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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.12.2017

Hardboiled

Totengrab
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Man kann dem englischen Krimi eine gewisse düstere Atmosphäre abgewinnen, die sich aus dem depressiven Gemütszustand des Protagonisten ergibt. Detective Sergenat Solomon Gray hat viel verloren. Vor 10 ...

Man kann dem englischen Krimi eine gewisse düstere Atmosphäre abgewinnen, die sich aus dem depressiven Gemütszustand des Protagonisten ergibt. Detective Sergenat Solomon Gray hat viel verloren. Vor 10 Jahren ist sein sechsjähriger Sohn verschwunden, seine Frau beging Selbstmord und von seiner Tochter ist er entfremdet. Überraschend, dass er überhaupt noch als Polizeibeamter funktioniert, zudem er auch wenig Selbstbeherrschung aufweist. Zum Beispiel gegenüber Reportern, selbst gegen Vorgesetzte. Dem Alkohol ist er nicht hat abgeneigt.
Trotzdem ist man als Leser ständig nahe an dieser ambivalent angelegten Hauptfigur dran.

Bei Fällen mit Jugendlichem im Alter seines Sohnes ist er innerlich privat beteiligt. Ein Junge hat Selbstmord begangen, aber man ahnt bald, dass es auch Mord gewesen sein könnte. Dann wird noch ein Kirchenmann tot aufgefunden. Ein weiterer Mord wird noch folgen, aber da möchte ich nicht vorgreifen. Doch Sol Gray steht mit allen Opfern irgendwie in Verbindung.

Sprachlich konnte mich der Roman an so einigen Stellen nicht begeistern, das betrifft vor allen einige Dialoge, denen es nicht an Klischees fehlt. Dafür waren die Rückblicke auf 10 Jahre zuvor oder 5 Jahre zuvor gut eingestreut. Das waren zentrale Momente im Leben des Detective Sergeant und strahlen noch auf die Gegenwart aus.
So bewegt sich die Handlung vor und zurück und bereichert den Roman.
Das Buch überzeugt in erster Linie durch die Hauptfigur und den Hardboiled- und Noir-Ansätzen. Dadurch hebt sich der Roman aus der Masse der Krimiveröffentlichungen ab.

Veröffentlicht am 08.12.2017

Briefe mit Niveau

Wie ich einmal ohne Dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen
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Nicht wenige Briefbände bestehen nur aus den Briefen und vielleicht noch ein kurzes Vorwort, der Leser wird aber mehr oder weniger mit dem Buch allein gelassen. Hier ist das nicht so. Ausführlich wird ...

Nicht wenige Briefbände bestehen nur aus den Briefen und vielleicht noch ein kurzes Vorwort, der Leser wird aber mehr oder weniger mit dem Buch allein gelassen. Hier ist das nicht so. Ausführlich wird auf die Briefpartnerinnen (alles Freundinnen Hannah Arendts) eingegangen, die Beziehung zueinander und die Umstände des Briefwechsels werden beleuchtet, bis dann endlich die Briefe kommen.
Diese Vorgehensweise ist aber auch nötig und sinnvoll, denn im Gegensatz zu bekannten männlichen Briefpartnern wie Karl Jaspers und Heidegger sind diese Frauen weniger bekannt.
Es handelt sich um Anne Weil, Hilde Fränkel, Charlotte Beradt, Rose Feitelson und Helen Wolff.

Als dann endlich die Briefe einsetzen kommt es zunächst zu einer Enttäuschung. Es herrscht im ersten Abschnitt mit den Briefen von Anne Weil ein starkes Ungleichgewicht. Die Briefe an Hannah Arendt sind in weit größeren Umfang vorhanden als die Antworten. Von Hannah Arendt liest man also verhältnismäßig wenig und als Leser wäre man da weit stärker interessiert gewesen als an den Briefen der nahezu Unbekannten.

Doch im zweiten Abschnitt ändert sich das zum Glück. Hannah Ahrend und Hilde Fränkel. Ihre Freundschaft ist anders geprägt, herzlicher, frischer.
Interessanterweise geht es bei Ihnen auch ab und zu mal über Heidegger und Karl Jaspers.
Leider starb Hilde Fränkel früh.

Im dritten Abschnitt, dem Briefwechsel mit Charlotte Beradt fehlen leider wiederum die Arendt-Briefe. Immerhin gibt es ein paar mit Beradt zusammenhängende Briefe Arendts an Heinrich Blücher oder an Schriftstellerkollegin Mary McCarthy.
Es folgen noch die Briefe von Rose Feitelson und Helen Wolff. In letzteren fall ist Hannah Arendts Anteil erfreulicherweise wieder größer.

Insgesamt bekommt man durch die Dauer der Briefe von den Vierzigern bis Mitte der Siebziger Jahre hinein einen Einblick in die Zeit und erfährt einiges über das Leben Hannah Arendts.
Auch sind die Briefe stilistisch deutlich hochwertiger als E-Mails unserer Zeit.

Veröffentlicht am 01.12.2017

Weder Hymne noch Verriss

Sieben Nächte
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Der Debütroman des Sohnes des bekannten, aber auch umstrittenen Schriftstellers Botho Strauss, behandelt ein Thema, das in letzter Zeit relativ selten in der deutschen, zeitgenössischen Literatur vorkommt. ...

Der Debütroman des Sohnes des bekannten, aber auch umstrittenen Schriftstellers Botho Strauss, behandelt ein Thema, das in letzter Zeit relativ selten in der deutschen, zeitgenössischen Literatur vorkommt. Der Identitätsfindung der Menschen der heutigen Generation!
Dabei ist gerade das ein wichtiges Thema.
Um sich auszuloten beginnt der Icherzähler ein ungewöhnliches Projekt um die 7 Todsünden.
Superbia - Hochmut; Gula - Völlerei; Acedia - Trägheit; Avaritia - Geiz; Invidia - Neid; Luxuria - Wollust, Genussucht; Ira - Zorn
In sieben Nächten begegnet er jeweils einer Todsünde. Das wirkt leicht altmodisch.

Simon Strauss versucht sprachlich einiges, muss sich da aber an einen hohen Maßstab messen. Das ging schon anderen Autoren so, die berühmte Väter haben. Doch auch Simon Strauss Prosa ist trotz Rätselhaftigkeit an einigen Stellen wirklich interessant!

Das Problem am Roman ist dann doch, dass Simon Strauss’ Ich-Figur zu wenig wagt und keine der durchexerzierten Todsünden wirklich genießen kann. Meiner Auffassung nach gibt er nur vor, sich die Sinnfragen des Lebens zu stellen, bewegt sich aber doch immer in den sicheren Gefilden. Nicht umsonst werden immer wieder kulturelle Topics (James Dean in Giganten, Bunuel, Visconti …) und bekannte Autoren erwähnt (Karl Kraus, Beckett, Rilke etc). Das überintellektuelle Gebahren kann auch nerven und wirkt banal!

Der Ausbruch gelingt nicht. Wenigstens im Roman könnte man doch mehr riskieren.
Dennoch halte ich das Buch für lesenswert und nicht komplett misslungen. Der Autor streift auch wesentliches, leider zu thesenhaft! Ein zweites Lesen ist denkbar!

Veröffentlicht am 20.11.2017

Krimi mit Elemente des Psychothrillers

Die Henry Frei-Thriller / Böses Kind
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Zitate von Paul Auster und Roger Smith sind dem Buch vorgestellt und verraten schon die Absicht, gut erzählte Literatur und Thriller zu verbinden.
Der Untertitel “Der erste Fall für Kommissar Henry Frei” ...

Zitate von Paul Auster und Roger Smith sind dem Buch vorgestellt und verraten schon die Absicht, gut erzählte Literatur und Thriller zu verbinden.
Der Untertitel “Der erste Fall für Kommissar Henry Frei” deutet auf den Beginn einer neuen Serie an.
Das Cover sieht scheußlich aus, aber das hat ja keinen Einfluß auf die Geschichte, die es schafft, zu überzeugen.

Die dreifache Mutter Susanne (Suse) Piernat ist alleinerziehend und überfordert. Ihre älteste Tochter Jacqi ist vermisst.
Die Handlung teilt sich auf in Abschnitte mit Suse und den Ermittlern.
Kriminalhauptkommissar Henry Frei und seine Kollegin Louisa Albers sind ein gutes Team.
Dazu kommt noch Charlie, ein neuer Ermittler, asiatischer Herkunft.

Der Krimi um einen Mörder und ein entführtes Mädchen ist nicht gerade außergewöhnlich, aber man kann dem Buch über einem langen Zeitraum gut zuhören. Mir gefallen auch die privaten Szenen, z.B. Henry und sein Sohn Benedikt, der Asberger hat, Louisa ist gerade Mutter geworden und deswegen während des Dienstes oft müde. Susanne kommt im Alltag kaum zurecht, da ihr exmann keinen Unterhalt bezahlt. Deswegen muss sie einen anstrengenden, schlechtbezahlten Halbtagsjob bewältigen und gleichzeitig ihre Kinder versorgen.

Zum Fall wird zusätzliche Spannung aufgebaut. Die Polizei findet einen toten Hund und später sogar eine Leiche. Höchste Dringlichkeit entsteht.

Mehr will ich nicht von der Handlung verraten, nur dass sie sich immer mehr verdichtet.
Der Krimi überzeugt durch die glaubhaften Figuren und die geschickte Plotgestaltung!

Veröffentlicht am 18.11.2017

Spionagethriller der alten Schule

Das Vermächtnis der Spione
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John Le Carre war und ist der Meister des Spionage-Romans. Das liegt zum einen daran, dass das Genre heute nicht mehr so verbreitet ist, zum anderen daran, dass zu Le Carre’s Stilmittel die moralische ...

John Le Carre war und ist der Meister des Spionage-Romans. Das liegt zum einen daran, dass das Genre heute nicht mehr so verbreitet ist, zum anderen daran, dass zu Le Carre’s Stilmittel die moralische Instanz gehört, die er vertritt und die er seinen Hauptfiguren, bei all deren Zweifeln manchmal, verleiht. Das ist heutzutage verpönt und da andere Große des Genres bereits verstorben sind, bleibt nur Le Carre.
Sein Geniestreich bei diesem Roman ist die Erzählweise als Mischung aus vergangenen und heutigen Ereignisse während eines Verhörs, dass Jahrzehnte zurückliegende Ereignisse zu Tage bringt. Dieses Stilmittel hat der Autor auch früher schon erfolgreich genutzt und es sagt mir sehr zu.
Ich habe zu dem Hörbuch gegriffen und profitiere noch zusätzlich von der Stimme von Walter Kreye. Er gibt der Hauptfigur zusätzlich Profil und verleiht ihm Persönlichkeit. Der Bericht des alten Mannes, der vor langer Zeit vom Geheimdienst angeworben wurde, ist erstaunlich emotional.
Zuerst erzählt er von seinen Eltern und seinen ersten Lebensjahren und von den Kriegsjahren bis er als junger Mann in die Bretagne zurückkehrte.
Danach geht es um den Vorfall mit 2 toten Spionen 1961 an der Berliner mauer, der Operation Windfall und den Verwicklungen dazu. Die Kinder der toten Agenten Alec und Liz wollen nah all der Zeit die Hintergründe geklärt haben.

Das Vermächtnis der Spione ist am Anfang überwiegend gute Unterhaltung, aber meiner Meinung nach wird es zu lang. Die Spannung hält nicht durchgängig, erst Recht wenn dem Leser(Hörer die Vorgeschichte nicht bekannt ist. Die Handlung wird detailliert, wer nicht zu den Kennern der George Smiley-Romane gehört, kann teilweise den Hintergründen nicht folgen. Aber am Schluß gibt es auch mit George Smiley ein Wiedersehen.
Es bleibt eine gute Erzählhaltung und Wortwitz. Ich gebe 4 Sterne!