Enkel im Goldenen Käfig
„... dem Karl Liebknecht, dem haben wir‘s geschworen, der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand“ „Was man ihnen geschworen hatte und warum man ihnen die Hand reicht, bleibt den meisten Kindern verschlossen.“ ...
„... dem Karl Liebknecht, dem haben wir‘s geschworen, der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand“ „Was man ihnen geschworen hatte und warum man ihnen die Hand reicht, bleibt den meisten Kindern verschlossen.“ (S. 38)
Roberto Yáñez wächst als Enkel der Honeckers auf. Sein Großvater, Erich Honecker, liebt den Jungen über alle Maßen, genießt seine Gesellschaft. Als Opa gönnt er Roberto alles, lässt ihm einiges durchgehen. Margot Honecker dagegen mischt sich als Volksbildungsministerin der DDR über den Kopf der Mutter hinweg massiv in Robertos Erziehung ein. Margot Honecker wird nicht müde, ihm ihre Ideale einzutrichtern. Bis weit über die Wende hinaus hält sie ein Stückchen DDR in ihrem kleinen Haus in La Reina am Leben. Erst mit ihrem Tod endet die sozialistische Erziehung von Roberto Yáñez.
Roberto Yáñez habe ich im Verlauf seiner Lebensgeschichte unterschiedlich wahrgenommen. Zunächst kam er mir überdurchschnittlich verwöhnt vor. Der im Vergleich zu anderen DDR-Bürgern einfache Zugriff auf gute DDR-Waren oder auf Westprodukte hat seine Einstellung gegenüber der Wertigkeit von Dingen negativ beeinflusst. Auch das Leben unter den Politstars mit mehreren Urlauben pro Jahr, Rundum-Sorglos-Personal und so weiter hat Roberto ganz schön arrogant gemacht. Nachdem die von der Großmutter skizzierte Welt aufhört zu existieren und Oma und Opa plötzlich als Feind angesehen werden, bricht Robertos Welt zusammen, seine Wahrheit gilt nicht mehr. Verstärkt werden die Auswirkungen des Zusammenbruchs der DDR auf den Enkel durch einen Schicksalsschlag, der sich kurz zuvor ereignet und ohnehin schon eine Krise bei den Yáñez‘ ausgelöst hatte. In dieser Phase kam ich ihm näher, hatte irgendwo Mitleid und konnte mich auch selbst in Teilen seiner Gedanken wieder erkennen. Für mich waren in seinem Fall auch die Suchtprobleme und die lange Orientierungslosigkeit nachvollziehbar.
Margot Honecker, der in Robertos Lebensgeschichte aufgrund ihres Einflusses viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, wirkt irgendwie aus der Zeit gefallen. Ihre Ideale zur sozialistischen Erziehung in den Bereichen Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung sind starr, als würde sich die Erde nicht weiterdrehen. Evolution in der sozialistischen Erziehung findet nicht statt.
„Ich war der letzte Bürger der DDR“ ist ein ansprechendes, recht persönliches Sachbuch, das in meiner Wahrnehmung eine ehrliche, nicht verklärende Sicht einnimmt. Es ist interessant geschrieben, mit zahlreichen Fotos bestückt, lässt durch seinen Sprachstil eigene Kindheitserinnerungen wieder aufleben. Es tauchten Worte wie „Jünglingsschwärmerei“ (S. 48) und „Mundschenk“ (S. 78) auf oder Formulierungen wie „… um die Prinzessin zu freien …“ (S. 82). Die Worte lösten ein Schmunzeln aus, weil ich sie schon ewig nicht mehr gehört oder gelesen hatte. Fazit: Ich empfehle dieses Sachbuch allen, die Mal einen anderen Blick auf die deutsche Geschichte werfen möchten.