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Veröffentlicht am 27.02.2023

Schöner, etwas seichter Familienroman

Als Großmutter im Regen tanzte
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[TW: Häusliche Gewalt, Vergewaltigung]
“Als Großmutter im Regen tanzte” erzählt eingebettet in eine Familienerzählung um drei Generationen von Frauen eine norwegische Erfahrung des zweiten Weltkrieges. ...

[TW: Häusliche Gewalt, Vergewaltigung]
“Als Großmutter im Regen tanzte” erzählt eingebettet in eine Familienerzählung um drei Generationen von Frauen eine norwegische Erfahrung des zweiten Weltkrieges. Die Großmutter Thekla verliebte sich in Norwegen in einen deutschen Soldaten, wurde in der norwegischen Bevölkerung (und der eigenen Familie) als “Deutschenh*re” verächtet und ist mit ihm zurück ins zerstörte Nachkriegsdeutschland gegangen. Otto’s Familie wohnt in Demmin - und wer mit der (in Deutschland tatsächlich eher unbekannten) Tragödie von Demmin vertraut ist, kann schon erahnen, was Thekla erleben wird. Enkeltochter Juni möchte nach dem Tod von ihrer Mutter und Großmutter herausfinden, wer sie eigentlich ist und was damals mit ihrerer Großmutter geschehen ist, erzählt wird auf zwei Zeitebenen und aus zwei Perspektiven, der von Thekla und der von Juni.

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, es lässt sich flott wegschmökern und zu historischen Themen lese ich generell ziemlich gerne. Obwohl ich es mochte, muss ich aber auch sagen, dass es leider für mich ein bisschen zu seicht und oberflächlich geblieben ist.

Da war für mich einfach viel komplett vorhersehbar. Auch sprachlich habe ich es eher als oberflächlich empfunden. Gerade bei den Teilen, die in Deutschland spielen, hatte ich mehr Tiefgang erwartet in den Beschreibungen und auch den Emotionen.

Auch wenn das jetzt sehr meckrig klingt: Gelesen habe ich das Buch trotzdem gern. Es war nur dadurch kein Highlight, auch wenn da thematisch das Potenzial dagwesen wäre. Ich denke es kommt letztenendes darauf an, mit welchem Anspruch man an dieses Buch herangeht. Wer einen detaillierten, krass recherchierten historischen Roman sucht, wird hiermit nicht glücklich werden, wer (wie ich im Moment des lesens) einen Schmöker für’s Wochenende oder einen Unterhaltungsroman mit etwas Tiefgang aufgrund des geschichtlichen Themas sucht und über leicht vorhersehbare Elemente hinweggucken kann, für den könnte das hier was sein!

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Veröffentlicht am 27.02.2023

Leider etwas unter meinen Erwartungen geblieben

Männer sterben bei uns nicht
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Ein großes Anwesen am See, mehrere Generationen einer Familie, von denen nur noch die Frauen zurückgeblieben sind, eine Großmutter die über all das herrscht(e) und die Lieblingsenkeltochter, auserkoren ...

Ein großes Anwesen am See, mehrere Generationen einer Familie, von denen nur noch die Frauen zurückgeblieben sind, eine Großmutter die über all das herrscht(e) und die Lieblingsenkeltochter, auserkoren den Platz der Großmutter zu übernehmen, die versucht, die Wirren ihrer Familie zu verstehen.

Der Anfang hat mich direkt total reingezogen in die Geschichte: Tolle Sprache, tolle Atmosphäre, toller Humor. Ab der Mitte hat mich die Geschichte dann aber leider etwas verloren. Ich wusste irgendwie nicht mehr, was das Buch mir eigentlich sagen will und habe auf ein gutes Ende gehofft, das mir das ein bisschen erklärt, aber ich hatte leider auch nach dem Ende das Gefühl, irgendwas Grundlegendes an der Geschichte nicht kapiert zu haben. Das lag vielleicht auch daran, dass die Erzählerin der Geschichte die “Ahnungslose” in der Familie ist, die selbst nicht so ganz ihre eigene Familienprobleme (und damit die Geschichte?) durchschaut und die Leser*innen so (bewusst?) ebenfalls ahnungslos gehalten werden?

Ich glaube (!) dass die zentrale Frage des Romans ist, wie Frauen in Machtposition mit dieser umgehen - in diesem Fall die Großmutter, die aber keine Matriarchin ist sondern eine Patriarchin - das habe ich aber auch erst zusammengereimt (falls es denn überhaupt so richtig ist), als das Thema dann auf den letzten Seiten ganz explizit angesprochen Außerdem gab es da für meinen Geschmack zu viele lose Enden und offene Fragen (bzw. Dinge die ich einfach nicht gecheckt habe), die mich das Buch etwas ratlos haben zuklappen lassen.

Deshalb halte ich als Fazit fest: Gute Idee, an sich toller Schreibstil, ich mochte den Humor und die Atmosphäre, die das Buch besonders zu Beginn hervorgerufen hat, aber schlussendlich hat mir da leider etwas der rote Faden und Klarheit gefehlt, um mich richtig begeistern zu können. Ich glaube, das Buch wird ein bisschen polarisieren: Entweder man wird gerade das richtig gern mögen oder eben verwirrt sein am Ende.

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Veröffentlicht am 22.01.2023

Aktuelles und emotionales Buch

Rote Sirenen
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Victoria Belim ist in der Ukraine geboren, zieht als Teenager mit ihren Eltern in die USA und später mit ihrem Ehemann nach Belgien. Als 2014 Russland die Krim annektiert, reist Victoria für einen längeren ...

Victoria Belim ist in der Ukraine geboren, zieht als Teenager mit ihren Eltern in die USA und später mit ihrem Ehemann nach Belgien. Als 2014 Russland die Krim annektiert, reist Victoria für einen längeren Aufenthalt in die Ukraine und macht sich auf die Suche nach ihren Wurzeln.

Im Zentrum ihrer familiären Spurensuche steht die Suche nach ihrem Urgroßonkel Nikodim, der in den 1930er Jahren spurlos verschwan - keine Seltenheit im damaligen politischen System. Dabei zeigt sich immer wieder der Konflikt zwischen den Generationen: Victoria möchte wissen, was mit ihren Vorfahren geschehen ist, sieht die Sowjetunion kritisch. Ihre Großmutter Valentina und ihr Onkel Vladimir sehen die Sowjetunion auch teils positiv (etwas, das Victoria nicht nachvollziehen kann), Valentina hat aber gleichzeitig eine solche Angst vor dem System, dass sie die Suche nach Nikodim eigentlich unterbinden möchte.

Durch Victorias Suche erfährt man viel von der Geschichte des Landes - mir ist (mal wieder) bewusst geworden, wie wenig ich da eigentlich weiß. Zugegebenermaßen, das Buch hatte für mich persönlich im Mittelteil einige Längen, diese wurden allerdings durch die Einblicke wieder wettgemacht.

“Rote Sirenen” hat sehr emotional aufgezeigt, welche Auswirkungen ein solches politisches System hat und wie lange es sich noch ausgewirkt hat beziehungsweise immer noch auswirkt. An der Stelle im Buch, als Victoria Belim aufgedeckt hat, was mit Nikodim geschehen ist und vor allem, wie es seiner Familie danach ging, hatte ich beim lesen Tränen in den Augen. “Sogar nach dem Ende der Sowjetunion wurden die Kinder für die vermeintlichen Verbrechen ihrer Väter verantwortlich gemacht.” (S. 265)

Besonders berührt hat mich dann nochmal das im August 2022 geschriebene Nachwort, in dem die Autorin auf ihre Suche und die aktuelle Situation in der Ukraine zurückblickt: “Ich habe mich manchmal bitter gefragt, ob wir 2022 in diese Situation geraten wären, wenn sich die Welt 2014 mehr um mein Land geschert hätte.” (S. 346)

Empfehlung für alle, die mehr über die Geschichte der Ukraine und die Auswirkungen der Sowjetunion erfahren möchten, und/oder gerne persönliche Erzählungen über Familie/Herkunft/Identität lesen!

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Veröffentlicht am 13.01.2023

Aktuelles Thema

Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?
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Unter dem grandiosen Titel “Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?” hat Sara Weber ein für mich - und ich glaube auch für viele andere - sehr aktuelles Buch geschrieben.

Vom ersten Teil ...

Unter dem grandiosen Titel “Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?” hat Sara Weber ein für mich - und ich glaube auch für viele andere - sehr aktuelles Buch geschrieben.

Vom ersten Teil des Buches war ich wahnsinnig begeistert. Der Gedanke “Wie will ich eigentlich in Zukunft arbeiten und leben?” ist bei mir momentan sehr präsent - quasi nur fürs Wochenende leben ist etwas, das mir sehr widerstrebt. Gerade Vertreter*innen der “Gen Z” wird immer wieder vorgeworfen, einfach nur zu faul zum arbeiten zu sein, wenn sie den Status Quo der Arbeitswelt nicht akzeptieren wollen. Mit diesem Mythos räumt Sara Weber im ersten Teil aber gewaltig auf. Ich habe mein Lesen regelmäßig mit dem Kopf genickt und mich sehr verstanden gefühlt.

Den zweiten Teil des Buches fand ich zwar gut, aber er konnte mich nicht mehr ganz so sehr begeistern. Das lag nicht per se am Buch selbst - Sara Weber hat einen sehr angenehm zu lesenden Schreibstil (besonders für ein Sachbuch!), das Buch ist gut recherchiert und die Argumente schlüssig. Aber wirklich viel Neues war für mich persönlich nicht mehr dabei.

Wer sich beispielsweise schon etwas ausführlicher mit intersektionalem Feminismus auseinander gesetzt hat, wird im Kapitel “Was, wenn Arbeit wirklich gleichberechtigt wäre?” kaum etwas lesen, was man nicht schon kannte.

So erging es mir auch mit den anderen Kapiteln in Teil 2. Ich bin beispielsweise relativ aktiv auf LinkedIn und lese dort gerne Beiträge zum Thema “Zukunft der Arbeit” (weshalb mich dieses Buch auch so sehr interessiert hat) und ab und an auch mal Artikel dazu in Zeitungen. Dadurch kannte ich persönlich schon die Problembeschreibungen, die dann auch in den einzelnen Kapiteln ausgeführt wurden. Die Lösungsvorschläge der Autorin fand ich interessant, haben aber für mich zu wenig Raum eingenommen, um mich mit diesem Teil nochmal so richtig begeistern zu können.

Trotzdem habe ich das Buch gerne gelesen und einiges markiert - auch wenn ich vieles schon kannte, fand ich es trotzdem gut, diese noch einmal gesammelt in einem Buch zu haben, statt in diversen Online-Artikeln. Eine absolute Kaufempfehlung würde ich an diejenigen aussprechen, die sich mit dem Thema noch nicht auseinander gesetzt haben. Dem Rest empfehle ich, mal in der Buchhandlung reinzulesen.

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Veröffentlicht am 09.10.2022

Absolutes Highlight!

Verbrenn all meine Briefe
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“Ich schaue mir die Übersicht und all die Verwüstungen auf der Seite meiner Mutter. Die Wut, die sich weitervererbt hatte. Wie sehr hatte sie mir eigentlich geschadet?” (S. 21)

Protagonist Alex verliert ...

“Ich schaue mir die Übersicht und all die Verwüstungen auf der Seite meiner Mutter. Die Wut, die sich weitervererbt hatte. Wie sehr hatte sie mir eigentlich geschadet?” (S. 21)

Protagonist Alex verliert leicht die Fassung, eines Tages realisiert er mit Schrecken: Seine Töchter haben Angst vor ihm, die Beziehung zu seiner Frau leidet unter den Wutausbrüchen. Bei einer Therapeutin soll er Familienbeziehungen zeichnen und stellt fest, dass die Familie seiner Mutter von Dysfunktionalität und lebenslang andauernden Streitereien durchzogen ist. Woher kommt diese Wut, die sich offenbar in seiner Familie über Generationen hinweg weitervererbt hat? Um das herauszufinden, beschäftigt er sich mit seinen seinen Großeltern und entdeckt eine verhängnisvollen Affäre.

Die Leseprobe von “Verbrenn all meine Briefe” hatte mich total begeistert - so sehr, dass ich am Ende vom Prolog Tränen in den Augen hatte. In kürzester Zeit hatte mich das Buch komplett gefesselt. Die Geschichte ist grandios erzählt und wenn ich gekonnt hätte, hätte ich es an einem Nachmittag fertig gelesen. Jedes Mal wenn ich dachte: That’s it, ekliger kann ein Mensch nicht mehr werden, hat Sven Stolpe sich nochmal selbst übertroffen, mein Herz ist an so vielen Stellen für Karin mitgebrochen und ich habe mitgefiebert (und gehofft) ob/dass sie es schafft, ihn und die Beziehung doch zu verlassen. Dicke Triggerwarnung für toxische Beziehung und emotionalen sowie phyischen Missbrauch an der Stelle.

Mein einziger Kritikpunkt ist, dass ich vom Klappentext und dem Prolog von einer anderen Gewichtung ausgegangen bin. Ich dachte, der Protagonist erkundet seine Familiengeschichte, um den Ursprung der weitervererbten Wut zu entdecken und zu verstehen, aber dass dann mehr Reflexion über eben jene Vererbungund deren Einfluss auf seine Gegenwart (und Ehefrau + Kinder) stattfindet. Stattdessen ist dies aber nur der “Rahmen”, der die Suche in der Familiengeschichte begründet. Schade, denn gerade diese Reflexionen hätte ich sehr spannend gefunden - nichts desto trotz war das Buch aber für mich ein absolutes Highlight!

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