Cover-Bild Liebesgeschichte
19,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Literaturverlag Droschl
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 224
  • Ersterscheinung: 05.02.2016
  • ISBN: 9783854209751
Thomas Jonigk

Liebesgeschichte

Roman
Eines Abends nach den Ordinationsstunden taucht in der Praxis des praktischen Arztes
Alexander Wertheimer ein dubioser und verängstigter Mann auf. In seiner Begleitung eine schwer verletzte, vermutlich minderjährige Ukrainerin. "Liebesgeschichte" ist das Protokoll, das Wertheimer von dieser Begegnung mit Maria Melnyk und von den fatalen Folgen, die daraus erwachsen, anlegt. Persönliche Erinnerung, Bekenntnisschrift, Verteidigungsrede und Schuldeingeständnis gleichzeitig, ist dieses Protokoll ein Kosmos aus Pathologie und Gewalt, der vom Erzähler aber als Liebe und leidenschaftliche Zuneigung wahrgenommen wird. Thomas Jonigk wirft in seiner unverwechselbaren eleganten Stilistik das übliche Täterprofil über den Haufen –
Alexander Wertheimer ist ein reflektierender, feministisch denkender, Andrea Dworkin und Ingeborg Bachmann zitierender Mann, dem das alles nicht passieren dürfte; aber er ist leider auch ein sich selbst ausgelieferter Mann, der einem bei der Lektüre, auch wenn er sich völlig schutzlos darbietet, von Seite zu Seite unheimlicher wird.
Jonigks Meisterschaft in der Darstellung von Gewalt und Abhängigkeiten in Familien-, Sex und Liebesbeziehungen, der Macht der Phantasien und der Sehnsucht nach Erlösung erweist sich auch in "Liebesgeschichte", wo er seinen subversiven Witz ganz besonders verstörend einsetzt.

Dieses Produkt bei deinem lokalen Buchhändler bestellen

Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Verstörend! Der ganz eigene Stil ist leicht lesbar, das Thema ist harter Tobak

0

Die Rückseite des Schutzumschlages vermerkt „Liebesgeschichte – eine irritierende, beunruhigende Versuchsanordnung über Entfremdung und Begehren“. Thomas Jonigk arbeitet auch als Theaterregisseur und –dramaturg, ...

Die Rückseite des Schutzumschlages vermerkt „Liebesgeschichte – eine irritierende, beunruhigende Versuchsanordnung über Entfremdung und Begehren“. Thomas Jonigk arbeitet auch als Theaterregisseur und –dramaturg, und wenn ich an die generelle Tendenz seiner Branche denke, viele Stücke zu inszenieren in dem Bestreben, das Publikum zu schockieren, so passt das hier zusammen.

Der Arzt Alexander Wertheimer ist der Ich-Erzähler dieser Geschichte. Nein, kein sympathischer Held, niemand, mit dem sich auch nur im Ansatz jemand zu identifizieren versuchen sollte. „Vom Terror, nicht geliebt zu werden“ steht noch auf der Rückseite: Wertheimer ist ein Besessener, er scheint zu Stalking zu neigen, wirkt grenzwertig zwangsneurotisch. Er verwechselt Wissen mit Überheblichkeit, glaubt, durch die Lektüre von kulturell relevanter Lektüre kultiviert zu sein.

Trotzdem liest sich „Liebesgeschichte“ leicht und ist stilistisch nicht unangenehm, zeigt eher sprachliche Kompetenz des Autors. Problematisch wird es beim Inhalt, den zu beschreiben fast unmöglich ist, ohne automatisch zu viel zu verraten, bereits der Klappentext geht eigentlich zu weit. Daher so viel: Wertheimer erkennt an sich „dieses Gefräßige, das keinen Raum für zwei lässt, weil ich mir alles einverleibe, das ich zu lieben glaube.“ (S. 54f) Sein Einverleiben ist nicht zart, verstörend sind seine Phantasien wie seine Handlungen. Gegenüber den Gefühlen und Bedürfnissen seiner Mitmenschen – speziell Frauen – ist er blind und taub, leider nicht stumm, was er sagt, klingt wie eine Gebrauchsanweisung, so in den Gedanken über seine Nachbarin: „…dazu kommen z.B. Gewebeschwächen im Bereich der Brust und der Oberarme, Pigmentstörungen (Dekolleté), starke Hornhautbildung (beide großen Zehen sowie Fersen), Zahnfleischrückgang (beim Gähnen sichtbar) sowie Andeutungen von Krampfadern in der linken Wade.“ (S. 73). Na danke! Bisweilen wirkt Jonigk hiermit komisch, der Klappentext spricht von „subversiv“. In Sätzen wie „ich sehe, wie Vergeblichkeit aus mir herausquillt“ (S. 15) hingegen wird er doch sehr vorhersehbar.
Alles in allem ist mir dieser Roman zu sehr (wenn auch technisch gut) konstruiert, zu kalkuliert. Sein Antiheld bietet so wenig Identifikationspotential wie das weitere Personal des Romans. Das Thema ist wichtig, die Darstellung verstört – das „passt“, aber lässt mich darüber hinaus unbewegt. Eine Rezension, die ich aus Ratlosigkeit konsultierte, zog den Vergleich zu Nabokovs „Lolita“. Vielleicht Lolita auf der Bühne mit nackten Schauspielern, Statisten aus dem Obdachlosen-/Flüchtlingsheim und irgendwie rennt dabei jemand herum und sagt.
WEITER.

zu Stilmitteln:
Jonigk nutzt wiederholt ganz eigene stilistische Mittel ein, jedoch nicht in ähnlicher Persistenz wie der aktuelle Walser:
„Ihr seid doch über jedes Detail informiert, ihr Staatsoberhäupter und Familienväter, ihr Frauenhasser, Mädchenhändler und Kinderschänder, ihr Zyniker und Rechtsverdreher, meine hochverehrten Richter und Mörder: Ihr alle heuchelt Korrektheit/Gesetzestreue/Betroffenheit, aber ich weiß, DASS KEIN EINZIGER VON EUCH FREI VON SCHULD IST.
WEITER.“
(S. 94).
• Mehrfach erscheinen Aufzählungen, die die „Wahrer des Rechts und der Gesellschaft“ in einem Atemzug nennen mit denen, die diese verletzen.
• Häufig stehen „Begriffe zu Auswahl“, getrennt mit Schrägstrich – Jonigks Hauptperson ringt um den korrekten Wortgebrauch, er redet / denkt (ja, das steckt an) wie im Rausch, mag sich vielleicht auch nicht festlegen (lassen).
• Einige Sätze oder Satzteile oder Worte sind komplett in Großbuchstaben, was für mich die Assoziation von „Schreien“ in SMS-Darstellung hervorruft.
• Jonigk arbeitet auch damit, Handlung mit dem Zeilenvorschub darzustellen – die Lesefolge wirkt dadurch gepresst, stockend, ausweichend.
• „WEITER“ leitet mehrfach einen Gedankensprung im „stream of consciousness“ des Ich-Erzählers ein.
Was einzig noch fehlt im obigen Beispiel, kann man darstellen anhand von
„…ein bewegungsunfähiger Querschnittsgelähmter (Anm.: Pleonasmus? Überprüfen!).“ (S. 68) – häufige Nutzung von Klammern, oft in einer Art, als rezensiere der Arzt sich selbst, um vielleicht beim nächsten Sprechen oder Denken sich korrekter ausdrücken zu können. Dabei ist ihm Sprache wichtig wie auch Literatur oder generell Wissen.