spekulationen dieser Art ist, irgendwann platzt die Blase.
Genau in dieser Zeit spielt die Geschichte des Romans und zeigt, wie schnell sich die Dinge ändern können. Traurigerweise trifft es ausgerechnet die sympathischsten Charaktere am heftigsten.

Sehr detailreich, mit dem Blick eines Malers, schildert die Autorin die jeweiligen Szenen. Sie beschreibt die damalige Kleidung und Lebensbedingungen sehr genau. Auch passt sie sich der früheren Sprache, soweit möglich, an. Alles in allem wirkt der Roman dadurch sehr authentisch und man bekommt ein genaues Bild dieser Zeit. Nach meinem persönlichen Empfinden sind manche Beschreibungen etwas zu ausufernd geraten, sodass meine Fantasie kaum eigenen Raum bekam, um sich zu entfalten. Die teilweise sehr verschachtelten Sätze musste ich oftmals zweimal lesen, um zu verstehen, was gemeint ist. Ein unbeschwertes, leichtes Lesen bietet der Roman nicht.

Ebenso ist die Geschichte an sich keine leichte Kost. Nicht nur, dass der blühende Tulpenhandel ein jähes Ende findet, auch die Charaktere, die einem beim Lesen ans Herz gewachsen sind, allen voran Margriet und ihr Vater, werden vor eine schwere Prüfung gestellt. Nur kurze Zeit wohnte der aus Paris geflohene Jacques mit seiner Familie im gleichen Ort wie die Verbeecks, doch er ist ein Narzisst, der nicht verzeihen kann. Seine Welt dreht sich um ihn, und wer das anders sieht, ist sein Feind. Er treibt ein durch und durch falsches Spiel. Und das schlimmste ist, dass er anscheinend damit durchkommt und Menschen ins Unglück stürzt.

„In Zeiten des Tulpenwahns“ ist ein anspruchsvoller Roman. An manchen Stellen etwas zu ausufernd und zu detailliert in der Beschreibung. Trotzdem greift die Autorin ein spannendes Thema auf und verpackt es in einer ungewöhnlichen Geschichte, die einige unerwartete Wendungen nimmt.


Fazit

Ein historischer Roman, dessen authentische Geschichte überzeugt.

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Veröffentlicht am 06.12.2021

Fast 70 Leben, fast 50 Jahre Bühne unterhaltsam erzählt

Sonnenseite
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Meinung

Es beginnt im letzten Jahr, 2020. Roland Kaiser gibt ein Konzert auf der Waldbühne Berlin. Statt 22.000 Zuschauern sind Pandemie bedingt nur 4.500 zugelassen. Aber es ist ein Signal, „Back to ...

Meinung

Es beginnt im letzten Jahr, 2020. Roland Kaiser gibt ein Konzert auf der Waldbühne Berlin. Statt 22.000 Zuschauern sind Pandemie bedingt nur 4.500 zugelassen. Aber es ist ein Signal, „Back to live“. Seit fast fünfzig Jahren gehört Roland Kaiser zu den bekanntesten Sängern Deutschlands. Mit seinen zahlreichen Auftritten in der ZDF Hitparade hält er den Rekord der Sendung. Und heute, mit fast 70 Jahren, ist er immer noch ein erfolgreicher Künstler.

Ich kenne ihn seit Kindheitstagen, seit Santa Maria. Da war ich nicht einmal vier Jahre alt, aber wohl ziemlich textsicher. Lange Zeit wurden Schlager eher belächelt. Zu viel heile Welt und all diese Vorurteile. Schublade auf, rein, Schublade zu. Doch mittlerweile hat es sich die Wahrnehmung geändert.
Nach dem kurzen Intro der Gegenwart, erinnert sich Roland Kaiser zurück an seine Kinderzeit im Berliner Stadtteil Wedding. Zusammen mit seiner Pflegemutter und deren Schwester, Tante Gertrud, wohnen sie im Hinterhaus, Toilette auf halber Treppe. Er erzählt voller Herzlichkeit von einer behüteten Kindheit. Seine Pflegemutter, eine überzeugte Anhängerin Willy Brandts, lebte ihm die wichtigsten Werte wie Solidarität, Verantwortung und soziales Miteinander vor. Werte, die dem Sänger bis heute wichtig sind. Er engagiert sich für zahlreiche Organisationen und wurde vielfach für sein soziales Engagement ausgezeichnet. Ein klares, bekennendes Statement zur SPD und deren Werten findet man ebenfalls im Buch. Er versteht sich als Unterhalter mit Haltung!

Eindringlich schildert er besondere Momente. Darunter historische Ereignisse, wie beispielsweise der Bau der Mauer oder Kennedys berühmte Rede, aber auch besondere private Erlebnisse. Erinnerungen an ein Weihnachtsfest, an dem seine Mutter ihm ein langersehntes Fahrrad schenkte. Als er fünfzehn Jahre alt ist, stirbt seine Pflegemutter an den Folgen eines Schlaganfalls. Zwar nimmt ihn eine ihrer Schwestern bei sich auf, dennoch beginnt damit seine Abnabelung von der Familie. Sehr ehrlich berichtet Roland Kaiser von seinen Gefühlen zu dieser Zeit. Auch später taucht der Verlust der Mutter immer wieder auf. Für den jungen Mann ein lebensverändernder Einschnitt. Nach einer Lehre im Einzelhandel und Nebenjobs, beginnt er eine Ausbildung zum Automobilkaufmann. Durch Zufall lernt er den Musikmanager Gerd Kämpfe kennen, der ihm ein Vorsingen in den Hansa Studios verschafft. Mit einem Dreijahresvertrag in der Hand kommt Roland Kaiser aus dem Studio wieder raus, doch es wird noch ein paar Jahre dauern, bevor seine Karriere Fahrt aufnimmt. Solange arbeitet er weiter in der Marketingabteilung eines Autohauses.

Das Buch gibt Einblicke in den Alltag des Musikbusiness', das heutzutage vollkommen anders funktioniert. Wir erfahren von den mühsamen Auftritten in Discotheken, von seinen ersten Versuchen selbst Texte zu schreiben und warum „Sieben Fässer Wein“ kein Roland-Kaiser-Song ist. Nach dem endgültigen Durchbruch mit Santa Maria, tritt die Entfremdung zur Familie seiner Pflegemutter deutlich zu Tage. Nur zu seinem Cousin Wolfgang bleibt der Kontakt bestehen. Es folgen Auftritte in der Hitparade, in der Peter-Alexander-Show und die Boulevard Medien werden auf den gutaussehenden Sänger aufmerksam.

In diesem Abschnitt hätte ich mir die ein oder andere Anekdote zur Hitparade gewünscht. Vor allem was nach der Sendung alles geschah, wäre sicher erzählenswert. Ebenso habe ich den ein oder anderen damaligen Berliner Star etwas vermisst, wie etwa Harald Juhnke. Auch sonst stellt sich Roland Kaiser als relativ brav dar. Wenn nur an der Hälfte der damaligen Schlagzeilen ein Funke Wahrheit ist, war der Sänger sicher kein Kind von Traurigkeit und zeitweilig sehr abgehoben. Das klingt in dem Buch allerdings nur bedingt an.

Chronologisch erzählt Roland Kaiser weiter. Von seinem ersten Treffen 1984 mit seiner jetzigen Frau, die erste Scheidung, die zweite Ehe mit der damaligen Schauspielerin Anja Schüte, seine Erfolge als Fernsehproduzent (u.a. RTL Samstag Nacht), seinem Pilotenschein, seiner zweiten Scheidung, seiner dritten Ehe und dem Angekommen sein. Die einzelnen Lebensabschnitte sind durch Stadtplanausschnitten gekennzeichnet. Beginnend mit Wedding, dann Berlin, Deutschland und später Münster.

Der wohl tiefste Einschnitt in seinem Leben ist die Diagnose COPD, die er selbst erst nicht sonderlich Ernst nimmt und dann über Jahre verheimlicht, bis er nicht mehr leugnen kann. Er zieht sich zurück und nur eine Lungentransplantation kann sein Leben noch retten. In der Fachklinik in Hannover bekommt er sein zweites Leben geschenkt und startet tatsächlich noch einmal durch, in einem Ausmaß, wie er es selbst wohl nicht für möglich gehalten hätte. Auch diese Zeit schildert Roland Kaiser sehr ehrlich und offen. Er ist dem Tod auf den letzten Metern entkommen und genießt nun sein Leben in vollen Zügen.

Als Musiker, Zeitzeuge und Privatperson lässt Roland Kaiser die Leser:innen an seinem Erinnerungen teilhaben. Hier und da hätte ich gerne mehr Details (Hitparade) erfahren, an einigen Stellen fehlt aus meiner Sicht eine kritische Selbstreflektion (Trennung von Anja Schüte, eine Schlammschlacht in der BILD Zeitung), doch alles in allem gibt das Buch interessante und teilweise auch überraschende Einblicke in ein Künstlerleben, das von großen Erfolgen und Rückschlägen geprägt ist. Bezeichnend ist der Titel „Sonnenseite“, denn etwas weiß man sehr genau nach der Lektüre, Roland Kaiser ist ein Optimist und er vertraut darauf, dass es gut werden wird.


Fazit

Ein Buch nicht nur für Schlagerfans. Roland Kaiser hat viel erlebt und viel zu erzählen und tut das, mit Hilfe seiner Co Autorin Sabine Eichhorst, auf sehr unterhaltsame Weise.

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Veröffentlicht am 26.11.2021

Seichte Unterhaltung

Der Traumpalast
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Meinung

Peter Pranges „Der Traumpalast“ ist ein 800 Seiten starker Roman, dem ein zweiter Band folgen wird. Unterteilt in fünf Teile, die jeweils eine Zeitspanne von ca. zwei Jahren erzählen, ist jeder ...

Meinung

Peter Pranges „Der Traumpalast“ ist ein 800 Seiten starker Roman, dem ein zweiter Band folgen wird. Unterteilt in fünf Teile, die jeweils eine Zeitspanne von ca. zwei Jahren erzählen, ist jeder Teil noch einmal in eine unterschiedliche Anzahl von sehr kurzen Kapiteln gegliedert.

Gerade die kurzen Kapitel geben einem das Gefühl einer kurzweiligen Lesezeit, dennoch zieht sich die Geschichte an vielen, völlig uninteressanten Stellen, wie beispielsweise bei Vorstandsitzungen oder Projektfinanzierungen, teils ins Unerträgliche. Oftmals habe ich in diesen Fällen weitergeblättert, was ohne Weiteres möglich ist. Andererseits enden Kapitel genau da, wo Charaktere endlich einmal Tiefe entwickeln könnten (z.B. S. 691). Die ständig wechselnde Szenerie lässt keinen großen Spielraum für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Charakteren oder dem Verlauf.

Zu Beginn wirkt der Roman sehr schwungvoll. Lebemann trifft auf eine modern eingestellte Frau, die weiß, was sie will und bereit ist für ihre Träume zu kämpfen. Doch schnell verliert sich dieser Schwung und auch die Frau, Rahel, ist nur noch vermeintlich modern und wird zum Anhängsel ihres reichen Gönners. Rahel ist in der Geschichte für mich die größte Enttäuschung. Im Laufe des Buches wandelt sich mein erster Eindruck von ihr, von einer starken Persönlichkeit hinzu einer nicht allzu intelligenten, sich selbst bemitleidenden Frau, die immer glanzloser wird. Teils ist sie mir sogar mächtig auf die Nerven gegangen, mit ihrer dummen und naiven Art und ihrer Arroganz.

Auch Tino konnte mich als Charakter nur mäßig überzeugen. Er erfüllt, wie so viele in diesem Roman, eine ganze Reihe von Klischees. Seiner Figur fehlt es an Substanz. Mich hätte beispielsweise eine tiefgreifendere Auseinandersetzung mit seiner Familie, in der es offensichtliche Probleme gibt, interessiert. Über die Ereignisse wird einfach so hinweggegangen. Auch sein Kokainkonsum wird nur oberflächlich erzählt und in erster Linie auf seinen Liebeskummer geschoben. Das ist mir einfach zu banal.

Die sich durchziehende Trivialität wäre für mich noch okay gewesen, weil der Roman nicht den Anspruch auf große Literatur erhebt. Doch einen historischen Roman zu verfassen und dabei hin und wieder historische Fakten so zu drehen, sodass sie in die Geschichte passen, hat mich verärgert. Beispiele hierfür wären das Tanzlokal „Eldorado“, das mehrmals im Roman genannt wird. Dieses berühmt, berüchtigte Transvestitenlokal eröffnete erst Mitte der 1920er, demnach gab es das 1920 noch gar nicht. Ein zweites Beispiel ist die Entstehung der Idee zu „Metropolis“, ebenfalls im Roman thematisiert, die hat der Autor mal eben etwas vordatiert. Was nicht passt, wird passend gemacht. Schade!

Auch sonst ist es eher ein Crashkurs der historischen Hotspots, denn auf keinen wird ernsthafter eingegangen. Die Charaktere sind in ihrem Handeln oft unglaubwürdig und nur darauf ausgelegt, irgendeine Verbindung zu den jeweiligen Ereignissen herzustellen. Dabei bleibt das Lebensgefühl der Berliner Bevölkerung in dieser unsteten und unsicheren Zeit völlig auf der Strecke. Nach den 800 Seiten habe ich mich gefragt, was davon hängen bleibt? Nichts. Es ist eine Aneinanderreihung von seichten Belanglosigkeiten, die jedes erdenkliche Klischee bedient und ein großes Potential einfach verschenkt. Der Roman ist weder spannend, noch interessant, noch kann man auf die historische Einordnung vertrauen. Ich hatte sehr viel mehr erwartet. Von meinen Erwartungen ist nur ein geringer Teil erfüllt worden.

Wiederholt hatte ich beim Lesen den Eindruck, als ob der Autor nur ein mäßiges Interesse an der Zeit der 20er Jahre sowie dem Thema „Kino“ hat. Was wiederum den ein oder anderen historischen Lapsus, der im Roman vorkommt, erklären würde. Dieser Roman ist wohl mehr dem aktuellen Zeitgeist geschuldet.

Fazit

Die Geschichte, die der Roman erzählt, hat mich nicht für sich gewinnen können. Die Erzählung hat mich nicht mitgerissen, es fehlen die facettenreichen Charaktere und mehr Schwung im Ganzen hätte weniger Langeweile aufkommen lassen.

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