Wo Schatten ist, ist auch Licht - Die stillen Helden des Holocausts
Der Journalist Tim Pröse fing schon als Kind an, sich mit der schweren Thematik des Holocausts auseinander zu setzen. Er hat im Laufe der Jahre mit zahlreichen Zeitzeugen und deren Nachfahren geredet, ...
Der Journalist Tim Pröse fing schon als Kind an, sich mit der schweren Thematik des Holocausts auseinander zu setzen. Er hat im Laufe der Jahre mit zahlreichen Zeitzeugen und deren Nachfahren geredet, teilweise über Jahre hinweg ihre Lebenswege verfolgt. Herausgekommen ist dieses wunderbare Buch mit 18 spannenden Porträts.
Hier werden Menschen gezeigt, die den Krieg hautnah miterlebt haben und laut Tim Pröse echte Helden sind. Viele von ihnen wollten nie Helden sein und sehen sich auch nicht so. Manche hatten keine Wahl, versuchten einfach nur zu überleben, wie das Holocaust-Opfer Yehuda Bacon oder der Wehrmachtssoldat Hans-Erdmann Schönbeck. Andere traten dem Nazi-Regime offen entgegen und ließen dafür ihr Leben, wie die Geschwister Scholl oder die Hitler-Attentäter Stauffenberg und Elser. Für diejenigen, die damals den Terror nicht überlebten, sprechen Familiemitglieder und Freunde.
Was man hier liest, ist keine leichte Kost. Lässt man sich auf das Buch ein, wird man emotional stark mitgerissen. Ich habe mehrere Wochen an diesem Buch gelesen, denn vieles wirkt noch lange nach und man muss das Gelesene mitunter erstmal verdauen.
Da sind die Erlebnisse von KZ-Häftlingen und Soldaten, die um das nackte Überleben kämpften und Dinge schildern, die man sich heute nicht in seinen schlimmsten Albträumen vorstellen kann. Ich habe oft vor Schreck die Luft angehalten oder konnte meine Tränen kaum zurückhalten. Und dann gibt es diejenigen, die sich in dieser Hölle ihre Menschlichkeit bewahrt haben und für ihre Ideale und das Leben anderer Menschen alles riskiert haben, obwohl sie es einfacher hätten haben können, da sie Arier waren. Dies erfüllte mich mit tiefem Respekt. Diese Helden zeigen, dass es auch immer Licht gibt, wo Schatten ist.
Wenn man über das, was die Menschen im Weltkrieg erleben mussten, liest, kommen einem die eigenen Sorgen klein und unwichtig vor. Stress auf der Arbeit, Streit mit dem Partner, finanzielle Sorgen - all das ist nichts gegen die Gräuel, die Millionen Menschen damals erleiden mussten. Wir sollten dankbar sein, dass wir in Frieden und Freiheit leben dürfen und mithelfen, dass sich solche schrecklichen Dinge nicht mehr wiederholen. Denn ich war etwas schockiert über das abschließende Kapitel, in dem der Autor einen Blick auf die Situation heute wirft, wie mit dem Andenken an den Holocaust und seine Opfer umgegangen wird und wie stark der Antisemitismus auch heute noch in Deutschland und anderen Ländern präsent ist. Das finde ich erschreckend.
Trotz der schweren Thematik ließ sich das Buch dank des angenehmen und lebendigen Schreibstils sehr flüssig lesen. Ich hätte mir nur mehr Bilder gewünscht, habe aber auch vieles noch im Nachgang selbst weiter recherchiert. Hierfür ist auch die Literaturliste im Anhang nützlich.
Besonders schön fand ich, dass man Pröses Bewunderung und Sympathie für die Porträtierten richtig spürt. Er schafft Emotionen, ohne pathetisch zu werden, obwohl oder auch weil er sich selbst emotional auf diese Menschen einlässt, sie gerne ein Stück ihres Lebensweges begleitet, mit ihnen in die Vergangenheit reist und ihnen mit Respekt und Ehrfurcht begegnet. Man spürt seine Dankbarkeit, diese besonderen Menschen kennenlernen zu dürfen, und dies überträgt sich auf den Leser. Ich persönlich empfinde diese hier so liebevoll aufgezeichneten Begegnungen als etwas ganz Besonderes und kann "Jahrhundertzeugen" jedem wärmstens ans Herz legen.