Verführende Technik
Innerhalb kürzester Zeit bin ich durch das Buch „Hundert Augen“ der argentinischen Autorin Samantha Schweblin geflogen.
Es hört sich zunächst nach einer Dystopie an, bei genauerer Beleuchtung fällt jedoch ...
Innerhalb kürzester Zeit bin ich durch das Buch „Hundert Augen“ der argentinischen Autorin Samantha Schweblin geflogen.
Es hört sich zunächst nach einer Dystopie an, bei genauerer Beleuchtung fällt jedoch auf, dass es das technische Spielzeug ,um das es hier geht zwar nicht gibt, aber durchaus geben könnte. Die Geschichte ist also gegenwartsnäher als uns lieb sein kann.
Im Fokus des Buches stehen unschuldig wirkende kleine Plüschtiere wie Pandas, Kaninchen, Drachen und weitere, ausgestattet mit Kameras und Mikrofonen sowie Rädern, damit sie sich überall gut bewegen können.
Das Besondere an dieser technischen Spielerei ist, dass man sich entscheiden kann ein solches Kentuki zu kaufen und damit Herrin oder Herr zu werden oder das Kentuki zu sein, dass am anderen Ende sitzt und durch ein fremdes Zuhause steuert. Auch der Zugangscode um das Wesen zu sein ist käuflich erwerbbar. Zugangscode und Kentucki werden per Zufall miteinander verbunden. Man weiß also überhaupt nicht, wo auf der Welt der Kentuki zum Einsatz kommt oder wer auch immer ihn steuert. Sprechen können die Kentukis nicht. Wie zu erwarten gibt es von den Besitzern aber einfallsreiche Ideen doch eine Kommunikation zu ermöglichen.
S.44 „ Man könne ja wohl kaum auf die Vernunft der Menschen bauen, und einen Kentuki zu haben, der frei bei einem herum lief, war, als würde man einem Fremden seine Haustürschlüssel geben.“
Der Roman ist episodenhaft erzählt. Wir begleiten 5 Personen, erfahren ihre Beweggründe zum Kauf eines Kentuckis, bzw. warum sie jetzt eines dieser Plüschtiere steuern wollen, und welche Erfahrungen sie daraufhin machen.
Unabhängig davon gibt es kurze, verstörende Kapitel mit Personen, die nur einmal auftauchen.
Man spürt unterschwellig immer einen leichten Horror und kommt natürlich ins Grübeln wie über die Fazination neuer Technik, die eigene Privatsphäre schnell mal ins Hintertreffen gerät. Auch Neugier, Einsamkeit oder einfach Voyeurismus sind natürlich Gründe dass die Kentukis in der Bevölkerung immer beliebter werden.
Dann lässt man sie mit den kleinen Kindern durch die Wohnung spazieren und hat vielleicht einen Pädophilen, der das Ding steuert.
Das Gedankenexperiment der Autorin hat etwas Beunruhigendes, weil man einfach merkt wie nah es an uns dran ist.
Vom mir gibt es eine große Leseempfehlung. Ich habe das Buch wirklich gerne gelesen.