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Veröffentlicht am 26.07.2023

Überraschungs-Highlight

Nincshof
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Wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich von mir aus zu diesem Buch wahrscheinlich nicht gegriffen. Die Grundidee klang zwar witzig, aber so richtig angesprochen hat mich das Thema irgendwie auch nicht. Zum ...

Wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich von mir aus zu diesem Buch wahrscheinlich nicht gegriffen. Die Grundidee klang zwar witzig, aber so richtig angesprochen hat mich das Thema irgendwie auch nicht. Zum Glück hat der Dumont Verlag mich damit überrascht, denn “Nincshof” war für mich ein absolutes Überraschungs-Highlight!

Der Schauort ist ein kleines österreichisches Dorf an der ungarischen Grenze, das sich laut einer Legende vor etlichen Jahren im Schilf versteckt und so ungestört von der Außenwelt existiert hat. Es findet sich eine vierköpfige Gruppe zusammen, die sich “die Oblivisten” nennen und in der Tradition ihrer Dorf-Legende die Geschichte wiederholen wollen: Nincshof soll vergessen werden! Blöd nur, dass sich eine bekannte Dokumentarfilmerin mit ihrem Mann, der mit seiner Irrziegen-Zucht Touristen in die Region locken möchte, im Dorf niederlassen.

Überzeugt hat mich sofort der feine Humor, der sich durch das gesamte Buch zieht und der mich oft zum schmunzeln gebracht hat. Angefangen beim Thema, über die Dialoge bis hin zu Details wie die Irrziegen. Dazu liebenswerte, etwas schrullige Charaktere, wie zum Beispiel die Rentnerin Erna Rohdiebl, die nachts in andere Gärten einbricht, um im Pool schwimmen zu können. Interessant fand ich auch, dass - entgegen der vermutlich meisten Dorf-Historien - in Nincshof einige ziemlich feministische Traditionen herrschen, wie das Weiterreichen des Nachnamens der Frau. Die philosophischen Fragen, die das Thema “Vergessen/Erinnern” mit sich bringt, haben dem Buch eine angenehme Tiefe gegeben - nicht zu seicht, aber auch nicht so tief, als dass es nicht mehr unterhaltend und leicht zu lesen gewesen wäre. Auch wenn ich es am Anfang wirkich nicht gedacht hätte, hat mich das Buch aus einer Leseflaute gezogen und ich habe es quasi gar nicht mehr aus der Hand legen können. Falls ihr also auch dachtet, dass das Buch nix für euch ist: Lest unbedingt mal in der Buchhandlung rein, ob euch der Humor zusagt! Und da ich schon häufiger gelesen habe, dass “Nincshof” etwas an Mariana Leky erinnert, muss ich da wohl auch ganz dringend mal was lesen.

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Veröffentlicht am 24.04.2023

Tolles Debüt, möchte ich am liebsten direkt nochmal lesen!

22 Bahnen
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“Hauptsache, es wird keine tragische Liebesgeschichte. Dafür habe ich keine Kapazitäten.” (S. 188). Ich auch nicht, Tilda. Gut, dass “22 Bahnen” auch keine tragische Liebesgeschichte ist, sondern eine ...

“Hauptsache, es wird keine tragische Liebesgeschichte. Dafür habe ich keine Kapazitäten.” (S. 188). Ich auch nicht, Tilda. Gut, dass “22 Bahnen” auch keine tragische Liebesgeschichte ist, sondern eine schöne Erzählung über den Zusammenhalt zwischen zwei Schwestern, die in instabilen Familienverhältnissen aufwachsen. Die Liebesgeschichte gibt es zwar auch, war aber halt nicht der Mittelpunkt, was ich sehr erfrischend fand.

“22 Bahnen” punkte bei mir außerdem mit: Charakteren mit viel Tiefgang, einem tollen Schreibstil, witzigen Dialogen, einer nicht-kitischigen Liebesgeschichte und (last but not least) einem wuderschönen Cover. Tilda, die ältere Schwester, jobbt im Supermarkt an der Kasse und spielt dabei immer ein Spiel, bei dem sie versucht anhand der Gegenstände zu erraten, was für ein Mensch da einkauft, so kleine wiederkehrende Details mag ich einfach. Zwischen den Zeilen lässt sich dann auch viel zum Thema soziale Herkunft herauslesen, da hat also für ein 200-Seiten-Buch echt einiges dringesteckt!

Ida, die kleine Schwester, war mir aber manchmal ein bisschen zu unglaubwürdig erwachsen für ihr Alter. Darüber kann ich aber hinweg sehen, denn “22 Bahnen” war ein Roman, den ich einfach sehr gerne (und sehr schnell, weil ich dringend wissen wollte, wie es weiter geht) gelesen und mit einem schönen Gefühl - aber auch ein bisschen Wehmut, dass die Geschichte damit vorbei ist - zugeklappt habe. Tilda, Ida und Viktor werden mich im Herz aber noch eine Weile begleiten.

Und ich brauche ganz dringend Buchempfehlungen zu ähnlichen Büchern, “22 Bahnen” hat nämlich einfach komplett meinen aktuellen Lesegeschmack getroffen und im Zweifel lese ich es im Sommer einfach nochmal.

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Veröffentlicht am 30.03.2023

(K)eine gute Geschichte

Keine gute Geschichte
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Arielle Freytag hat den sozialen Aufstieg geschafft: Aus dem Brennpunktviertel zur erfolgreichen Social-Media-Managerin in einer Agentur mit schicker Wohnung in Creme-Tönen und fancy Kaschmir-Pullis. Hilft ...

Arielle Freytag hat den sozialen Aufstieg geschafft: Aus dem Brennpunktviertel zur erfolgreichen Social-Media-Managerin in einer Agentur mit schicker Wohnung in Creme-Tönen und fancy Kaschmir-Pullis. Hilft aber alles nichts gegen ihre Depression, die sie in Behandlung zwingt. Danach und noch nicht in der Lage, weiterzuarbeiten, kehrt sie zurück in die Heimat und zu ihrer Großmutter, die sie aufgezogen hat. Dort sind zwei junge Mädchen verschwunden, was Erinnerung an das Verschwinden ihrer eigenen Mutter weckt.

Was für ein Debüt! Lisa Roy hat es geschafft, eine Protagonistin zu schreiben, die gleichzeitig relatable und unsympatisch ist. Als jemand, die selbst in einer Marketing-Agentur gearbeitet hat, habe ich die Teile zu Beruf (und bspw. auch ihrem Imposter-Syndrom) komplett geliebt. Arielle erzählt das Buch in einem rotzigen Tonfall mit vielen Anglizismen - das mochte ich eigentlich ganz gern (Stellenweise war es mir etwas too much), wird aber einigen auch gar nicht gefallen.

Richtig gut gefallen hat mir das Thema soziale Ungleichheit, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte zieht. Die verschwundenen Mädchen, Arielles verschwundene Mutter - hätte die Welt mehr Interesse an ihrem Verschwinden, wenn es sich nicht um eine Ashanti, Tochter einer alleinerziehenden Mutter aus dem “Assi-Viertel”, und eine drogennehmende Teenie-Mutter handelte, sondern um eine geigenspielende Charlotte aus der Reihenhaussiedlung? Oder bei Arielle, die zu Beginn ihrer Agentur Karriere gar nicht weiß, wie sich wohlhabende Menschen kleiden oder verhalten, und die trotz beruflichen Erfolges an Imposter-Syndrom leidet.

Fazit: Ich mochte das Buch sehr, würde es aber nicht uneingeschränkt allen empfehlen. Ich kann mir vorstellen, dass wem die Verbindung fehlt, die Protagonistin eher negativ wahrgenommen wird - vielleicht mal reinlesen in der Buchhandlung. Für mich ein spannendes Debüt, das mir noch eine Weile im Kopf bleiben wird.

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Veröffentlicht am 07.03.2023

Toller Unterhaltungsroman

In blaukalter Tiefe
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“Ein Segeltörn ins Ungewisse”.
Die schwedischen Schären. Fünf Personen an Bord einer Yacht. Ein undurchschaubarer Skipper. Zwei Paare. Geheimnisse, Lügen, Machtspiele. Aufbrodelnde Konflikte. Und eine ...

“Ein Segeltörn ins Ungewisse”.
Die schwedischen Schären. Fünf Personen an Bord einer Yacht. Ein undurchschaubarer Skipper. Zwei Paare. Geheimnisse, Lügen, Machtspiele. Aufbrodelnde Konflikte. Und eine immer rauer werdende See…

“In blaukalter Tiefe” hat mich von Beginn an komplett gefesselt! Ich habe es Abends begonnen und hatte zum Glück am nächsten Tag frei - so konnte ich mich in meinen Lesesessel krümeln und das Buch einfach fertig lesen! Die Geschichte hat einen richtigen Sog auf mich entwickelt und ich wollte unbedingt erfahren, was zwischen den Personen passiert und wie der Segeltörn ausgeht.

Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt und die Leserinnen erhalten Einblicke in alle Personen - außer den Skipper Erik. Die Perspektiv-Wechsel und damit einhergehenden eher kurzen Kapitel haben der Geschichte ein hohes Erzähltempo gegegen und mich dementsprechend nur so durch die Seiten fliegen lassen. Ich mochte außerdem richtig gern, dass die Charaktere allesamt sehr differenziert erzählt und nicht nur platte Stereotypen waren. Durch die verschiedenen Perspektiven merkt man als Leserin auch, wie unterschiedlich Situationen von verschiedenen Menschen wahrgenommen werden, weil unterschiedliche Blickwinkel und Wünsche dahinterstecken.

Fazit: Für mich war es ein Roman, der mich komplett gefesselt und dadurch gut unterhalten hat. Wer ein Buch für einen Tag/ein Wochenende auf dem Sofa oder für den Urlaub sucht, das man nicht mehr aus der Hand legen kann: This is your book! 5/5 Sterne und ich möchte jetzt unbedingt noch den ersten Roman der Autorin lesen!

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Veröffentlicht am 07.03.2023

Überraschungs-Highlight!

Wovon wir leben
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Bei “Wovon wir leben” habe ich in die Leseprobe gelesen und fand sie gut, war aber ehrlicherweise nicht so begeistert, dass ich dachte, das Buch unbedingt lesen zu müssen (und bei den vielen tollen Neuerscheinungen ...

Bei “Wovon wir leben” habe ich in die Leseprobe gelesen und fand sie gut, war aber ehrlicherweise nicht so begeistert, dass ich dachte, das Buch unbedingt lesen zu müssen (und bei den vielen tollen Neuerscheinungen bin ich da teils knallhart). Zum Glück hat @hanserliteratur mir das Buch als Überraschungspost zugeschickt, denn “Wovon wir leben” ist bislang mein absolutes Highlight des Bücher-Frühjahrs!

Ich habe ca. 50 Seiten gebraucht, bis ich es so richtig, richtig doll geliebt habe, dann konnte ich es aber nicht mehr aus der Hand legen. Im Vordergrund steht das Thema Arbeit mit der Protagonistin Julia, die ihren Job als Krankenschwester nach einem Fehler verloren hat und zu ihrem Vater ins Dorf der Kindheit zurückkehrt. Dort hat die Fabrik, in der die meisten gearbeitet haben geschlossen. Und dann ist da noch Oskar, der sich von einem Herzinfarkt erholt und ein bedingungsloses Grundeinkommen bezieht.

“Wenn Arbeit einfach Arbeit wäre, wäre Auszeit zum Beispiel Auszeit. Aber Auszeit zählt auch nur, wenn die Arbeit die Arbeit bleibt.” (S. 8)

Auf nicht einmal 190 Seiten bringt Birgit Brinbacher aber noch so viele Themen mehr unter, wie zum Beispiel Familienbeziehungen, Care-Arbeit, Gender-Rollen (besonders im Dorf), Inklusion, Zukunftspläne - generell die Frage: Wie wollen wir eigentlich leben?

Brigit Birnbacher schreibt sehr feinfühlig und hat mit ihren Worten bei mir so oft mitten ins Herz getroffen, ohne dabei ins kitschige oder pathetische abzurutschen. Dass ich Bücher mit Bleistift in der Hand lese und schöne Stellen markiere kommt bei mir häufig vor, dass ich gleich mehrfach zusätzliche Herzen an den Rand male, weil ich die Stellen so sehr liebe, dafür muss ein Buch etwas ganz besonderes sein - “Wovon wir leben” gehört dazu. Ganz große Empfehlung!

“Bea war immer anders. Bea ist Architektin geworden. Bea ist winterhart, Bea blüht ganzjährig, etwas an ihr trotzt immer noch dem wachstumsfeindlichen Klima hier.” 💚

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