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inkl. MwSt
- Verlag: Fotohofedition
- Themenbereich: Kunst - Fotografie
- Genre: keine Angabe / keine Angabe
- Seitenzahl: 226
- Ersterscheinung: 20.06.2023
- ISBN: 9783903334618
DAHEIM
4./5. Oktober 2003
Peter Pakesch (Herausgeber)
Dieses Buch erscheint in Zusammenarbeit mit Contemporary Fine Arts, Berlin (Bruno Brunnet & Nicole Hackert)
Als der Schriftsteller Oswald Wiener mit seiner Frau Ingrid 1984 nach Dawson City in Kanada zog, war das ein weiterer Akt seiner Suche nach Erkenntnis. Er selbst meinte, nach dem epochalen Werk ‚die verbesserung von mitteleuropa, roman’¹ die Kunst hinter sich gelassen zu haben. Erste Expeditionen nach Island Ende der 1970er Jahre und die Übersiedlung in die kanadische Wildnis waren ein Teil davon, ein starkes Statement weg vom herkömmlichen, wenn auch ‚avantgardistischen’ Kulturbetrieb, im klaren Bewusstsein, diesem ohnehin nicht entkommen zu können.
Die arktische Tundra und die subarktischen Wälder wurden zum Schauplatz eines Lebensexperiments am Rande einer inzwischen globalen Kultur. Dawson City war dafür eben prädestiniert. In dieser Umgebung wurden die Lebensumgebungen, das Wohnen und das Arbeiten, ein Haus im Wald, dem von ihnen betriebenen Claims-Café - einem Restaurant mit Wiener Schnitzel und Apfelstrudel und der einzigen italienischen Espresso-Maschine auf einem Territorium von der Größe der Bundesrepublik - zu Stätten der Selbstbeobachtung und damit einer Praxis des Denkens jenseits von Kunst, Wissenschaft und Philosophie.
Als sich der langjährige Aufenthalt Anfang der 2000er Jahre dem Ende zuneigte, die Zeiten, die sie in Europa verbrachten immer länger wurden, und sich erneut die Interessen verschoben, entstand offensichtlich das Bedürfnis, den innersten Ort des Wirkens und der langen Refexionen abzubilden.
Das Haus wurde von innen ausführlich, und eher spärlich außen, in über 300 Fotografien festgehalten und damit gleichsam vermessen. Es zeigt die alltägliche Lebens- und Arbeitsumgebung des Paares, Ingrids Webstuhl ist ebenso Teil davon wie Oswalds Bücher und die Schallplatten der beiden. Die Bilder gehen aber weit darüber hinaus und können als Dokument eines Denk- und Wahrnehmungsraumes gelesen werden – als eine Welt für sich in ihrer faktischen Gültigkeit.
Diese Bildserie besteht aus Abzügen, die Oswald Wiener zu Lebzeiten angefertigt hat, die er ausstellte und die einer Ordnung unterworfen wurden. Einzelne Fotos wurden auch – gleichsam als seine Kunstwerke – zu besonderen Gelegenheiten verschenkt. So macht es durchaus Sinn, diese posthum einer umfassenden Ausstellung zuzuführen und damit in einen größeren Kontext zu bringen – sowohl in der Kunst- und Geistesgeschichte, wie in Wieners sprachlichen und denkerischen Werk. Es soll nicht verschwiegen werden, dass Wiener es auch anders sah, als er die Fotos 2004 in der Wiener Galerie Charim ausstellte:
Ich beanspruche für diese Photographien keinerlei Kunst-Status. Wenn es über Anregungen zur räumlichen und zeitlichen Rekonstruktion einer anonymen Situation – die vielleicht schon als Existenzgrund ausreichen – hinausgehen soll, sind sie auf ein gewisses Interesse an meiner Person und an der meiner Frau gewesen. Ihr Status unbedarfter Schnappschüsse geht nicht auf eine Künstler-Pose zurück; die Unschärfen und die scheinbaren Ungeschicklichkeiten sind angemessen, da diese Bilder sehr viel nicht manipulierte Information enthalten und Diskretion erwünscht ist.³
Diesem Widerspruch wird nachzugehen sein. Er ist aber auch symptomatisch für vieles, was Wiener in die Grenzbereiche seiner Interessen führte. Sein Misstrauen galt den Konstruktionen der Disziplinen und Felder wie der Literatur oder der Kunst, ebenso wie der Gesellschaft im Allgemeinen, der Wissenschaft oder der Philosophie.
Peter Pakesch
Lichtenberg, April 2022 (Text gekürzt)
Als der Schriftsteller Oswald Wiener mit seiner Frau Ingrid 1984 nach Dawson City in Kanada zog, war das ein weiterer Akt seiner Suche nach Erkenntnis. Er selbst meinte, nach dem epochalen Werk ‚die verbesserung von mitteleuropa, roman’¹ die Kunst hinter sich gelassen zu haben. Erste Expeditionen nach Island Ende der 1970er Jahre und die Übersiedlung in die kanadische Wildnis waren ein Teil davon, ein starkes Statement weg vom herkömmlichen, wenn auch ‚avantgardistischen’ Kulturbetrieb, im klaren Bewusstsein, diesem ohnehin nicht entkommen zu können.
Die arktische Tundra und die subarktischen Wälder wurden zum Schauplatz eines Lebensexperiments am Rande einer inzwischen globalen Kultur. Dawson City war dafür eben prädestiniert. In dieser Umgebung wurden die Lebensumgebungen, das Wohnen und das Arbeiten, ein Haus im Wald, dem von ihnen betriebenen Claims-Café - einem Restaurant mit Wiener Schnitzel und Apfelstrudel und der einzigen italienischen Espresso-Maschine auf einem Territorium von der Größe der Bundesrepublik - zu Stätten der Selbstbeobachtung und damit einer Praxis des Denkens jenseits von Kunst, Wissenschaft und Philosophie.
Als sich der langjährige Aufenthalt Anfang der 2000er Jahre dem Ende zuneigte, die Zeiten, die sie in Europa verbrachten immer länger wurden, und sich erneut die Interessen verschoben, entstand offensichtlich das Bedürfnis, den innersten Ort des Wirkens und der langen Refexionen abzubilden.
Das Haus wurde von innen ausführlich, und eher spärlich außen, in über 300 Fotografien festgehalten und damit gleichsam vermessen. Es zeigt die alltägliche Lebens- und Arbeitsumgebung des Paares, Ingrids Webstuhl ist ebenso Teil davon wie Oswalds Bücher und die Schallplatten der beiden. Die Bilder gehen aber weit darüber hinaus und können als Dokument eines Denk- und Wahrnehmungsraumes gelesen werden – als eine Welt für sich in ihrer faktischen Gültigkeit.
Diese Bildserie besteht aus Abzügen, die Oswald Wiener zu Lebzeiten angefertigt hat, die er ausstellte und die einer Ordnung unterworfen wurden. Einzelne Fotos wurden auch – gleichsam als seine Kunstwerke – zu besonderen Gelegenheiten verschenkt. So macht es durchaus Sinn, diese posthum einer umfassenden Ausstellung zuzuführen und damit in einen größeren Kontext zu bringen – sowohl in der Kunst- und Geistesgeschichte, wie in Wieners sprachlichen und denkerischen Werk. Es soll nicht verschwiegen werden, dass Wiener es auch anders sah, als er die Fotos 2004 in der Wiener Galerie Charim ausstellte:
Ich beanspruche für diese Photographien keinerlei Kunst-Status. Wenn es über Anregungen zur räumlichen und zeitlichen Rekonstruktion einer anonymen Situation – die vielleicht schon als Existenzgrund ausreichen – hinausgehen soll, sind sie auf ein gewisses Interesse an meiner Person und an der meiner Frau gewesen. Ihr Status unbedarfter Schnappschüsse geht nicht auf eine Künstler-Pose zurück; die Unschärfen und die scheinbaren Ungeschicklichkeiten sind angemessen, da diese Bilder sehr viel nicht manipulierte Information enthalten und Diskretion erwünscht ist.³
Diesem Widerspruch wird nachzugehen sein. Er ist aber auch symptomatisch für vieles, was Wiener in die Grenzbereiche seiner Interessen führte. Sein Misstrauen galt den Konstruktionen der Disziplinen und Felder wie der Literatur oder der Kunst, ebenso wie der Gesellschaft im Allgemeinen, der Wissenschaft oder der Philosophie.
Peter Pakesch
Lichtenberg, April 2022 (Text gekürzt)
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