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Veröffentlicht am 28.06.2018

Zeitportrait

Der englische Liebhaber
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Das Buch „Der englische Liebhaber“ hat ein auffälliges, atmosphäreaufbauendes Cover, dass schon einleitet, was der Text umsetzen wird: Ein dichtes Zeitportrait des Nachkriegsdeutschlands.
Die 80jährige ...

Das Buch „Der englische Liebhaber“ hat ein auffälliges, atmosphäreaufbauendes Cover, dass schon einleitet, was der Text umsetzen wird: Ein dichtes Zeitportrait des Nachkriegsdeutschlands.
Die 80jährige Schweizer Autorin Federica de Cesco wählt das zerbombte Münster als Schauplatz der Liebesgeschichte zwischen der jungen Deutschen Anna, die als Übersetzerin arbeitet und den britischen Offizier Jeremy, der auch Geheimdiensttätigkeiten nachgeht. Zwischen ihnen beginnt eine tiefe Liebe, obwohl Jeremy verheiratet ist. Eines Tages kommt es zur Trennung auf Jahre, und Anna ist Schwanger.
Der Clou des Buches ist aber die Erzählweise. Anna stirbt zu Beginn des Buches als alte Frau und ihre Tochter Charlotte liest ihre Tagebücher und die Briefe. Dadurch erfährt sie, und mit ihr der Leser, die ganze Geschichte.

Der Roman hat viele anrührende Momente, zeigt aber auch eine biedere Gesellschaft, die ein unehelich empfangenes Kind schmäht und ausgrenzt. Annas Tochter Charlotte ist aber eine energische Persönlichkeit, die geprägt wurde vom frühen Tod der geliebten Großmutter und der Abwesenheit des Vaters und eigentlich auch der Mutter, den Anna musste fast die ganze Zeit arbeiten, um als alleinerziehende das nötige Geld zu verdienen.
Es ist verständlich, aber sehr schade, dass deswegen immer wenig Nähe zwischen Anna und Charlotte blieb, obwohl aus den Briefen ja deutlich hervorgeht, wie sehr sie ihre Tochter liebte.
Als junge Frau in den sechziger Jahren rebellierte Charlotte und machte sich früh selbstständig. Man spürt ihren Groll gegen die Eltern und die Gesellschaft. Durch das Lesen der Briefe entstehen ein Verstehen und schließlich eine späte innere Verbundenheit. Das macht das Buch schließlich wichtig.

Natürlich gibt es viele Romane über das Nachkriegsdeutschland und über unglücklich verlaufende Liebesgeschichten, aber de Cescos Buch ist so lesenswert, das man es unbedingt empfehlen kann.

Veröffentlicht am 24.06.2018

zerfasert

Fake
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Von Anfang an besticht James Rayburn durch sein Talent, äußerst lebendige Szenen zu schreiben und Spannung aufzubauen.

Seit 4 Jahren schon ist Catherine Finch, die amerikanische Ärztin, in Syrien von ...

Von Anfang an besticht James Rayburn durch sein Talent, äußerst lebendige Szenen zu schreiben und Spannung aufzubauen.

Seit 4 Jahren schon ist Catherine Finch, die amerikanische Ärztin, in Syrien von der IS gefangen. Ein schreckliches Schicksal! Jetzt steht die Chance an, freigelassen zu werden.
Aber dann wird sie bei einem Drohnenangriff getötet. Aber stimmt das wirklich? Als Leser fragt man sich bei einem so raffinierten Politthriller natürlich, was ist Sein, was Schein?
Der Autor lässt es sich auch nicht nehmen, die Schwächen seiner Figuren zu zeigen, z.B. Catherines Ehemann Richard nutzt die Entführung aus, um sich zu bereichern.

Tragende Rollen spielen weitere Figuren, wie z.B. der Ex-CIA Pete Town und seine Frau Ann, dann noch Kip Littlefield, Dudley Morse etc.
Mich störte es ein wenig, das es so viele Figuren gab, die meisten aber durchschnittlich und eindimensional wirkten. Dennoch sind sie wohl nicht so unrealistisch.

Es ist ein harter, moderner Politthriller, der darunter leidet, dass er mit der Zeit in der Handlung zu sehr zerfasert und nicht vorankommt. Als Leser fühlt man sich schließlich frustriert und auch enttäuscht.
Mir persönlich hat auch das Ende nicht gefallen und ich habe die Erkenntnisse, dass mir so reißerische, moderne Thriller zu unmenschlich sind.

Veröffentlicht am 24.06.2018

Filomenas Geschichte

Die Farben meines Herzens
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“Die Farben meines Herzens” erzählt die Geschichte von Filomena, die alleine und zurückgezogen an den Südtiroler Bergen lebt. Die Umgebung und ihre Einwohner prägen den Roman. Neu in diese Gegend kommt ...

“Die Farben meines Herzens” erzählt die Geschichte von Filomena, die alleine und zurückgezogen an den Südtiroler Bergen lebt. Die Umgebung und ihre Einwohner prägen den Roman. Neu in diese Gegend kommt der Förster Mika.

Filomena leidet an Angstattacken, Platzangst und hat eine Sozialphobie.
Den Grund dafür erfährt man erst Mitte des Buches, als sie Mika erzählt, was vor 10 Jahren vorgefallen ist.

Das Thema des Romans ist Leben mit Beeinträchtigungen und Überwinden von Phobien und depressiven Phasen, gepaart mit einer leisen Liebesgeschichte.

Stilistisch hatte eigentlich mehr erwartet, da Noa C.Walker aka Elisabeth Büchle eine so berühmte Autorin ist. Bei den Figuren gibt es einige Klischees, die es nicht unbedingt gebraucht hätte.

Insgesamt würde ich das Buch als mittelmäßig bewerten. Positiv ist aber zu bewerten, das nicht versucht wird, zu behaupten, solche Zustände, an denen die Hauptfigur leidet, wären einfach und schnell oder etwa nur durch Liebe zu lösen.

Veröffentlicht am 24.06.2018

Hardboiled

RUN - Sein letzter Deal
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Wer wie ich in den 90ziger Jahren viele US-amerikanische Crime/Horror-Anthologien gelesen hat, dem wird Douglas E. Winter ein Begriff sein.
Das sein einziger Roman aus dem Jahr 2000 jetzt in Deutsch erscheint ...

Wer wie ich in den 90ziger Jahren viele US-amerikanische Crime/Horror-Anthologien gelesen hat, dem wird Douglas E. Winter ein Begriff sein.
Das sein einziger Roman aus dem Jahr 2000 jetzt in Deutsch erscheint ist sehr erfreulich und zeigt den guten Riecher des findigen Luziferverlags, denn Run ist wirklich eine Perle des Genres!

Burdon Lane ist Waffenhändler. Bei einem Deal jedoch eskaliert alles, er wurde reingelegt und er muss sehen, wie er überlebt. Dazu schließt er sich sogar mit Jinx zusammen, einem schwarzen Gangster, der eigentlich zur Konkurrenz gehört, sich aber in derselben Situation befindet. Bald wird es noch mehr Überraschungen geben, der Roman wird nie langweilig.

Die Stimme des Icherzählers prägt den Roman stark. Sein Erzählstil ist beeinflusst von einem Philipp Marlowe. Markig, spöttisch, illusionslos, manchmal selbstgerecht und zynisch.
Was für eine Litanei! Was für ein Antiheld!
Für den Leser ist das natürlich ein Genuß!

Der Roman hat einen druckvollen Drive, nimmt immer mehr Tempo auf. Im Verlaufe der Handlung wird mehr geballert als in 10 anderen Krimis zusammen. Es steuert auf ein grandioses Finale zu!

Veröffentlicht am 23.06.2018

November 1938 in einem deutschen Dorf

Ein ganz normales Pogrom
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Ein Sachbuch mit wichtigen Thema.
Das ein Dorf in Deutschland in jener schlimmen Zeit genauer betrachtet wird, funktioniert, weil es stellvertretend für nahezu alle in Deutschland steht und somit exemplarisch ...

Ein Sachbuch mit wichtigen Thema.
Das ein Dorf in Deutschland in jener schlimmen Zeit genauer betrachtet wird, funktioniert, weil es stellvertretend für nahezu alle in Deutschland steht und somit exemplarisch ist.
Es ist deutlich ein Sachbuch, nicht erzählend. Dabei ist schade, dass man die Täter und die 1938 wenigen im Dorf verbliebenden Juden über die Fakten hinaus nicht besser als Menschen kennen lernt. Das wäre mir wichtiger gewesen als die Klärung von Begriffen und ihre Anwendbarkeit oder irgendwelche Zahlen.
Davon abgesehen ist das Buch gut gemacht, wird mit zunehmender Lesedauer immer packender, obwohl die Schilderungen der Greueltaten stellenweise nur schwer erträglich sind.

Im Mittelpunkt steht der Demütigungsmarsch, zu den die Juden 1938 in Guntersblum getrieben werden. Dabei werden sie geschlagen und verhöhnt. Erschreckend, dass dabei so viele Kinder anwesend waren, die für dieses Spektakel sogar Schulfrei hatten und sich offensichtlich prächtig dabei amüsierten. Das zeigt besonders deutlich, die Verrohung der Gesellschaft. Krasse Minderheit war ein Ehepaar, dass sich später wegen ihren aggressiven Söhnen entschuldigte.

Auch Plünderungen und Verwüstungen waren eine Selbstverständlichkeit. Der Autor schildert das detailliert.
Und im ganzen Lande wurden die Synagogen abgebrannt.

Deutlich wird auch die staatliche Steuerung der Pogrome, die das ganze förderten und den Tätern praktisch frei Hand gaben. Den traumatisierten Opfern drohte noch Flucht oder die Deportation.

Wenn man das alles so liest, fragt man sich auch, ob vergleichbares heute möglich wäre und man kommt zu dem Schluß, dass es nicht unmöglich ist, da das Klima deutlich antisemitische und fremdenfeindliche Züge trägt und Hetzer gibt es genug!

Das Buch schließt noch mit einem Ausblick auf die Zeit nach 1945.
Fazit: Ein wirklich lesenswertes Buch!