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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.07.2020

Langer Anlauf, packendes Finale

Der siebte Schrei
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Ein Serientäter geht um. Im Nordwesten der USA, rund um Idaho und Oregon, werden in regelmäßigen Abständen Kinder entführt und man findet später nur mehr ihre gefolterten toten Körper.

Agent Deacon Hamilton ...

Ein Serientäter geht um. Im Nordwesten der USA, rund um Idaho und Oregon, werden in regelmäßigen Abständen Kinder entführt und man findet später nur mehr ihre gefolterten toten Körper.

Agent Deacon Hamilton wird vom FBI, als diese Akte um einen weiteren Fall reicher ist, darauf angesetzt, das einzige Opfer das bisher entkommen konnte, zu befragen. Doch dabei gibt es einige Probleme, die Deacon erst noch entdecken wird.

Eines davon ist mit Sicherheit er selbst - Deacons bewegte jüngere Vergangenheit (es sei nicht zu viel verraten, aber nach einem Zwischenfall im Dienst wäre er fast seinen Job los gewesen) lässt ihn häufig zwischen Genie und Wahnsinn pendeln. Er ist aktuell nervlich angeschlagen, körperlich nicht bei 100 Prozent und wird von Albträumen und Selbstzweifel geplagt.

Nicht nur ein verkappter Ermittler sondern ein richtige tragischer Held also. Seine Agentenausbildung und seine Instinkte helfen ihm in kritischen Situationen und seine Menschenkenntnis kehrt langsam zurück.

Auch viele der Nebenfiguren sind interessant und glaubwürdig gezeichnet. Man spürt auch, dass besonders da viel Recherchezeit hingeflossen ist, wenn Autorin Linda Budinger von Aphasie, Synästhesie oder den Nez Percé schreibt.

Nach einem interessanten Start mit Rückblick und dem Kennenlernen der Hauptfigur muss man allerdings etwas warten bis es dann wieder so richtig losgeht. Dann bekommt die Handlung letztlich einen intensiven Thriller-Touch und auch ihr großes Finale.

Veröffentlicht am 14.07.2020

Glaubenthals Miss Marple schlägt wieder zu

Helga räumt auf
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Mit feinem Humor und zuweilen dem Pointen-Hammer zieht Thomas Raab über sein Heimatland und Eigenheiten dessen Bewohner her. Er nimmt die dörfliche Idylle aufs Korn und überzeichnet Traditionen ebenso ...

Mit feinem Humor und zuweilen dem Pointen-Hammer zieht Thomas Raab über sein Heimatland und Eigenheiten dessen Bewohner her. Er nimmt die dörfliche Idylle aufs Korn und überzeichnet Traditionen ebenso wie familiäre Eigenheiten und lässt auch die Schattenseiten wie schwierige Ehen und Kindheitserlebnisse nicht außer Acht.

Die Protagonisten im fiktiven Glaubenthal haben alle ihre “typisch österreichischen” Eigenheiten und gewissen Verhaltensweisen (abseits der Morde natürlich) kennt wohl jeder “Einheimische” von sich oder anderen.

Und obwohl es eine Polizeistation gibt, ermittelt das Meiste der Geschehnisse doch Hannelore Huber, glückliche Witwe und leidenschaftliche Gärtnerin, da sie teils durch Zufall und teils durch Kombinationsgabe öfter am richtige Ort auftaucht als ihr lieb ist.

Als ein tragischer Unfall einem älteren Bauern das Leben kostet, bleibt in Glaubenthal kein Stein auf dem anderen und es werden ihm weitere Bewohner über den Jordan folgen. Seltsamerweise scheinen diese Fälle nur zwei Familien zu betreffen, die sich großteils noch nie leiden konnten.

Es entwickelt sich eine skurrile Krimi-Geschichte um alte Geheimnisse, missglückte Ehen und folgenschwere Affären, fast wie im “richtigen Leben” also.

Achtung: Aufgrund der vielen Namen die auch noch in diversen Verbindungen zueinander stehen, kann es leicht zu Verwirrung kommen. Da es keine Übersicht zu Beginn gibt (erst später im Buch gibt es einen kleinen Stammbaum), sind Papier und Stift ergänzend zur Lektüre vielleicht hilfreich.

Sehr amüsant auch die großen Abschnitts-Überschriften die allesamt Buchtitel sind, die im Grunde nichts mit der Handlung zu tun haben, aber dennoch immer in die Handlung eingebunden sind.

“Helga räumt auf” ist Band 2 der Reihe mit Hannelore Huber, nach “Walter muss weg”.

Veröffentlicht am 12.07.2020

Düster und technikgesteuert

Paradise City
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Zoë Beck bleibt bei “Paradise City” dem treu, was sie mit “Die Lieferantin” begonnen hat: Moderne Thriller, die in den Megacities der Zukunft spielen (dort London, hier Frankfurt/Main) und sich bisher ...

Zoë Beck bleibt bei “Paradise City” dem treu, was sie mit “Die Lieferantin” begonnen hat: Moderne Thriller, die in den Megacities der Zukunft spielen (dort London, hier Frankfurt/Main) und sich bisher noch nicht erfundener (oder genutzter) Technik bedienen.

Sie skizziert ein Deutschland, das an die aktuelle politische wie gesellschaftliche Situation Chinas angelehnt scheint. Kameras im öffentlichen Raum, eine Gesundheits-App, ein Staat der über Wohnungsvergaben entscheidet, ein zweifelhaftes Belohnungssystem für “erwünschtes Verhalten” und ein gewisses “Aussortieren” von anders lebenden, anders denkenden sowie weniger fitten und gesunden Individuen.

Hinzu kommt eine staatlich gesteuerte Medienlandschaft, “Fakten” die nicht mehr das sind was wir und aktuell noch darunter vorstellen und eine gedankliche wie genetische “Gleichmachung” der Einwohner.

Gruselig, aber technisch gar nicht so weit von unseren heutigen Machbarkeiten und Forschungen entfernt, wie man teilweise erahnen kann.

Protagonistin Liina steht dem System skeptisch gegenüber, besonders den gesteuerten Medien und der staatlichen Überwachung. Sie arbeitet als eine der wenigen verblieben investigativen Journalisten. Als von ihnen angegriffen werden, gehen ein paar der Kollegen der Sache auf den Grund und fördern Geheimnisse zutage…

Der Thriller ist durchwegs spannend und hat gelungene verstörende Elemente, zeigt keine sehr rosige Zukunft. Durch gelegentliche Rückblicke in Liinas Vergangenheit wird der Lesefluss aber etwa unterbrochen. Wie bei “Die Lieferantin” bleiben auch hier am Ende ein paar Details offen. Wer ist stärker? Können die Journalisten mit ihren Entdeckungen etwas bewirken? Oder haben sie zu viel Angst vor den Mächtigen und müssen sich selbst retten?

Veröffentlicht am 08.07.2020

Mit den Ohren durch die Straßen Wiens

Die rote Frau
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“Die rote Frau” von Alex Beer ist Band 2 der Reihe um Rayonsinspektor August Emmerich. Im Jahr 1920 ist in Wien nach dem Krieg wieder Ruhe eingekehrt. Ruhe? Nicht ganz. Während es sich alle Reichen wieder ...

“Die rote Frau” von Alex Beer ist Band 2 der Reihe um Rayonsinspektor August Emmerich. Im Jahr 1920 ist in Wien nach dem Krieg wieder Ruhe eingekehrt. Ruhe? Nicht ganz. Während es sich alle Reichen wieder langsam gemütlich machen und Pläne für die Stadt und ihre eigenen Habseligkeiten schmieden, hungern und siechen Tausende dahin.

Die Spuren des Krieges sind unter ihnen besonders sichtbar und auch Emmerich laboriert immer noch an seiner Kriegsverletzung. Doch so sehr ihn sein Bein quält, weiß er es mittlerweile auch einzusetzen und seine Vorteile daraus zu ziehen.

Dank Emmerichs ungewöhnlicher und kompromissloser Art ist es eine Freude, ihn in einem Team mit seinem Assistenten Ferdinand Winter zu wissen, der oftmals eine etwas anderes Sicht der Dinge hat, ihn aber nicht überstimmen kann. Diese durchaus komischen Momente tun dem Krimi gut, der ansonsten viel Ernsthaftigkeit mitbringt. Ernste Probleme, Mord, Machenschaften und Armut prägen das Stadtbild und die Atmosphäre des feinfühlig recherchierten Krimis.

August Emmerich, selbst nicht aus angesehenen Verhältnissen stammend, hat sein Herz am rechten Fleck und riskiert für die, denen es noch schlechter geht als ihm (er hat zumindest Arbeit), schon mal Kopf und Kragen. Seine Sturheit ist amüsant und beeindruckend, reitet ihn aber zwischendurch auch in scheinbar ausweglose Situationen und von Zeit und Zeit kann auch er irren.

Aber Emmerich wäre nicht Emmerich wenn sich seine Sturheit nicht irgendwann auszahlen würde. Er wartet mit genialen Einfällen auf, ohne am Ende als “Supermann” dazustehen. Die Geschichte bleibt in sich glaubwürdig, ebenso wie alle ihre Charaktere. Ebenfalls stimmig ist Sprecher Cornelius Obonya. Wie schon in “Der zweite Reiter” spricht er die Protagonisten und die Nebenrollen jede mit ihrer eigenen wiedererkennbaren Stimme. Alleine schon deshalb ist der Krimi ein echtes Hörerlebnis, dazu unterstreicht seine Stimmlage auf fesselnde Weise den Schreibstil der Autorin.

Veröffentlicht am 01.07.2020

Mörderische friesische Gemütlichkeit

Halligmord (Ein Minke-van-Hoorn-Krimi 1)
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Kalt, stürmisch und unberechenbar kann die Nordsee sein und wo wüsste man das besser als in dem fiktiven Städtchen Jüstering an der friesischen Küste. In einer solchen unbequemen Nacht vor gut 30 Jahren ...

Kalt, stürmisch und unberechenbar kann die Nordsee sein und wo wüsste man das besser als in dem fiktiven Städtchen Jüstering an der friesischen Küste. In einer solchen unbequemen Nacht vor gut 30 Jahren verschwand ein Halligbewohner.

Kommissarin Minke van Hoorn, gebürtige Jüsteringerin und mit einer interessanten Biografie ausgestattet, bekommt es an ihrem ersten Arbeitstag mit einem cold case zu tun. Eine der Halligwiesen gibt nach einem Unwetter ein Skelett frei und allem Anschein nach hat es sich dort nicht selbst eingegraben.

Minke geht also Klinkenputzen und setzt langsam Puzzleteil um Puzzleteil alles zusammen. Dabei hat sie Glück: das Opfer ist schnell identifiziert, sie muss “nur” zusammentragen was passierte und warum. Dabei sind es die kleinen Details die sie auf die richtige Spur bringen.

Die Atmosphäre und Lebensweise an der Küste und auf den Halligen (im Buch fiktiv, aber es gibt nach wie vor solche bewohnten Inseln) wird gut eingefangen. Von vielen Charakteren erfährt man noch etwas wenig, um sie als gelungen einschätzen zu können, aber es ist ja auch Minkes erster Fall, somit könnte in möglichen weiteren Bänden hier mehr Nähe geschaffen werden.