Charlie Berg - Wer ist das?
Der vorliegende Roman von Sebastian Stuertz ist nicht nur die Beschreibung eines Lebensabschnittes der Hauptperson Charlie Berg. Seine recht exzentrische Familie sowie ein auch sehr spezielles Umfeld ...
Der vorliegende Roman von Sebastian Stuertz ist nicht nur die Beschreibung eines Lebensabschnittes der Hauptperson Charlie Berg. Seine recht exzentrische Familie sowie ein auch sehr spezielles Umfeld mit all seinen Freunden, Bekannten, Lehrern, Förderern bis hin zu Ärzten, die sich um Charlies Gesundheit bemühen, verlangt dem Leser Aufmerksamkeit und Konzentration ab. Der Roman umfasst immerhin 714 Seiten reiner Lesestoff. Im ersten Teil bemühte ich mich, den Charakter von Charlie zu verstehen. Das ist gewiss nicht einfach. Charlie ist einerseits ein netter Junge. Gleichzeitig hat er nicht das geringste Problem damit, seinen erschossenen Großvater im Wald einfach liegen zu lassen. Er plant eiskalt gedanklich durch, wie er den Vorfall vertuschen kann und selbst dabei in keinerlei Zusammenhang mit dem Mordfall gebracht werden kann. Zu diesem Eingangsvorfall gesellen sich im Verlauf der Handlung noch mehrere Geschehnisse, die einen ganz normalen Menschen aus der Bahn werfen würden. Nicht so Charlie Berg. Er ist eben ein ganz spezieller Typ. Ich dachte zu Beginn des Romans, dass Charlie so ganz knapp am Autismus vorbeigeschrammt wäre. Es kann aber auch sein, er ist einfach nur hochbegabt. Seine Begabung ist vielseitig. Nach und nach wird seine Herzerkrankung offensichtlicher. Allerdings verdrängt er sie selbst vollkommen. Auch seine Familie sieht darin kein großes Problem. Sogar als er am Ende des Romans knapp dem Tod entkommen ist und operiert wird, ist der Umgang mit der Krankheit, die wirklich sein Leben bedroht, immer noch leicht.
Charlies Vater und Mutter sind nur an ihrer eigenen Kariere interessiert. Die Verantwortung für kleine Tochter, wurde ohne Bedenken auf Charlie übertragen. Er liebt seine Schwester wirklich. Sie ist nun allerdings einseitig hochbegabt. Fritzi liest und liest. Sie speichert all das gelesenen wortwörtlich in ihrem Gedächtnis ab. Für mich ist dies jetzt aber eine Form von Autismus. Charlie hat eine vorerst freundschaftliche Beziehung zu einem Mädchen. Diese wird intensiver und am Ende finden beide zusammen. Wohlgemerkt nachdem Charlie ihren gewalttätigen Freund "mal eben so nebenbei" getötet hat!
Total gefesselt war ich von einer Begabung Charlies. Er kann alle möglichen Gerüche, fast wie ein bestens ausgebildeter Spürhund, auch nach langer Zeit aufnehmen, zerlegen und gewissen Personen bzw. Vorgängen zuordnen. Wie der Autor dies formuliert hat, finde ich absolut toll. Im Gegensatz dazu haben mich die ellenlangen Beschreibungen, wie ein musikalisches Werk durch Charlies Vater im Keller entsteht, gelangweilt. Dafür fehlt dem einfachen Musikliebhaber einfach das technische Verständnis. Dieses Verständnis liegt beim Autor natürlich vor. Er hat versucht, es dem Leser zu vermitteln. Bei mir leider ohne Erfolg.
Den Roman habe ich als ersthafte Literatur empfunden. Inwieweit der Leser nach allen schwerwiegenden menschlichen Vergehen von Charlie, diesem Sympathie entgegenbringt oder doch der Meinung ist, dass hier eine Bestrafung erforderlich ist, lässt der Autor offen.
Mein Rechtsverständnis kämpft in diesem Fall mit meinem Gefühl. Ich hoffe, dass es auch anderen Lesern so ergeht.
Viel Spaß beim Lesen! Den werdet ihr sicher haben! Der Roman ist nicht einfach ein Lesestück. Er ist L i t e r a t u r !