Profilbild von yellowdog

yellowdog

Lesejury Star
offline

yellowdog ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit yellowdog über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.10.2017

Suche nach einer Legende

Wer ist B. Traven?
0

Wie so viele meines Alters habe ich die Filme nach den Romanen von B.Traven gesehen und grenzenlos bewundert. Gelesen habe ich ihn schon seltener, aber immerhin doch Der Schatz der Sierra Madre. Das ist ...

Wie so viele meines Alters habe ich die Filme nach den Romanen von B.Traven gesehen und grenzenlos bewundert. Gelesen habe ich ihn schon seltener, aber immerhin doch Der Schatz der Sierra Madre. Das ist jetzt “hust. Hust” Jahre her.
Die Idee aus der legendären Frage nach der Identität dieses Autors ist nicht neu. Das wurde schon immer diskutiert, es gab Dokus etc.
Doch immerhin ist der literarische Ansatz eine gute Möglichkeit die Leser an diese geheimnisvolle Figur zu führen.
Leon, ein Journalist, Hauptfigur des Romans, wird 1947 auf die Suche nach B.Traven geschickt.
Es wird einiges an Namedropping betrieben, zum Beispiel sucht Leon den Filmdreh zur Verfilmung eines B.Traven-Romans in Mexiko auf und trifft Regisseur John Huston und Schauspieler Humphrey Bogart. Besonders die Dialoge zwischen Leon und Bogey sind gut. Diese Figuren sind nicht schlecht gestaltet, wirken so, Wie man es aus einigen Dokumentationen schon kennt.
Auch von anderen Berühmtheiten ist die Rede: Raymond Chandler, Truman Capote, Clark Gable, aber die treten nicht als Personen auf.
Leon ist nicht unbedingt eine starke Hauptfigur, aber so war das wohl auch geplant. Er trifft in Mexiko mit Maria eine geheimnisvolle Frau, auch sie auf den Spuren von B.Traven. Leider verläuft die Beziehung im Sande.
Mit der Zeit verliert die Handlung ziemlich an Spannung. Sprachlich wie inhaltlich versinkt das Buch lange im Mittelmaß. Schade! Die Schlußpassagen, ca. die letzten 50 Seiten sind dann aber noch einmal packend.

Veröffentlicht am 16.10.2017

Junge französische Literatur mit afrikanischen Wurzeln

Kleines Land
0

Der kurze französische Roman über Kindheit, Bürgerkrieg und den Verlust der Heimat, hier konkret Burundi, kann mit seiner gut gemachten, musikalisch wirkenden Sprache überzeugen. Der Stil erinnert an eine ...

Der kurze französische Roman über Kindheit, Bürgerkrieg und den Verlust der Heimat, hier konkret Burundi, kann mit seiner gut gemachten, musikalisch wirkenden Sprache überzeugen. Der Stil erinnert an eine Afrika-spezifische Art des italienischen Neorealismus.

Die Kindheit des Erzählers Gabe scheint bis zum Alter von 11 Jahren paradiesisch, aber da aus der Gegenwart in Frankreich zurückdenkend erzählt wird, ahnt man schon, dass dieser Zustand mit dem nahenden Bürgerkrieg 1994 bald enden wird,
Zwischen Hutu und Tutsi kommt es in Ruanda zum blutigen Konflikt, der auch auf das Nachbarland Burundi ausstrahlt. Es kommt zu schockierend brutalen Massakern, in der auch Gabe und seine Familie hineingezogen werden. Diese Erlebnisse werden Gabe auch im Exil nicht mehr loslassen.

Das Buch ist ein Debüt und wurde in Frankreich mit dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet.
Man kann in Lesepausen einen Soundtrack zum Buch zusammenstellen, mit dem im Roman erwähnten Sänger Geoffrey Oryema oder dem Autor selbst, der auch HipHop-Musiker ist.

Veröffentlicht am 15.10.2017

Orkney und die Klippen

Nachtlichter
0

Autobiografisches Erzählen wird zur Literatur, wenn der Autor oder die Autorin über eine entsprechende Sprache verfügt und ein oder mehrere Themen behandelt, die Relevanz besitzen. Für das beeindruckende ...

Autobiografisches Erzählen wird zur Literatur, wenn der Autor oder die Autorin über eine entsprechende Sprache verfügt und ein oder mehrere Themen behandelt, die Relevanz besitzen. Für das beeindruckende Buch Nachtlichter ist das meiner Meinung nach der Fall. Es geht um Heimat und Familie und seinen Platz im Leben zu finden. Schwierigkeit dabei ist die Alkoholsucht, die sich anscheinend aus der Lebensgier der jungen Frau ergibt.

Autobiografische Bücher haben mich zuletzt ebenfalls von z.B. Delphine de Vigan oder Arno Frank fasziniert, aber Nachtlichter würde ich vom Lesegefühl vielleicht mehr mit Jeanette Walls Schloß aus Glas vergleichen, das vor kurzen verfilmt wurde. Auch in Nachtlichter werden starke Bilder von Menschen und Landschaft entworfen, die beim Leser nachwirken.

Der Alkohol hat Amy fest im Griff. Ihre Weltverlorenheit als Studentin in London kommt deutlich hervor. Auch später ruiniert ihr betrunkener Zustand ihre Beziehung und sie verliert ihre Jobs. Treffen der anonymen Alkoholiker oder Vorschläge der Therapeutin greifen nicht. Es gibt einige bedenkliche Vorfälle, sogar einen Überfall auf die betrunkene Amy. Erst eine intensive Therapie hilft kurz vor dem Abgrund, aber es ist ein schwerer Kampf. Dann folgt die Heimkehr, um wieder ins Leben zu finden. Die Gegend, aus der sie früher immer nur weg wollte, beginnt ihr etwas zu bedeuten. Das sind zum Beispiel die abgelegten und unbewohnten Inseln, die rau und windgepeitscht ihren eigenen Zauber haben. Bezüglich der Tiere auf der Farm oder den Vögeln gibt es detailreiche, beinahe dokumentarische Passagen, die dem Leser klar machen, dass es sich hier nicht um einen konventionellen Roman handelt. Hier engagiert sich Amy intensiv. Das erinnert stark an H wie Habicht von Helen MacDonald. Wer das Buch mochte, wird auch mit Teilen von Nachtlichter etwas anfangen können. Bei mir ist inzwischen der Appetit auf solche Bücher deutlich gewachsen!

Veröffentlicht am 12.10.2017

dialogbetont

Katharina und der Zaungast
0

Dieser intelligente Roman von1957 ist ein Frühwerk von Christine Brückner und setzt ganz auf die Gespräche zweier Menschen.
Die junge Franziska und der 20 Jahre ältere Doktor sind über einen langen Zeitraum ...

Dieser intelligente Roman von1957 ist ein Frühwerk von Christine Brückner und setzt ganz auf die Gespräche zweier Menschen.
Die junge Franziska und der 20 Jahre ältere Doktor sind über einen langen Zeitraum miteinander befreundet, aber doch sehr verschieden. Franziska ist stark und impulsiv, nach einer schweren Kindheit gierig auf das Leben, aber leider ist es eine fehlgeleitet Zeit. Der geschilderte Fackelzug 1938 lässt einen eine Beklemmung beim Lesen erfahren.
Bastian, der Doktor, ist anders als Franziska, abwartend und beobachtend, klug bewahrt er kühlen Kopf.
Vielleicht ist ihre Verschiedenheit der Grund, warum sie sich in den Dialogen aneinander abarbeiten, die Vergangenheit reflektieren.
Beide mussten schweres durchmachen. Bastian erblindete im Krieg, Katharina verliebt sich in den falschen Mann, wird desillusioniert. Die Nachkriegszeit führt sie ins Ausland, wie getrieben sucht sie nach einem eigenen Platz. Brieflich bleiben sie in Kontakt.

Die Form des Romans ist gleichzeitig funktionierend als auch einschränkend, da manche Themen praktisch wie abgehakt wirken. Das gilt insbesondere für Katharinas Jahre im Exil. Daher kann ich dem Buch nicht die Höchstnote geben, aber ein guter Roman ist es und die Getragenheit und Melancholie strahlen etwas außergewöhnliches aus, dass in der zeitgenössischen Literatur relativ selten ist.

Veröffentlicht am 09.10.2017

Ein Kriminalroman und etwas mehr

Die Gärten von Istanbul
0

Eine Leiche wird vor einem Atatürk-Denkmal gefunden. Ein Fall für Oberinspektor Nevzat und sein Team, von denen Ali und Zeynep am meisten herausstechen. Auch weitere Morde erfolgen an zentralen Plätzen ...

Eine Leiche wird vor einem Atatürk-Denkmal gefunden. Ein Fall für Oberinspektor Nevzat und sein Team, von denen Ali und Zeynep am meisten herausstechen. Auch weitere Morde erfolgen an zentralen Plätzen in Istanbul.

Auffällig ist, wie der Autor sich in seinem 2010 geschriebenen Roman Zeit lässt, die Ermittlung zu zeigen, zum Beispiel das Verhör der Exfrau des Mordopfers geht über einige Seiten und das Team diskutiert auch die historische türkische Geschichte, da ein Zusammenhang möglich ist.

Eine große Zuneigung zu Istanbul ist durch die detaillierten Beschreibungen authentisch spürbar und im Fall des Stadtviertels Balat auch ganz gezielt durch den Ich-Erzähler ausgedrückt. Balat ist ein Viertel mit steilen Gassen und vielen Cafes, aber relativ wenig Touristen.
Auch andere Gegenden werden betrachtet, z.B. das Sieben Türme-Viertel.

Der Kommissar Nevzat ist eine besondere Hauptfigur, ein Gefühlsmensch mit natürlicher Autorität, deswegen folgen ihm seine Leute blind.
Nevzat umgibt eine Melancholie, denn einst wurden seine Frau und seine Tochter ermordet, der Fall wurde nie aufgeklärt. Das belastet seine neue Beziehung zu Evgenia.

In einer Szene hören Nevzat und Evgenia Schallplatten mit Musik von der türkischen Sängerin Müzeyyen Senar. Das ist sehr passend, denn ihre Salonmusik gleicht Ahmet Ümits Schreibstil, der langsam, aber eindrücklich und rhythmisch ist.

Immer wieder werden in den Dialogen kleine Geschichte aus der Vergangenheit auch der Nebenfiguren eingeflochten, auch wenn die nichts mit den Mordfällen zu tun haben. Das bereichert den Roman!

Mir gefällt, wie Ahmet Ümit seine Figuren anlegt, ihnen ein Gefühl für wichtige Werte wie langjährige Freundschaft, Toleranz und dass man sich umeinander kümmert, gibt.

Schließlich verdichtet sich die Ermittlung, bei der es 7 Morde gibt.

Das ganze hat einfach Klasse, wirklich edel!