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Veröffentlicht am 03.06.2021

Cold Case im kalten Norden

Nordwestzorn
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Fall zwei für Anna Wagner und Hendrik Norberg. Die gebürtige Münchnerin hat es geschafft und leitet im hohen Norden eine eigene Vermisstenstelle, sie greift alte und aktuelle Fälle mit vermissten Personen ...

Fall zwei für Anna Wagner und Hendrik Norberg. Die gebürtige Münchnerin hat es geschafft und leitet im hohen Norden eine eigene Vermisstenstelle, sie greift alte und aktuelle Fälle mit vermissten Personen auf.

Norberg leitet die Polizeistation St. Peter-Ording und unterstützt Wagners Ermittlungen bei Bedarf. Und den gibt es oft. Auch im aktuellen Krimi wieder. Schließlich will Anna klären, was 16 Jahre zuvor im beschaulichen Küstenort passierte.

Ein Junge, auf Klassenfahrt, lief weg und wurde nie mehr gefunden. Es gab keine Leiche und auch bei den damaligen Ermittlungen gibt es Ungereimtheiten.

Im leichten, unaufdringlichen Erzählstil führt Svea Jensen durch den eisigen Nordseewinter und die gelungene Krimigeschichte. Für diese ist auf den 380 Seiten mehr Platz, denn die Figuren werden nicht mehr so umfangreich beleuchtet wie in Band 1 (Nordwesttod).

Man kann die Bücher natürlich andersherum lesen, die persönliche Entwicklung und ein paar Nebenschauplätze sind aber natürlich in der richtigen Reihenfolge besser erklärt.

Die Kapitel sind angenehm kurz bis mittellang, Schauplatzwechsel innerhalb gut gekennzeichnet und es ist jeweils vermerkt, wenn ein neuer Tag beginnt. Wer Zeit Lust hat, kann so täglich genau so viel lesen, wie auch Anna, Hendrik und Kollegen an einem Tag ermitteln.

Aber natürlich lässt sich die Geschichte auch schneller verschlingen - die beiden haben sich zudem weitere Fortsetzungen redlich verdient. Auf viele weitere geklärte Fälle!


Svea Jensen ist ein Pseudonym von Angelika Svensson.

Veröffentlicht am 28.05.2021

Fast wie in Echtzeit

Der Fall des Präsidenten
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Mehr als 600 Seiten stark ist dieser fiktive Thriller von Marc Elsberg. Diese Menge will gut gefüllt sein und um über diese lange Zeit Spannung zu halten oder immer wieder neu aufbauen zu können, muss ...

Mehr als 600 Seiten stark ist dieser fiktive Thriller von Marc Elsberg. Diese Menge will gut gefüllt sein und um über diese lange Zeit Spannung zu halten oder immer wieder neu aufbauen zu können, muss einfach alles stimmen.

Das war für mich hier nicht immer der Fall. Die Geschichte rund um einen US-amerikanischen Ex-Präsidenten, der sich wegen seiner Kriegsführung und bestimmter Befehle offiziell verantworten muss, beginnt sehr vielschichtig.

Der Internationale Strafgerichtshof (Sitz in Den Haag) - im Buch meist englisch mit ICC abgekürzt - ist den meisten Europäern wohl spätestens seit dem öffentlichen Suizid von Slobodan Praljak bekannt. Im Buch hier erfahren wir etwas mehr darüber, wie die Dinge vor einer solchen Gerichtsverhandlung laufen könnten.

Der ICC gelangt an Beweise gegen den Ex-Präsidenten und sammelt auch selbst Zeugenaussagen, Bilder, alles was nötig ist um letztlich eine Festnahme durchführen zu können. Auf dem Weg zu einem Vortrag in Athen klicken die Handschellen, doch das ist nur der fulminante Auftakt zu einer langwierigen Odyssee für alle Beteiligten.

Ein griechisches Gericht muss erst darüber entscheiden, ob alles korrekt ablief und ob der Verhaftete tatsächlich auch nach Den Haag ausgeliefert werden kann.

Als Leser hätte mich diese “finale” Verhandlung viel mehr interessiert, aber der Thriller dreht sich ausschweifend um alles, was in Griechenland (mit gelegentlichen Abstechern in die USA und nach Deutschland sowie zur EU-Politik) passiert.

Die Tage nach der Verhaftung, die Auseinandersetzungen im Gericht, die Besprechungen und der Umgang der Öffentlichkeit inner- und außerhalb Griechenlands werden so minutiös erzählt, dass man fast das Gefühl hat, alles in Echtzeit zu lesen. Genauso wie in der Handlung im Ganzen betrachtet nicht viel vorwärts geht, scheint auch das Lesezeichen keine große Sprünge machen zu können.

Wirklich fesselnde Spannung kam bei mir nur zu Beginn und gegen Ende wieder auf, dazwischen ziehen sich die vielen Seiten eher langsam dahin. Obwohl man als Leser hauptsächlich die Perspektive der Vertreterin des ICC vor Ort, Dana Marin, hautnah mitbekommt, gibt es auch Einblicke in die Strategie der Gegenseite und in allerlei andere Schauplätze.

Das macht die Geschichte einerseits natürlich greifbarer, aber dadurch kommen auch sehr viele Namen, Figuren vor, die man immer wieder neu einordnen können muss wenn sie plötzlich wieder zur Sprache gebracht werden.

Die Schauplätze wechseln generell auch nicht nur mit den Kapiteln, sondern auch innerhalb, nur durch einen größeren Absatz gekennzeichnet. Das erfordert gute Konzentration und kann leicht unübersichtlich wirken.

Ich kann nur erahnen, dass hinter “Der Fall des Präsidenten” sehr sehr viel juristische Recherchearbeit steckt und habe Hochachtung vor dieser Arbeit. Aufgrund der so positiven Stimmung zu Elsbergs bisherigen Büchern (von denen ich auch noch einige lesen möchte), hat mich dieser Thriller hier leider etwas enttäuscht. Über lange Strecken konnte mich die Handlung nicht recht mitreißen und ich habe relativ lange gebraucht um das Buch zu beenden.

Veröffentlicht am 25.05.2021

Ein Plädoyer für Empathie und Egalität

Die Katzen von Shinjuku
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“Ein poetischer Roman über zwei Außenseiter und die Liebe zu Katzen” heißt es hier auf der Buchrückseite. Man muss nicht zwingend selbst ein Außenseiter sein um an Durian Sukegawas Geschichte Freude zu ...

“Ein poetischer Roman über zwei Außenseiter und die Liebe zu Katzen” heißt es hier auf der Buchrückseite. Man muss nicht zwingend selbst ein Außenseiter sein um an Durian Sukegawas Geschichte Freude zu haben. Wer Katzen mag, ist natürlich im Vorteil.

Aber der Roman ist noch so viel mehr - vollgepackt mit japanischer Kultur und Gesellschaftskritik und vielen Gedichten. Einiges davon mutet für uns in Europa seltsam an, zudem spielen die Begegnungen noch zur Zeit von Festnetztelefonie und Faxgeräten.

Seita Yamazaki, ein junger Mann in seinen Zwanzigern, hadert mit seinem Job, seiner Wohnsituation und irgendwie allem drumherum. In dieser Phase entdeckt er durch Zufall eine ganz bestimmte Kneipe und damit einen Ort, wo er sich zuhause fühlt. Die anderen Gäste haben alle so ihre Macken und nach einiger Zeit freundet er sich auch mit der Kellnerin an.

Durian Sukegawa erschafft einen gut geölten Mikrokosmos rund um die Bar und Seitas Erzählungen. Er blickt auf diese schwierigen Wochen zurück, das Buch ist aus der Ego-Perspektive verfasst. Ohne es direkt anzusprechen, legt er gekonnt den Finger in die Wunden der (japanischen) Gesellschaft. Er beleuchtet den Umgang mit “Abnormem”, hierarchische Strukturen und zeigt wohin Verzweiflung münden kann, wenn Menschen sich anderen nicht anvertrauen können.

Seitas Ansichten, die japanischen Dialoge und Eigenheiten sind teilweise sehr ungewöhnlich für europäische Leser. Eine Übersetzung ist auch meist ein Kompromiss, weil die Sprachen so unterschiedlich sind. Aber wer sich auf dieses lyrische, spezielle Weltbild einlassen kann, erfährt auch vieles über die Kultur und die Menschen dort.

Veröffentlicht am 25.05.2021

Sommerkrimi mit viel Italien-Flair

Adria mortale - Bittersüßer Tod
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Margherita Giovanni entführt uns sommerlich-launig ins Italien der Fünfzigerjahre. Die Zutaten sind simpel: ein kleines, katholisches Dorf, deutsche Urlauber, Vespas, Sonnencreme, Postkarten und vor allem ...

Margherita Giovanni entführt uns sommerlich-launig ins Italien der Fünfzigerjahre. Die Zutaten sind simpel: ein kleines, katholisches Dorf, deutsche Urlauber, Vespas, Sonnencreme, Postkarten und vor allem - keine Smartphones oder Navigationssysteme.

“Adria mortale” ist ein bisschen “Urlaub wie damals” - jeder Dorfbewohner hat so seine Eigenheiten und erfüllt das eine oder andere Klischee, aber auch die Urlauber werden treffend karikiert.

Damals wie heute trübt ein Streitthema die Urlaubsidylle: wie weit darf oder muss Tourismus gehen? Befürworter und Gegner liefern sich Debatten über größere Hotels, Parkplätze, Camping und das Bewahren von Flora, Fauna und malerischer Küste.

Der Beginn des Buches fängt all dies wunderbar ein und trifft das Zeitgefühl sehr gut. Da man aber weiß, dass man einen Krimi liest, wartet man einige Seiten länger als gewohnt auf das versprochene Verbrechen.

Erst dann bekommt auch Lorenzo Garibaldi seinen Auftritt. Der Commissario wühlt sich nach einer eingehenden Untersuchung der Leiche ebenso durch die Struktur im Dorf wie der Leser. Es sind viele Bewohner und Namen und da jeder jeden kennt, standen sie alle in irgendeiner Beziehung zum Opfer.

Es dauert etwas, bis man da einen guten Überblick bekommt. Das Buch ist außerdem so aufgebaut, dass in den relativ langen Kapitel die Schauplätze mehrmals wechseln, gekennzeichnet durch große Absätze mit Sternchen dazwischen.

Garibaldi hat also keine einfachen Ermittlungen vor sich, das und die verschiedenen Handlungsschauplätze ziehen den Krimi in der Mitte etwas in die Länge. Doch die schöne Atmosphäre, das Setting und dass am Ende alles aufgeklärt wird, helfen darüber hinweg.

Zwischen Gelato, Espresso und Amaretto bietet “Adria mortale” auf 380 Seiten einen unterhaltsamen mentalen Kurzurlaub. Ein Krimi für jeden Sommer.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Spannung
Veröffentlicht am 20.05.2021

Kriminalistik, Kultur und Kulinarik: Die Freuden des Josef Vierziger

In der Fremde
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Corona war für viele einmal ein recht harmloses Wort aus dem Lateinischen. Nicht so für die Apulier. Auch Josef Vierziger muss das erfahren. Nachdem seine Heimatstadt ihm in “Kollateralschaden” übel mitspielt, ...

Corona war für viele einmal ein recht harmloses Wort aus dem Lateinischen. Nicht so für die Apulier. Auch Josef Vierziger muss das erfahren. Nachdem seine Heimatstadt ihm in “Kollateralschaden” übel mitspielt, quittiert er seinen Dienst und zieht in den Süden.

Oder “in die Fremde”, zu den Wurzeln seiner Vorfahren. “Dottor Quaranta” baut sich ein kleines, feines Zuhause auf, braucht nicht viel außer Primitivo, Grappa, Doppio und Gemüse aus seinem Garten. Doch es ist ein bisschen so wie bei “Pfarrer Braun”. Ein angeschossener Flüchtling tritt in Vierzigers Leben und schon muss er hier und da ein bisschen kriminalisieren.

Innerhalb weniger Tage steckt er tief in einer Geschichte um Menschenhandel, zweifelhafte Geldgeschäfte und noch so einiges strafbare mehr. Seine Gegenspieler? Unter anderem die “Sacra Corona Unita”, apulische Mafia.

Wer bisherige Bücher von Joseph Lemark kennt, der weiß: Vierziger ist unnachgiebig (man könnte sagen stur) und fast ein Gerechtigkeitsfanatiker im positiven Sinn. Das lässt ihn schon in Österreich in brenzlige Situationen kommen, aber wirkt “in der Fremde” gleich noch um einiges gefährlicher.

Neben der Kriminalistik und der Kulinarik kommt auch die Kultur nicht zu kurz: für viele der eingestreuten italienischen Sprach-Kostproben gibts am Ende ein Glossar, zudem ein paar von Vierzigers Rezepten zum Nachkochen. Beides definitiv deftig.

So gut das alles klingt und so wohl sich Vierziger zwei Jahre nach seinem Umzug fühlt, für einen Leser aus (Ober-)Österreich fehlt doch der gewohnte, heimische Witz und Lokalkolorit ein bisserl. Aber der Ex-Major scheint sich trotz kleiner Alltagsprobleme gut eingewöhnt zu haben. Möge er nun wieder einige ruhigere Monate verbringen dürfen!