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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.09.2017

Eigenwillig und Klug

Stille
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Wer denkt, dieses Buch würde einen sofort zur Stille führen, die ja auch innerlich gemeint sein kann, im Sinne von Ruhe und Ausgeglichenheit, sollte sich bewusst sein, dass das Eigeninitiative benötigt ...

Wer denkt, dieses Buch würde einen sofort zur Stille führen, die ja auch innerlich gemeint sein kann, im Sinne von Ruhe und Ausgeglichenheit, sollte sich bewusst sein, dass das Eigeninitiative benötigt und der norwegische Autor einem lediglich Möglichkeiten zeigen kann, die er selbst erlebt hat. Nicht jeder Leser wird sich gleich zum Südpol aufmachen können, New York hingegen habe ich schon besucht und die New York-Brücken-Passagen kann ich mir gedanklich vorstellen. Auch habe ich selbst die Stadt zu großen Teilen zu Fuß abgelaufen. So ergibt sich manchmal Nähe zum Autor, mehrfach natürlich auch Distanz.

Erling Kagge schreibt viel kluges, zum Beispiel über Langeweile oder Luxus, über Musik und Kunst sowie Lyrik.
Es erstaunt mich, dass Kagge sich öfter auf den deutschen Philosophen Martin Heidegger bezieht, zu dessen Werk er anscheinend eine Nähe hat. Er nennt noch ein paar andere, ganz unterschiedliche Denker, die Einfluss hatten, wie Oliver Sacks, Jon Fosse, Kierkegaard und Wittgenstein. Auch das macht Sinn.

Das Buch ist eigenwillig, vielleicht anders als erwartet. Der interessierte Leser sollte sich offen und neugierig zeigen.

Veröffentlicht am 17.09.2017

Tanz der Emotionen

Der letzte Tanz
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Man kann problemlos in diese Krimireihe einsteigen.
Am Anfang des Romans spürt man den Blues, den Eva Sturm nach einer Trennung und weitgehender Isoliertheit in der Langenooger-Inselgemeinschaft hat. Aber ...

Man kann problemlos in diese Krimireihe einsteigen.
Am Anfang des Romans spürt man den Blues, den Eva Sturm nach einer Trennung und weitgehender Isoliertheit in der Langenooger-Inselgemeinschaft hat. Aber als ein Fall mit einer abgetrennten Hand in einem Hotelbett auf sie zukommt, ist sie bei der Ermittlung voll dabei. Doch der Fall ist rätselhaft, das es zu der abgetrennten Hand keinen zugehörigen Mann zu geben scheint.
Hinzu kommt der Umstand, dass auch noch ein alleinerziehender Vater mit seinem kleinen Sohn aus dem Hotel spurlos verschwunden sind.

Moa Graven gelingt es, in kurzen Szenen die Gemütsverfassung, meist eine nicht besonders gute, ihrer Figuren zu portraitieren, und zwar so, dass man sie als Leser nachvollziehen kann. Etwa die von Annika, die arbeitslos und alleinerziehend ist, oder die von dem jung verwitweten Sebastian.

Moa Graven arbeit viel mit Atmosphäre, ohne sich dabei in lange Beschreibungen zu verlieren. Auch die Inselmotive werden nicht überbetont. Das finde ich gut, aber manche Leser würden sich hier vielleicht mehr wünschen.
Mit Eva Sturm hat die Autorin eine Protagonistin, die den Roman trägt. Eva versteht es zu genießen, hat aber aufgrund früherer Erlebnisse auch eine Hang zur Düsterheit und Misstrauen.

Der Kriminalfall überzeugt mich nicht ganz, aber in seiner Gesamtheit funktioniert der Roman.

Veröffentlicht am 14.09.2017

Im Milchozean fischen

Wer hier schlief
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Der Roman mit dem auffälligen Cover ist ein sprachlich fein gearbeiteter Text, der vor allen durch seinen Detailreichtum auffällt. Details in den Beschreibungen sind genau und so häufig, wie man es selten ...

Der Roman mit dem auffälligen Cover ist ein sprachlich fein gearbeiteter Text, der vor allen durch seinen Detailreichtum auffällt. Details in den Beschreibungen sind genau und so häufig, wie man es selten liest. Es ist somit ein Merkmal für den Stil der österreichischen Autorin Isabella Straub, die schon mit ihrem Debütroman Südbalkon aufgefallen war.

Ein Teil dieses Stil ist die Fähigkeit, Figuren mit wenigen Sätzen zu charakterisieren, als Beispiel mögen in Abschnitt 2 “Fischen im Milchozean” die Mutter des Protagonisten Philip Kuhn und deren Nachbarin Helene dienen.

So einige Sätze bleiben wirklich hängen und laden zum nachsinnieren ein, z.B. “Er sah das Gesicht der Ärztin vor sich, die nach Torf roch, als sie sich über ihn beugte.” Die Geste und diesen Geruch kann man sich sofort vorstellen.

Durch diese Mittel getragen wird der Bewusstseinszustand des Protagonisten verdeutlicht. Philipp Kuhn hat sich für Myriam von seiner Frau Vera getrennt, dabei Wohnung, Job und finanzielle Mittel verloren. Dann verschwindet auch Myriam und Philipp steht komplett neben sich. Er irrt durch die Stadt, die möglicherweise Wien ist. Ein wertvolles Gemälde trägt er bei sich, kann sich aber nicht mal für ein paar Stunden Schlaf ein Hotelzimmer leisten. Er fühlt sich krank, kämpft mit seiner überschäumenden Magensäure.
Sein Leben ist aus dem Ruder gelaufen.

“Wer hier schlief” sprüht vor Einfallsreichtum.
Was die Autorin hier fantasievoll zeigt ist nicht unrealistisch. Ein Abstieg aus dem gesicherten Leben kann jeden treffen! Vielleicht ergeben sich aber auch Chancen!

Veröffentlicht am 12.09.2017

Eindringliche Kriminalliteratur mit Niveau

Ermordung des Glücks
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Der erste Teil um den pensionierten Ermittler Jakob Franck war nicht besonders spannend, aber bei “Ermordung des Glücks” ist von Anfang an eine düstere, intensive Atmosphäre spürbar. Ein Bob Dylan-Zitat ...

Der erste Teil um den pensionierten Ermittler Jakob Franck war nicht besonders spannend, aber bei “Ermordung des Glücks” ist von Anfang an eine düstere, intensive Atmosphäre spürbar. Ein Bob Dylan-Zitat ist dem Buch vorgestellt.

Der Münchener Exkommissar Jakob Franck ist eigentlich pensioniert, aber das Überbringen von Todesnachrichten bei Verbrechen übernimmt er noch. Das ist eine Aufgabe, die viele Beamte überfordert. Franck aber nimmt sich Zeit und geht auf die Angehörigen der Opfer ein. In diesem Fall ist ein junge ermordet worden. Leonard Grabbe war erst 11 Jahre alt, als er erschlagen wurde. Seine Familie ist von dem Ereignis traumatisiert.

Auch Franck nimmt dieser Fall mit. Im Gespräch mit seiner Ex-Frau Marion Siedler, mit der ihm immer noch viel verbindet, reflektiert er die Vergangenheit.
Mit seiner bedächtigen, aber beharrlichen Art ist Jakob Franck eine gute Hauptfigur. Er ermittelt, obwohl pensioniert, auf freie Art und konzentriert sich ganz auf den Fall.
Seine Gespräche mit den Beteiligten sind auf hohen Niveau!
Man erfährt aber auch viel durch Passagen, in denen nur die Familie miteinander redet, es gibt sogar einen Rückblick auf 13 Jahre vorher.
Dadurch nimmt die Komplexität des Buches zu.

Literarisch geht Ani über das hinaus, was in der deutschsprachigen Kriminalliteratur üblich oder zu erwarten ist. Es sind immer wieder Sätze enthalten, die außergewöhnlich, manchmal poetisch sind.
Friedrich Ani dringt in die Seelen seiner Figuren ein. Der gesamte Text ist durchgehend gehaltvoll.

August Zirner ist der Sprecher des Hörbuchs. Vielen Hörbuchfans ist er sicherlich durch die Hector-Romane von Francis Lelord bekannt, die er eingelesen hat. Natürlich ist er auch als Schauspieler bekannt, z.B. durch die Hermann Hesse-Verfilmung “Die Heimkehr”.

Er liest leise, langsam und gründlich. Dadurch wirkt seine Stimme so eindringlich wie es auch Friedrich Anis Prosa ist.

Veröffentlicht am 10.09.2017

In Ginny Moons Welt

Ginny Moon hat einen Plan
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Ginny Moon hat einen Plan ist ein sehr intensiver Roman, weil er konsequent aus der Perspektive der 13jährigen Ginny geschildert ist. Und Ginny ist Autistin, daher ist ihr Blickwinkel anders als gewöhnlich. ...

Ginny Moon hat einen Plan ist ein sehr intensiver Roman, weil er konsequent aus der Perspektive der 13jährigen Ginny geschildert ist. Und Ginny ist Autistin, daher ist ihr Blickwinkel anders als gewöhnlich.
Das Thema Autismus ist schon oft in Literatur und Film verarbeitet wurde, aber so habe ich das zum ersten mal gelesen, man spürt etwas von dem Leben und den Zwängen, den Autisten ausgesetzt sind.

Bei Ginny kommt hinzu, dass sie als neunjährige von der unzuverlässigen, drogensüchtigen Mutter Gloria getrennt wurde. Sie war isoliert und misshandelt worden und fast verhungert. Die Trennung ist ein zusätzlicher Schock. Ein wichtiges Detail gibt es noch, dass nicht vorab verraten werden soll.

Ginny lebt jetzt bei ihrem Herzensvater und ihrer Herzensmutter, wie sie die Pflegeeltern nennt.
Doch die Vergangenheit ist nicht vergessen und es entsteht ein erneuter Kontakt zur Mutter.

Der Autor Benjamin Ludwig lässt die Situation langsam, aber stetig eskalieren. Das ist sehr geschickt gemacht. Als Leser kann man sich kaum von der Handlung trennen.
Ginnys Nöte machen den Leser betroffen. Es gibt einige sehr berührende Momente in dem Roman.