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Veröffentlicht am 18.08.2018

Husch Josten: Land sehen

Land sehen
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Romane über Glauben und Religion in Umgebung eines Klosters sind selten. Man denkt an Umberto Eco, aber wir sind in diesem Buch in der Gegenwart.
Nach vielen Jahren trifft der Ich-Erzähler Hora seinen ...

Romane über Glauben und Religion in Umgebung eines Klosters sind selten. Man denkt an Umberto Eco, aber wir sind in diesem Buch in der Gegenwart.
Nach vielen Jahren trifft der Ich-Erzähler Hora seinen Onkel Georg wieder, der überraschenderweise Mönch geworden ist. Hora kennt ihn nur als weltoffenen Mensch und jetzt gehört Georg zu den Pius-Brüdern, der erzkonservativen Traditionalisten.
Hora beginnt darüber nachzudenken und versucht zu verstehen, was Georg dazu bewegt hat. Er besucht sogar für 3 Tage ein Kloster. Gerade in diesen Passagen gibt es sehr schöne Beschreibungen und Husch Jostens ruhiger Stil entfaltet sich.

Ein Großteil der Handlung nehmen Horas Überlegungen und Gedanken ein. Fast ist es überraschend, dass sich das Buch in der zweiten Hälfte doch noch in eine Familiengeschichte entwickelt und sogar zurück in die Zeit vor Georgs Geburt geht. Die dreißiger, vierziger Jahre in Deutschland beinhaltet ein Familiengeheimnis, über das nicht gesprochen wurden. Hier möchte ich aber besser nicht zu viel verraten.

„Land sehen“ ist ein lesenswerter Roman!

Veröffentlicht am 17.08.2018

Liebesgeschichte aus dem 18 Jahrhundert

Königskinder
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Alex Capus neuer Roman ist zwar kurz, aber es steckt, wie von diesem Autor gewohnt viel drin!
Das Buch ist einerseits dialogbetont, mit einigem Wortwitz, andererseits ist auch ein groß angelegter erzählerischer ...

Alex Capus neuer Roman ist zwar kurz, aber es steckt, wie von diesem Autor gewohnt viel drin!
Das Buch ist einerseits dialogbetont, mit einigem Wortwitz, andererseits ist auch ein groß angelegter erzählerischer Ansatz vorhanden.

Gegenwart: Max und Tina bleiben mit ihrem Auto im Schnee der Berge stecken. Eine erschreckende Vorstellung für mich, aber die beiden bleiben gefasst. Max beginnt, eine Geschichte zu erzählen.
Es ist 1779. Man lernt Jakob und sein Leben kennen. Und seine Liebe zu Marie. Eine geschickt erzählte und stimmungsvolle Geschichte, die ruhig erzählt wird.
Es stehen ihrer Verbindung aber Widerstände entgegen. Die Königskinder sind ein Kuhhirt und eine Bauerntochter. Das ist ein erheblicher Standesunterschied und Maries Vater ist gegen die Verbindung. Nach nur kurzer Zeit müssen sie sich trennen. Jakob meldet sich für Jahre zum Militärdienst. Aber sie vergessen einander nicht. Sie gehören einfach zusammen.
Es wird eine tiefe und feste Beziehung.
Einn weitere wichtige Figur ist die Prinzessin Elizabeth. Sie wird als Königskind noch sehr wichtig für unsere Königskinder.

Diese Erzählweise funktioniert, da Tina als Zuhörerin zwischendurch Fragen stellt und der Text dadurch reflektiert wird. Diese Erzählform kombiniert mit Alex Capus unaufgeregter Art ergibt einen wirklich schönen Stil, der mir sehr gefällt.

Veröffentlicht am 17.08.2018

Die Flucht

Das Verschwinden des Josef Mengele
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Bei Kriegsende flüchtet der K-Z-Arzt Josef Mengele nach Argentinien. Es ist das Argentinien Perons und Evita, die den Tätern Deutschlands eine neue Heimat bieten.
Mengele baut sich mit neuer Identität ...

Bei Kriegsende flüchtet der K-Z-Arzt Josef Mengele nach Argentinien. Es ist das Argentinien Perons und Evita, die den Tätern Deutschlands eine neue Heimat bieten.
Mengele baut sich mit neuer Identität ein neues Leben auf. Das Leben meint es in den fünfziger Jahren gut mit ihm. Einen kurzen Besuch in Deutschland riskiert er, geht dann aber schnell zurück nach Argentinien. Doch Anfang der sechziger Jahre wird dort nach Kriegsverbrechern gesucht, Eichmann wird vom Mossad nach Israel entführt. Mengele muss wieder untertauchen.

Olivier Guez sachlicher Stil erinnert leicht an Eric Vulliards Fiktionalisierung historischer Ereignisse. Auch Guez Text wirkt streckenweise wie ein Sachbuch, Dialoge gibt es wenig, aber es ist auf seine Art doch wieder Prosa mit einem journalistischem Ansatz und ermöglicht es, dem Schicksal der Täter nach dem Krieg zu folgen.

Olivier Guez führt viele Fakten auf, teilweise überraschende. Seine Recherchearbeit muss enorm gewesen sein!

Für am Thema interessierte Leser ist Olivier Guez preisgekröntes Buch empfehlenswert, wer jedoch einen spannend lesbaren Roman sucht, ist hier vielleicht nicht ganz richtig.

Veröffentlicht am 16.08.2018

Frische Literatur aus den USA

Das Jahr, in dem Dad ein Steak bügelte
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Rachel Khongs Debütroman Goodbye, Vitamin erhielt in der Deutschen Übersetzung den langen Titel „Das Jahr, in dem Dad ein Steak bügelte“. Immerhin kommt dieser Satz tatsächlich vor und das Steak wurde ...

Rachel Khongs Debütroman Goodbye, Vitamin erhielt in der Deutschen Übersetzung den langen Titel „Das Jahr, in dem Dad ein Steak bügelte“. Immerhin kommt dieser Satz tatsächlich vor und das Steak wurde anschließend sogar noch gebraten und verzehrt. Ein Hinweis auf den sanften Humor, der die Handlung umhüllt. Das Thema selbst ist ernst. Eine junge Frau ist nach einer schweren Trennung zurück in ihr Elternhaus in San Francisco gekehrt und will sich ein Jahr lang um den Vater kümmern, der an Alzheimer erkrankt ist. Manchmal hat er noch lichte Momente, manchmal ist er unkontrolliert, z.B. wirft er einmal seine Hosen in die Bäume oder oft sperrt er sich ein und will niemand an sich heranlassen.
Ruth ist nach der Trennung noch aus der Spur, doch setzt sie sich ein, dem Vater Normalität zu ermöglichen, z.B. soll er noch einmal ein Seminar leiten. Natürlich inoffiziell. Einige Studenten, die ihn als Professor sehr mochten, folgen tatsächlich. Der Roman lebt von diesen kleinen skurrilen Szenen, aber am meisten von der Sprache des Buches, die geprägt ist von Ruth Gedanken und Empfindungen.

Der Roman ist sehr amerikanisch, das ist positiv gemeint. Er steht in einer noch jungen Tradition, die von Autoren wie Dave Eggers, Vendela Vida, Jonathan Lethem, Judy Budnitz u.a. geprägt wurde. Sie stehen für mich für eine USA, die nicht Trumps Weltsicht folgen.

Rachl Khongs Kapitel sind oft kurz, die Sätze prägnant, oftmals außergewöhnlich, dennoch gut lesbar.
Ich würde gerne mehr von ihr lesen und hoffe auf weitere Romane.

Veröffentlicht am 15.08.2018

gelungener Debütroman

Das rote Adressbuch
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Das rote Adressbuch ist ein Roman über das Leben einer schwedischen Frau, Doris, 1918 geboren.
Es beginnt mit der Gegenwart in Stockholm. Doris ist 96 Jahre alt, fast alle aus ihrer Familie und Freunde ...

Das rote Adressbuch ist ein Roman über das Leben einer schwedischen Frau, Doris, 1918 geboren.
Es beginnt mit der Gegenwart in Stockholm. Doris ist 96 Jahre alt, fast alle aus ihrer Familie und Freunde sind schon gestorben. Es gibt aber noch Jenny, ihre Tochter und deren Kinder, doch Jenny lebt in San Francisco und Doris hat nur über Skype Kontakt zu ihr.
Dann geht die Erzählung weit zurück in Doris Kindheit und Jugend. Als der Vater stirbt wird es schwer und ärmlich und Doris muss schon früh in Dienst bei Herrschaften gehen. Doch dann kommt sie nach Paris und wird dort sogar Modell.

Es ist ein Buch des Erinnerns, wenn die Ankunft in das alte Paris vor dem Krieg beschrieben wird: der blassblaue Himmel, die Wäsche auf den Balkonen und der Rauch aus hunderten von Schornsteinen.
Schließlich kommt nach dem Tod der Mutter auch Doris Schwester Agnes zu ihr. Später zwingt sie der Krieg in die USA. Zentral auch eine schwierige und unglückliche Liebe von Doris zu Allan, der sie verlässt.
Mir gefällt sehr, dass der Roman den Gegenwarts-Handlungsstrang gleichwertig behandelt. Man fühlt sich Doris nah, wenn sie die Vergangenheit betrauert und auf den Tod wartet, gleichzeitig ihrer Nichte gegenüber so positiv bleibt. Ob jüngere Leser das auch so empfinden, kann ich nicht beurteilen.
Obwohl das Buch auch von Tod und Einsamkeit im Alter handelt, ist es so geschrieben, dass es sich nicht hoffnungslos liest. Es ist auch ein Buch von Würde und andauernde Liebe.
Sofia Lundberg wurde zu dem Roman inspiriert, da sie als Kind viel Zeit bei der Schwester ihrer jung verstorbenen Großmutter verbrachte, die auch Doris hieß und ebenfalls ein rotes Adressbuch besessen hatte.. Ich glaube, dass sich dadurch die Zuneigung zur Hauptfigur ergab und Doris als Figur so gut funktionierte. Doris Modellkarriere hingegen fußt aus eigenen Erfahrungen in verschiedenen Städten, unter anderen auch Paris, daher sind gerade diese Passagen realistisch und glaubwürdig. Auch den Künstler Gösta, der Doris engster Freund war, gab es wirklich.

Das Buch zu lesen ist eine Freude! Der angenehm zu lesende Schreibstil von Sofia Lundberg erlaubt es, den Roman nahezu komplett am Stück zu lesen. Die Handlung entfaltet sich so am besten.