Cover-Bild Micky, Marx und Manitu
24,90
inkl. MwSt
  • Verlag: Weidler Buchverlag Berlin
  • Themenbereich: Biografien, Literatur, Literaturwissenschaft - Literatur: Geschichte und Kritik
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 406
  • Ersterscheinung: 01.2002
  • ISBN: 9783896931955
Thomas Kramer

Micky, Marx und Manitu

Zeit- und Kulturgeschichte im Spiegel eines DDR-Comics 1955-1990 - "Mosaik" als Fokus von Medienerlebnissen im NS und in der DDR
Der Leser begleitet den Autor auf einem faszinierenden Streifzug durch die deutsche und internationale Populärkultur und deren Aufnahme und Verarbeitung im NS, der DDR und der Bundesrepublik. Dabei werden dem Comic „Mosaik“ sowie Werk und Rezeption Karl Mays besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In seiner Anschaulichkeit und Vielfalt der behandelten Aspekte wendet sich das Buch an den Historiker, Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaftler ebenso wie an den allgemein an Zeit- und Kulturgeschichte interessierten Leser.

Das Vorwort macht es sich zum Anliegen, auf zahlreiche Desiderate bei der Behandlung des Untersuchungsgegenstandes hinzuweisen und unterstreicht die Notwendigkeit der Überwindung selbiger. Kramer verdeutlicht, daß in der Arbeit erstmals der Versuch einer systematischen Rekonstruktion der Rezeption von deutscher und internationaler Populärkultur über ein halbes Jahrhundert unternommen wird; darunter bislang kaum untersuchte Bereiche wie Heftchenliteratur und Sammelbilder für Zigaretten, Kaugummi etc.
Im ersten Kapitel stellt Kramer Theorie und Untersuchungsmethoden seiner Arbeit vor. Es wird der zu analysierende Textkorpus aufgezeigt, welcher immerhin einen Großteil der in der DDR erschienenen Kinder- und Jugend-Zeitschriften, im Falle von „Mosaik“ immerhin – bei notwendiger Berücksichtigung der nach 1990 entstandenen Hefte – über 10.000 Seiten, die Abenteuerheftreihenliteratur der zwanziger und dreißiger Jahre, aber auch ausländische Titel wie das amerikanische „National Geographic Magazine“ der Jahrgänge 1960 bis 1990 und Archivalien zur Produktionslenkung in der DDR umfaßt. Im Kapitel 1.1.2 „Der Untersuchungsgegenstand >Mosaik< als Diskursmacht im kulturpolitischen Kontext“ wird die Bedeutung eines vermeintlich unpolitischen Presseprodukts „Mosaik“ erklärt. Vor allem wird auf die erstaunlich breiten tangierenden Bezugsfelder innerhalb der DDR-Gesellschaft hingewiesen, und der Comic in den sozialen Gesamtkontext eingeordnet, um bis heute herrschende ostalgische Vorurteile bezüglich eines unpolitischen „Mosaik“ auszuräumen. Dabei steht das Phänomen im Mittelpunkt, wie ein konservativ sozialisierter und Zeit seines Lebens bürgerlichen Werten verpflichteter Autor wie Lothar Dräger (geb. 1927) über Jahrzehnte Text und Handlung einer „sozialistischen Bilderzeitschrift“ maßgeblich mitzubestimmen vermochte, was dann in den folgenden Kapiteln demonstriert wird. „Mosaik“ vermochte durch die Verarbeitung der von Dräger ausgewerteten Quellen, von denen die Mehrzahl im Osten Deutschlands verboten bzw. zumindest verpönt und/oder nicht in ausreichender Menge und Qualität erhältlich waren (Abenteuerliteratur wie Karl May, Comics der frankobelgischen Schule wie „Tim und Struppi“) einen ungeahnten Popularitätsgrad zu erreichen.
Das anschließende zweite Kapitel gibt einen Überblick über den Untersuchungsgegenstand, wobei v.a. zunächst eine grobe Inhaltsübersicht über die einzelnen Serien des DDR-Comics zwischen 1955 und 1990 auch dem nicht damit vertrauten Leser die Breite der präsentierten Themen, die das breite Spektrum populärer Kultur vermittelt und die beiden maßgeblichen Künstler, den Spiritus rector Hannes Hegen und den Texter Lothar Dräger vorstellt. Das folgende 3. Kapitel leitet mit grundlegenden Bemerkungen zur Verortung des „Mosaik“ im kulturellen Umfeld der DDR und Strategien des Texters bei der Quellen- und Themenwahl zum umfänglichsten Abschnitt über.
Dieses vierte Kapitel präsentiert die zentralen Anliegen der Arbeit, die Demonstration der ganzen Vielfalt der Themenbereiche aus nahezu allen Sparten deutscher und internationaler Unterhaltungskultur und deren Interpretation in einem DDR-Comic. Unter der Überschrift „Märchen und Abenteuerliteratur in der Lesebiographie Lothar Drägers und ihre Verarbeitung im DDR-Comic zwischen 1957 und 1990“ entfaltet Kramer auf der Grundlage der in den vorhergehenden Kapiteln getroffenen Erläuterungen die fast unüberschaubare Vielfalt der durch Dräger zwischen 1957 und 1990 in das „Mosaik“ eingebrachten Quellen, wobei das Werk Karl Mays dominiert. Liegen zur May-Rezeption unter dem Gesichtspunkt der Produktionslenkung in der DDR inzwischen umfängliche Untersuchungen vor, so erläutert Kramer erstmals, welchen Einfluß Mays Werk – auch über „Mosaik“, aber natürlich selbiges als Schwerpunkt, hinaus – auf in der DDR produzierte Texte der Unterhaltungsliteratur hatte. Unter Berücksichtigung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden beider Vita vergleicht Kramer dabei die Umstände und Art der Verarbeitung Mays durch den Autor Lothar Dräger mit den Einflüssen Karl Mays auf den Autor einer der weltweit erfolgreichsten Heftchenserien, Jerry Cotton, Heinz Werner. Damit zeigt Kramer Ähnlichkeiten literarischer Sozialisation bei deutschen Unterhaltungsautoren – bis hin zu westdeutschen Serien wie Perry Rhodan – auf, und weist am Beispiel der umfangreichen Recherchen Höbers und Drägers für ihre Texte den bislang in der Forschung wohl kaum vermuteten Aufwand beim Verfassen erfolgreicher Trivialliteratur nach. Im Rahmen eines zwanzigseitigen Exkurses demonstriert Kramer die Folgen der Drägerschen Lektüre von Heftserien (Rolf Torring; Jörn Farrow u.a.) der dreißiger und frühen vierziger Jahre für seine spätere Tätigkeit beim „Mosaik“. Damit im Zusammenhang unterzieht Kramer diese Serien selbst gleichzeitig erstmals einer Analyse hinsichtlich reichlicher Anleihen bei deutscher (v.a. May) und internationaler (v.a. Edgar Wallace) Spannungsliteratur, und betrachtet sie als Teil internationaler Entwicklungen von Pulp- und Comic-Literatur. Das Unterkapitel 4.3.6 zeigt u.a. anhand der Einschätzung der Persönlichkeit Thea von Harbous und der Verwendung von Motiven ihrer Filme wie „Der Tiger von Eschnapur“ oder „Das indische Grabmal“ durch Dräger die jahrzehntelange Dominanz – und damit Propagierung – eines konservativen Frauenbildes in „Mosaik“, und demonstriert weiter am Beispiel der Reflexion indischer Kultur und Geschichte durch DDR-Medien, u.a. auch in „Mosaik“, die Einbindung in die Propagierung außenpolitischer Zielstellungen. Kapitel 4.2.9 diskutiert, ausgehend von der Verwendung von Quellen der Zeit vor 1945, vor allen den von Dräger präferierten Heftserien, das Bild vom Fremden, speziell des Afrikaners, im „Mosaik“. Das geschieht unter Einbeziehung entsprechender Darstellungen in anderen DDR-Medien für Kinder und Jugendliche (Kinderzeitschriften „Atze“, „Frösi“) sowie des westdeutschen „Micky-Maus“-Magazins und „Walt Disneys Lustige Taschenbücher“. Berücksichtigung finden natürlich auch die Kino-Wildwestabenteuer in Deutschland Ost – die „DEFA-Indianerfilme“ – und Deutschland West – die Karl-May-Filmwelle der Sechziger. Kramer verfolgt die Einflüsse Mays auf alle Serien des „Mosaik“, und schließt das vierte Kapitel mit dem Resümee „lebenslanger Jugendlektüre“ – Tolstoi wird schließlich wie May gelesen – durch Lothar Dräger ab.
Kapitel 5 beschäftigt sich mit Drägers Lektüre des deutschen SF-Autors der zwanziger und dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts („König Laurins Mantel“, „Die Spur des Dschingis-Khan“ u.v.a.), Hans Dominik (1872-1945), als Jugendlicher und der Umsetzung von dessen Szenarien in der sogenannten Neos-Serie des „Mosaik“ (1958-1960), einer Vision von naher DDR-Zukunft nach Verwirklichung wirtschaftspolitischer Zielstellungen in Comicform. Kramer zeigt auf, wie Dräger die narrativen Muster der frühen Lektüre geschickt mit Inhalten von DDR-Sachbüchern, v.a. des Autorenteams Böhm/Dörge („Unsere Welt von morgen“, „Gigant Atom“ u.v.a.), der Beschreibung technischer Neuheiten im westdeutschen (!) Jugendmagazin „Hobby“, zeitgenössischer DDR-SF und Filmen in ihrer Mischung aus Wirtschaftspropaganda und Agentenhysterie – sogenannter „Produktionsromane“ – zu turbulenter Comic-Handlung verknüpfte (vgl. bes. Kapitel 5.2.1). Kramer demonstriert im das Kapitel abschließenden Teil, welchen Problemen sich die Schöpfer des „Mosaik“ von Seiten der Zensur und Kritik, selbst bei Bemühungen um „Linientreue“, ausgesetzt sahen. Wie es Dräger gelang, nicht nur Unterhaltungsliteratur, sondern auch die bürgerliche Hochkultur in einen Comic zu transportieren, zeigt Kapitel 6 beweist, daß nicht nur Drägers Lese-, sondern seine gesamte mediale Sozialisation Einfluß auf den Inhalt des „Mosaik“ zeigte. Wie im Bereich der Lektüre, erweisen sich auch hier Erlebnisse in Kindheit und Jugend von ausschlaggebender Bedeutung für deren spätere Umsetzung; im Falle Drägers sogar für seine Berufswahl. Kramer verfolgt Drägers Weg vom Puppentheater der Kinderstube über Studium in Ost- und Westberlin und Engagements an verschiedenen Bühnen als Opernsänger, welcher v.a. aufgrund von Problemen mit politischen Verantwortungsträgern zum Comic führte. „Mosaik“ wurde damit gleichsam zum therapeutischen Schauplatz der Sublimierung für ausgebliebene Erfolge als Opernsänger; zum Theaterersatz. Kramer zeigt die historisch begründete Verwandschaft von Grafik und Bühne (Hogarth; Pocci), um dann anhand zahlreicher Beispiele, vor allem der Commedia dell`arte die Eignung und Umsetzung von Bühnenstoffen für bzw. in „Mosaik“ nachzuweisen. Dabei werden spezifische Veränderungen im Rahmen einer solchen Transformation eines Mediums in ein anderes deutlich, was sich beispielsweise auch bei dem frankobelgischen Comickünstler – zunächst Opernsänger – Edgar P. Jacobs mit seinen Geschichten um BLAKE UND MORTIMER beobachten läßt. Im Vergleich der Comicinterpretation von Bühnenwerken im westdeutschen „Disneys Lustigem Taschenbuch“ und „Mosaik“ macht Kramer deutlich, in welchem Umfang sich das jeweilige politische Umfeld nicht nur auf inhaltliche Bezüge, sondern auch auf stilistische Spezifika auswirkt.
Kapitel 7 zeigt, wie sich das konservativ geprägte Geschichtsbild Drägers im DDR-Comic widerspiegelt. Im Mittelpunkt steht dabei die sogenannte Erfinderserie (1960-1964), die von biographisch bedingten Details – Drägers Vater war Ingenieur – und Leseerlebnissen geprägt ist. Am Beispiel zweier „Mosaik“-Hefte um Heron von Alexandria werden beträchtliche Diskrepanzen, aber auch überraschende Übereinstimmungen zu bzw. mit der herrschenden DDR-Ideologie im Comic-Text deutlich. Kramer setzt sich insbesondere mit Quellenwert und Authentizitätsproblematik des „Mosaik“, welches bis heute – vor allem von einer breiten organisierten ostdeutschen Fangemeinde – für seine angeblich exakte Recherche von Fakten und Personen gepriesen wird, kritisch auseinander, und deckt die Mechanismen zur Vortäuschung von Authentizität auf. Damit weist er nach, daß „Mosaik“ zwar Bestandteil einer vom Wesen her Enkulturationsliteratur (Gansel) war, es den Künstlern aber trotzdem durch geschicktes Taktieren gelang, eine historisch nicht in jedem Fall stimmige, aber ästhetisch ansprechende Handlung zu konstruieren. Im abschließenden Teil des 7. Kapitels wird erläutert, wie Dräger im „Mosaik“ auf der Text- und Bildgrundlage eines LIFE-Bildbandes unter Verwendung klassischer Spannungsliteratur (Doyle) und Abenteuerfilmen Anforderungen nach Vermittlung marxistischer Auffassungen von Erdgeschichte gerecht zu werden versuchte.
Das achte Kapitel verdeutlicht, auf welchen bildästhetischen Traditionen, denen sich auch Dräger seit seiner Kindheit verpflichtet sah, der DDR-Comic fußte. Zeigten die vorhergehenden Kapitel besonders die literarischen Quellen des „Mosaik“, so demonstriert Kramer hier – wiederum an einer Vielzahl von Beispielen – wie der DDR-Comic auf Vorgaben aus der klassischen Malerei (z.B. Carpaccio), vor allem aber Historiengemälde des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts (Menzel, Werner, Knötel u.a.) zurückgriff, aber ebenso reichlich Illustrationen zu historischen Themen im amerikanischen „National Geographic Magazine“ zu nutzen vermochte. Dabei wird „Mosaik“ im Kontext westdeutscher, westeuropäischer und US-amerikanischer Comic-Kunst untersucht. Wilhelm Busch, aber auch Karikaturisten wie Barlog, beeinflußten den deutschsprachigen Nachkriegs-Comic in Ost und West gleichermaßen, weshalb sich deren Spuren in „Mosaik“ als einem Comic, dessen Texter – ebenso wie der Begründer und langjährige künstlerische Leiter des „Mosaik“, Hannes Hegen, von Kindheit an mit dem Schaffen von Busch, aber auch Karikaturen in Vorkriegsmagazinen wie UHU, vertraut waren, und diesen Stil in den DDR-Comic transportierte. Wie derartige Vorgaben, vor allem aber Illustrationen der Kinderzeitschrift „Der heitere Fridolin“, Manfred Schmidts „Nick Knatterton“, beeinflußten, und sich letzterer wiederum im „Mosaik“ wiederfand, erklärt Kramer ebenso wie die im Vergleich zu „Mosaik“ ungleich ideologieträchtigere Adaption Kanttertons in der Pionierzeitschrift „Frösi“ 1968.
Im Kapitel 8.3. diskutiert Kramer die qualitative Einordnung des „Mosaik“ im Vergleich mit Hal Fosters US-Comic „Prinz Eisenherz“, wobei der Umgang mit Vorlagen aus dem „National Geographic Magazine“, insbesondere der Gemälde Tom Lovells, im „Mosaik“ als Gradmesser für die Orientierung an einem konservativen Kunstverständnis, welche sich mit der nicht minder konservativen Auffassung von Geschichte Drägers trifft, verstanden wird. Dabei wird aufgezeigt, wie nationalkonservative Erziehung und entsprechende kulturelle Leitbilder in Drägers Sozialisation vor 1945 die Akzeptanz und Verarbeitung der amerikanischen Quellen für „Mosaik“ erleichterten. 8.4. zeigt, wie sich offizielle Auffassungen von Kunst in der DDR mit konservativen Intentionen von, dem „Arbeiter- und Bauern-Staat“ äußerst kritisch gegenüberstehenden, Hegen und Dräger, trafen. Standen letztere der ästhetischen Moderne aus konservativen Sicht eher ablehnend gegenüber, so verurteilte die DDR-Obrigkeit diese als gefährliche Gegnerin des „sozialistischen Realismus“. Im Vergleich mit einem Pionier der Comic-Moderne, dem italienischen Künstler Hugo Pratt („Corto Maltese“), wird so erklärt, warum „Mosaik“ stilistisch bis 1990 – und aufgrund der Beibehaltung antiquierter Konzepte teilweise bis heute – auf dem Niveau der fünfziger Jahre verharrte. Das ein, auch von der Anlage als Semifunny, d.h. karikierte Figuren agieren vor realistischen Hintergründen – konzipierter Comic nicht unbedingt komisch sein muß, und wie die Produktionsbedingungen auf das – tatsächlich oder vermeintlich – Komische zurückwirken, zeigt Kramer im Unterkapitel 8.5.

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