Eine gute, übersichtliche Einführung in das Thema Achtsamkeit
Wie ich ja bereits vielfach an anderer Stelle erwähnt habe, arbeite ich als Psychologin und interessiere mich deshalb natürlich sehr für praxisbezogene Literatur aus dem Feld der Psychologie, durch die ...
Wie ich ja bereits vielfach an anderer Stelle erwähnt habe, arbeite ich als Psychologin und interessiere mich deshalb natürlich sehr für praxisbezogene Literatur aus dem Feld der Psychologie, durch die ich im besten Patient*innen im besten Fall einige praktische Übungen mit auf den Weg geben kann. Ein Bereich, zu dem ich jetzt schon mehrere Bücher gelesen habe, ist die Achtsamkeit. Ich finde dieses Feld nicht nur sehr spannend, sondern auch extrem hilfreich als Ergänzung zur klassischen kognitiven Verhaltenstherapie.
"Das Praxisbuch der Achtsamkeit" ist bereits vor einigen Jahren erschienen und dennoch sind dessen Inhalte auch sieben Jahre später - mehr oder weniger - noch aktuell. Der erste Blick in das Buch fiel bei mir sehr positiv aus, denn die Aufmachung ist nicht nur sehr übersichtlich, sondern auch farblich sehr ansprechend gestaltet. Man wird nicht vom Text erschlagen, wie es mir bei anderen Büchern aus dem gleichen Themenbereich schon passiert ist.
Die einzelnen Kapitel sind sehr logisch und verständlich aufgebaut. In einem ersten Teil sollen die Leser "Achtsamkeit verstehen", in dem sie nicht nur in die theoretischen Grundlagen, sondern auch in ein paar grundlegende Achtsamkeitsübungen eingeleitet werden. Im zweiten Teil wird etwas spezifischer auf ausgewählte Herausforderungen eingegangen, mit denen mal lernen soll, achtsam umzugehen. Die Autorin hat sich dabei u.a. auf die psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Ängste fokussiert, sowie auch dem Stressmanagement. Für mich drei Bereiche, in denen die Achtsamkeit sehr gut zum Tragen kommt. Gerade bei der Depression war ich positiv überrascht, wie adäquat und verständlich das Krankheitsbild geschildert wird, mit einem besonderen Fokus auf das verhaltenstherapeutische Modell des gegenseitigen Einflusses von Denken, Fühlen und Handeln. Man merkt, dass Silverton sich eingehend mit den Krankheitsbildern und ihren Hintergründen beschäftigt hat und ihre Erklärungen auf wissenschaftlichen Fakten beruhen. Das fand ich aus psychologischer Sicht grossartig.
Die restlichen Kapitel befassen sich schliesslich noch mit Achtsamkeit in Beziehungen, bei Kindern, für pflegende Angehörige und bei einer Krankheit. Hier waren mir die Themenbereiche aber etwas zu schwammig, aber das lag vielleicht auch daran, dass ich mit diesen Themen eher wenig zu tun habe.
Das Buch besteht aus einer guten Mischung aus theoretischem Wissen, Anleitungen für praktische Achtsamkeitsübungen und Erfahrungsberichten von einzelnen Menschen, die in der Achtsamkeit ihre Hilfe gefunden haben. Gerade diese Beispiele haben auf mich aber teilweise schon sehr konstruiert gewirkt und mir aufgrund des Propaganda-artigen Charakters eher Widerstand ausgelöst, weshalb ich sie irgendwann einfach übersprungen habe. Insgesamt lässt sich aber sagen, dass man einen guten und verständlichen Überblick über das Thema Achtsamkeit und ihre Wirkungsweise erhält.
Dennoch muss ich am Schluss noch einen Kritikpunkt anfügen. Gerade im Kapitel zu Depressionen wird die Wichtigkeit von Achtsamkeit hervorgehoben, ohne explizit darauf hinzuweisen, dass im Falle von akuten depressiven Episoden dringend eine psychotherapeutische und ggf. auch pharmakologische Behandlung vorzuziehen ist. Erst im Anhang des Buches findet man einen solchen Hinweis, wobei eher betont wird, wie Wirksamkeitsstudien einen ähnlich guten Effekt für achtsamkeitsbasierte Interventionen nachweisen konnten, wie bei Antidepressiva. Da das Buch aus 2012 stammt, weiss ich nicht, wie akkurat diese Studienergebnisse noch sind, ich möchte aber dennoch darauf hinweisen, dass achtsamkeitsbasierte Selbsthilfe bei depressiven Episoden alleine meistens nicht ausreicht. Ich sehe die Achtsamkeit eher als eine hilfreiche Ergänzung zu den üblichen psychotherapeutischen Methoden. Für mich hätte noch viel stärker darauf hingewiesen werden müssen, dass hier Achtsamkeitsübungen im Rahmen der Rückfallprophylaxe wirksam sein können und nicht zur Behandlung akuter depressiver Phasen. Ich besitze noch ein anderes (Lehr-)Buch zum Thema Achtsamkeit, das von zwei Psychologen geschrieben wurde und dort wird genau davor in Zusammenhang mit akuten depressiven Episoden gewarnt. In diesem Buch hier ist mir das leider viel zu kurz gekommen.
Ein weiterer Kritikpunkt ist eher hypothetischer Natur. Für mich war das Buch sehr verständlich, weil ich durch meine Ausbildung viel Vorwissen mitbringe. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass es für Laien schwierig sein könnte, das theoretische Wissen auf Anhieb zu verstehen und die Übungen alleine in ihrem Alltag umzusetzen. Im Buch erwähnt die Autorin immer wieder einen Kurs, den sie zum Thema Achtsamkeit leitet. Zum Einstieg in das Thema würde ich vermutlich auch einen Kurs empfehlen, damit man das notwendige Know-How mitbringt, um die Übungen anschliessend selbstständig durchführen zu können. Andernfalls könnte ich mir vorstellen, dass das Buch für komplette Neulinge im Bereich der Achtsamkeit etwas anspruchsvoll sein könnte.
Fazit:
"Das Praxisbuch der Achtsamkeit" hat zwar schon ein paar Jahre auf dem Buckel, das Thema ist dennoch so aktuell wie eh und je. In einem sehr anschaulichen, übersichtlichen Design werden die Leser in die Grundlagen der Achtsamkeit eingeführt, die von Erfahrungsberichten ergänzt werden und schliesslich mit Übungen zur praktischen Umsetzung der Achtsamkeit abgerundet werden. Für mich eines der besseren Bücher aus diesem Bereich, das aber meiner Meinung nach zu wenig darauf hinweist, dass Achtsamkeit bei akuten psychischen Erkrankungen lediglich als Ergänzung zu Psychotherapie zu empfehlen ist und als alleinige Intervention in den meisten Fällen nicht ausreicht. 4 Sterne gibt es für dieses Buch.