Beeindruckende Urban Fantasy: dunkle Geheimnisse aus dem Schwarzwald
Die gängigen Vorurteile über Fantasy-Literatur sind bekannt: trashige Inhalte, Protagonistinnen, die erst in den starken Armen muskelbepackter Überhelden ruhen und sich kurz danach perfekte Schwertkämpfe ...
Die gängigen Vorurteile über Fantasy-Literatur sind bekannt: trashige Inhalte, Protagonistinnen, die erst in den starken Armen muskelbepackter Überhelden ruhen und sich kurz danach perfekte Schwertkämpfe mit bösen Zauberern, Drachen oder Orks liefern; dann gibt es noch Gestalten, die allesamt irgendwie der Fantasie Tolkiens zu entstammen scheinen, bis hin zu bleichen, verführerischen Untoten die auch mal gerne in der Sonne flimmern.
Simone Dorra zeigt mit ihrem Erstlingswerk "Fluchmond", dass Fantasy auch erfrischend anders sein kann, nämlich spannend und hochemotional, jenseits aller Klischees und in herrlich gekonnter Sprache verfasst.
Zum Inhalt:
Miriam Trautwein erfährt kurz nach der Beerdigung ihrer Großmutter im Schwarzwald, dass sie deren altes Bauernhaus erbt, in dem sie als Kind glückliche Tage verbracht hat. Kurz entschlossen gibt sie ihre Wohnung in Hannover auf und zieht mit Sack und Pack ins Wolftal. Zum Nachlass der Großmutter gehört auch ein Holzkästchen, dass nicht nur Schmuck, sondern auch eine alte Silberscheibe enthält, die ein rätselhaftes Symbol trägt. In was für unvorhergesehene Ereignisse sie dieser Anhänger noch stürzen wird, kann sie nicht ahnen.
Durch eine Freundin lernt sie den Wolf- und Bärenpark kennen, der es sich zur Aufgabe gesetzt hat, Tieren eine Heimstatt zu bieten, die anderswo ausgebeutet und geknechtet wurden. Die schrecklichen Ereignisse, die hier ihren Anfang nehmen werden, sind für niemanden abzusehen. Und dann ist da noch dieser rätselhafte Fremde, der doch so vertraut scheint - und der mehr als nur ein Geheimnis birgt.
Ohne es zu ahnen, beginnt Miriam eine Rolle in einer uralten Geschichte zu spielen, in deren Verlauf längst totgeglaubte, dunkle Wesen zum Leben erwachen, in der ein zertrümmertes Auto und eine Blutspur eine Rolle spielen und die den Leser in so manche unerwartete Wendung mitnimmt. Dass dazwischen durchaus auch mal die Erotik knistert, ohne dass dies jemals peinlich oder aufgesetzt herüberkommt, spricht für die Schreibkunst der Autorin.
Es gelingt Simone Dorra, den Leser von Anfang an einzufangen und in die Geschichte zu ziehen - selten habe ich es erlebt, dass ich nach der Lektüre eines Buches sofort wieder von vorne anfangen wollte, weil ich selbst nach 475 Seiten noch nicht wahrhaben wollte, dass es aufhört.
Noch dazu malt die Autorin sprachliche Bilder, die Suchtcharakter haben:
„Er hockt im Unterholz, die Muskeln angespannt, die Nase bestürmt von zahllosen, einander überlagernden Düften. Nasses, halb verfaultes Laub vom Vorjahr, der scharfe, flüchtige Hauch eins Fuchsrüden in der Ranz, der warme, kupfrige Duft vom Blut einer frisch geschlagenen Maus…“ oder „Das Haus umschloss sie wie eine warme, knorrige Hand; es begleitete sie wie beim allerersten Mal (…) mit dem hölzernen Flüstern seiner Wände, mit dem Wind im Abzug des Kachelofens (…) und mit dem Geruch längst verloschener Herdfeuer in der kleinen Küche.“
Prädikat: höchst lesenswert. Man kann zu diesem Buch nicht neutral stehen: entweder man liebt es - oder man hat es nicht gelesen.