Zwischen den Fronten
Bei „Entführung“ handelt es sich um den vierten Band aus Petra Ivanovs Meyer- und Palushi-Reihe. Dieser 384-seitige Justizkrimi ist im August 2019 im Unionsverlag erschienen.
Die junge Studentin Lara Blum ...
Bei „Entführung“ handelt es sich um den vierten Band aus Petra Ivanovs Meyer- und Palushi-Reihe. Dieser 384-seitige Justizkrimi ist im August 2019 im Unionsverlag erschienen.
Die junge Studentin Lara Blum wurde entführt. Der muslimische Täter wurde gefasst. Doch er schweigt. Wo ist Lara? Welche Beweggründe stecken hinter der Tat? Der Anwalt Pal Palushi wird zum Verteidiger ernannt und gerät dabei in einen Gewissenskonflikt. Gemeinsam mit seiner Freundin, der Ex-Polizistin Jasmin Meyer, versucht er, den Hintergründen für die Tat auf die Spur zu kommen – Hintergründe, die die dunklen Seiten unserer Gesellschaft offenbaren und einmal mehr zeigen, dass die Welt komplizierter ist, als viele es sich wünschen.
Obwohl dieses der erste Band dieser Reihe ist, den ich gelesen habe, fiel es mir von Anfang an leicht, dem Geschehen zu folgen: Die Charaktere sind plastisch und menschlich gezeichnet, alle wichtigen Details über die Vorgeschichte der Protagonist/innen sind in den aktuellen Fall integriert. Jasmin Meyer, selbst einst Entführungsopfer, kämpft nachvollziehbar mit inneren Dämonen, schafft es aber auch, mit ihrer Geschichte Zugang zu den Eltern des Entführungsopfers zu finden, die ihrerseits auf der einen Seite verständlicherweise betroffen sind, andererseits aber auch nur mangelhaft kooperieren. Pal Palushi, Moslem aus dem Kosovo, kämpft gleich an mehreren Fronten: Als Pflichtverteidiger eines überführten Täters hat er es ohnehin nicht leicht, wird ihm doch vorgeworfen, einen Verbrecher zu schützen und mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Als Moslem sagt man ihm mangelnde Distanz nach, ja man wirft ihn sogar in einen Topf mit den Islamisten. Seine Verteidigung ist ein Balanceakt zwischen dem Wunsch, Lara zu finden, und der Aufgabe, seinen Klienten nicht unnötig zu belasten. All diese Schwierigkeiten werden noch angefacht durch die Hetze der Medien. Doch auch privat hat er seine Nöte: Sein Neffe, Rinor, distanziert sich mehr und mehr von der Familie und sucht Halt in islamistischen Kreisen.
Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, was sie komplex macht und die Leser/innen vor einige Fragen stellt. Immer wieder kommt es zu unverhofften Wendungen und neuen Erkenntnissen, sodass man beim Lesen das Buch kaum zur Seite legern mag – und das, obwohl die Handlung an sich eher ruhig verläuft. Das Ende führt dann lose Fäden zusammen, ist sehr überraschend und dennoch logisch nachvollziehbar - genau der Schluss, den ich von einem guten Kriminalroman erwarte.
Mit dem Thema „Islam“ hat Petra Ivanov ein heißes Eisen angefasst. Ihre Darstellung verschiedener islamischer Strömungen und Praktiken sowie ihr Nachspüren der Frage, warum sich in einem demokratischen Land junge Männer (und auch Frauen) teils extremistischen Organisationen anschließen, zeugen von guter Recherche, berühren teils existenzielle Fragen („Warum lässt Allah so viel Elend zu?“) und bergen bestimmt auch streitbares Potenzial in sich. Jedenfalls kann ich mir gut vorstellen, dass die Autorin mit ihren Ansichten auch oft auf wenig Gegenliebe stößt. Zudem zeigt das Buch auch, wie oben schon erwähnt, das Dilemma eines Strafverteidigers auf und hinterfragt die Rolle der allgegenwärtigen Medien. Alles in allem also ein Kriminalroman, der über eine spannende Handlung hinaus noch viel zu bieten hat.
Ivanovs Sprache und Stil sind flüssig und schnörkellos zu lesen. Die Autorin findet genau die richtige Mitte zwischen Liebe zum Detail und Offenheit, die es Leserinnen und Lesern ermöglicht, in die Geschichte einzutauchen und doch noch Raum für eigene Vorstellungen zu haben.
Insgesamt legt Petra Ivanov mit „Entführung“ einen spannenden Krimi vor, der reichlich Stoff zum Nachdenken sowie Überdenken festgefahrener Denkstrukturen bietet und einen kritischen Blick auf unsere Gesellschaft wirft. Von mir gibt es mit viereinhalb von fünf Punkten eine klare Leseempfehlung.