Cover-Bild Vergiß die Rose nicht
15,00
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  • Verlag: Bibliothek der Provinz
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: Klassisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Erzählende Literatur
  • Seitenzahl: 80
  • Ersterscheinung: 1991
  • ISBN: 9783900878412
Theodor Storm

Vergiß die Rose nicht

Hinzelmeier | Vom Stein der Weisen und dem Raben Krahirius · Eine nachdenkliche Geschichte
Leszek Wiśniewski (Illustrator)

In einem alten weitläuftigen Hause wohnten Herr Hinzelmeier und die schöne Frau Ahel; sie waren nun schon ins zwölfte Jahr verheiratet, ja, die Leute in der Stadt zählten ihnen nach, daß sie zusammen schon fast an die achtzig Jahre auf dem Nacken hätten, und noch immer waren sie jung und schön und hatten weder ein Fältchen vor der Stirn, noch ein Hahnepfötchen unter den Augen. Daß dies nicht mit rechten Dingen zugehe, war nun freilich klar genug, und wenn die Hinzelmeierschen aufs Tapet kamen, so tranken die Stadtkaffeetanten drei Näpfchen mehr als am ersten Ostersonntagnachmittage. Die eine sagte: „Sie haben einen Jungbrunnen im Hofe!“ Die andere sagte: „Es ist eine Jungfernmühle!“ Die dritte sagte: „Ihr Bube, das Hinzelmeierlein, ist mit einer Glückshaube auf die Welt gekommen, und nun tragen die Alten sie wechselweise, Nacht um Nacht!“ Das kleine Hinzelmeierlein dachte nun freilich nicht dergleichen; es kam ihm im Gegenteil ganz natürlich vor, daß seine Eltern immer jung und schön waren; aber gleichwohl bekam auch er sein Nüßchen, das er vergeblich zu knacken suchte.
Eines Herbstnachmittags, da es schon gegen das Zwielicht ging, saß er in dem langen Korridor des oberen Stockwerks und spielte Einsiedler; denn weil die silbergraue Katze, welche sonst bei ihm zur Schule ging, eben in den Garten hinabgeschlichen war, um nach den Buchfinken zu sehen, so hatte er mit dem Professorspiel für heute aufhören müssen. Er saß nun als Einsiedler in einem Winkel und dachte sich allerhand, wohin wohl die Vögel flögen, und wie die Welt draußen wohl aussehen möge, und noch viel Tiefsinnigeres; denn er wollte der Katze darüber auf den anderen Tag einen Vortrag halten – als er seine Mutter, die schöne Frau Abel, an sich vorübergehen sah. „Heisa, Mutter!“ rief er; aber sie hörte nicht, sondern ging mit raschen Schritten an das Ende des Korridors; hier blieb sie stehen und schlug mit dem Schnupftuch dreimal gegen die weiße Wand. – Hinzelmeier zählte in Gedanken „eins“ – „zwei“, und kaum hatte er „drei“ gezählt, als er die Wand sich lautlos öffnen und seine Mutter dadurch verschwinden sah; kaum konnte der Zipfel des Schnupftuches noch mit hindurchschlüpfen, so ging alles mit einem leisen Klapp wieder zusammen und der Einsiedler dachte nun auch noch darüber nach, wohin doch wohl seine Mutter durch die Wand gegangen sei …

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