Eine schonungslose Bestandsaufnahme und eine hinreißende Liebeserklärung
Eine schonungslose Bestandsaufnahme und eine hinreißende Liebeserklärung
Zum Inhalt „Winterjournal“
Bei Paul Auster ist die Antwort jedoch vielschichtiger! Er offenbart, und zeigt sich, in all seinen ...
Eine schonungslose Bestandsaufnahme und eine hinreißende Liebeserklärung
Zum Inhalt „Winterjournal“
Bei Paul Auster ist die Antwort jedoch vielschichtiger! Er offenbart, und zeigt sich, in all seinen Büchern sehr privat und offenbart dem Leser, viel von seinem inneren Ich. Aber zurück zum „Winterjournal“.
„Winterjournal“ von Paul Auster ist der erste Teil seiner Biografie. Ein Jahr später folgte der zweite Teil, „Bericht aus dem Inneren“.
Es ist eine Biografie, die Spuren folgt, die das Leben auf dem eigenen Körper hinterlassen hat. Es sind nicht nur Narben und Blessuren auf der Haut, sondern es sind auch Narben des Lebens. Jeder erinnert sich an diese „Unfälle“, weil sie Narben auf unserem Körper hinterlassen haben, die mit Schmerzen verbunden waren. Es ist mit seinen Worten: Eine Phänomenologie des Atmens und es ist ihm ein Bedürfnis, die Worte jetzt niederzuschreiben.
Paul Auster gibt sich in vielen einzelnen Episoden, die er aus der Erinnerung heraus erzählt, zu erkennen, indem er sich öffnet und dem Leser Details seines Lebens preisgibt. Ehrlich und ungeschönt, manchmal geradezu exhibitionistisch beschreibt er, was er erlebte. Es sind weniger die einzelnen Geschehnisse, die beeindrucken, sondern es sind, die Gedanken und Erinnerungen, die er dazu beiträgt.
Zwiegespräch
Als Erstes fiel mir die Erzählperspektive auf. Paul Auster wählte die zweite Person Singular, also das „Du“.
Das gesamte Buch wird aus dieser Perspektive erzählt. Der Autor war 64 Jahre alt, als er „Winterjournal“ schrieb. Es handelt sich um keine Erzählung, ich betrachte es als ein Zwiegespräch mit sich selbst. Auf mich wirkt es, als ob er sich selbst auf Geschehnisse aufmerksam macht und es erstaunt wahrnimmt. Beispiele:
Er weist sein fiktives Du darauf hin, wann er das erste Mal gedanklich jemanden getötet hat.
Der Leser sieht, wie tiefsinnig und reflektiert Paul Auster mit seinen Erinnerungen umgeht.
Wie zuverlässig sind diese Erinnerungen? Oft verknüpft er diese mit Sinneseindrücken. Nur diese merkt man sich. Verletzungen, Schmerzen körperlicher, aber auch seelischer Art. Einer seiner ersten bewussten Erlebnisse war, dass ihm das Nachbarskind den Spielzeugrechen auf seinen Kopf schlug, als er selbst erst drei oder vier Jahre alt war.
Schuld ist ein zentrales Thema
Es geht um Schuld. Mit 52 Jahren war er mit seiner Frau, seiner 15-jährigen Tochter und dem Familienhund mit dem Auto auf dem Heimweg. Doch die Autofahrt endete mit einem schweren Unfall. Obwohl er keine Schuld trug, setzte er sich danach nie mehr ans Steuer.
Er offenbart Schnipsel seines Lebens, Er macht sich selbst auf Erinnerungen aufmerksam. Es geht um familiäre Geheimnisse oder auch Abgründe.
Verlust
Es geht um Verlust bzw. den Umgang mit Verlust. Es beginnt mit dem oben schon angedeuteten Verlust des geliebten Hundes. Der Leser erfährt seine Trauer und den Umgang mit dem Tod des Vaters und den Tod der Mutter. Vor allem seine Mutter nimmt einen großen Teil des Buches ein.
Wie geht man damit um, wenn man erfährt, dass man innerhalb weniger Wochen sterben muss, ohne die Möglichkeit daran etwas ändern zu können. Paul Auster thematisiert das fiktiv, indem er sich über einen Film, der davon handelt, identifiziert.
Der Winter naht!
Der Winter naht! Der Winter, die letzte der Jahreszeiten, bevor das Jahr zu Ende geht. Es wächst nichts mehr. Die Blüte und Fülle ist vergangen. Ich denke, deswegen hat Paul Auster den Namen „Winterjournal“ gewählt, was ich sehr passend finde. Paul Auster spricht schonungslos ehrlich über zahlreiche Liebesbeziehungen. Es waren nie oberflächliche „One-Night-Stands“. Er sucht immer die Begegnung mit dem Menschen hinter den Äußerlichkeiten. Auch das Aufwachsen seines Sohnes auf erster Ehe und der Tochter schildert er liebevoll.
Die Liebe
Und dann geschieht es, dass er Siri Hustvedt begegnet und er weiß, er ist dort, wo er immer hin wollte. Dieses Buch ist ein einzigartiges Bekenntnis zu seiner Frau. Es ist ein Liebesbrief, wie man ihn kaum schöner hätte entwerfen können. Er preist ihre Schönheit, ihre Herzenswärme und ihre Intelligenz, ohne schmalzig oder übertrieben zu wirken. Und man spürt sein Erstaunen und die ihn beruhigende Erleichterung, dass sie tatsächlich seine Gefährtin ist.
Ein Buch, das Herz und Seele berührt
Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst bald 60 werde und mir, seit einiger Zeit täglich bewusst ist, dass ich keine Zeit mehr vergeuden darf.
Ich habe beim Lesen nicht den Schriftsteller, sondern den Menschen Paul Auster kennengelernt.