Cover-Bild Im Schatten des Turms
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16,00
inkl. MwSt
  • Verlag: ROWOHLT Taschenbuch
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: historischer Roman
  • Genre: Romane & Erzählungen / Historische Romane
  • Seitenzahl: 656
  • Ersterscheinung: 15.10.2019
  • ISBN: 9783499276705
René Anour

Im Schatten des Turms

Ein Wien-Roman

Hinter den Mauern des Narrenturms, der ersten psychiatrischen Heilanstalt der Welt ... Ein hervorragend recherchierter und extrem spannender Roman, der ein außergewöhnliches Stück Medizinhistorie vor der Kulisse weltgeschichtlicher Ereignisse erzählt.

Wien, 1787. Der Medizinstudent Alfred ist fasziniert vom sogenannten Narrenturm. Hier werden erstmals die Irrsinnigen behandelt, ein ganz neuer Zweig der Medizin. Doch die Zustände sind erbarmungswürdig. Und der Anblick einer jungen Frau mit seltsamen Malen auf den Armen lässt ihn nicht los.
Die junge Adlige Helene war noch nie am Wiener Hof. Ihr Vater hält Schönbrunn für eine Schlangengrube und will seine Tochter möglichst lange von dort fernhalten. Doch er kann sie nicht beschützen.
Der Student, der zu viel sieht. Und die Adlige, die frei sein will. Zwei Menschen, ein Schicksal – das sich im Schatten des Turms entscheiden wird …

Ein großes historisches Panorama: vom Narrenturm bis nach Schönbrunn, vom idyllischen Jagdschloss bis in die Türkenkriege.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.06.2021

Spannender Ausflug in die Vergangenheit

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Vom Irrsinn befallen.
Besessen.
In Teufels Händen.
Im 18. Jahrhundert gibt es viele Begriffe würde Menschen mit psychischen Abweichungen. Dass es sich dabei um Erkrankungen und nicht selbst verschuldete ...

Vom Irrsinn befallen.
Besessen.
In Teufels Händen.
Im 18. Jahrhundert gibt es viele Begriffe würde Menschen mit psychischen Abweichungen. Dass es sich dabei um Erkrankungen und nicht selbst verschuldete Rache eines bösen Wesens ist, begriff man erst sehr viel später. Dass es vielleicht die Möglichkeit geben könnte, diese Verfassung zu heilen, darüber denken Mediziner und Gelehrte schon nach. In Wien wird deshalb der Narrenturm errichtet. Schon der Begriff ist negativ behaftet. Der Umgang mit den Insassen noch viel mehr.

Historische Grausamkeiten werden mir immer erst dann bewusst, wenn ich damit konfrontiert werde. Bisher habe ich mir wenig Gedanken darüber gemacht, mit welchen Vorurteilen und Leiden sich Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen in der Vergangenheit auseinandersetzen mussten. Mir ist in Etwa klar wie es im Nationalsozialismus ablief, dass es aber lange davor noch viel weniger Verständnis und Ängst gab, die Gewalt und Hass hervorriefen, davor habe ich bis dato scheinbar die Augen verschlossen.

René Anour greift diese Thematik in seinem Roman "Im Schatten des Turms" auf und verwebt sie in eine extrem spannende Geschichte, die einem Krimi in nichts nachsteht. Lügen, Intrigen, Mordaufträge und Gefahren, eingebettet in historische Fakten und Ereignisse.

Im Fokus stehen zwei sympathische Hauptfiguren. Die junge Adelige Helene, die anders, als die jungen Frauen ihrer Zeit, mehr Interesse am Erlernen von Lesen, Schreiben, Geschichte und Mathematik, als an höfischem Gehabe und eleganten Tänzen, und Medizinstudent Alfred. Ein junger Mann, der zielstrebig auf seinen Abschluss als Mediziner hinarbeitet, obwohl er aufgrund mangelnder finanzieller Rücklagen mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen hat. Neben der Schwierigkeit Studiengebühren, Miete und Lebensmittel zu zahlen, ist es auch das fehlende gesellschaftliche Ansehen, dass ihm Hindernisse beim Ausüben der Tätigkeit als Mediziner Steine in den Weg legt. Sein Wunsch sich für die Menschen im Narrenturm einzusetzen, lässt ihn feststellen, dass Leben und Überleben willkürlich ist und einzig vom gesellschaftlichen Stand beeinflusst wird.

Als er sich ausgerechnet in Helene verliebt, schafft er sich eine Gegnerin, die mächtiger und einflussreicher, aber auch intriganter und hinterhältiger ist, als er geahnt hat. Eine Jagd auf Leben und Tod beginnt.

Innerhalb von zwei Tagen habe ich "Im Schatten des Turms" weggesuchtet. Gefesselt vom Spiel aus Machtgier und Kontrolle, auf wechselnde Wege geführt von überraschenden Handlungen. Neben einem hoch hinausragenden Spannungsbogen, sind es auch die tiefgründigen Themen, die mich begeistern konnten. Welchen Blick werfen wir auf Menschen, die anders sind, als wir selbst? Wir sehr werden Menschen in ihrem geistigen Wachstum begrenzt, in der Demokratie eingeschränkt? Welchen Einfluss hat die Herkunft? Welchen Rahmen bietet die Gesellschaft? Funktioniert sie beschneidend oder unterstützend? Ergänzt durch historische Fakten über Monarchen, Kriege und Medizin, ist "Im Schatten des Turms" ein absolut lesenswerter historischer Roman, den ich gerne weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 08.11.2019

Wien, Ende 18. Jahrhundert

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Ende des 18. Jahrhunderts in Wien treffen der arme Medizinstudent Alfred und die junge Helene, aus einem adeligen Haus, aufeinander.
Alfred will seinen Weg als Mediziner gehen, auch wenn keine vermögende ...

Ende des 18. Jahrhunderts in Wien treffen der arme Medizinstudent Alfred und die junge Helene, aus einem adeligen Haus, aufeinander.
Alfred will seinen Weg als Mediziner gehen, auch wenn keine vermögende Familie im Hin-tergrund ist. Helene wurde für ihre Herkunft sehr weltoffen erzogen und muss nach dem Tod des Vaters um ihre Freiheit kämpfen. Beide wachsen über sich selbst hinaus und kämpfen sich durch Widerstände.
Im Narrenturm wurden die Irren, die psychisch gestörten, behandelt. Für unsere Zeit un-ter eher unschönen Umständen. Damals war es aber die erste Einrichtung dieser Art.
In der Geschichte tauchen so viele verschiedene Charaktere auf, die fast schon für eine extra Geschichte taugen. An historischen Romanen gefällt mir besonders, dass geschichtli-che Fakten mit einer persönlichen Geschichte verwoben werden. Hier geht es nicht unbe-dingt um die Geschehnisse im Turm, eher um das Drumherum. Mir hat der Schreibstil des Autors sehr gut gefallen. Dieser trägt neben den beschriebenen Geschehnissen durch die über sechshundert Seiten des Romans. Zudem hat mir das Nachwort gut gefallen.
Das Cover finde ich passend und ein Bild des Turm zu Anfang von jedem Kapitel eine gute Idee.
Mir hat der Roman gut gefallen, eine interessante Geschichte und die damalige Zeit wur-de mir etwas näher gebracht.

Veröffentlicht am 27.10.2019

Zwei Liebende im Schatten des Turms

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Ich bin ein großer Fan von der Kulisse Wiens und historischen Romanen. „Im Schatten des Turms“ ist eine perfekte Mischung aus beidem – es hat mein Wienfanherz höherschlagen lassen und mich mit historischem ...

Ich bin ein großer Fan von der Kulisse Wiens und historischen Romanen. „Im Schatten des Turms“ ist eine perfekte Mischung aus beidem – es hat mein Wienfanherz höherschlagen lassen und mich mit historischem Kontext gefüttert. Die Sprache ist leicht und fließend und der damaligen Zeit angemessen. Den österreichischen Dialekt den der Autor einfließen lässt, lässt den Leser noch mehr in die Geschichte eintauchen.
René Anour entführt uns ins das Jahr 1787. Alfred ist angehender Medizinstudent und fasziniert vom sogenannten Narrenturm – der ersten „Irrenanstalt“ der Welt. Was er dort sieht lässt ihn nicht los. Auf der anderen Seite Helene, eine junge Frau aus adeligem Hause, die von ihrem Vater vor der „Schlangengrube“ Schönbrunn beschützt wird. Die beiden begegnen sich – und wie es das Schicksal so will, verlieben sie sich. Doch sie werden beide einen hohen Preis für ihr junges Glück zahlen müssen.
Beide Charaktere wirken authentisch gezeichnet und ihre Handlungen sind ehrlich. Auch Nebencharaktere wie beispielsweise den Kaiser Joseph, bekommen ausreichend Spielraum, drängen sich dabei aber nicht so sehr in den Vordergrund. Gerade nur so, dass man den ein oder anderen von ihnen in sein Herz schließt. Die Geschichte nimmt Fahrt auf und die Ereignisse überschlagen sich. Unterschwellig bekommt man mit, dass Krieg aufzieht und sich etwas Dunkles im Hintergrund zusammenbraut. Stück für Stück steigert sich die Spannung und die Liebe der beiden wird auf eine harte Probe gestellt. Durch die Perspektivwechsel fiebert man noch ein bisschen mehr mit und bekommt mehr und mehr Einblick in das Innenleben der Protagonistin. Helene entwickelt sich teilweise in eine Richtung die einen nichts Gutes ahnen lässt und geht ihren eigenen Weg. Die Verstrickungen sind wenig vorhersehbar und man erlebt als Leser die ein oder andere Positive als auch negative Überraschung. Der Autor hatte definitiv ein Händchen dafür den Leser auf die falsche Fährte zu leiten und die Gedanken in eine bestimmte Richtung zu lenken. Doch gerade das macht eine gute Geschichte, in meinen Augen ein Stück weit aus. Im Schatten der Ereignisse ragt stetig der Narrenturm auf und wirft einen bedrohlichen Beigeschmack auf die Szenerie. An dieser Stelle hätte ich mir tatsächlich ein wenig mehr Input über die damaligen medizinischen Vorgehensweisen gewünscht.

René Anour schafft einen opulenten historischen Roman vor der fantastischen Kulisse Wiens. Die knapp über 650 Seiten mögen am Anfang etwas viel erscheinen, doch keine Seite ist ohne relevanten Inhalt für die Geschichte. Für mich ein großer Lesegenuss und eine Empfehlung für jeden der Wien liebt und an geschichtlichen Kontexten Interesse hat.

Veröffentlicht am 27.10.2019

Intrigenreiches Wien, opulent erzählt

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"Im Schatten des Turms" führt uns in die opulent erzählte Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Schon der Prolog nimmt uns gleich mitten ins Geschehen, lebhaft und auf positive Weise detailreich finden ...

"Im Schatten des Turms" führt uns in die opulent erzählte Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Schon der Prolog nimmt uns gleich mitten ins Geschehen, lebhaft und auf positive Weise detailreich finden wir uns im Wiener Narrenturm, erleben Angst, Ungewissheit und Bedrohung ganz unmittelbar. Der Narrenturm existiert wirklich, wurde einst als psychiatrisches Krankenhaus erbaut und ist heute ein Museum. Ihn als Fokus eines Romans zu sehen, hat mich sofort fasziniert. Der Klappentext, mit der Überschrift "Hinter den Mauern des Narrenturms, der ersten psychiatrischen Heilanstalt der Welt" und einem ausführlichen Absatz über den Narrenturm und die damaligen Entwicklungen der Psychiatrie erweckten bei mir den Eindruck, daß dies der Hauptfokus des Romans sein würde. Im ersten Drittel ist dies auch der Fall. Wir lernen Alfred kennen, einen jungen Medizinstudenten. Ganz ausgezeichnet wird hier geschildert, wie das Medizinerstudium damals verlief, man sieht es geradezu bildlich vor sich, gerade, wenn man die Schauplätze aus eigener Anschauung kennt. Die Charaktere sind lebendig, das Geschehen ausgesprochen interessant. Wir begleiten Alfred und seine Mitstudenten in den Narrenturm, erleben, wie die "Irrsinnigen" zu Anschauungsobjekten herabgewürdigt, ihnen das Menschsein abgesprochen wird. Die im Klappentext erwähnte Begegnung mit der "jungen Frau mit seltsamen Malen auf den Armen", die sinistre Vorgänge im Narrenturm vermuten läßt, wird eindringlich geschildert. Auch die anderen Fälle, mit denen Alfred medizinisch zu tun bekommt, sind geradezu spannend, denn der Autor vermittelt uns hier kenntnisreich und anschaulich den damaligen Stand der Medizin. Das ist ein Thema, das in historischen Romanen in dieser Ausführlichkeit selten vorkommt und das machte das erste Drittel des Buches für mich ausgesprochen erfreulich. Davon hätte ich gerne noch viel, viel mehr gelesen.

Die zweite Hauptperson ist Helene, eine Grafentochter, die in einer gänzlich anderen Welt lebt als Alfred. Hier zeigt sich ebenfalls der hervorragende Schreibstil, ich sah ihr idyllisches Schloß mit den gepflegten Gärten, dem gütigen Vater und dem treu ergebenen Personal ebenfalls vor mir. René Amour versteht es, das historische Umfeld zum Leben zu erwecken und auch seine Charaktere auszuarbeiten. Wenn da eine Dame auf ihrer Chaiselongue nicht sitzt, sondern "residiert", sagt uns dieses eine Wort schon sehr viel - die gelungene Wortwahl beeindruckt immer wieder. Das ganze Buch hindurch sind bis zum kleinsten Nebencharakter alle facettenreich und echt. Es treten einige historische Persönlichkeiten auf, sogar Kaiser Joseph II begegnet uns und wird vom historischen Namen zum Menschen. Ein Namensverzeichnis zu Beginn des Buches listet die vielen Charaktere auf und vermerkt auch, welche historisch verbürgt sind. Ein informatives und persönliches Nachwort gibt zusätzliche Informationen zur Behandlung von historischen Persönlichkeiten und Orten, gibt auch nützliche Hintergrundinformationen. Die historische Genauigkeit ist, soweit ich das beurteilen kann, exzellent. Hier spürt man penible Recherche, die gut in die Geschichte eingearbeitet wird.

Der Narrenturm und die medizinische Komponente treten leider nach dem ersten Drittel völlig zurück und tauchen kaum noch auf, das Geheimnis um die junge Frau mit den Malen wird fast beiläufig aufgelöst. Ich fand es sehr schade, daß diese im Klappentext ausführlich angekündigte Thematik letztlich eine wesentlich kleinere Rolle spielte, als zu vermuten war. Der Hauptfokus der Geschichte liegt auf sehr ausgefeilten Intrigen mit allem Drum und Dran: chiffrierte Briefe, maskierte Schläger, Decknamen, Symbole, doppeldeutige Bemerkungen. Das ist sorgfältig konzipiert, ist nur leider ein Thema, das mich überhaupt nicht anspricht. Die mysteriösen Begegnungen und Bemerkungen waren mir irgendwann zu viel, und als unsere Protagonistin Helene irgendwann ihren Konversationspartner fragt, ob es nicht möglich wäre, sich ausnahmsweise einfach mal völlig normal zu unterhalten, ohne alberne Spielchen, war ich ganz auf ihrer Seite. Auch hat sich mir nie erschlossen, welchen Zweck diese Intrigen für die meisten Beteiligten hatten, ich konnte mit einigen der Manöver wenig anfangen. Zudem konnte ich an manchen Stellen nicht nachvollziehen, wie schnell sich eine unerfahrene Person das geschickte Intrigenspiel angeeignet hat und wie ungeschickt manch erfahrene Intrigantin manchmal agierte. Das ist natürlich ein rein subjektiver Eindruck, hat mir persönlich aber das Lesevergnügen eben doch stellenweise merklich gedämpft, weil es so einen großen Raum einnahm. Wem dieses Thema liegt, der wird es in diesem Buch ganz ausgezeichnet dargestellt und geschildert finden.

Ein weiteres Hauptthema des Buches war der Krieg, die Leiden der zwangsweise Rekrutierten, das unmenschliche Verheizen von Menschenleben. Auch hier wieder bemerkenswertes historisches Wissen, lebhaft geschilderte Szenen, die Kämpfe für meinen Geschmack manchmal etwas zu ausführlich. Störend fand ich, daß hier und auch am Ende des Buches etwas zu oft lebensrettende Zufälle eine Rolle spielen. Das kann man einmal, auch zweimal noch nachempfinden, aber vier-/fünfmal sind mir persönlich zu viel. Interessant waren hier dafür Gespräche, die verschiedene Ansichten zum Weltgeschehen und den gedanklichen Strömungen jener Zeit darstellten; dies so gut, daß man durchaus beiden gegensätzlichen Ansichten etwas abgewinnen konnte.

So ist "Im Schatten des Turms" ein Roman, der mir persönlich thematisch nicht ganz zusagte, dessen Abkehr vom medizinischen/psychiatrischen Thema ich bedauerlich finde, der dafür durch hervorragend recherchierte und erzählte historische Genauigkeit besticht, durch einen bemerkenswerten Schreibstil und Charaktere, die einen berühren und von den Buchseiten lebensecht aufsteigen.

Veröffentlicht am 31.10.2019

Liebe, Krieg, Verschwörung und Verrückte

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Der Narrenturm, Wien 1787: „Wie ein verbannter König thronte er auf einem kleinen Hügel vor der Stadt.“ (S. 20)
Als der Medizinstudent Alfred Wagener im Rahmen seiner Ausbildung eine stumme Patientin ...

Der Narrenturm, Wien 1787: „Wie ein verbannter König thronte er auf einem kleinen Hügel vor der Stadt.“ (S. 20)
Als der Medizinstudent Alfred Wagener im Rahmen seiner Ausbildung eine stumme Patientin im Narrenturm untersucht, stellt er fest, dass diese augenscheinlich misshandelt wird. Aber wenn er seinen Studienplatz nicht verlieren will, muss er schweigen. „Der Narrenturm war eines der ehrgeizigsten Projekte des Kaisers, um Wien zur fortschrittlichsten Stadt Europas zu machen. Was würde passieren, wenn er diesen Leuchtturm der Moderne als das bloßstellte, was er war, als ein Ort, an dem unaussprechliche Gräuel passierten?“ (S. 136)

Komtess Helene von Weydrich ist sehr intelligent. Sie wird von ihrem Vater unterrichtet, der sie vom kaiserlichen Hof ferngehalten will. „Dein Verstand ist zu scharf für dein eigenes Wohl.“ (S. 38) Da ihre Mutter früh verstorben ist, wächst sie wie ein Junge auf und interessiert sich mehr fürs Reiten, Jagen, philosophische Gespräche und das Schachspiel, als für höfische Etikette und Gesellschaftstanz. Ihr Vater will ihren Geist schärfen, ihr ein Leben nach ihren Wünschen ermöglichen: „Ich werde dir das Rüstzeug geben, dein Leben nach deinen Vorstellungen zu gestalten.“ (S. 38)
Alfred Wagener soll sie in Naturwissenschaften und Latein weiterbilden und obwohl er eine starke Abneigung gegen Adelige im Allgemeinen hat, verlieben sich die beiden ineinander. Doch dann ereilt Helene einen Schicksalsschlag und Alfred darf sie nicht mehr besuchen. Der Fuß des Narrenturms wird zu ihrem heimlichen Treffpunkt …

Ausgehend von dem Slogan: „Hinter den Mauern des Narrenturms, der ersten psychiatrischen Heilanstalt der Welt ...“ hatte ich eine Geschichte erwartet, die sich mit den Geschehnissen innerhalb des Turms, dem Umgang mit den „Irrsinnigen“ und deren „Behandlung“ zur damaligen Zeit beschäftigt. Ein Stück Medizingeschichte, wenn man so will. Leider drehen sich aber nur ca. die ersten 200 der über 650 Seiten darum. Im Vordergrund stehen die Lebensläufe von Helene und Alfred, ihre Liebesgeschichte, dessen abruptes Ende und die darauf folgende jeweilige Suche nach dem anderen und einem Ausweg aus der schier ausweglosen Situation.
Alfred landet nach ihrer Trennung unfreiwillig im kaiserlichen Heerestross und muss in den Krieg gegen die Türken ziehen. Dabei sind nicht die gegnerischen Soldaten seine größten Feinde – jemand aus den eigenen Reihen trachtet ihm nach dem Leben.
Helene findet sich plötzlich unter der Vormundschaft einer ihr bis dahin fast unbekannten Tante wieder, die ihr Leben komplett umkrempelt. Als sie sich von ihr befreien will, kommt sie einer ungeheuren Verschwörung auf die Spur.

Helene und Alfred sind zwei sehr authentische Charaktere. Alfreds Eltern waren arm, er musste sich alles selbst erarbeiten. Er ist ein guter Diagnostiker, sehr wissbegierig und will seinen Patienten wirklich helfen. Darum erschrecken ihn auch die Zustände im Narrenturm so und er versucht, diese anzuprangern, damit sie geändert werden. „Vielleicht sperren wir sie deshalb ein. Weil wir keine Ahnung haben, was wir sonst mit ihnen tun sollen.“ (S. 71)
Helene ist gut behütet und verwöhnt aufgewachsen. In dem Leben, was ihre Tante für sie plant, fühlt sich fehl am Platz. Zudem wundert sie sich, dass ihr Vater ausgerechnet seine ungeliebte Schwester zum Vormund bestimmt hat. Trotzdem braucht sie einige Zeit, bis sie sich zur Wehr setzt.
Ich fand es sehr spannend, wie beide ihren Weg gehen und über sich selbst hinauswachsen.

Auch die gesellschaftlichen Verhältnisse und das Flair Wiens zu dieser Zeit beschreibt der Autor René Anour sehr anschaulich. Mich haben lediglich die langatmigen Beschreibungen des Kriegszuges und das zu überhastete und zufallsgeführte, märchenhafte Ende etwas gestört.