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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.03.2021

Wohlfühllektüre für ein verregnetes Wochenende

Der Liebesbrief
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Um über den Tod ihres Mannes hinweg zu kommen, zieht Chloe ins alte Pfarrhaus nach Rosecraddick, ein Dorf an der Küste Cornwalls. Fernab von London will sie versuchen sich ein neues Leben aufzubauen. Sie ...

Um über den Tod ihres Mannes hinweg zu kommen, zieht Chloe ins alte Pfarrhaus nach Rosecraddick, ein Dorf an der Küste Cornwalls. Fernab von London will sie versuchen sich ein neues Leben aufzubauen. Sie beginnt sich für die Geschichte des berühmten Sohnes der Gemeinde, dem Dichter Kit Rivers zu interessieren, der als junger Soldat im Ersten Weltkrieg fiel. Ihm zu ehren wurde ein Kirchenfenster gestaltet, dem nachträglich ein Gänseblümchen hinzugefügt wurde. Ein Detail, das Chloe als Malerin sofort ins Auge fällt. Auch in der vordersten Kirchenbank entdeckt sie ein eingeritztes Gänseblümchen. Sie wird neugierig und versucht dem Ganzen auf die Spur zu kommen. Hilfe findet sie bei dem Historiker und Kit Rivers Experten Matt.

Als sie bei Aufräumarbeiten im Pfarrhaus ein verstecktes Tagebuch findet, rücken die Gänseblümchen in ein völlig neues Licht. Das Tagebuch gehörte einer jungen Frau namens Daisy, die darin ihre Erlebnisse ab Mai 1914 schildert. Kit Rivers und Daisy verband damals ein besonderes Geheimnis, dem Chloe nun auf die Spur kommt. Dieser Fund verändert nicht nur den Blick auf den jungen Dichter, sondern auch Chloes Leben nimmt eine neue Wendung.

Meinung

Der Roman ist in drei Teile unterteilt. Der erste beschäftigt sich mit Chloes Umzug nach Rosecraddick und ihrer langsamen Rückkehr ins Leben. Durch die Entdeckung der Gänseblümchen und dem Tagebuch ebnet dieser Teil den Weg zu der jungen Daisy.

Im zweiten Teil springt die Geschichte hundert Jahre zurück in den Mai 1914, in dem Daisy in Rosecraddick ankommt und dort Kit Rivers kennen und lieben lernt. Ebenso wie Chloe kommt Daisy aus London in das beschauliche Dorf an der Küste und wohnt im alten Pfarrhaus. Zusammen mit Daisy erleben wir einen herrlichen Sommer und verfolgen ihre Liebesbeziehung mit Kit. Der zweite Teil endet im August 1916 nachdem Kit Rivers als vermisst gemeldet wird und Daisy Rosecraddick verlässt.

Der letzte Teil handelt wieder von der Gegenwart, in der Chloe mit Matts Unterstützung herausfinden will, was aus Daisy und Kit geworden ist.

Ruth Saberton hat einen wunderbaren Schreibstil, mit dem sie Orte und Situationen beschreibt ohne zu viel preiszugeben. Auf diese Weise kann sich die Fantasie des Lesers entfalten und ein eigenes Bild kreieren. Chloes Trauer wird unterstrichen von ihren Erinnerungen an Kleinigkeiten, die Neils Charakter ausgemacht haben. Behutsam schildert die Autorin Chloes Zeit der Trauer und das sich langsam wieder zurück ins Leben tasten.

Die Charaktere des Romans wirken lebendig und authentisch. Ich habe mich in Rosecraddick und mit seinen Figuren gleich zu Hause gefühlt. Nur im alten Pfarrhaus würde mir der Komfort fehlen. Durch die klare Abgrenzung des Zeitsprungs entstehen keinerlei Verständnisprobleme. Ich bin völlig in die Geschichte eingetaucht und war gespannt auf ihren Ausgang.

Doch im letzten Drittel verzettelt sich der Roman an einigen Stellen zu sehr. Es tauchen Ungereimtheiten auf und manches wird angedeutet, aber dann vergessen. Ich hätte mir für das Gänseblümchen im Kirchenfenster sowie für das Schicksal von Daisy und Kit eine andere Auflösung gewünscht. Auf mich wirkt beides sehr konstruiert und teilweise zu weit hergeholt. Außerdem wird zum Schluss sehr auf die Tränendrüse gedrückt, was für mich nicht im Einklang mit den ersten zwei Teilen des Buches steht. Mir war das zu viel des Guten, aber das ist natürlich nur mein persönliches Empfinden.


Fazit

Alles in allem ist es ein sehr unterhaltsamer, größtenteils gut geschriebener Roman über Liebe, Verlust und Hoffnung, perfekt für ein regnerisches Wochenende.

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Veröffentlicht am 08.03.2021

Komisch, unterhaltsam, menschlich - der alltägliche Schulbetrieb

Die Lehren des Schuldirektors George Harpole
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Meinung

„Die Lehren des Schuldirektors George Harpole“ ist ein englisches Kultbuch. Auch wenn es aus den 1970iger Jahren stammt, findet man immer noch genug Parallelen zum heutigen Schulalltag.

Seit ...

Meinung

„Die Lehren des Schuldirektors George Harpole“ ist ein englisches Kultbuch. Auch wenn es aus den 1970iger Jahren stammt, findet man immer noch genug Parallelen zum heutigen Schulalltag.

Seit zwölf Jahren ist George Harpole an der Grundschule St. Nicholas angestellt. Er ist ein aufgeschlossener Lehrer, der sich gegen Züchtigung und für neue Lernmethoden ausspricht. Als der Direktor der Grundschule für ein Halbjahr ausfällt, übernimmt Harpole vorübergehend den Posten. Voller Elan macht er sich an die Arbeit, doch schon bald kommt es zu ersten Missstimmungen mit dem Schulamt, weil er dem Hausmeister Anweisungen gegeben hat, die angeblich nicht in dessen Bereich fallen. So beginnt eine endlose Reihe an Auseinandersetzungen, Weigerungen und Kritik seitens der Lehrerkollegen, des Schulamtes und der Eltern.

Das Harpole manchmal über das Ziel hinaus schießt, ist das eine, doch muss er es mit starren, bürokratischen Denkweisen aufnehmen. Die Eltern sehen sich als Steuerzahler berechtigt, Lehrmethoden anzuzweifeln und Lehrer, die von ihren Steuern bezahlt werden, zu kritisieren. Das Kollegium ist von Harpoles Anweisungen per Rundschreiben selten angetan und weigert sich oftmals diese umzusetzen. Harpole muss lernen diplomatisch vorzugehen, was ihm allerdings nicht immer gelingt. Nur die junge Kollegin und glühende Anhängerin der pädagogischen Reformen, Miss Foxberrow, unterstützt ihn weitestgehend. Vor allem hält sie Harpole vor Augen, dass es in erster Linie um das Wohl der Kinder geht. Ihnen sollte ein guter Start ins Leben ermöglicht werden.
Ein Kapitel betrifft meistens ein Ereignis an der Schule. Dazu gibt es die Tagebucheintragungen von Harpole, die Briefe, die er an seine Verlobte schreibt, die Briefe die Miss Foxberrow an ihre Schwester schreibt und jeweilige Schriftwechsel, welche die zu berichtende Sache wiedergeben. Somit bekommt der Leser ein umfassendes Bild der unterschiedlichen Auffassungen und Perspektiven zu jedem Ereignis.

J.L. Carr versteht es die Unzulänglichkeiten, der Figuren aufzudecken. Immer wieder kommt das „Peter System“ zur Sprache, das besagt, dass jemand solange befördert wird, bis er schlussendlich einen Posten bekleidet, für den er vollkommen inkompetent ist. Tusker, der Schulamtsleiter, ist definitiv ein solcher Fall. Für Harpole ist Tusker wohl die größte Herausforderung. Harpole ist ambitioniert, dennoch möchte er sich keine Feinde machen, da er eine Karriere als Schuldirektor anstrebt. Doch dieses Halbjahr macht Harpole deutlich, dass es ein steiniger Weg sein wird und er viele Kompromisse dafür eingehen muss. Als sich seine vorübergehende Stelle als Rektor dem Ende nähert, ist er sich gar nicht mehr so sicher, ob eine solche Stelle für ihn passend ist.

Ich bin oftmals solidarisch mit Harpole verzweifelt. „Die Lehren des Schuldirektors George Harpole“ sind teils komisch, teils tragisch, doch eines sind sie immer; herzlich und menschlich. Das Buch ist zwar schon vor 1972 erschienen, doch hat es vom Thema an sich nichts an Aktualität eingebüßt. Das Ende kam für mich etwas überraschend, es ist jedoch stimmig. Ich habe mich von dem Roman ausgezeichnet unterhalten gefühlt. Vor einiger Zeit habe ich von dem Autor mit großer Begeisterung „ Ein Monat auf dem Lande“ gelesen. Das Buch ist ebenfalls im DuMont Buchverlag erschienen und hat eine ähnliche liebevolle Covergestaltung. Beide Romane kann ich mit voller Überzeugung empfehlen.



Fazit

Ein humorvoller Blick auf das Schulsystem. Unterhaltsam und herzlich erzählt die Lektüre vom Kampf gegen Bürokratie und Besserwisserei. Eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 22.02.2021

Weder Charme noch Witz und schon gar kein Tiefgang

Das Einmaleins des Glücks
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Meinung

Der Klappentext machte mich neugierig. Germaine, die auf Zahlen fixiert ist und sich im Umgang mit Menschen schwer tut, landet ausgerechnet in der Seniorenberatung.
Ja, Germaine analysiert alles ...

Meinung

Der Klappentext machte mich neugierig. Germaine, die auf Zahlen fixiert ist und sich im Umgang mit Menschen schwer tut, landet ausgerechnet in der Seniorenberatung.
Ja, Germaine analysiert alles und jeden und ist im zwischenmenschlichen Bereich ziemlich zurückgeblieben. Sie hat Schwierigkeiten andere Menschen richtig einzuschätzen und deren Verhalten zu deuten. Da ist die Welt der Zahlen natürlich viel berechenbarer.

Leider ist es auch alles, was ich über Germaine sagen kann, denn die Hauptfigur dümpelt oberflächlich vor sich hin. Emotionslos, ohne jegliche Empathie dargestellt, blieb sie mir fremd. Ebenso erging es mir mit der gesamten Geschichte. Der Roman wurde relativ lieblos herunter geschrieben, so mein Eindruck. Die Autorin hat sich wenig Mühe gegeben, den Charakteren Tiefgang zu verleihen oder sie wenigstens sympathisch wirken zu lassen.

Je weiter ich las, desto langweiliger wurde mir. Dabei gab es einige Ansätze, um die Erzählung spannender zu gestalten und intensiver zu werden, doch leider blieb es beim Ansatz. Auch der Schreibstil an sich konnte mich nicht überzeugen. Besonders nervig sind die Abbildungen, die irgendetwas verdeutlichen sollen, was sie jedoch nicht tun. Sie sind überflüssig. Der Roman hätte durchaus Potential gehabt, denn die Idee dahinter hätte sicher spannender erzählt werden können, doch leider wurde da auf ganzer Linie alles verschenkt.


Fazit

Der Roman hat mich gelangweilt. Die Geschichte, die blassen Charakteren, der Schreibstil. Nichts davon wird mir im Gedächtnis bleiben. Die Idee an sich hätte so viel Potential gehabt, um spannend und humorvoll zu sein, mit einer kleinen Portion von Tragik. Für alle, die eine anspruchslose Sommerlektüre suchen, ist der Roman einigermaßen okay.

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  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.02.2021

Unterhaltsam, doch stellenweise zu ausufernd und klischeehaft

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
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Einmal in der Woche besucht Hannah ihre über 90 jährige Großmutter Evelyn in einer Berliner Seniorenresidenz. Bei einem ihrer Besuche entdeckt Hannah den Brief einer jüdischen Anwaltskanzlei, in dem es ...

Einmal in der Woche besucht Hannah ihre über 90 jährige Großmutter Evelyn in einer Berliner Seniorenresidenz. Bei einem ihrer Besuche entdeckt Hannah den Brief einer jüdischen Anwaltskanzlei, in dem es um verschollene Kunstschätze geht, auf die Evelyn anscheinend Anspruch hat. Hannah kann sich darauf keinen Reim machen. Bisher hatte sie keine Ahnung, dass sie jüdische Verwandtschaft hat. Evelyn blockt Hannahs Fragen dazu kategorisch ab, stellt Hannah jedoch eine Bevollmächtigung aus, damit sie sich um die Angelegenheit kümmern kann. Zuerst ist Hannahs Enthusiasmus eher mäßig, weil sie zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt ist. Doch je mehr sie über ihre Urgroßmutter Senta erfährt, die eine erfolgreiche Journalistin und in zweiter Ehe mit Julius Goldmann verheiratet war, desto größer wird Hannahs Interesse der Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Hannah gibt nicht auf endlich Antworten von Evenlyn zu bekommen, doch sie weigert sich weiterhin vehement über ihre längst verstorbene Mutter zu reden. Senta ist zwar ihre leibliche Mutter, aufgewachsen ist Evelyn allerdings in der Obhut ihrer Tante Trude. Trotzdem versteht Hannah nicht, warum ihre Großmutter partout kein Wort über die Vergangenheit verlieren will. Was ist damals vorgefallen? Hannah begibt sich auf die Suche nach den Gemälden und findet dabei auch zu sich selbst.


Handlung

Hannah ist ziellos. Nach ihrem Studienabschluss in Germanistik, promoviert sie bei ihrem Doktorvater Andreas Sonthausen, ein charismatischer und angesehener Wissenschaftler. Aber richtige Begeisterung für ihre Dissertation kommt nicht auf. Hannah hat weder Freunde noch eine Beziehung, nur ihre Großmutter Evelyn, die Hannah einmal die Woche besucht. Die regelmäßigen Besuche sind geprägt vom immer gleichen Ablauf. Ein richtiges Gespräch zwischen Oma und Enkelin kommt während dessen selten auf.

Evelyns Tochter Silvia, Hannahs Mutter, ist vor einigen Jahren an Krebs verstorben. Das Verhältnis zwischen Silvia und Evelyn war angespannt. Silvia lebte frei und ungebunden, engagierte sich für Umweltthemen, lebte in Kommunen und reiste zeitweise durch die Welt. Ein gänzlicher anderer Lebensentwurf zu dem der pragmatische Ärztin Evelyn, die immer beherrscht und abgeklärt erscheint.

Vor kurzem hat Hannah eine Affäre mit ihrem Doktorvater begonnen. Allerdings scheint sein Interesse an ihr weniger groß zu sein, als umgekehrt. Trotzdem macht Hannah ihn zu ihrem Lebensmittelpunkt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie ausgerechnet ihren Professor um Hilfe bittet, als sie mit Ansprüchen aus dem Besitz ihrer bisher unbekannten jüdischen Verwandten konfrontiert ist. Itzig Goldmann war Berliner Kunsthändler und der Schwiegervater ihrer Urgroßmutter Senta, die in zweiter Ehe mit Julius Goldmann verheiratet war.

Über Senta weiß Hannah kaum etwas. Nur das Evelyn, aus Sentas erster Ehe stammend, bei ihrer Tante väterlicherseits aufwuchs und kaum Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter hatte. Evelyn ist Hannah auch keine große Hilfe, denn sie weigert sich vehement über die Vergangenheit und die Goldmanns zu sprechen. Ihr Professor stellt Hannah den jungen Historiker Jörg vor, der sie bei der Angelegenheit unterstützen soll. Jörgs penetrante Art nervt sie zwar, dennoch ist es Jörg, der einiges über Senta herausfindet und ihr sogar deren veröffentlichte Artikel beschafft. Senta schrieb für Zeitungen in Berlin und später in Brasilien. Nach und nach erwacht auch Hannahs Neugier auf ihre unbekannte Familie und die verschollenen Gemälde. Die Nachforschungen holen sie aus ihrer Einsamkeit. Hannah erkennt, dass sie ihr Leben endlich selbst in die Hand nehmen muss.


Meinung

Der Roman mit dem etwas sperrigen Titel „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ handelt in erster Linie von Müttern und Töchtern. Vier Generationen von Frauen, die eines gemeinsam haben; sie suchen nach Erfüllung in ihrem Leben. Doch keine der Frauen findet diese ausschließlich als Hausfrau und Mutter.

Vordergründig geht es um verschollene Kunstgemälde, doch die Geschichte geht tiefer. Der Roman nimmt sich dem Thema an, auf welche Schwierigkeiten Frauen stoßen können, um ihrer Rolle im Leben gerecht zu werden. Sowohl Senta als auch Evelyn haben ihr Leben gestaltet und ihre Berufung gelebt. Die eine als Journalistin, die andere als Ärztin. Beide Frauen haben ihre Erfüllung in der Mutterrolle nur bedingt gefunden. Ihre Entscheidung für ein eigenständiges Leben, das nicht unbedingt den gesellschaftlichen Normen entspricht, führte auch zu Schuldgefühlen gegenüber ihren Töchtern. Sentas Versuche, sich um Evelyn zu kümmern, waren meist nur halbherzig. Evelyn hingegen hat versucht ihre Tochter zu unterstützen, wo immer sie konnte. Ansonsten hätte Silvia sich ihr freies Leben in der Form nie erlauben können. Zudem sorgt Evelyn für Hannah und ist für ihre Enkelin da.

Die Autorin wechselt kapitelweise zwischen den einzelnen Sichtweisen der Charaktere und den jeweiligen Zeiten. Hannah ist die Gegenwart, Senta lernen wir 1926 in Rostock kennen, als sie schon schwanger ist. Auf diese Weise erfahren wir als Leserin viel über die einzelnen Figuren. Wir wissen, welche Gedanken ihnen durch den Kopf gehen und wie sie die Dinge sehen. Dadurch kommt man den Figuren sehr nah und entwickelt eine entsprechende Verbindung. Alena Schröder hat einen ausgesprochenen flüssigen Schreibstil, der es dem Leserin problemlos ermöglicht in die Geschichte einzutauchen. So unterschiedlich ihre Charaktere auch sein mögen, man spürt, wie sorgsam sie jeden einzelnen konzipiert hat.

Die Sichtweise auf die Frauenfiguren ist sehr erfrischend und ehrlich. Der Autorin ist es hervorragend gelungen, ihre Beweggründe verständlich zu machen. An einigen Stellen hatte ich allerdings den Eindruck, als ob die Autorin sich verzettelt. Einige angedeutete Handlungen verliefen im Nichts. Episoden, die keinerlei Bedeutung auf die Handlung haben, sind für mich nicht nachvollziehbar. Dazu gehört die angedeutete Beziehung zwischen zwei Männern. Ebenso unerklärlich ist mir der Teil mit dem ausgesetzten Baby. An einigen Stellen hätte ich mir mehr Fokus auf das Wesentliche gewünscht.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Figur des Doktorvaters. Zu Beginn erschafft die Autorin ein vielschichtiges Bild dieser Figur, welches leider am Schluss in einem belanglosen, oberflächlichen Klischee ausplätschert. Meiner Meinung nach wurde hier etwas verschenkt. Eine „erwachsene“ Auseinandersetzung zwischen ihm und Hannah hätte dem Anfang besser entsprochen, als dieser klischeehafte Abschluss, der auch für mich nicht Recht passen will.



Fazit

„Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ ist ein unterhaltsam geschriebener, stellenweise humorvoller Roman über vier Frauen unterschiedlicher Generationen, die sich ihrem Leben, ihren Bedürfnissen sowie den gesellschaftlichen Konventionen stellen. Zudem macht der Roman deutlich, wie groß die Schwierigkeiten sind, von Nationalsozialisten enteignete Kunst zurückzubekommen. Ein Thema, das bis heute an Aktualität nichts verloren hat.

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Veröffentlicht am 28.01.2021

In weiten Teilen sehr langatmig und ausschweifend. Dennoch lesenswert.

Diese gottverdammten Träume
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Inhalt

Einst war Empire Falls in Maine eine florierende Kleinstadt. Aufstieg, Blütezeit und Verfall sind eng verknüpft mit der Familie Whiting, mehr oder weniger die Besitzer der Stadt. Mrs. Whiting besitzt ...

Inhalt

Einst war Empire Falls in Maine eine florierende Kleinstadt. Aufstieg, Blütezeit und Verfall sind eng verknüpft mit der Familie Whiting, mehr oder weniger die Besitzer der Stadt. Mrs. Whiting besitzt auch den Diner „Empire Grill“, den Miles Roby seit fast zwanzig Jahren für sie führt. Jeden Tag auf's Neue treffen sich dort die Bürger der Stadt, um über ihre Stadt zu philosophieren und sich die Zeit zu vertreiben.
Miles hat, bis auf die drei Jahren, die er auf dem College verbrachte, immer in Empire Falls gelebt. Damals kam er zurück, weil seine Mutter schwer erkrankte. Anstatt nach ihrem Tod seinen Abschluss zu machen, begrub er seine Träume und übernahm das Diner.
Seit jeher bemüht sich Miles es allen Recht zu machen. Trotz der Trennung hat er meist ein offenes Ohr für seine Ex-Frau, er kümmert sich um seine pubertierende Tochter Tick, steckt seinem leichtlebigen Vater Geld zu und sorgt sich um seinen jüngeren Bruder David. Einmal im Jahr nimmt er sich eine Auszeit und fährt an seinen Sehnsuchtsort Martha's Vineyard. Doch statt seinen Träumen nachzugeben, hält er an seinen Verpflichtungen fest und kehrt jedes Mal zurück. Mittlerweile gibt es für Miles mehr Gründe in Empire Falls zu bleiben, als den Ort endgültig zu verlassen. Allen voran seine Tochter. Trotzdem lässt ihn die Sehnsucht nach einem anderen Leben nicht los.


Handlung

Miles Roby steht kurz vor seiner Scheidung. Endlich hat seine Ex-Frau Janine jemanden gefunden, der ihr ein vermeintlich besseres Leben bieten kann. Walt besitzt ein Fitness Studio und mit seiner Hilfe hat sie ihren Traum vom Idealgewicht erreicht. Janine sieht eine rosige Zukunft vor sich. Nur ihre gemeinsame Tochter Tick kann dem neuen Mann an der Seite ihrer Mutter nichts abgewinnen.

Miles jüngerer Bruder David, als junger Mann auf die schiefe Bahn geraten und seit einem schweren Unfall geläutert, hat tolle Ideen für die Umgestaltung des Diners, um mehr Kunden anzulocken. Er drängt seinen Bruder mit der alles kontrollierenden Mrs. Whiting zu reden, um eine Lizenz für den Alkoholausschank zu bekommen. Doch Miles Verhältnis zu Mrs. Whiting ist ambivalent. Einerseits hat sie seiner Mutter angestellt, nach dem die Fabriken in Empire Falls geschlossen wurden und sie sogar aufgenommen, als Miles Mutter im Sterben lag. Andererseits ist sie eine Frau, deren Macht und Kontrolle man sich nur schwer entziehen kann. Schon seit Jahren hat Miles den Eindruck, als ob Mrs. Whiting mit ihm spielt.
Eines Tages fällt Miles Blick zufällig auf einen Zeitungsartikel, in dem Fotos ehemaliger Empire Falls Bewohner veröffentlicht sind. Darunter seine Mutter und ein Mann, den er erst jetzt, 30 Jahre später, als die Person erkennt, der er wirklich war. Plötzlich setzt sich das Puzzle zusammen. Längst vergessene Erinnerungen kommen zurück. Miles wird klar, wie eng sein Schicksal mit dem, der Familie Whitings tatsächlich zusammen hängt.


Meinung

Mit dem Roman „Diese gottverdammten Träume“ gewann der Autor Richard Russo 2002 den Publitzer Preis. Zudem wurde die Geschichte mit einer hochkarätigen Besetzung verfilmt.
Es ist eine Geschichte, die von Träumen handelt. Träume, die vor uns liegen, aber vor allem, um die gescheiterten Träume. Der Wunsch von Grace, Miles Robys Mutter war es, dass ihr Sohn, der werden sollte, der er werden wollte. Sie setzte alles daran, ihm ein College weit weg vom Empire Falls zu ermöglichen. Doch er kehrte zurück, als sie im Sterben lag. Und er blieb. Kein College Abschluss, keinerlei Ambitionen auf ein Leben außerhalb Empire Falls. Miles übernahm die Leitung des Diners, die ihm Mrs. Whiting anbot, er heiratete Janine, die er nicht glücklich machen konnte und er wurde Vater. Zudem übernahm er noch die Verantwortung für seinen wesentlich jüngeren Bruder und seinen leichtfertigen Vater.

Nun mit Anfang 40 wird Miles bewusst, dass die Jahre an ihm vorbei gezogen sind und er nie derjenige geworden ist, der er werden wollte. Seine Ehe ist gescheitert und Empire Falls ist weiter verfallen. Nur sein Bruder David sagt Miles die Meinung und versucht ihn anzutreiben, damit er etwas ändert. Mich hat Miles mit seiner fehlenden Energie und es allen Recht machen zu wollen wahnsinnig gemacht. Er ist ein sympathischer Charakter, aber er besitzt absolut kein Durchsetzungsvermögen. Er lässt sich durch sein Leben treiben und andere fällen seine Entscheidungen. Warum ist er nach dem Tod seiner Mutter nicht zurück auf das College? Er stand kurz vor dem Abschluss. Verlor er mit seiner Mutter den Antrieb?

Meiner Ansicht nach wird Miles zwischen Pflichtbewusstsein und den Erwartungen anderer aufgerieben. Dennoch komme ich nicht umhin, ihm die Schuld für seine Misere zu geben. Er hätte seine Träume verwirklichen können, wenn er gewollt hätte. Er ist einfach in Empire Falls hängen geblieben. Nur ein Mal im Jahr bricht er aus und macht Urlaub auf Martha's Vineyard. Ein Sehnsuchtsort seiner Kindheit, denn dort verbrachte Miles eine unbeschwerte Sommerwoche mit seiner Mutter Grace. In Rückblenden erfahren wir aus der Sicht des zehnjährigen Miles von dieser Woche, und von dem, was nach dem Urlaub geschah. Denn auch Grace' Träume erfüllten sich nicht.

Richard Russo zeichnet ein detailreiches Bild einer ehemals blühenden Kleinstadt, deren besten Zeiten längst vorbei sind. Er beschreibt eine gewisse Trostlosigkeit, die trotzdem noch von der Hoffnung auf Besserung genährt wird. Aus wechselnden Perspektiven schildern die Charaktere ihr Leben und ihre Erwartungen an die Zukunft. Dadurch bekommt man als Leser ein umfängliches Bild zu jeder Figur. Vermeintlich unsympathische Charaktere, wie beispielsweise Jimmy und Zack Minty, werden für den Leser nachvollziehbar.

Verständlicherweise wollte der Autor alle, wirklich alle (!) Aspekte einbringen. Aus dem Grund ufert manches Kapitel zu sehr aus. Ich hatte das Gefühl, dass ich Seite für Seite las und dennoch nicht vorwärts kam. Ich gebe zu, dass ich einige Male Seiten überflogen und weitergeblättert habe.


Fazit

Eine zeitlose Geschichte über Träume, große und kleine, die wir alle haben. Manche werden wahr und bei anderen fragen wir uns, was wäre gewesen wenn. Der Autor porträtiert auf sehr liebevolle Weise das Leben in einer amerikanischen Kleinstadt zwischen der Erinnerung an bessere Tage und der Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft. Dem Roman hätte es meiner Meinung nach gut getan, mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren. So ist das Buch stellenweise sehr ausschweifend und detailverliebt. Dieses Manko wird von der Intensität der Charaktere und dem Thema an sich größtenteils wieder gut gemacht.

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